Die große zoologische Pandemie - Die grelle Uraufführung des Einbruchsstücks der Mainzer Hausautorin Natascha Gangl
Worte wie Nüsse knacken
von Shirin Sojitrawalla
Mainz, 17. April 2014. Es geht, grob gesagt, um (Ein-)Brüche aller Art: um den Wohnungseinbruch wie den Einbruch eines Virus, das Einbrechen einer Beziehung wie den Bruch mit Konventionen, den Zusammenbruch von Systemen wie den Einbruch in fremde Räume etc. pp. In ihrem Text mit dem schön sperrigen Titel "Die große zoologische Pandemie" umkreist die Mainzer Hausautorin Natascha Gangl ihr Sujet mit spitzfindigem Sprachwitz und jelinekschem Furor. In sechs Kapiteln und einem Abgesang entwickelt Gangl einen ganzen Zoo an Bedeutungen und Verknüpfungen, Referenzen und Assoziationen. Das macht sie pointiert, sprachbewusst und lebensklug. Nicht weniger als der Zustand der kleinen und der großen Welt steht bei ihr auf dem Spiel.
Großmäulig ideenreich
Regisseur Felix Meyer-Christian verteilt ihren Text auf vier Schauspieler, wobei Monika Dortschy als mondänes Fabelwesen am Rande in wechselnden Kostümierungen eindrücklich in Erscheinung tritt. Derweil verausgaben sich, kaspern und turnen die drei anderen, Nora Decker, Stefan Graf und Mathias Spaan, gekonnt durch den ebenso großmäuligen wie ideenreichen Abend. Die entschiedenen Vagheiten des Textes nimmt die spielfreudige Inszenierung als Steilvorlagen und führt das von der Autorin begonnene Spiel mit den Bedeutungsebenen lustvoll fort. Die Bühne auf Deck 3, dem Spielort unterm Dach des Großen Hauses, ist ein weißer Raum, im Hintergrund leuchtet eine weiße Leinwand, die später mit Videoeinspielungen (Jonas Plümke) gefüllt wird.
Diese Videos erweitern den Spielraum; Szenen werden dort fortgeführt, vervollständigt oder auch gedoppelt. So entsteht eine Welt hinter den Spiegeln, wo eine Geisterbraut und ein weißes Kaninchen von fernen oder künftigen Zeiten künden. Davor rast Stefan Graf hochtourig und atemlos von einem Statement ins nächste, gibt Nora Decker die kernig rotwangige Hyperaktive und lässt der springteufelartige Mathias Spaan mit leuchtenden Augen so ziemlich alles mit sich machen.
Als es im Kapitel Krankheit auch um unseren täglichen Tanz um die Gesundheit geht, spannen die drei den Beckenboden an und präsentieren sich in kreischfarbenbunten Tarnanzügen (Kostümrausch: Zahava Rodrigo) als Vorturner der Nation. Dabei knackt der Text immer wieder Worte wie Nüsse und entblößt freudig ihre doppeldeutigen Kerne. Furchtbar und fruchtbar sind bekanntlich nur eine r-Drehung voneinander entfernt, und so gebären die Männer widerlich blutverschmierte Gummitiere, die sie liebhaben wie Menschenaffen. Jeder von ihnen will das Kind sein, und alle wollen mal bemitleidet werden, weswegen sie die Verantwortlichkeiten wechseln, bis Monika Dortschy ein Gutemachtwort spricht und die lieben Kleinen in den Schlaf der Ahnungslosen schickt. Vor den Geburten aber, quasi um das Kapitel Familie gebührend einzuleiten, gibt es noch eine liebevoll geile Knutscherei im menage à trois-Format.
Unbändige Unterhaltsamkeit
Als Zuschauer versteht man mal gar nichts, mal ahnt mal alles. Das geht zwar nicht die ganzen zwei Stunden lang gut, die es währt, aber was geht schon zwei Stunden lang nur gut? Der Abend besticht auf jeden Fall immer wieder mit seiner unbändigen Unterhaltsamkeit, die den unterschiedlichen Temperaturen des Textes gerecht wird und gleichzeitig über die Vorlage hinausweist. Dabei gebiert die Inszenierung ganz eigene Bilderwelten, die zwischen Wirklichkeit und Traum delirieren.
Zu Beginn haben alle Zuschauer zudem einen weißen Schutzanzug erhalten, den die meisten auch brav übergestreift haben. Bis zum Ende fragt man sich, was das Ganze soll, doch später werden zusätzlich noch Masken verteilt und alle, die zuvor im Dunklen saßen, strömen nun ins Helle auf die Bühne, wo dichter Nebel empor dampft und klaustrophobische Einsamkeit auslöst. Wer sich umblickt, fühlt sich zu gleichen Teilen in der Masse geborgen wie verloren. Überall verschiedenartig Gleichgesichtige, die auch nicht wissen, wohin. Wer wieder im Zuschauerraum Platz nimmt, sieht sich einer gespenstisch glotzenden Engelsschar gegenüber; ein stumm staunender Schlusschor, der dem Abend ein hübsches Krönchen aufsetzt.
Die große zoologische Pandemie (UA)
von Natascha Gangl
Regie und Bühne: Felix Meyer-Christian, Kostüme: Zahava Rodrigo, Video: Jonas Plümke, Dramaturgie: Lisa Dressler / Katharina Gerschler.
Mit: Nora Decker, Monika Dortschy, Stefan Graf, Mathias Spaan.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater-mainz.de
Kritikenrundschau
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.4.2014) bemerkt Christian Friedrich, dass von Schockstarre angesichts der bedrohlichen Einbrüche nichts zu merken sei. Vielmehr denke man an Hühner beim Besuch des Fuchses im Stall. "Diese Aufgeregtheit ist sehr unterhaltsam anzuschauen, wenngleich man nicht immer allen Wortverdrehungen, Doppeldeutigkeiten und Assoziationen folgen kann."
Im Wiesbadener Kurier (19.4.2014) schreibt Lena Fölsche, das Stück beginne als großer Spaß für die Zuschauer. Als "skurriler Fiebertraum" bleibe der Abend dank der Darsteller in Erinnerung, an dem man "sich ein-, zweimal köstlich amüsiert", oft schmunzle "und vor allem die irre Leistung dieser drei Schauspieler bestaunt", die sich für nichts zu schade seien. Allerdings passten lustige Regieeinfälle und erste Botschaft (Katastrophen) nicht zusammen. So sei auch das Nebel-Ende wie das ganze Stück: "unterhaltsam, aber es wird sich auflösen wie ein nebulöser Fiebertraum".
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- #1
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