Ein Käfig voller Bruchpiloten

von Stefan Keim

Bochum, 13. März 2014. Moana ist voll auf Leistung. Ihr ganzes Sein unterwirft sie dem Ziel, in einer Unternehmensberatung Karriere zu machen. Im Fahrstuhl, wo alle nahe zusammen stehen, lächelt sie nicht zu sehr, falls sie Speisereste zwischen den Zähnen vergessen haben sollte. Und ihrem Freund führt sie Varianten dunkelgrauer Businesskostüme vor, die er gar nicht unterscheiden kann. Sie will älter wirken. Hauptsache, sie fällt nicht negativ auf. Die 23jährige Laura Naumann zeichnet ein düsteres Porträt einer Gleichaltrigen in ihrem neuen Stück "Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken."

Leistungswahn und Todessehnsucht

Die Gegenfigur ist Mutter Christiane, mit der Moana und ihr Lover zusammenleben. Sie spricht Nachrichten im Fernsehen, war mal Journalistin und glaubt immer noch daran, die Menschen aufklären und die Welt verbessern zu können. Moana bezeichnet Mamas Job als "Hauptsätze vorlesen". Kein Wunder, dass es zwischen beiden ordentlich kracht. Verantwortung für die Schöpfung oder so was kennt die Tochter überhaupt nicht. Hinter ihrem Leistungswahn steckt eine düstere Weltsicht, eine Todessehnsucht, eine Lust, möglichst viel kaputt zu machen. Was wiederum natürlich ein Schrei nach Liebe ist. Aber sie will nicht, dass den jemand hört.

raus-aus-dem-swimmingpool 5 560 diana kuester u In Wohnzellen unter den Wolken: Sarah Grunert (Moana), Matthias Eberle (Boris) und Nicola
Thomas (Christiane)  © Diana Küster

Zwischen den beiden ineinander verbissenen Kampfratten hat Moanas Freund Boris schlechte Karten. Auch wenn er oft unterwegs ist und als Steward Langstreckenflüge begleitet, findet er hoch in den Lüften keine Erholung. Wenn er sich über Fluggäste beklagt, die auf dem Klo heimlich rauchen, den Feuermelder zuhalten und den Qualm in die Schüssel pusten, wirkt das weniger schick als die Sinnsuche der Frauen. Dass ihn solche Dinge auf Dauer ziemlich nerven, kann man allerdings verstehen.

Skurrile Wendungen

Laura Naumanns Sprache ist ähnlich kraft- und kunstvoll wie in ihrem Erfolgsstück "Demut vor deinen Taten, Baby", das seit der Bielefelder Uraufführung 2012 häufig nachgespielt wird. Die Sätze klingen direkt und glaubhaft, sind aber auch rhythmisch und musikalisch gestaltet. In "Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken" wechselt sie zwischen erzählenden Monologen und Ensembleszenen, in denen die Lebensentwürfe heftig aufeinander prallen.

Eine Hauptqualität des Stückes ist seine Unberechenbarkeit. Komödiantische Zuspitzungen wechseln mit psychologisch-dramatischen Momenten. Auf realistische Schilderungen folgen märchenhafte, surreale Szenen. Dass Mutter Christiane live auf Sendung plötzlich die Nachrichten wegwirft und die Zuschauer zum radikalen Nachdenken aufruft, ist noch nachvollziehbar. Eine spannende Wendung der Handlung. Doch dass Moana von einem Unbekannten vor einem herannahenden Auto gerettet wird, sich bei dieser Aktion beide Arme bricht und der fremde Mann gleich bei ihr einzieht, ist schon skurril. Jeder sieht etwas anderes in diesem mysteriösen Nikita. Er bleibt schemenhaft, ein Phantom, ungreifbar. Nicht einmal, ob er ein Mann oder eine Frau ist, mag er enthüllen. Alle wollen etwas von ihm, der Fleisch gewordenen Projektionsfläche. Plötzlich ist Nikita verschwunden und hinterlässt nichts als Leere.

raus-aus-dem-swimmingpool 2 560 diana kuester uGut gezwinkert: die Zeitgeistkomödianten Torsten Flassig (Nikita) und Sarah Grunert (Moana)
© Diana Küster

Malte C. Lachmann – wie Laura Naumann Jahrgang 1989 – inszeniert die Uraufführung im "Theater unten" des Bochumer Schauspielhauses textkonzentriert, mit unauffälliger Präzision. Die Schauspieler schieben drei Kästen auf Rollen herum, die vom Fernsehstudio übers Büro bis zur Badewanne die unterschiedlichen Handlungsorte darstellen. Einige überraschende Lichtwechsel bringen das Publikum ins Spiel, ohne dass es zu einer Mitmachperformance kommen würde, wie sie Laura Naumann in anderen Zusammenhängen als Mitglied des Live-Adventurespiel-Kollektivs machina eX entwickelt.

In ihrem neuen Stück spielt sie mit doppelbödigen Motiven. Moanas eingegipste Arme sind auch gebrochene Flügel, die Flugreisen ihres Freundes sind für ihn bloß eine Hölle aus Demütigungen und Mobbing über den Wolken. Und der Befreiungsschlag Christianes ist kein Höhenflug, die Medien zitieren sie falsch und stellen ihre politisch gemeinte Rede als Folge einer gescheiterten Beziehung dar. Alle fliegen in diesem Stück – aber nur auf die Schnauze.

Zwischenton-Ensemble

Dass dies hundert Minuten lang sehr viel Spaß macht, liegt auch an den vier ausgezeichneten Schauspielern. Sarah Grunert zeigt das vorzeitige Altern Moanas, die selbstzerstörerische Hingabe an den Turbokapitalismus ebenso vielschichtig wie Nicola Thomas die im Alkohol ersaufenden Restlebensträume ihrer Mutter. Torsten Flassig bleibt als Nikita angemessen ungreifbar, während Matthias Eberle als Steward Boris Bodenhaftung in die Aufführung bringt, mit vielen Zwischentönen und komödiantischer Genauigkeit.

Laura Naumanns neues Stück ist komplexer als "Demut vor deinen Taten, Baby" und klar im Abendspielplan verankert, weniger im Jugendtheater. Ein Naumann-Touch ist eindeutig erkennbar, aber auch der Wille, keinem einmal formulierten dramaturgischen Strickmuster zu folgen. Laura Naumann ist eins der ganz großen Talente der zeitgenössischen Dramatik.


Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken
von Laura Naumann
Regie: Malte C. Lachmann, Bühne und Kostüme: Udo Herbster, Licht: Alexandr Gershman, Dramaturgie: Sascha Kölzow.
Mit: Nicola Thomas, Sarah Grunert, Matthias Eberle, Torsten Flassig.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspielhausbochum.de


Die Real-Life-Adventure-Theatergruppe machina eX, der Laura Naumann angehört, hatte erst vor zwei Tagen am 11. März 2014 die Premiere des neuen Stücks Right of Passage am fft Düsseldorf.


Kritikenrundschau

"Nölbürger auf dem Bühnensofa" hat Cornelia Fiedler für die Süddeutsche Zeitung (15.3.2014) in Bochum besichtigt und fertigt das Stück in einer Kurzkritik ab: Konflikte blieben im "Gezicke" stecken. "Immer wieder holt die Story mit einiger sprachlicher Kraft schwungvoll aus, um dann unvermittelt abzufallen." Und die "weitgehend ironiefreie Regie" setze dem "weder etwas entgegen, noch arbeitet sie die unterschwellige Verzweiflung heraus".

"Starker Abend!", ruft Jürgen Boebers-Süßmann auf dem Onlineportal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung derwesten.de (14.3.2014) aus. "Mit kraftvoll-satter Sprache, Wortwitz und schleudernden Handlungssträngen schleudert Laura Naumann ihre Figuren in eine von medialen Verzerrungen und den Auswüchsen des Turbokapitalismus irrgeleiteten Welt." Das Stück werde von Malte C. Lachmann "gut getimt und immer mit Tempo, aber nie mit Hast" inszeniert. "Dass dieser Abend, kurzweilig und nachdenklich zugleich, blutvolles, pulsierendes Theater bietet, liegt aber nicht zuletzt an den Schauspielern, die sich deftig und komödiantisch in ihre Rollen, Gefühle und Charaktermasken schmeißen."

"Nicht alle Textpassagen in Naumanns Stück sind zwingend und klug, Malte C. Lachmanns Inszenierung ist manchmal zu sehr auf den billigen Gag aus, und nicht jedes Bild von Udo Herbsts Bühne aus verschiebbaren einzelnen Holzkästen leuchtet ein", schreibt Max Florian Kühlem in den Ruhrnachrichten (15.3.2014). Trotzdem sei die Uraufführung ein empfehlenswertes, von einem wunderbaren Ensemble getragenes Kleinod, das packend und aufwühlend das Drama der Existenz anhand ganz normaler Durchschnittsmenschen greifbar mache. 

"Der unfertig wirkende Text springt zwischen knappen Dialogen und monologischen Reflexionen, doch für ein starkes Überraschungsende reicht es nicht", findet Andreas Rossmann in seiner Sammelkritik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.3.2014). Die "brave Inszenierung" bleibe nah am Text und verlasse sich "aufs gut aufgelegte Ensemble".

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