Sinistres Menschenexperiment

von Falk Schreiber

Hamburg, 5. April 2014. Und jetzt einen Gang hochschalten. Darauf baut das Theater von Herbert Fritsch – auf ein konsequentes Anziehen des Tempos. Sowohl in Bezug auf die Inszenierungen als auch auf die Karriere des Regisseurs: Eben war Fritsch noch Volksbühnenschauspieler, schon galt er als Nachwuchsregisseur, der mit Arbeiten in der sogenannten Provinz auf sich aufmerksam machte, schon ist er der Provinz entwachsen. Andere benötigen für so etwas ein ganzes Theaterleben, Fritsch reichen wenige Jahre.

In Hamburg zeigte er 2011 einen "Raub der Sabinerinnen" am Thalia Theater, aber seit Karin Beier das Schauspielhaus mit Macht als erstes Haus am Platze positioniert, ist das Thalia eine Nummer zu klein für den mittlerweile allseits anerkannten A-Klasse-Regisseur Fritsch, also wechselt er sich mit Molières "Schule der Frauen" an die Nachbarbühne. Was auch nicht die feine Art ist, aber feine Art ist ohnehin nicht das, für was Fritschs Theater steht. Dieses Theater steht für Gas geben, Tempo machen, Gang hochschalten.

Zynikers Erziehungsmethoden

"Die Schule der Frauen" ist, um im Bild zu bleiben, allerdings ein Gasgeben mit angezogener Handbremse. Molières 1662 uraufgeführte Komödie zählt nicht zu den häufig gespielten Stücken des Dramatikers: Zu sehr ächzt die Logik insbesondere gegen Ende, zu düster kommt die Handlung daher, in der der Zyniker Arnolphe sein Pflegekind Agnès bewusst zur Dummheit erzieht, um sie später heiraten zu können. Keinesfalls will Arnolphe eine kluge, selbstbewusste Frau, er sieht ja, wie solche Frauen konsequent ihren Männern Hörner aufsetzen, also: "Die Dummen zu freien, heißt, nicht der Dumme werden."

schulederfrauen 13 560 thomas aurin xMännergesellschaft in "Die Schule der Frauen" © Thomas Aurin

"Die Schule der Frauen" ist ein sinistres Menschenexperiment, und auch wenn Arnolphe am Ende der Geleimte ist, lässt sich das hier vorherrschende Maß an Frauenverachtung nicht einfach mit Fritschs erprobter Mischung aus Geschwindigkeit, Slapstick und konsequenter Verkünstelung überspielen.

Auf Meyerhoff zugeschnitten

Sätze wie "Ihr Frauen habt die Pflicht, uns untertan zu sein" wollen erst einmal gesprochen, Weltbilder wie die von der Frau als Suppe, in die ein Fremder seinen Löffel tunkt, erst einmal ausgespielt sein, bevor man sich an einen Lacher traut. Fritsch löst dieses Problem, indem er in "Die Schule der Frauen" nicht wie gewohnt ein Ensemble kontrolliert eskalieren lässt, sondern indem er den Text konsequent auf Arnolphe-Darsteller Joachim Meyerhoff hin inszeniert.

Und der sonnt sich darin, das Zentrum des Abends zu sein: Er reißt Zoten, er tänzelt, er spinnt Intrigen und raspelt Süßholz, und am Ende, wenn ihm alle Felle wegschwimmen, demütigt er sich auch noch aufs Traurigste. "Das ist schon bitter, wie uns die Leidenschaft die Selbstachtung raubt!"

sch d frauen3 0338Der Arnolphe des Joachim Meyerhoff: in zynischer Abgeklärtheit einsam werdend
© Thomas Aurin

Selbst als die Vorstellung für einen Moment unterbrochen wird, weil ein Zuschauer einen Schwächeanfall erleidet, behält Meyerhoff nach kurzer Irritation die Zügel in der Hand. Den übrigen Darstellern bleibt nicht viel mehr zu tun, als dieser knapp dreistündigen Solonummer zuzuarbeiten, und das machen sie mal weniger (Andreas Grötzinger als Deus ex machina Enrique), mal mehr motiviert (Josef Ostendorf und Bettina Stucky als debil-zombiehaftes Dienerpaar oder Karoline Bär als ätherisch-entrückte Agnès).

Menschen-Manipulation

Dass die Inszenierung dabei immer wieder die Ebene virtuosen Entertainments verlässt und ins Nachdenkliche rutscht, tut dem Abend gut. Man kapiert: Das hier ist kein Klamauk, das ist auch nicht die ans Musiktheater angelehnte Abstraktion, zu der Fritsch manchmal, in seinen besten Arbeiten, neigt, das ist eine Geschichte von Unterdrückung und Manipulation, eine Geschichte, in der es zur Sache geht, eine Geschichte, deren Hauptfigur Arnolphe am Ende gebrochen ist. Zu Recht ist er gebrochen, aber man leidet dennoch mit ihm mit, wie er in seiner zynischen Abgeklärtheit einsam wird und von der Einsamkeit in den Wahnsinn abgleitet. Schon wegen der Radikalität, mit der Meyerhoff solche Einsamkeit unter Fritschs Anleitung spielt, lohnt diese "Schule der Frauen".

Die Bühnenarchitektur ist dabei selbst mehr ein rohes Hindernis als die Spielwiese, die man aus anderen Arbeiten dieses Regisseurs kennt. Fritsch hat als sein eigener Bühnenbildner ein riesiges, fensterloses Holzhaus an die Rampe gestellt, das Gefängnis, in dem Agnès von allen äußeren Einflüssen ferngehalten wird, und gegen das ebenjene Einflüsse immer wieder anrennen beziehungsweise sich blutige Nasen holen – auch der Slapstick ist in dieser Inszenierung in erster Linie ein Akt der Gewalt.

Musikalische Struktur

Strukturiert wird der Abend derweil von der Musik Ingo Günthers, einer Art Mischung aus barocken Klängen und Elektronik, die am Ende auch den Übergang zu einer Fritsch-typischen langen Applausordnung schafft. Die passt im Grunde nicht zur Düsternis des Vorangegangenen, ist aber ein Markenzeichen des Regisseurs, muss also sein. Entsprechend bastelt Günther eine mitreißende Harmoniefolge und setzt einen treibenden Beat ein – und nach ein paar Minuten ist das Publikum in Mitklatschstimmung. Gas geben, Tempo machen, Gang hochschalten: frenetischer Applaus.

Die Schule der Frauen
von Molière, Deutsch von Sabrina Zwach
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Ingo Günther, Licht: Annette ter Meulen, Dramaturgie: Sabrina Zwach, Michael Propfe.
Mit: Karoline Bär, Andreas Grötzinger, Joachim Meyerhoff, Josef Ostendorf, Martin Pawlowsky, Bastian Reiber, Bettina Stucky, Michael Weber.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Mehr dazu: Eva Biringer beobachtete und berichtete von den Proben zu Die Schule der Frauen.

 
Kritikenrundschau

Auch wenn die "Stichwortgeber" in den Nebenrollen "das sinnfreie Niveau konsequent hoch" hielten, so sei der Abend doch im Wesentlichen ein Meyerhoff-Solo, schreibt Till Briegleb teils zugetan, teils auch erschöpft in der Süddeutschen Zeitung (7.4.2014). Fritsch und Meyerhoff "die beiden kongenialen Ulkvögel", "verlieren in ihrer gegenseitigen Begeisterung total das Zeitgefühl. Hätte man den Rekordversuch im Unsinnmachen auf die halbe Dauer zurechtgeschnitten, Meyerhoffs Addition lustiger Unnatürlichkeiten von Buster Keaton bis Monty Python würde den Schwachsinns-Superstar-Status für lange Zeit neu definieren."

Meyerhoff ist "der Mensch gewordene Duracell-Hase mit AAA-Batterie", jubelt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt (7.4.2014). Alle hier treiben "wirkungsvolles Kaspertheater, spielen deftige, der Commedia dell'arte entnommene Typen, sind freche, fordernde, verfressene Spaßmacher. Jede Geste, jede Haltung ist Slapstick". Fazit: "Der Abend ist die reine Freude. So war Theater lange nicht."

 

Kommentare  
Schule der Frauen, Hamburg: kein Karrierespektakel
Der Beginn des Artikels ist an Albernheit nicht zu übertreffen: als ob es um die Blitzkarriere eines 25jährigen handelt. Fritsch ist 63 und nicht auf kurzlebiges Karrierespektakel angewiesen.
Schule der Frauen, Hamburg: Schauspieler nicht zu erkennen
Wohl scheine ich der Einzige zu sein, oder findet es noch jemand schrecklich, dass keiner der Schauspieler in dieser Inszenierung zu erkennen ist? Das ist doch wie bei Peymann oder verstehe ich das nur nicht? Selbst Josef Ostendorf verschwindet darin. Langweilig wars nicht, aber hohl.
Schule der Frauen, Hamburg: Peymann?
Zu 2. Bei Peymann? Daß bei Peymann die Schauspieler zu erkennen sind, das wird ihm doch immer vorgeworfen!
Schule der Frauen, Hamburg: hallo?
Dass bei Peymann die Schauspieler nicht zu erkennen sind??? Die großen Schauspieler Minetti, Buhre, Voss, Schwab, Dene, Affolter, Gasser, Maertens, Angela Winkler, Veit Schubert, Antoni, Droste und wie sie all heißen, deren Gesichter und Rollendarstellungen in Peymann-Inszenierungen in das Gedächtnis der Zuseher Einzug gehalten haben, die waren nicht zu erkennen????
Schule der Frauen, Hamburg: Fritsch auch schon bei Beier
... winziger Hinweis zur Binnen-Hamburger Konkurrenz-Situation mit dem Thalia - Fritsch hatte zwar einmal dort gearbeitet, aber eben auch schon in Köln an Karin Beiers Haus inszeniert; insofern war es eher logisch und weder "fein" noch unfein, dass er jetzt auch am Schauspielhaus tätig wurde ...
Schule der Frauen, Hamburg: Schauspielhaus muss sich anstrengen
schauspielhaus mit macht erstes haus am platze - thalia eine nummer zu klein... was soll denn dieser quatsch??
das schauspielhaus muss sich weiterhin sehr!! anstrengen, um mit dem thalia mithalten zu können. "endlich...sei der funke übergesprungen" hieß es in einer radiokritik anlässlich dieser inszenierung. tja---endlich, mal sehn.
Schule der Frauen, Hamburg: so positioniert
@mal sehn: Moment Mal: Im Text steht nicht, dass das Schauspielhaus das erste Haus am Platze sei, da steht, dass sich das Schauspielhaus so positioniere. Das ist schon ein Unterschied. Tatsächlich ist es so, dass das Schauspielhaus erstens ein größeres Theater ist als das Thalia und zweitens höhere Fördersummen bekommt, das lässt sich nicht wegdiskutieren, auch nicht mit Argumenten wie "Quatsch". Über Ästhetik ist damit aber noch gar nichts gesagt.
Schule der Frauen, Hamburg: Frage
und woher nehmen Sie die Behauptung, dass für fritsch das thalia "eine nummer zu klein sei". Hat er Ihnen das erzählt? vielleicht ist das ja auch quatsch...
Schule der Frauen, Hamburg: eine Freude
Es ist immer wieder eine Freude zu sehen wie konsequent Herbert Fritsch sich selber treu bleibt. Na ja, wem denn wohl auch sonst?
Schule der Frauen, Hamburg: schrecklich
Ich bin in der Pause gegangen. Dieses a la Otto-Walkes-Gehüpfe fand ich einfach schrecklich. Die Geschlechtsaufklärung und -funktionbeschreibungen abstoßend. Die Leute finden das aber gut und damit wird ja auch geworben in allen Medienbereichen, um die Quote zu erhöhen. Die meisten Zuschauer haben sich wohl amüsieren können. Für mich unverständlich. Vielleicht lag es an Abonnentenzuschauer und wohl auch sehr einfach gestrickten Menschen. Ich lache bestimmt gerne und oft. Hier blieb mir das Lachen im Halse stecken bzw. es entwickelte sich nichts, was in meinem Halse überhaupt steckenbleiben hätte können.
Schule der Frauen, Hamburg: Muskelkater in den Wangen
also, ich fand den Abend sehr amüsant. Die extrem ausgeprägte narzistische Persönlichkeitsstörung der Hauptfigur war fulminant dargestellt. Schön, dass man Köpfchen brauchte, aber nicht in Intellektualität ertrank. An Otto Walkes habe ich ab und an auch denken müssen, aber an den Otto Walkes, den ich früher durchaus einmal charmant fand. Jedoch war dies nur ein miniminimaler Aspekt des gesamt dargebotenen Feuerwerkes, das uns Herr Meyerhoff darbot. Ich fand seine Präsenz großartig. Auch die anderen Schauspieler versprühten ihre Spielfreude und harmonierten wunderbar miteinander.
Vielen lieben Dank für eine leicht zu nehmende Adaption einer im wahren Leben oft nicht so lustigen Wirklichkeit. Einfach zu lachen und Spaß zu haben, das war heute mein Wunsch. Ich hatte am Ende solchen Muskelkater in den Wangen, dass es weh tat!
Die Schule der Frauen, HH: endlich Theater im Theater
Ich bin Abonnement-Zuschauer und also einfach gestrickt und habe deshalb diesen Theaterabend sehr genossen. Endlich Theater im Theater mit Kostümen und kein König, Kaiser in Jeans und T-Shiert, kein Pinkeln und Entblößen, um Modernität vorzutäuschen! Ich gebe es zu, ich lasse mich gern unterhalten, das wurde ich wie selten zuvor und gerade im Schauspielhaus ! Bravo dem Regisseur, den Schauspielern, dem gesamten Ensemble und einen großen Dank dafür! Die minutenlangen Standing Ovations zeigen: Ich bin mit meiner Meinung nicht allein.
Die Schule der Frauen, Hamburg: köstlich amüsiert
Die Schule der Frauen,
eine herrliche Klamotte, habe mich köstlich amüsiert. Die Leistung der Schauspieler war intensiv und bewundernswert. Diese langen, nicht einfachen Texte; die Begeisterung war im gesamten Publikum zu spüren.
Im Übrigen schließe ich mich # 12 an.
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