Panoptikum der Männlichkeitsrituale

von Hartmut Krug

Stralsund, 3. April 2014. Ein Erfolgsstück. Erbarmungslos in seinen Klischees und seiner Sucht nach Pointen. Wer hier nicht lacht, der denkt zu viel nach. Aufgeführt auf bereits mehr als 60 Bühnen, und die Verfilmung kommt im Herbst heraus. Mit Elyas M'Barek, Christoph Maria Herbst, Detlev Buck und Cosma Shiva Hagen.

Schmerzlich-treffliche Plattheiten

Zufluchtsort für die als Begleiter ihrer entfesselt shoppenden Frauen gebeutelten Männer ist der Heizungskeller eines Einkaufszentrums. Unter Vorwänden schleichen sie sich weg von ihren Frauen, die von der Boutique Ecstase zur Parfümerie Douglas, vom Schuhladen zum neuen irischen Schmuckladen wechseln und dort all das kaufen, was ihre Männer später wieder umtauschen müssen. So haben sich drei Männer, zu denen ein Brand- und Rettungswächter stößt, ihren "Männerhort" geschaffen. Hier schauen sie, während der Fernseher immer wieder seinen Geist aufgibt, Fußball, essen Pizza und holen ein Dosenbier nach dem anderen aus dem Kühlschrank. Sie bringen ihre neuesten technischen Geräte mit, bei denen nicht wichtig ist, wozu sie gut sind, sondern wie viele Funktionen sie haben. Und dann reden sie über ihre Frauen und inszenieren sich voreinander als tolle Kerle. Natürlich entpuppen sich alle als das, was sie am meisten fürchten: als Verlierer. Die von ihren Frauen rausgeschmissen werden.

maennerhort 6314 560 gunnar luesch 560 © Gunnar Lüsch

Es ist ein Stück, das bei der Lektüre oft weh tut. Nicht etwa wegen Beziehungskisten-Wahrheiten, sondern wegen der trefflichen Plattheiten seiner Mann-Frau-Klischees. Diese Männer kennen weder echte Gefühle noch ihre Frauen. Letztere kommen nur als Versatzstücke in ihren Erzählungen vor, und schließlich erkennen die vier Männerhortler: Männer haben Kumpels und Hobbys, aber Frauen besitzen ein Innenleben. Mit dem sie sich beim Einkaufen beschäftigen. Natürlich steckt in jedem Klischee auch ein Fünkchen Wahrheit, weshalb der Autor mit seinem Text an mancherlei Vor- und sonstigen Urteilen andocken kann.

Wilde Choreografie der Körper

Regisseur Jonas Hien, selbst auch Schauspieler und als solcher u.a. im Tross des Komödienspezialisten Herbert Fritsch aktiv, läßt im kleinen Gustav-Adolf-Saal in der Stralsunder Kulturkirche St. Jakobi seine Schauspieler buchstäblich auf die Zuschauer los. Sie spielen nicht nur vor, sondern gehen ans Publikum ran, sprechen es an, klettern auch mal mit Liebesbeteuerungen durch die Reihen. Vor allem aber gibt Hien dem Abend eine Form, die konsequent akzeptiert, dass Magnussons Figuren weit von jeder Realität entfernt sind. Der Klamauk ist bei ihm und seinen sich körpersprachlich entfesselnden Schauspielern ein bewusstes und zugleich ironisches Zitat. Weniger aus den Texten als aus dem übersteigerten Emotionsspiel kommen die Effekte. Statt Sprachpointen gestische Veräußerlichungen. Zu sehen ist kein psychologisches Spiel, sondern eine wilde Choreographie der Körper auf engstem Raum. Das nähert sich in seinen gelungenen Sequenzen einer Fernsehcomedy.

Vier Männer, vier Typen. Die der Regisseur in ein Panoptikum der Männlichkeitsrituale schickt. Männer halten zusammen, mit aus allen Zeiten und Medien bekannten Kriegstänzen, mit King-Kong-Brustgetrommel, mit Volksreden und Männerschwüren. Und das Ritual des spielerischen männlichen "Gerangels" entgleitet auch mal in die zünftige Keilerei. Während die sexuellen Anspielungen, gern auch die homosexuellen, das Publikum merklich besonders erfreuen.

maennerhort 6059 560 gunnar luesch u© Gunnar Lüsch

Schlapp-Schwänze mit Imponiergehabe

Die Schauspieler werfen sich auf der winzigen Bühne zwischen den silbernen Heizungsrohren geradezu in ihre Rollen. Jan Bernhardt gibt den (längst entlassenen) Piloten Helmut als stolzen Männerhort-Erfinder, der sich zugleich stolz und wie mit hängenden Schultern bewegt, während der Software-Entwickler Errol von Sören Ergang als ein schnell in die Aggressivität getriebener, unsicherer Mann mit schriftstellerischer Sehnsucht (wie Hemingway sein!) gespielt wird. Marco Bahr dreht und wendet sich tänzerisch als die Führungskraft Lars und dekonstruiert seine vom Testesteron bestimmte Figur. Wenn er von seiner mit Selbstmord drohenden Frau angerufen wird, erklingt als Handyton das schrill drohende Geräusch aus Hitchcocks Psycho, und wenn sich auf seinem anderen Telefon die Internet-Fick-Bekanntschaften melden, tanzt er aufschneiderisch zu dessen Lambada-Ton. Während Alexander Frank Zieglarski den Feuerwehrmann sehr schön als handfesten, einfach gestrickten Mann gibt, der seine Unsicherheit hinter kraftvollem Auftreten zu verbergen sucht.

Es gibt einige sehr schöne Szenen. Zum Beispiel, wenn die Männer trainieren, wie sie sich beim Einkaufsbummel verständnisvoll verhalten können, oder, natürlich, wenn ein Mann sich für einen Erkundungsgang als Frau verkleidet. Kabarettistischer Höhepunkt ist der Versuch zweier Männer, sich zu zweit auf dem Sofa zum Schlafen hinzulegen. Regisseur Jonas Hien bringt die Klischees des Autors immerhin in szenische Bewegung und lässt ihnen mit seinen medialen und körpersprachlichen Übersteigerungen zugleich etwas die Luft heraus. Und wie aus den Imponiergehabe-Männern Schlapp-Schwänze werden, die schließlich kleinlaut zu ihren Frauen zurück schleichen, das macht die Inszenierung sehr schön deutlich.

So sitzt man mit etwas diffusen Reaktionen vor dieser Inszenierung. Das Stück gerettet hat sie nicht, aber doch einige schauspielerisch schöne Momente gebracht.

 

Männerhort
von Kristof Magnusson
Regie: Jonas Hien, Bühne und Kostüme: Christof von Büren, Dramaturgie: Franz Burkhard
Mit: Alexander Frank Zieglarski, Sören Ergang, Jan Bernhardt, Marco Bahr.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.theater-vorpommern.de

 

Mehr lesen? Der Regisseur Jonas Hien hat als Schauspieler schon in mancher Herbert-Fritsch-Inszenierung für komödiantisches Furore gesorgt, zuletzt in der Oper Ohne Titel Nr. 1 an der Berliner Volksbühne.


Kritikenrundschau

Jonas Hien ziehe "alle Register einer launigen Theatershow", schreibt Dietrich Pätzold in der Ostsee Zeitung (5./6. April). "Alle Klischees über die Frauen und die Männer, die der Stammtisch und landläufige Grabbeltisch-Frauenbücher kennen", purzelten da durcheinander. Und indem die Akteure das zum fröhlichen Fest des Spielwitzes aufbauschten, verliehen sie der Farce sogar "versöhnliche Züge".

 

 

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