Bedenklich blubbernder Assimilations-Appell

von Bernd Noack

München, 26. Januar 2008. Das bislang letzte, was man von Murat Kurnaz sah, war ein Foto, auf dem er in einem kleinen roten Sportflitzer sitzt. Die langen Haare abgeschnitten, der "Prophe­tenbart" rasiert bis auf einen lässigen Schnauzer, und den Reportern diktierte er in den Block, dass sein Mazda RX-8 einen doppelstöckigen Spoiler hat und es der neue Schlitten, den er sich wünscht, "von Null auf Hundert in 4,5 Sekunden" schafft. Das war interessant.

Aber in Wirklichkeit war da der Hype doch längst schon draußen aus der Ge­schichte: dass einer, der monatelang für Schlagzeilen und politische Schieflagen gesorgt hatte, jetzt nur noch von Schalensitzen und Tieferlegen redete, registrierte man so inter­essiert wie Veränderungen im Dschungelcamp.

Aus dem öf­fentlichen Murat Kurnaz, der mit seiner himmel­schreienden Geschichte über die fünfjährige, rechtmäßig un­haltbare Haft im ame­rikanischen Horror-Camp Guantana­mo durch alle Talkshows gereicht worden war und über dessen Schicksal beinahe prominente Po­litprofis gestolpert wä­ren, ist mittlerweile ein ziemlich unauffälliger türkischstäm­miger deut­scher Bürger geworden, der bisweilen arbeits­los ist, noch daheim bei sei­ner Mutter lebt und seine Ruhe haben will. Und eben einfach schnelle Autos liebt.

Taliban im Sportwagen

Das ist zu 50 Prozent der Stoff, aus dem Bülent Kullukcus Stück "Mia san Murat" besteht, das in den Münchner Kammerspielen (im Rahmen des Theater-, Per­formance- und Diskurs-Projekts "Doing Identity – Bastard München") uraufgeführt wurde. Und vielleicht hätte der skeptisch distanzierte, durchaus gedämpft zynische Blick des Autors und Regisseurs auf den ziemlich undurchsichtigen Fall und auf die Figur Kurnaz, die sich auf klassische Weise durch die Medien-Mühlen drehen ließ bis sie ausgequetscht und wertlos war, für einen beden­kenswerten Abend getaugt.

Schließ­lich interessierte an dem Star, der aus der Folterkammer kam, sehr bald weniger die tatsächlich erlittene Qual in dem Lager auf Kuba als vielmehr die Frage, was das denn überhaupt für ein seltsamer, zwielichtiger Typ sein muss, dieser "Tali­ban aus Bre­men", dass ihn die Ame­rikaner da in Pakistan aufgreifen und gleich für einen Top-Terroristen halten konnten; der mit Wallehaar und Rauschebart auch nach seiner Freilassung hartnäckig das Klischee vom Gotteskrieger verkör­perte; bis er sich schließlich erdreis­tete, alle schönen Vorurteile gegen ihn ad ab­surdum zu führen, und in einen ganz weltlichen Sportwagen stieg.

Vier Schauspieler werfen sich in den Kammerspielen diese schillernde Murat-Rolle im fliegenden Wechsel zu. Und in diesen kurzen Szenen, die komisch und garstig sind, realsatirisch und bitterernst, überdreht und einfühlsam, hat das Stück tat­sächlich einen widerborstigen, unbequemen Unterhaltungswert.

Migrationshintergrund klassisch

Aber die andere Hälfte von "Mir san Murat" ist dann leider doch der krude und wohl unvermeidli­che Versuch, vor dem Hintergrund dieser "Extrem-Biografie", wie es der Autor nennt, gleich möglichst alle Fragen nach Identität und Integration ganz nor­maler tür­kischer, vornehmlich jugendlicher Bürger in Deutschland zu stellen. Und das ist schlicht­weg zu­viel.

Auftritt also Murats Familie, im kulturellen Niemandsland und mitten auf dem Autoput hin und hergerissen zwischen Heimat und Fremde, Tradition und An­passung: eine Migranten-Mischpo­che wie aus dem Bilderbuch der Einwanderungs- und Zuzugsgegner, ein Über­stundengrund für jeden betroffenen Ausländerbeauftrag­ten. Da schleppt sich desillu­sioniert und krumm ge­schuftet der gute-alte "Gastarbei­ter"-Urahn noch einmal ans Fließ­band, Tante Ceynep hält gegen die westlichen Un-Werte die orientalischen und religiösen Mythen hoch, Bruder Sülo sympathisiert mit den Grauen Wölfen und die Schwester, die freilich Fatima heißt, mutiert rebellierend zur Rap-Bitch, bei der ge­rade mal "fi­cken" zu den wenigen deut­schen Wörtern ge­hört, die sie korrekt ausspre­chen kann.

Multikulti-Ermutigung

Das alles schwirrt sehr flach gedacht in immer platteren Text-Fetzen und schrill-lauten Rock­nummern über die Bühne und erschöpft sich dann am Ende wirklich und zu allem Übel in einer Art versöhnli­cher Frohbotschaft, in einer Multikulti-Ermuti­gung, in einem Assimi­lations-Appell, bei dem nicht nur die Wasserpfeife be­denklich blub­bert: mal ab und zu Schweine­braten statt Döner und ein Vaterunser in der Mo­schee! Anpassung statt Widerstand – und auf dem Minarett läuten die Glocken dazu.

Papst sind wir schon. Weltmeister sowieso. Und jetzt san mia also auch noch Mu­rat. Uns bleibt halt nichts erspart. Zumindest im Theater nicht.

Mia san Murat, UA
von Bülent Kullukcu/Generation ALDI
Regie, Text und Komposition: Bülent Kullukcu. Bühne: Ralf Käselau.
Mit: Anna Böger, Murat Aydin, Lasse Myhr, Steven Scharf.

www.bastardmuenchen.de

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