Wehrhaftigkeit und Glamour

von Andreas Schnell

Bremen, 13. März 2014. So groß haben Gintersdorfer/Klaßen zumindest in Bremen noch nicht aufgefahren: Das Ensemble von "Not Punk, Pololo" zählt 17 Köpfe, eine bunte Truppe aus Musikern, Tänzern, Performern, Männern, Frauen, Schwarzen, Weißen, einige davon alte Bekannte, einige neu im Werkkontext der beiden Tanztheater-Macher. Gemeinsam sollen sie nichts Geringeres verhandeln als Gemeinsames und Trennendes von ivorischer Straßenkultur, Disco, Vogueing und Punk.

pololo-5 560 knut klassen uPololo lebt und Punk is not dead: Marc Aschenbrenner, Cécilia Bengolea, Magali Sander Fett,
Jesseline Preach und Paula Sanchez  © Knut Klaßen

"Halleluja!", animiert Gotta Depri gleich zu Beginn das Publikum, und Hauke Heumann assistiert ihm als singender Übersetzer. Zunächst ist eigentlich alles wie sonst auch bei Gintersdorfer/Klaßen: ein bisschen Geschichte, ein bisschen Übersetzung, ein bisschen Tanz. Wir erfahren, dass John Pololo, obwohl selbst kein Musiker, Pate stand für einen gleichnamigen Musikstil, eine Straßenkultur, die, wie Monika Gintersdorfer in einem Interview mit der taz erklärt, "Wehrhaftigkeit und Glamour" vereint.

Punk-Veteran Ted Gaier von den Goldenen Zitronen ist mit dabei

Bei Pololo fühlte sich Ted Gaier von den Goldenen Zitronen an Punk erinnert, was er, obwohl anwesend, aber nicht selbst sagt, weil er gerade mit Thomas Wenzel, Hans Unstern und einigen anderen auf der beweglichen Bühne einen eckigen Zitronen-Funk spielt. Weshalb wiederum Hauke Heumann in einer Art Schorsch-Kamerun-Rap erklären muss, was Ted Gaier sagt: dass nämlich Punk einerseits ganz ähnlich, andererseits aber auch ganz anders funktioniert als Pololo.

Es folgen weitere Exkurse dieser Art, zur Geschichte der elektronischen Musik, des modernen Tanztheaters und zu Genderfragen, immer wieder getrennt durch Gruppen-Choreographien und kontrapunktisch getaktet durch eine eigentümliche Lichtregie, die in regelmäßigen Intervallen grell ins Publikum leuchtet. Doch dabei bleibt es nicht.

Tocotronic-Musik schlägt keine Brücke zum Himmel

Zwei Treppen werden auf die Bühne gefahren, denen wie in einer wundersamen Zeremonie die größeren Teile des Ensembles entsteigen. Zudem greift vermehrt der rätselhafte Hans Unstern ins Geschehen ein, zum Beispiel als Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly ein trauriges Lied mit dylanesken Mundharmonika-Einwürfen singt, uns dann allerdings erklärt, dass er seine Probleme habe mit dieser negativen Musik. Musik sei doch eine Brücke zum Himmel, das Leben schließlich hart genug. Und er hämmert auf Unsterns Harfe ein, die jener ungerührt mit Geigenbögen bearbeitet. Hauke Heumann ist allerdings der Ansicht, dass gerade solche Musik ihm das Leben gerettet habe – zu Weihnachten bei den Eltern, Tocotronic hörend, wünschend, das ganze Elend in Flammen aufgehen zu sehen.

pololo-6 560 knut klassen uGlamour und gelenkige Knie: Richard Siegal, Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star, Nadia Beugre, Gotta Depri und Cécilia Bengolea © Knut Klaßen

Das Unvereinbare zu vereinen, es zumindest per Übersetzung in Berührung zu bringen, auch wenn das Ergebnis eher eine Kollision ist, auch das ist typisch Gintersdorfer/Klaßen, die allerdings mit ihrer neuen Produktion an die Grenzen ihrer Methode gehen. Hauke Heumann geht zunehmend in der Übersetzung verloren, während hinter ihm eine halbtransparente Wand aus Wellplastik zwischen Publikum und Bühne gezogen wird, die, kaum steht sie, schon wieder geöffnet wird, um dem Publikum den Weg auf die Bühne freizumachen.

Spätestens dort wird es schwierig, den Überblick zu behalten, während man um das herumsteht, was inzwischen eher Tanzfläche im Sinne von Dancefloor als Bühne ist. Und das ist vielleicht der eigentliche Witz dieses Abends – die Unvereinbarkeit von Theater und Pop mit den Mitteln des einen am Austragungsort des anderen in eine Praxis zu übersetzen. Eine enorm unterhaltsame Praxis.


Not Punk, Pololo
von Gintersdorfer/Klaßen
Konzept/Regie: Monika Gintersdorfer, Konzept/Ausstattung: Knut Klaßen, Dramaturgie: Nadine Jessen, Musik: Timor Litzenberger.
Mit: Marc Aschenbrenner, Cécelia Bengolea, Nadia Beugré, Gotta Depri, Karin Enzler, Ted Gaier, Hauke Heumann, Yao Joseph Koko alias Shaggy Sharoof, Jezzeline Preach, Anta Helena Recke, Paula Sanchez, Magali Sander Fett, Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly, Richard Siegal, Hans Unstern, Thomas Wenzel, Franck Edmond Yao alias Gadoukou La Star.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de

 

 

Kritikenrundschau

"Endlich", möge man laut Kornelius Friz von der taz (online 14.3.2014) ausrufen: "Der Lärm, die Einfachheit und der Dreck der Straße sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen." Der Kritiker nimmt diesen Abend exemplarisch für das Doppelpassprojekt der Bundeskulturstiftung, das "freie Szene und staatliche Theater einander etwas näher" bringt und lobt die Tanz-Performance, die "auch nach 90 Minuten noch reizvoll" sei: "Das von der verwirrenden Lichtregie geblendete Publikum bestaunt nicht nur die ekstatischen Bewegungen der verschwitzten Körper, sondern zugleich sich selbst im Spiegel der rollbaren Bühne: steif und unsexy, wie eh und je. Hiermit ist der Regie ein kluger Kniff gelungen. Sie gibt offen zu, wie viele unvereinbare Welten sie zusammenbringen wollte."

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