Auf die Plätze, fertig, stream!

von Tina Lorenz

16. April 2014. Liebe Theater. Das ist ein Appell. Ich weiß, ihr hasst Appelle. Aber ich bin genau der Teil eurer Publikumsstruktur, der euch zunehmend abgeht, und ich hätte da mal einen Vorschlag. Wie ihr, die Theater, und wir, die User, zusammenkommen können.

Ihr Theater – in eurer Tradition des Multifunktionsortes der Antike wie auch in der Anlage eurer momentanen Finanzierung – seid ein öffentlicher Raum mit öffentlichem Auftrag. Ihr seid Orte, die wir als Volk uns gemeinsam leisten und die wir gemeinsam finanzieren, be- wie auch vorantreiben. Wie andere Netze der Infrastruktur, die öffentlich finanziert oder bezuschusst werden – zum Beispiel Straßen, Schulen, der Breitbandausbau – ist das Netz der Stadt- und Staatstheater unter anderem dafür zuständig, öffentliche Räume, öffentliche Diskurse und die Vielfalt öffentlicher kultureller Tätigkeiten zu verteidigen. Ihr seid Bollwerke, ey. Ihr sollt ja auch welche sein. Aber nicht gegen uns, eure User, sondern gegen das, was euch und uns gleichermaßen einnorden, verkonsumieren und normieren will: private Interessen, wirtschaftliche Interessen und Lobbygruppen, Kultur-als-Luxus-Denker. Und ich glaube, so wie ihr das bisher betreibt, ist das auf lange Sicht nicht zukunftsfähig.

Hinter schweren Türen – Theater als öffentlicher Raum

Ein Beispiel: Mein Stadttheater in Regensburg hat große Türen. Schwere Türen. Mit Bronze beschlagene Türen. Es ist ein großer Klotz, der einem weiteren großen Klotz auf einem pittoresken Platz gegenübersteht. Es ist alt. Die erwähnten Türen kriegt man nicht mehr alleine auf, wenn man über 60 ist. Kein Ort also, der den Eindruck macht, er wäre öffentlich oder auch nur milde einladend. Und doch ist er es per definitionem. Er sollte also genauso zugänglich und zur Benutzung einladend sein wie der Springbrunnen davor, der Stadtpark um die Ecke, der Platz am anderen Ende der Stadt und die Straße dazwischen, weil er das, was er verteidigt, auch symbolisieren sollte: Freiheit. Teilhabe. Diskurs. Und eine gewisse geistige Mobilität. An den doofen Türen kann das Stadttheater nicht viel ändern. Aber Öffnung hat ja viele Facetten und einige davon werden hier grade mit Erfolg durchprobiert. Aber längst noch nicht konsequent genug.

livestreaming theater-regensburgInnen schön, nach außen ein Bollwerk –
der Zuschauerraum im Theater Regensburg.
© Andreas Praefcke / Wikimedia
Immer, wenn ich mich mal in dieses imposante Gebäude wage, muss ich mich krampfhaft an alkoholischen Getränken festhalten, weil ich plötzlich schlagartig niemanden mehr kenne: Während meine Stadt klein genug ist, um ab und zu Leuten zuzunicken, die man schon mal gesehen hat, ist das Stadttheaterpublikum ein eher verschworenes. Keiner meiner Regensburger Freunde war jemals in einer Opernpremiere, also versuche ich in der Pause, so dekorativ wie die Blumentöpfe am Rand alleine rumzustehen. Hätte ich das mit dem Theater nicht studiert und würde ich meinen SchauspielschülerInnen nicht wöchentlich einbläuen, sie sollen ins Theater gehen, ich würd's auch lassen.

Noch ein Beispiel. Neulich schickte mir jemand auf Facebook den Trailer einer wild aussehenden Inszenierung – bei knapp zwei Minuten Trailerlänge könnte das aber auch an den gewagten Schnitten gelegen haben, weiß man ja nicht so genau. "Ja super", schreibe ich also zurück, "lass uns das ansehen! Wo läuft das denn?" Ein kurzes Nachschauen später weiß ich: Ich werde diese Inszenierung nie im Leben sehen. Karte: 40 Euro. Anreise: 200 Euro und sechseinhalb Stunden Zeitverschwendung im Zug. Hotel, weil Stadt ohne Freunde: auch nochmal 70 Euro. 350 Euro für einen Theaterabend? Wohl eher nicht, sorry. Bei aller Liebe.

Theater sind keine Inseln

Während die schweren Türen und meine Schüchternheit fremden Leuten gegenüber vielleicht eher persönliche Herausforderungen sind, ist die Tatsache der nicht vorhandenen Teilhabemöglichkeit an künstlerischen und auch an gesellschaftskritischen Diskursen, die hinter diesen Türen in all den anderen Städten mit Theaterhäusern verhandelt werden, ein reelles Problem. Immer wieder wird der Bildungsauftrag von euch Theatern beschworen, der auf das euch eingeschriebene Potential zum Dialog, zur Debatte, zum Erkenntnisgewinn abzielt. Ihr seid Teil eines institutionellen, öffentlich geförderten Diskursnetzwerkes. Ein Netzwerk, dem wir also ähnliche finanzielle Aufmerksamkeit beimessen wie Straßenbau und Schulen, Breitbandausbau und der Verteidigung des zusammenhängenden öffentlichen Raumes. Wir entscheiden uns als Gesellschaft, euch als Netzwerk zu betreiben.

Nur, was ist, wenn sich die Teile des Netzwerks partout nicht vernetzen wollen? Stellt euch das bei anderen Netzen vor. Straßen, die nirgendwo hinführen. Grundschulen, die irgendwann aufhören und dann steht man im Nichts und kann nicht bruchrechnen. Ein Internet mit vielen kleinen Inseln, wo jeder in sein eigenes kleines Social Network schreibt und niemand liest es. Ein Internet, das keinen freien Austausch fördert, nicht zur Debatte anregt und niemand loggt sich je ein, weil die Voraussetzungen dazu quasi unerfüllbar sind. Das seid ihr. Klingt doof, ne?

Die Idee von gemeinschaftlich getragener Infrastruktur ist nicht erst seit dem digitalen Wandel der heiße Scheiß. Es setzt aber voraus, dass sich die Teile auch als Netzwerk verstehen und den Grundgedanken verfolgen, dass die Summe größer ist als die einzelnen Teile. Wie die Straße, die mit anderen verbunden werden muss, um sinnvoll zu funktionieren, müsst auch ihr raus aus eurem Inselglauben, sonst seid ihr ein kultureller Parkplatz im Nirgendwo.

livestreaming routerLiebe Theater, ihr könntet in unserem Netz der Router sein. © Gisha / wikimedia

Eine Perspektivänderung täte euch gut: Wenn ihr Theater so denkt wie wir, eure User, mittlerweile unser Leben und die Gesellschaft denken – als Netz – könntet ihr in diesem Netz ein Router sein. Ein Theater, das sich als Router begreift, fördert den Datentransport (also Gedanken) zwischen Netzwerken (also Benutzergruppen). Es will die Befeuerung von Diskursen und Debatten zwischen Einzelnen und Gruppen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext und experimentiert dabei durchaus mit unterschiedlichen Transportwegen. Klar gesagt: Wenn ihr Inszenierungen produziert, sie vor eurem Abonnentenpublikum zeigt, und sie irgendwann wieder absetzt, dann seid ihr ein analoges Auslaufmodell – und das geschieht euch recht. Das Theater als Router in einem Netzwerk sucht sich neue Wege zum Publikum (das am Datenaustausch zunehmend aktiv beteiligt ist), zum Austausch, zur dialogischen Kulturentwicklung. Es streamt, es zeichnet auf, es drängt in die neuen Medien und verortet sich selber in diesem wachsenden Netzwerk.

Ohne Experimentierwillen, ohne den Mut, mal von der Insel runterzukommen, könnt ihr das, was ihr eigentlich seid, nicht ausgestalten. Wenn ihr zur Sorte "Internetausdrucker" oder "Internethasser" gehört, dann wird das eh nichts mehr in eurer Amtszeit. Dabei könnten wir User euch mitnehmen und euch zeigen, wie das mit den Netzwerken funktioniert, aber ihr müsst uns halt auch lassen. Wenn wir an euren Türen scheitern, den echten und den ideellen, wenn ihr Bollwerke nicht für Freiheit und Teilhabe, sondern nur für Traditionsbewahrung seid, mei, dann wird das schwierig.

Macht die Türen auf! – Livestreaming als Möglichkeit zur Teilhabe

Das Netz bietet dem Theater auch ganz neue Möglichkeiten der Öffnung, der Verbreitung. Ihr könntet zum Beispiel eure Türen mal virtuell aufmachen und das, was ihr drinnen gebastelt habt, an die Luft schicken, auf digitale Wanderschaft sozusagen. Ihr könntet eure Premieren per Videoübertragung im Internet nach draußen senden. Warum streamen so unterschiedliche Institutionen wie die Bayerische Staatsoper oder das Theater Ulm einzelne Vorstellungen ihrer Inszenierungen ins Internet? Warum können wir Premieren aus der Metropolitan Opera in New York City online sehen und Inszenierungen des National Theatre in London sogar im Kino? Warum stellt das dänische Projekt seeatre im Netz Theater-Streams on demand, also gegen Geld und nicht nur live, zur Verfügung? Der Mut, die Idee, der Machbarkeitswille und die Einsicht, dass der Netzwerkgedanke auch das transmediale Senden inkludiert, stattet Institutionen mit ganz anderen Möglichkeiten der Feedbackgestaltung aus.

livestreaming national-theatre-liveDas Londoner National Theatre überträgt seine Inszenierungen in Kinos auf der ganzen Welt.
Foto: Screenshot ntlive.nationaltheatre.org.uk

Ein Stream sorgt dafür, dass Menschen, die sonst an dem Abend etwas anderes getan hätten, vor ihren Geräten sitzen und einen Eindruck von eurer Arbeit bekommen. Sie können am Tag danach die Theaterkritik vor einem ganz anderen Hintergrund lesen. Auch kann ein Livestream, besser noch die Aufzeichnung und dauerhafte Verfügbarmachung das Verhältnis von (flüchtiger) Inszenierung und (archivierter) Kritik nachhaltig verändern, die Machtverhältnisse von Kritik und Theater verschieben. Klar, wenn man die Inszenierung auch sehen kann, ohne vor Ort zu sein (und vielleicht sogar noch Monate später), kann man sich selbst ein Bild davon machen, ob der Verriss gerechtfertigt war. Auch auf Facebook und Twitter, auch in den Kommentaren auf nachtkritik.de könnte man ganz anders mitreden.

Regelmäßig gestreamte Premieren oder spätere Vorstellungen können außerdem dafür sorgen, dass sich die Branche besser vernetzt und alle viel schneller und direkter von den ästhetischen Entwicklungen und dem Vorantreiben des künstlerischen Diskurses der anderen profitieren. Ihr Theater werdet per Stream aus eurem rein regionalen Wirkungskreis gerissen und in den überregionalen Raum geschleudert – was das genau mit euch macht, muss man erst noch ergründen. Erstmal ist das doch eine riesengroße Möglichkeit – also lasst euch schleudern und vernetzt euch! Wo alle die Chance auf Teilhabe haben, kann der Diskurs ein ganz anderer sein.

Ich als euer User kann herausfinden, ob sich die weite Anfahrt für dieses krasse Stück wirklich lohnt, ob das nur im Trailer so schick aussieht oder wirklich soviel Spaß macht. Meine Mutter als Userin mit sehr speziellen Bedürfnissen kann herausfinden (oder mich herausfinden lassen, sie ist da nicht so technisch begabt), ob diese eine Arie bei Rigoletto ihrem Geschmack entspricht, denn dann – und nur dann – will sie diese Inszenierung live sehen. Einmal angefixt, würde sie für eine gute Rigoletto-Inszenierung allerdings weite Reisen in Kauf nehmen. Meine SchülerInnen, denen ich Theatergeschichte und -theorie beizubringen versuche, könnten mal sehen, wie in Berlin, München, Dortmund, Bochum und in allen anderen Städten, in denen Theater gemacht wird, Inszenierungen im Kontext der regionalen Wirklichkeit und der künstlerischen Verortung aufscheinen. Wir könnten in einer Woche sieben "Emilia Galotti" Inszenierungen sehen, dabei gemütlich zusammen ein Bier trinken und sie hinterher miteinander vergleichen. Ein Traum für alle, die sich näher mit Theater befassen wollen. Ein Albtraum für alle, die nur auf das regionale und zahlungskräftige Publikum schielen.

Ja, auch die Möglichkeit, mir eine Inszenierung umsonst anzusehen, ist für mich als armer Schlucker attraktiv. Ich bin ein großer, wenn auch abstrakter, Fan gewisser Berliner Theater. Abstrakt deshalb, weil ich selten in Berlin bin. Lasst mich halt euer konkreter Fan werden. Ein User mehr, kein Kunde weniger. Und vielleicht werden aus den Usern dann auch Kunden. Ich weiß, euch ist die Vermarktbarkeit eurer Kunst durchaus wichtig, auch wenn ihr das immer vehement bestreitet. Nur weil das Ansehen eines Streams nichts kosten soll, ist er dennoch alles andere als wertlos. Euer Selbstverständnis kann sich auf den digitalen Raum erweitern, eure Rezipientenkreise werden ganz andere sein.

Die Bedenken

An dieser Stelle kommen jetzt die Bedenken und ihre Träger. Rechte. Bezahlung. Equipment. Rückläufige Kartenverkäufe. Garniert mit Jammern und möglichst viel Händeringen und Untergang des Abendlandes. Ich sage mal hier an dieser Stelle: All diese Bedenken sind lösbar. Manchmal ist der Wille ausschlaggebend, und wenn selbst der Deutsche Bühnenverein in seiner Ingolstädter Resolution von 2012 eine Erprobung von Internetübertragungen fordert, dann ist das Internet als Vermittlungs- und Diskursinstrument auch in den konservativen Theaterkreisen angekommen – zumindest theoretisch.

livestreaming screenshot-ulmAls einziges Stadttheater überträgt das Theater
Ulm regelmäßig Schauspielinszenierungen ins
Internet. Foto: www.theater.ulm.de
Das Theater Ulm ist auch praktisch Vorreiter und beschreitet derzeit einen Pionierweg, indem es ausgesuchte Schauspielinszenierungen ins Internet überträgt. Laut Michael Sommer, dem leitenden Ulmer Schauspieldramaturgen (und Autor einer Abschlussarbeit zum Thema "Livestreaming für das Theater Ulm: Chancen einer neuen Kommunikationstechnologie" an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität), konnten die rechtlichen Probleme bisher immer geklärt werden. Zum Beispiel bietet die GEMA extra für die Internetübertragung Pauschalverträge an, die bei bis zu 10.000 Zugriffen pro Stream ca. 100 Euro kosten. Zur Orientierung: Der Stream der Ulmer Premiere von "Rommel – ein deutscher General" wurde 2012 etwas mehr als 1.000 Mal aufgerufen. Auch viele Theaterverlage lassen sich, grade bei Zustimmung der betreffenden AutorInnen, zur Gewährung von Übertragunsrechten bewegen. Die letzten Bastionen der Internetverweigerverlage ließen sich bei gesteigerter Nachfrage und größerem Druck sicherlich zum Nachdenken über diese Verweigerungshaltung bewegen.

SchauspielerInnen werden momentan für eine gestreamte Aufführung nicht extra vergütet, zumindest solange es sich beim Stream eher um eine Marketingmaßnahme, denn um eine künstlerische Bearbeitung handelt. Ich würde mir wünschen, dass alle an diesen Versuchen Beteiligten angemessen honoriert werden: Das wäre eine Investition nicht nur in eine neue Technik, sondern auch in ein neues Theatermodell – im Glauben an dessen Fortbestand durch Wandel.

Rechtliche Grauzonen bleiben laut Sommer bei den Leistungsschutzrechten des Regieteams und der grundsätzlichen Definitionsfrage, ob ein Stream als eigenständige künstlerische Leistung angesehen wird. Nur: Ohne die aktive Auslotung dieser Grauzonen werden sie genau so bleiben: grau. Und so ist es auch mit der Lösung anderer Fragen: Wieviel Druck vertragen Theaterverlage, bis sie selbstverständlich die Rechte der Premierenübertragung ins Internet mit einschließen, ohne Hickhack und zusätzliche Kosten? Werden SchauspielerInnen für eine Internetübertragung in Zukunft zusätzlich vergütet? Und wie werden in Zukunft die Verträge mit dem Regieteam aussehen, wenn habituell Premieren ins Internet gestreamt werden? Alles Fragen, mit denen es sich auseinanderzusetzen lohnt.

Das Equipment ist noch die kleinste Sorge – wenn ihr euch vernetzt. Eine Premiere ist an einem bestimmten Tag. Danach können das Equipment und die dazugehörigen Techniker auf Reisen gehen zur nächsten Premiere an einem anderen Theater, in einer anderen Stadt. Und danach weiter zur nächsten. So können verschiedene Häuser sich die Hardware teilen. Das ist gelebte Realität beispielsweise in Hackerspaces, also Orten, wo Kunst vornehmlich durch Technik entsteht. Euch Theatern fehlt es zur Zeit vor allem an Vernetzungswillen und an eurem momentan noch bestehenden Inselglauben. Der muss weg, sonst kommen wir da nicht zusammen.

Keine Videoaufzeichnung kann das Live-Erlebnis ersetzen

Und zu den Leuten. Ihr meint: Die kommen alle (!) nicht mehr (!), wenn sie die Inszenierung einmal live im Internet sehen können. Ich halte das für ausgemachten Blödsinn und Panikmache. Ihr sagt doch immer: Theater ist live, und dieses Live-Erlebnis kann keine Videoaufzeichnung ersetzen. Leibliche Kopräsenz, Feedbackschleife und so. Alleinstellungsmerkmal. Ja, genau! Eben! Deswegen wird euch das Streamen auch keine Stammgäste wegnehmen, sondern neue Fans bescheren. Bis dato hat in Deutschland meines Wissens nach noch kein Theater eine reguläre und über mehrere Spielzeiten laufende Übertragung von allen Sprechtheaterpremieren probiert und ausgewertet, was dieses Streaming eigentlich in punkto Kosten, Kundenbindung, Kartenverkäufe oder ästhetischer Dialog verursacht. Es gibt also keinerlei verlässliche Daten und Statistiken zu den Konsequenzen aus Liveübertragung. Ulm steckt da grade ein bisschen die großen Zehen ins Wasser, vielleicht können die euch nach einer gewissen Laufzeit viele der Ängste nehmen, die euch momentan umtreiben.

Entspannt euch. Aber viel besser noch: Probiert's aus. Schreibt Geschichte. Und macht aus euren Häusern Router. Wir sind am Start. Wir wollen eure User sein. Wir warten nur auf euch.

 

tina-lorenz
Die gebürtige Berlinerin Tina Lorenz studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und Theaterwissenschaft und Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Forschungsaufenthalten in New York und am Kinsey Institute in Bloomington, Indiana. Sie ist zurzeit Dozentin für Theatertheorie und -geschichte an der Fachakademie für Darstellende Kunst in Regensburg und rantet in ihrer Freizeit gern über die mangelnde Liebe der deutschen Theaterlandschaft zum 21. Jahrhundert. In ihrem theaterfernen Leben sitzt sie seit 2014 für die Piraten im Regensburger Stadtrat.

 

Apropos Netzwerk: Am 3. und 4. Mai findet in Berlin die zweite Ausgabe der Konferenz "Theater & Netz" statt. Alles dazu hier: theaterundnetz.de.

mehr debatten

Kommentare  
Livestreaming Theater: höchstens mal Sport
Als das Telefon erfunden wurde, dachten seine Erfinder, es würde in der Hauptsache für die Übertragung von Konzerten und Stücken in jeden Haushalt benutzt werden. Das Radio und später das TV haben diese Vision ein wenig eingelöst, aber wie oft gibts im Fernsehen denn Theater live? Und die digitalen Kinos überall streamen höchstens mal Sport.
Livestreaming Theater: Museen im Netz
Vielen Dank für diesen provokanten und sehr unterhaltsamenn Text.

Als die Museen angefangen haben, Bilder von ihren Exponaten ins Netz zu stellen, war die Angst vieler Häuser groß, dass dann ja niemand mehr ins Museum geht, wenn man alles online sehen kann. Studien haben mittlerweile gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Je besser sich die Museen im Netz mit ihren Exponaten präsentieren, desto mehr Besucher kommen in ihre Häuser. Weil Menschen, die kulturaffin sind, eben auch oft netzaffin sind. Sie informieren sich, stöbern und entdecken gerne im Netz.

Diese Erkenntnis bringt nun immer mehr Museen auch dazu, auch die Metadaten ihrer Exponate und Archivalien - z.B. Verfasser, Erscheinungsjahr eines Briefes, Schlagworte, etc. - unter Creative Commons in die Freiheit des Netzes zu entlassen, damit andere diese Metadaten verwenden können. Auf einmal taucht das Bild einer Bronzeskulptur dann in einem Zusammenhang auf, den sich kein Museumsmacher vorher hätte vorstellen können. Mit dem Verweis, wo diese Skulptur live und in Farbe zu sehen ist.

Mit Bildern und Metadaten haben also Museen offenbar Formate gefunden, wie sie am Gedankenhandel im Netz teilnehmen können. Das Netz ist ja nicht nur ein Verteiler von Gedanken. Vor allem ist es ein Verstärker. Und manchmal kann diese Verstärkung von Gedanken geradezu exponentiell werden. Wenn man die Gedanken richtig formatiert.
Livestreaming und Theater: Wie ein Film
Für die Piraten sieht ein Theaterstück immer noch aus wie ein Merchant/Ivory-Film. Na servus.
Livestreaming und Theater: Viel zu teuer
Theater so zu streamen, dass es als medial vermitteltes Werk konkurrieren kann kostet neben den Übertragungsrechten mindestens drei Kameramänner samt Equipment, professionelle Tonabnahme, Bildschnitt, eine durch diesen Zinnober gestörte Aufführung... Und ob dieses dann vielleicht halbwegs akzeptable Ergebnis konkurrieren kann mit Breaking Bad ... Sorry, was ich an Streams bisher gesehen habe hat mich immer nur davon überzeugt, dass ich DAS auf keinen Fall live sehen will. Es fehlt das hic et nunc, es fehlt das kollektive Erlebnis, Komplettstreaming ist nur die weitere Umwidmung der finanziellen Mitteln weg von den Künstlern hin zur Maschine aus Verwaltung / Marketing / Debattenführern aller Art. Intellektuelles Netzwerk im Theater sieht anders aus und funktioniert auch vielerorten. Vielleicht noch nicht in Regensburg, da habe ich keine Basis für eine Meinung mangels Wahrnehmung.
Livestreaming und Theater: Live-Erlebnis
@ Johannes Fischer: Das mit der Bronzestatue müssten Sie bitte nochmal genauer erklären. (...) Wenn das Theater diese Statue dagegen (wieder) zum Leben erwecken will, dann sollte es - eben, letzter großer Absatz! - immer noch und vor allem auf das physische Live-Erlebnis, den sprachlichen Dialog und die Hervorbringung bzw. Herstellung einer Figur UND ZUGLEICH des Schauspielers über den Spielprozess setzen. Theateraufführungen im Netz empfinde ich übrigens auch deshalb als schwierig oder eher sogar langweilig, weil es da um die Frage des perspektivischen Blicks geht. Ich als Zuschauer im Theaterraum kann meinen Blick selbst steuern, wohingegen ein Live-Filmer immer schon seine eigene Perspektive auf das Spielfeld einnimmt/einnehmen muss. Im Grunde ist das ähnlich wie beim Fussball - live oder im Fernsehen.

Den von Tina Lorenz verwendeten Begriff des "Schleuderns" empfinde ich übrigens als nicht fair. Andere Perspektiven zuzulassen, anstatt immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen und diesen einen "Inselglauben" vorzuwerfen, das wäre schon schön. Die Frage ist ja auch tatsächlich eher, wie viele Menschen diesen Live-Stream dann auch tatsächlich nutzen würden, auch angesichts der Tatsache, dass das Theater eben nicht zu den sogenannten Massenmedien - wie zum Beispiel auch das Kino - gehört. Und auch die Kinozuschauer werden ja offenbar nicht unbedingt mehr. Stichwort: DVDs und Videoverleih. Fördert das nicht alles den Rückzug ins Private? Kurz: Die Idee ist vielleicht gut, aber dann müssten sich auch die wieder mehr ins Theater bewegen, welche zugleich dessen Abschaffung aufgrund dessen bürgerlicher Mainstreamausrichtung fordern. Schon auch ein bisschen schizophren, oder nicht?
Livestreaming und Theater: Das Problem sind die Themen
Noch ein kleiner Zusatz: Ich würde sagen, die Tatsache, dass immer weniger Zuschauer ins Theater gehen, liegt nicht an dem Fehlen von Livestreamings und solchen Technikdings, sondern vielmehr an den Themen, welche dort verhandelt werden.
Livestreaming und Theater: Problematische Ticketkosten
Nochmal genauer zu diesem Zitat: "Ihr Theater werdet per Stream aus eurem rein regionalen Wirkungskreis gerissen und in den überregionalen Raum geschleudert – was das genau mit euch macht, muss man erst noch ergründen." - Ich würde dagegen vor allem einwenden, dass Theater immer nur in Auseinandersetzung mit dem Regionalen, mit der lebendigen, umgebenden Region bzw. Stadtgesellschaft bestehen und hinein- sowie herauswirken kann. Also: Think global, act local.

Und dann noch etwas Zustimmendes von meiner Seite: Es sind tatsächlich auch die Ticketpreise, welche einen gleichberechtigten Zugang aller Bürger verhindern. Auch die sozialen Angebote wie berlinpass oder Kulturloge in Berlin reichen da meines Erachtens nicht aus. Als berlinpass-Inhaber ist man immer gleich der "arme Bittsteller/Bettler". Und wenn man sich bei der Kulturloge anmeldet, dann muss man sich ja auch wieder finanziell "outen". Das allerdings vorher, nicht erst an der Kasse. Okay. Ein bisschen besser. Generell bleibt da aber ein Problem, nämlich das, dass der Theaterbesuch manchmal einfach schon an den Ticketkosten scheitert. Ein Livestream ist da für mich persönlich kein Ersatz.
Livestreaming und Theater: Schleudertrauma
@5: schleudertrauma trifft es wohl!
Livestreaming und Theater: keine Ahnung
Selten einen Text gelesen, in dem so radikal klar wird, dass jemand überhaupt keine Ahnung vom Theater hat.
Livestreaming und Theater: It's all about money
"ohne Hickhack und zusätzliche Kosten" - wo lebt die autorin? Its all about money, baby!
Livestreaming und Theater: Zustimmung
Dem kann ich nur zustimmen.
Livestreaming und Theater: 90 % Guckkastentheater
@3 und 9: Ich weiß nicht was ihr hier so tut. Wie sieht denn bitte 90 Prozent der Theaterrealität aus?? Guckkastenbühne wie vor 300 Jahren! Tut doch nicht so als wäre Theater so toll und crazy dass man unmöglich eine Kamera drauf richten könnte. Das sind ein zwei Ausnahmen in Berlin, Freie Szene. Und beim Rest geht das ganz einfach. Außerdem spricht ja hier niemand von "Ersatz" sondern von einem ersten Eindruck, ob sich eine Reise lohnen könnte. Siehe Museum.
Einfach nur schreiben "keine Ahnung" oder "geht nicht" ist feige!
Livestreaming und Theater: Abgefilmt ist nicht Theater!
Na dann gerne ein wenig ausführlicher: Ob "Kamera drauf" bei einer Guckkastenbühne möglich ist, ist doch in keinster Weise die Frage, sondern die nach den Eigenheiten des Mediums und der Form. Tatsache ist, dass ein Theaterbesuch - ob Guckkasten oder nicht - von einer Unmittelbarkeit der Darstellung, der geteilten Zeit und dem geteilten Raum lebt - und der Blick des einzelnen Zuschauers, der einzelnen Zuschauerin nicht gelenkt ist, sondern aus dem Theatersessel ungeschnitten auf das Ganze blickt.

Film bzw. Fernsehen lebt aber von der Lenkung des Blicks durch Schnitt, Zoom usw... Überträgt man eine Form einfach in ein anderes Medium, wird es schnell schal und öd, weil jegliche Spannung verloren geht. Auf einem Laptop winzig klein ein Bühnenbild starr abgefilmt zu sehen ist eben nicht das selbe, wie in einem Raum den Blick über Schauspielergesichter streichen lassen zu können.

Natürlich kann "abgefilmtes" Theater funktionieren - obwohl es dann immer etwas anderes, eigenes wird -, aber das ist (Siehe die Opernübertragungen der MET) nur möglich, wenn ein irrsinniger Geld- und Technikaufwand dahintersteht und die Übertragung eben nicht nur abgefilmtes Theater ist, sondern Theater zumindest teilweise in die Form von Film überträgt (Etwa durch nahaufnahmen, die in der Live-Situation nie möglich wären).

Ich bezweifle aber, ob kleine Häuser diesen Medientransfer leisten können. Im Ganzen ist der Artikel einfach Beweis dafür, dass das Medium Theater nicht als solches begriffen wird, wozu versuchte man sonst, es mit Gewalt in ein anderes Medium zu pressen? Das Argument der Zugänglichkeit ist für mich keines, denn wenn Theater nur konsumiert wird, wenn es zu Hause per Livestream konsumiert werden kann, kann man die Inhalte gleich als Webserie vermitteln, dann braucht es keine Aufführung.

Das Argument des "Auf den Geschmack Kommens" finde ich auch seltsam. Für mich lebt Theater eben von Überraschung, vom Unvorhergesehenen, vom Nicht-Vorher-Einschätzbaren. Aber vielleicht entspricht es einfach dem Geschmack der Zeit, vorher genau wissen zu wollen, was einen erwartet - notfalls, indem man eben selbst einen Blick werfen will. Und das ist das wahrhaft Überraschende an dem Artikel: Dass sich da der Kreis schließt zum althergebrachten Publikum, das auch immer genau das sehen will, was es zuvor erwartet ...
Livestreaming und Theater: kommt drauf an
@ hundestück: Ändert es denn was an der Guckkastenbühne, wenn eine Kamera drauf gerichtet wird? Nee. Ich würde sagen: Schleuderdrama. Es kommt entscheidend drauf an, WAS gespielt wird. Techniker-Livestream ist - nochmal - UNFAIR.
Livestreaming und Theater: radikaler Ansatz
Ein radikaler Ansatz. Machbar? Ohne großen Aufwand mit mehreren Kameras und einem kundigen Regieteam wird das Ergebnis auf jeden Fall fragwürdig. Ich gehe viel ins Theater und kann man nur sehr selten aufraffen, Übertragungn auf 3sat oder Arte wirklich anzuschauen ...

Btw: meine Erlebnisse mit Opern- und Konzertübertragungen ins Kino waren bisher nicht positiv (technische Probleme Bild&ton, Gerede, olfaktorische Belästigung durch Chips und Popcorn, Lärmbelästigung durch lautes Essen).
Livestreaming und Theater: Zusatzleistung
Das Streamen von Theateraufführungen ist jetzt keine bahnbrechende Neuerung und sollte auch nur als das betrachtet werden, was es ist - es ist eine Zusatzleistung und keine Erneuerung des Theaters. Theaterschaffende sind seit jeher gut vernetzt und arbeiten selten für Dekaden am selben Ort. Als Unterrichtsstoff für angehende Theaterschaffende mag das gut sein, aber für Konsumenten oder sogar Neukonsumenten ist das in der Regel schlicht langweilig, außer das Ganze bekäme filmische Ausmaße. Aber diese Idee ist dann hinfällig, wenn die Theateraufführung doch eine ganz andere ist. Wurde hier aber schon erörtert.

Und mal abgesehen vom Geld ...

Zusatzleistung. Eben.
Livestreaming und Theater: ideale Ergänzung
Liebe Theaterintendanten und liebe Kommentarschreiber,

es gibt Musiktheateraufführungen, die man mehr als einmal anschauen will und (manchmal) auch muss, mindestens einmal im Theater, und wenn es dann einen livestream gibt, kann man sie sich vor und/oder nach dem Theaterbesuch einfach nochmals anschauen (vergl. L'arbore di Diana der Theaterakademie München). Insofern ist der livestream eine entscheidene Verbesserung für den interessierten Theaterbesucher. Hoffentlich sehen das auch bald mehr Theater so.
Und dass vernünftige Mitschnitte, in HD-Qualtität, Steroton und mit Zoomaufnahmen aufwändig oder gar teuer sind, behauptet nur derjenige, der noch nie einen (aktuellen) Camcorder in der Hand gehabt hat und einen erlaubten Mitschnitt machen durfte. Auch die Flmleute haben kommerzielle Interessen und wollen "Leistungen erbringen": deshalb 8 Cameras + 16 Cameraleute + Bild-Regisseur + Scriptgirl und ggf. noch in manchen Fällen eine teuere "Postproduction" von Bild und Ton.
Zusammengefaßt, ein liversteam ist inzwischen technisch möglich, er muss nicht teuer sein und er ersetzt keinen Theaterbesuch, er ergänzt den Theaterbesuch in idealer Weise.

Hizurh
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