Macht-Schabernack

von Simone Kaempf

Berlin, 17. April 2014. Einer der Regisseure dieses Abends sieht empfindlich nach einem Rainer-Werner-Fassbinder-Double aus: Lederjacke, schwarzer Schlapphut, dunkle Sonnenbrille und ein unverkennbar regressiv abgeklärter Gesichtsausdruck. Diesen verändert Oliver Rincke auch nicht, wenn er, auf einem Regiestuhl sitzend, auf die Bühne gerollt kommt. Schon das eine Parodie auf coole Regisseure hinter ihren Filmkameras, aber ebenso auf die schnurrende Mechanik beweglicher Kameraschienen und die ganze Theater- und Filmapparatur, in der mehr oder weniger despotische Regie-Meister das Sagen haben.  

Meta-Kommentar zur "Dschingis Khan"-Diskussion

Auch Sabrina Braemer und Jonny Chambilla schweben irgendwann auf diesem Stuhl auf die Bühne – die drei PerformerInnen kennt man in dieser Konstellation aus Dschingis Khan, jener Koproduktion des Berliner Theater Thikwa und dem Gießener Regie-Kollektiv Monster Truck, die eine heftige Diskussion auslöste. Unter anderem darüber, wie selbstbestimmt die drei Schauspieler mit Down-Syndrom eigentlich agieren oder ob sie "benutzt" werden, erhalten sie in "Dschingis Khan" doch ständige Anweisungen, wie sie sich über die Bühne zu bewegen haben.

regie 280h floriankrauss u"Sextheater": Jonny Chambilla und Elisia Sky
© Florian Krauss
Die Fortsetzungs-Inszenierung "Regie" wirkt wie ein Meta-Kommentar auf diese Diskussion. Braemer, Chambilla und Rincke firmieren als Regisseure der Inszenierung, unter wieviel tätiger Mithilfe der "Monster Truck"-Mitglieder, bleibt offen. Sie geben aber nicht nur ihren Regie-Einstand, sondern treten auf der Bühne auch selbst in diesen Rollen auf. In Filmeinspielern auf der Videoleinwand, die groß über die Bühne gespannt ist, sieht man sie als erstes beim Durchforsten der Inspirationsquellen für ihre Ideen: Schnipsel aus Fernsehzeitschriften, in denen sie unter Jubel Sylvester Stallone als Rambo entdecken, oder ein Porno-Video, das den heimlichen Wunsch nach einem "Sextheater" weckt.

Den "Affen machen"

Gesagt, getan, der Regisseur bekommt, was er will. Er hat schließlich alle Weisungs-Hoheit. Auf der Bühne heißt das: Auftritt der blonden Porno-Darstellerin Elisia Sky. Sie strippt, räkelt sich an der Tabledance-Stange und wirft sich in die einschlägigen Posen. Auf lüsternen Befehl des Regisseurs reibt sie sich den Hintern mit Sahne ein, lässt sich die Sahne ablecken, stöckelt aufreizend hin und her. Doch den "Affen machen", wie es von Jonny Chambilla fordert wird, da verweigert sie sich. Verschränkt trotzig die Arme, während der Thikwa-Spieler von der Leinwand knappe Befehle gibt, genüsslich auskostend, sich in der sichereren Machtposition zu glauben.  

Die These, dass ein jeder Schauspieler ein Mitspracherecht und einen freien Willen hat, wie weit er auf der Bühne gehen will, bildet das Bezugssystem des Abends. Gleichwohl treibt "Regie" mit dieser Selbstbestimmung mehr seinen Schabernack als die Fragen nach dem Machtverhältnis zwischen Schauspielern und Regie artig durchzuarbeiten. Dass dieses Machtgefüge besteht, aber jeder Schauspieler, ob normal oder mit Down-Syndrom, auf der Bühne autonom agieren kann, daran lässt die an diesem Abend wirklich großartige Sabrina Braemer keinen Zweifel. Mit einer viel zu großen Nerd-Brille kommt sie auf die Bühne, optisch die Persiflage einer hippen Bühnenfigur, kämpft mit einem kaputten Schuh, um dann auf Strümpfen weiterzuspielen, fixiert ausgiebig das Publikum.

regie 560a floriankrauss uSabrina Braemer auf dem Regiestuhl © Florian Krauss

Ihre Mischung aus Hochkonzentration und knurrig-provokanter Selbstermächtigung füllt atmosphärisch den Raum. Privatperson und Bühnenrolle verschmelzen in bester Performance-Manier, oder sieht man das wieder nur, weil man's sehen will? Mit autoritärem Charme jedenfalls holt sie sich mehrere Zuschauer auf die Bühne, denen sie Anweisungen erteilt: den Fußboden aufzuwischen, Kostüme anzuziehen, die sie von einer Kleiderstange auswählt, Handyfotos von sich zu schießen. Je besser die drei Zuschauer mitmachen, desto smarter wird Braemers Laune, um dann doch wieder in autoritären Ton zu verfallen. Und immer, wenn das improvisierte Spiel wegzurutschen droht, nimmt sie wieder das Geschehen in die Hand, das aber mit dem klaren Gestus, hier keinesfalls die niedliche Fröhliche zu sein. 

Party statt Applaus

Am Ende hat sie zwei Dutzend Zuschauer auf die Bühne geholt, die zur Partymusik tanzen. Man hat als Zuschauer freie Wahl, mitzumachen oder einfach zu gehen. Diese Abschlussparty ersetzt den Schlussapplaus, der einfach ausfällt. Die letzte Irritation dieses Abends, der mit der Theaterordnung sein Spielchen treibt, auch damit, dass im Theater mit Behinderten die Begegnung mit den Zuschauern oft ein erklärtes Ziel ist. Manche Szene dehnt sich hier allerdings auch nervig in die Länge, darin ähnelt der Abend bei aller Unterschiedlichkeit seinem Vorgänger "Dschingis Khan". Aber wer dort bereits seine Freude daran hatte, wie die drei Performer das Spiel in die Hand nahmen, bekommt hier nochmal eins draufgelegt.

 

Regie
Regie: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Oliver Rincke, Dramaturgie: Marcel Bugiel, Video: Kai Ehlers, Musik: Mark Schröppel.
Mit: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Oliver Rincke, Saro Emirze, Elisia Sky.
Eine Produktion von Monster Truck in Koproduktion mit Theater Thikwa, FFT Düsseldorf, Pumpenhaus Münster, Ringlokschuppen Mülheim, Theater Rampe Stuttgart und Sophiensaele.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.sophiensaele.com 
www.monstertrucker.de

 

Mehr dazu: ein fünfminütiger Beitrag über "Regie" vom Kulturradio des Rundfunks Berlin Brandenburg vom 19. April 2014.

Kritikenrundschau

Doris Meierhenrich schreibt in der Berliner Zeitung (19.4.2014) über einen an "kabaretthafter Witzigkeit" und "Seichtheit" nicht armen "Metatheaterabend". "Regie" mache nicht da weiter, wo "Dschingis Khan" in der Übernahme der Macht durch die Darsteller geendet habe. "Regie" sei eine "schwere Technologie zur Befriedigung basaler Triebstrukturen", wie "besonders die Filmindustrie" sie ausbrüte. Ein "Sex- und Kriegsgenerator, der die Wunsch- blasen, die er hervorbringt, im Moment der Realisierung wieder zerstört". Bei aller "Gewitztheit", die sich oft etwas billig aus der bloßen Bizarrerie des Behindertseins speist, bleibe dieser Abend oberflächlich.

 

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