Presseschau vom 6. April 2014 – Matthias Hartmann gibt dem Spiegel das erste große Interview seit seiner Entlassung vom Burgtheater

"Er gibt mich als Bauernopfer preis"

"Er gibt mich als Bauernopfer preis"

6. April 2014. Er fühle sich wie "der Mann, der gerade schwer verletzt aus einem Autounfall ausgestiegen ist und sich die Frage stellt: Wie kam das eigentlich?", sagt Matthias Hartmann im sechsseitigen Burgtheaterkrisen-Bilanz-Groß-Interview mit Lothar Gorris vom Spiegel.

Der Eindruck, er weise alle Verantwortung von sich, sei falsch.

Den "Mechanismus der letzten Wochen" möchte er Gorris gerne erklären, und zwar so: "Etwas kam heraus, und in dem Moment, in dem ich die Vorwürfe entkräften konnte, wurde das Spielfeld gewechselt." Und er sei immer hinterher gelaufen und habe versucht, Erklärungen zu finden "für Dinge, von denen wir keine Ahnung hatten".

Apropos keine Ahnung: "Nehmen wir mal an, Springer hätte von der ganzen Sache in dieser Form nichts gewusst, nehmen wir also das beste an, dann muss er genauso konzedieren, dass ich es auch nicht hätte wissen können, und mich in Schutz nehmen. Nehmen wir aber an, dass er es gewusst hat, dann trifft ihn die doppelte Schuld. Er gibt mich als Bauernopfer preis."

Zu dem, was er als seine eigenen Fehler anerkennt, sagt Hartmann: "Als das mit Frau Stantejsky losging, hätte ich mich medial klarer positionieren und Lösungen anbieten müssen."

Er sei nach seiner Übernahme des Burgtheaters "schon darauf hingewiesen" worden, "dass es eng wird". "Aber ich wollte dem durch Personalabbau und höhere Publikumserlöse und Sponsorengelder entgegenwirken. Wie man das so macht." Das seien die Stellschrauben eines künstlerischen Geschäftsführers am Theater.

Er habe immerhin 30 Prozent des künstlerischen Personals "abgeschmolzen". "Ich war also auch eine Bedrohung." In seinem Büro hingen die Fotos aller Schauspieler. Wenn er sich das angeguckt und gesagt habe, der oder die, die haben doch nur 20 Spieltage in dieser Spielzeit, dann sei Frau Stantejsky in die Kantine gegangen und habe zu dem Betroffenen gesagt: Du wirst gerade angezählt, aber ich gucke mal, was ich für dich machen kann. "Dann kam sie zu mir und sagte: Der hat gerade ein Kind gekriegt, oder die studiert doch nebenbei."

Nachdem er die Zahlen nicht verstanden habe, die ihm nach der ersten Spielzeit vorgelegt wurden, habe er Peter Raddatz als Berater geholt, aber ihre gemeinsamen Fragen an die Holding seien nicht beantwortet worden. Und sowieso: "Wissen Sie, man kommt in ein Haus, und da gibt es eine kaufmännische Geschäftsführerin, die bestens beleumundet ist und von allen geliebt wird und die sagt: alles finanzierbar. Kein Grund für Misstrauen."

"Für die ganze dritte Etage, in der die kaufmännische Abteilung ihre Büros hatte, war ich jemand, der nervt und immer alles anders haben will. Irgendwann kommt man sich vor wie ein Kontrollfreak."

Zu seinen nicht versteuerten Vorab-Honoraren, derentwegen er Selbstanzeige gestellt hat, sagt Hartmann: "Ich dachte, ich muss die Steuern für das Vorabhonorar erst zahlen, wenn ich die ganze Summe erhalten habe. Das habe ich bis heute nicht. Mein Anwalt sagt, dass es nicht klar ist, wo der Betrag zu versteuern ist, in der Schweiz oder in Österreich." Das werde im Moment geklärt.

Er habe damals eine Empfangsbestätigung bekommen von der Kasse der Burgtheater GmbH. "Dass diese Belege in Wahrheit keine Belege des Burgtheaters waren, sondern von der Privatperson Stantejsky, haben wir erst jetzt erfahren."

Dann klärt Hartmann noch darüber auf, dass das, was übers Burgtheater herausgekommen ist, ganz üblich sei im Theaterbetrieb: "An den meisten Theatern wird auch in bar bezahlt."

Die Höhe seiner Honorare und seines Gehalts entsprächen dem Standard im deutschsprachigen Raum.

Diese Geschichte mit der absoluten Verantwortung auch eines künstlerischen Geschäftsführers könne, so seine Schlussfolgerung, im Ernst nur heißen, "dass auf der Stelle alle Theaterdirektoren entlassen werden (…), weil die gar nicht in der Lage sein können, diese Verantwortung zu erfüllen." Ein Regiebetrieb funktioniere nicht wie ein normales Unternehmen. "Und wird es auch nie."

(sd)

Mehr zur Burgtheaterkrise:

- Unsere Chronik der Ereignisse

- Presseschau vom 31. März 2014 – Spiegel-Interview mit dem ehemaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann

Kommentare  
Hartmann im Spiegel: wusste er gar nicht ...?
"Ein Regiebetrieb funktioniere nicht wie ein normales Unternehmen. Und wird es auch nie." - Hat Hartmann die ganze Zeit seiner INtendanz nicht gewusst, dass er keinen Regiebetrieb, sondern eine GmbH leitet?
Hartmann im Spiegel: nicht gewusst
...seine kaufmännische Direktorin hat das offenbar nicht gewusst bzw. gelebt. Und das weit vor Hartmanns Dienstantritt.
Hartmann im Spiegel: Mond-Standard
Die Höhe seines Gehalts und seiner Regie Honorare entsprechen dem Standard?
Dem Mond Standard oder wo?
Huhuh!
Aufwachen in der Realität!
Hartmann im Spiegel: zum Praktikum nach Schwedt!
1. seit über 25 jahren an verschiedenen deutschen theater arbeitend, gab es geld noch nie bar. ist das in österreich anders?
2. was die höhe der gagen und des gehaltes betrifft sind die von herrn hartmann getätigten aussagen für die mehrzahl von schauspielern, dramaturgen, kostümbildnern, intendanten, ruf schädigend, ehrverletzend, anmaßend, ignorant, saudumm, unwissend, albern, lächerlich, gemein, haltlos und auf der stelle zurückzunehmen. es sei denn herr hartmann erklärt sich augenblicklich für realitätsfremd oder geht freiwillig für ein einjähriges praktikum nach schwedt, schleswig oder senftenberg ans theater.
3.in seiner schlussfolgerung glaubt h. allen ernstes, es gibt nur dümmere und unfähigere intendanten, dies offenbar das ganze maß der hybris. einleuchtend und peinlich zugleich.
Hartmann im Spiegel: Springers Reaktion
http://wien.orf.at/news/stories/2640537/
Hartmann im Spiegel: kein Zwei-Personen-Stück
Unbedingt "Spiegel" lesen. Der Bericht ist eine sehr genau und sachlich recherchierte Chronologie, und nicht nur ein aktuelles Interview mit Hartmann. Das Heft hat ein eigenes Österreich Cover "Im Wiener Sumpf": Was für seltsames Land, wo sich Theaterskandale am Titel besser verkaufen als Pornographie (das Cover für Deutschland).

Der ganze Skandal darf nicht als Zwei-Personen-Stück abgehandelt werden. Es muss doch möglich sein, das ganze Bundestheater-Organisations-Desaster bis in die Wolle zu durchschauen. Die Hybris besteht eher bei den alteingesessenen Theater-Kameralistikern.
Hartmann im Spiegel: waren informiert
Klarer wird das Geschehen allerdings nicht. Offensichtlich datiert ja die Erkenntnis, dass Stantejsky mit der Geschäftsführung nicht zu Rande kommt schon viel früher und führte zu der Konsequenz, dass ihr Springer auf Wunsch Hartmanns einen Verzicht auf eine Bewerbung zur Weiterführung der Geschäftsführung vorschrieb. Wenn das nicht nur eine (absurde?)Schutzbehauptung Hartmanns ist, war also Springer informiert und hat sogar gehandelt. Hartmann war ebenso informiert und hat auch gehandelt. Warum beide trotzdem behaupten nichts mitbekommen zu haben, erklärt der Artikel aber nicht.
Hartmann im Spiegel: plump
diese aussagen hartmanns in dem spiegelinterview sind eines burgtheaterdirektors unwuerdig:
"levantinisch geschulten anwalt, wir norddeutsche"
das ist rassistisch und plump. von einem regisseur seines kalibers kann man differenziertheit erwarten.
diese simplizistischen verallgemeinerungen erinnern eher an ein volksmusikantenstadl.
Hartmann im Spiegel: einsamer Marionettenkönig
Das Interview ist sehr geschickt so gehalten, dass nicht alle Brücken in die österreichische Kulturproduktion endgültig abgebrochen sind. Und natürlich präsentiert es Hartmann im derzeit bestmöglichen Licht. Also als jemand der mit deutscher Direktheit nicht durchdrang im Kakanischen Theater-Verwaltungs-Dschungel. Wie glaubwürdig das ist, werden die Prozesse zeigen.

Aber das Sumpfhafte der wirtschaftlichen Vorgänge innerhalb der Organisation der Bundestheater. Das Undurchdringliche der Konzern-Internen Finanzen, soweit, dass man sich offenbar selbst nicht mehr klar war, wieviel Geld wirklich vorhanden, und wieviel nur fiktiv in den Bilanzen steht, das ist sehr glaubwürdig. Die Bundestheater-Holding ist eine Missgeburt, die aus ihrer Vergangenheit als Amt die mangelnde Budgetdisziplin und eine Pragmatisierungs-Mentalität bei den Angestellten mitgebracht hat, und die Umwandlung in GesmbHs hat sie nicht die erwünschte Wirtschaftlichkeit erzeugt, sondern die Jonglage mit fiktiven Bilanzzahlen. Frau Stantejsky war eine Integrationsfigur für alle Teilnehmer dieses Systems, weil sie im Umgang mit der alten und der neuen wirtschaftlichen Existenzform des Theaters versiert war; zumindest sah es lange so aus.

Für einen Burgtheaterdirektor, der den Job um jeden Preis behalten will, und dessen Hauptinteresse die künstlerische Produktion ist, war die einfachste Form der Existenz innerhalb der Organisation, nicht hinzusehen. Wenn Mutter Küche auch noch so unaufgeräumt ist, solange das Essen auf den Tisch kommt, ist alles in Ordnung. Wenn man nicht als Don Quichote gegen die Windmühlen anrennen will, dann lässt man an den Bundestheatern am besten alles so wie es ist.

Hat nicht geklappt für Hartmann. Traumjob ist er los. Durchsetzungsstarker-Manager-Nimbus auch.
Aber es besteht eine winzige Hoffnung, dass die Neubesetzung des mächtigsten Postens im österreichischen Theaterbereich, die Holding-Geschäftsführung, eine Änderung bringen wird. Darauf bin ich fast neugieriger als auf die/den neuen Burgtheater-Direktor, der, wenn man die Darstellung im Interview ernst nimmt, ein einsamer Marionetten-König ohne Volk und Reich ist.
Hartmann im Spiegel: keine künstlerischen Vorgaben
Möglicherweise - auch wenn es jetzt nach Verschwörungstheorie klingt - ohne Volk und Reich absichtlich gehalten wurde.

In Österreich gibt's den Ausspruch "in Salzburg beginnt der Balkan" und der wird auch von Ostösterreichern bestätigend benützt. Also warum darf das ein Deutscher sinngemäß nicht auch sagen. Dass man das bei ihm bekrittelt, ist auch eine Form von - wenn schon nicht Rassismus - doch Nationalismus.

Wenn man die Ausschreibung zur neuen Direktion liest, ist ja offensichtlich die Prosperität des Hauses, das Finanzielle vor das Künstlerische gestellt. Denn nur das wird ausdrücklich erwähnt und keine künstlerischen Vorgaben gesetzt (wie etwa die Förderung zeitgenössischer österreichischer Literatur). Wenn die Kasse stimmt (oder wie es in Konzernen heißt die Aktionäre auf Gewinn blicken können) ist die Ausrichtung nicht so wichtig.
Hartmann im Spiegel: was hängen bleibt
@3&4:
ich gebe ihnen völlig recht, leider befindet sich hartmann beispielsweise mit c.p. in "guter"(?) gesellschaft.
was das BARE angeht: scheint in bochum und zürich bei hartmann vielleicht üblich gewesen zu sein.... oder bei seinem mentor witt in hannover und münchen?
jedenfalls für jemand, der sich jahrelang seines kaufmännischen sachverstandes rühmte, sind die meisten der hartmannschen äußerungen einfach nur peinlich.
hängen bleibt in der öffentlichkeit: theater sind dumme, arrogante geldverschwenungsmaschinen.
ja, der hartmann-burgtheater-zirkus ist leider im höchsten maße rufschädigend für uns alle, die wir theater machen.
das ärgert mich wirklich zu tiefst.
Hartmann im Spiegel: schädliche Ausdrucksweise
@susanne peschina natuerlich darf er das sagen, so wie alle oberoesterreicher sagen duerfen , dass ab salzburg der balkan beginnt. aber solche verallgemeinerungen sind schaedlich und entmenschlichend, da aus bequemlichkeit nach geografischer herkunft bewertet wird.und auch wenn die mehrheit etwas sagt, ist das nicht immer ein qualitaetsnachweis. und gerade von einem guten regisseur erwartet man doch eine differenziertere art der beobachtung und beschreibung der welt und der menschen.
auf der einen seite "wir norddeutsche" auf der anderen "ein levantinisch geschulter anwalt, balkanvertsteher" wirkt wie "wir zivilisierten" und die "barbaren".
Hartmann im Spiegel: die Realität der Werkverträge
ohcp
Barzahlungen habe ich an den verschiedensten Theatern und Festivals abgeholt. Nur hatten diese Häuser und Festivals zuerst einen schriftlichen Vertrag gemacht, und ein Datenblatt ausfüllen lassen, und nachdem man einen Teil seiner Leistungen erbracht hatte, konnte man den entsprechenden Teil auch bar an der Kasse beziehen. Ganz legal. Schweiz, Österreich, das ist sehr üblich, wenn man reist.
Die Art der Geschäftsführung am Burgtheater war schon die ganzen 2000er Jahre sehr seltsam. Vor allem weil man den Eindruck hatte, dass alles Finanzielle von einer einzige Person abhängig ist, und dass man als sonderlicher Querulant gilt, wenn man auch für kleinere Werkverträge einen schriftlichen Vertrag wollte. Das derzeitige Schreiben an alle Werkvertragnehmer zeigt, dass ohne diese eine Person, von der alles abhing, nicht mal bekannt war, mit welchen Leuten Verträge abgeschlossen wurden und wo die sich aufhalten. Diese unglückliche Aufgabenakkumulation bei einer Person konnte nur im Desaster enden. Leute die ihre gesamte berufliche Existenz im Burgtheater verbracht haben, verlieren offenbar den Blick für das was in der Realität geht, und was nicht.
Aber soviel an Steuern werden sie mit den Theaterschaffenden nicht einnehmen. Der größte Teil der Werkvertragnehmer im Theaterbereich verdient sowieso unterhalb Steuerpflichtigkeit.
Hartmann im Spiegel: interessante Zeugenliste
Die Unterschrift Schlingensiefs auf einem Zahlungsbeleg der kaufmännischen Geschäftsführung, zwei Jahre nach dem Ableben des Regisseurs, dürfte wohl das beste Beispiel für die Art der Buchführung am Burgtheater sein. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die Inszenierung der juristischen Aufarbeitung. Sowohl Hartmann als auch dessen ehemalige Mitarbeiterin Stantejsky deuten bereits an, dass sie nicht die einzigen gewesen seien, die ihr gut geschmiertes Abrechnungssystem als völlig normal empfunden hätten. Bleibt zu hoffen, dass diese aus ihrer jetzigen Positionen heraus doch einige Namen weiterer am Spiel beteiligter Akteure ausplaudern. Bereits die Liste der potentiellen Zeugen für die einzelnen Gerichtsverfahren, allen voran die Spitzenverdiener, die immer gleichen Bühnenbildner, die Toppmusiker, der Agent und seine Regisseure, liest sich äußerst vielversprechend.
Hartmann im Spiegel: Die toten Hosen
"Jeder darf ein bisschen seinem Irrsinn freien Lauf lassen": zur Genese der Empörung des Ensembles gegenüber Hartmann, wie man so eine Frau überhaupt entlassen könne.

http://www.dietotenhosen.de/band/freunde-des-hauses/silvia-stantejsky
Hartmann im Spiegel: Frage
@Gast: Ist diese Zeugenliste irgendwo einsehbar?
Hartmann im Spiegel: Ehrentitel
Sylvia Stantejsky ist eine der letzten kaufmännischen Geschäftsführer gewesen, die immer auch die kleinen Lichter in den Produktionen halbwegs fair bezahlt hat.

Dafür gebührt ihr ein Ehrentitel für faires Produzieren.
Hartmann im Spiegel: Kein Robin Hood
Lieber Art but fair

da bitte ich doch, individuelle Erfahrungen nicht ungeprüft zu verallgemeinern. Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass Frau Stantejsky ihre Gunst durchaus ungleich zu verteilen wusste. Will sagen: sie war nicht unbedingt ein Robin Hood der kaufmännischen Geschäftsführung. Und wenn du mal genau hinschaust, wer am lautesten aufheulte, als sie gehen musste, dann waren das nicht die am schlechtesten Bezahlten des Theaters.

Verbindliche Grüße
Hartmann im Spiegel: Was sich bei der Holding tut
nun muss man erst einmal warten, was sich bei der holding tut und sich vielleicht nicht mehr so bei frau stantesjkys gunst aufhalten...
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