Die absolute Durchschnittlichkeit

von Eva Biringer

Berlin, 7. Mai 2014. Vergangenes Wochenende war wieder Gallery Weekend in Berlin. Einmal im Jahr ziehen schrille Gestalten von Artspace zu Artspace, unter dem Deckmantel der bildenden Kunst, aber eigentlich nur auf Freigetränke hoffend. Ein paar derjenigen, die den Absprung zur nächsten Messe nach New York nicht geschafft haben, sind offenbar auf der Bühne des Ballhaus Naunynstraße gelandet. Einer von ihnen ist Mäzen, die anderen sind Künstler, wobei deren Überzahl den realen Zustand widerspiegelt: Über 20.000 kreative Seelen in dieser Stadt, und jede hält sich für einzigartig.

Achtsamkeitsrotze

Um diese vermeintliche Einzigartigkeit geht es in "Kings", Nora Abdel-Maksouds zweiter Regiearbeit am Ballhaus Naunystraße. Den Text, ein temporeicher Abgesang auf die ganze "Achtsamkeitsrotze" da draußen, hat sie selbst geschrieben. Dabei gibt es dieses Draußen gar nicht, wie das Quartett nicht müde wird zu betonen. Ein Schelm, wer da nicht an Sybille Bergs Neurosenfeuerwerk am Maxim Gorki denkt. Zumal Abdel-Maksoud selbst als Darstellerin mitwirkt in Sebastian Nüblings Inszenierung von Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen. Hier wie da spielen klare Flüssigkeiten eine Rolle, im Gorki sprudelt Wasser aus der PET-Flasche, hier ein Gesöff namens "Kings Mob Gin", der "Moleskine unter den Schnäpsen." Beides dient dazu, den Narzissmus wegzusaufen.

Während Nübling auf eine reduzierte Ästhetik setzt, ist in "Kings" alles Provisorium, eine Mischung aus Zirkusmanege und Baustellengerüst. Katharina Faltner hat diese "Scheißbühne" gebaut, deren Zustand symptomatisch ist für die Geworfenheit der Existenzen auf ihr. Pino (Stella Hilb) füllt ihren Samtanzug mit den viel zu breiten Schulterpolstern genauso wenig aus wie ihre Rolle als Künstler. Zwar bebt sie hin und wieder vor ästhetischer Ergriffenheit, reproduziert letztlich aber nur ihre süddeutsche bürgerliche Herkunft. Anstatt zu fliegen, steht sie bedröppelt da wie ein Nichtschwimmer auf dem Ein-Meter-Brett, die Hände vollführen hilflose Paddelbewegungen.

kings 560 utelangkafel u© Ute Langkafel

Igitt: arme, schlecht angezogene Leute

Mabuses (Serkan Kaya) tuntige Autorität als Pinos Mäzen manifestiert sich in ausladenden Schritten auf silbernen Plateaustiefeln. Für eine zeitgemäße Version des Pozzo und Lucky fehlt nur die Leine; das Warten auf den Durchbruch in der Kunstszene ist so aussichtslos wie das auf Godot. Ihnen gegenüber steht Grete (Eva Bay), ein scheues Reh mit John-Lennon-Sonnenbrille und Audrey-Hepburn-Frisur, ihres Zeichens "the chosen one", eine gehypte Künstlerin, die im wahrsten Sinn des Wortes Scheiße zu Gold macht (Piero Manzoni lässt grüßen). Mehmet (Anne Haug) hingegen ist ein weiblicher Käpt'n Hook mit einem blinkenden Kästchen an Stelle des Hakens. Mit diesem Kästchen kann Mehmet telefonieren, Internetrecherchen betreiben und Super-8-Filme drehen.

Vereint sind die vier in ihrem gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang. Am schlimmsten finden sie "arme, schlecht angezogene Leute", dabei kennen sie gar keine. Indirekt offenbart sich hier der kleine Schönheitsfehler des Stücks: Um dessen Komik zu verstehen, ist ein klar umrissenes Zuschauermilieu verlangt – nämlich ausgerechnet jenes, über das es sich lustig macht. Ein Publikum außerhalb Berlins wird den Modulor-Witz nicht kapieren ("Europas bestsortierter Künstlerbedarf"), ebenso wenig die Verachtung über den Konsumtempel Alexa teilen, dieses "Herz der Finsternis."

Naturtrüb ist auch keine Lösung

Außerdem ist es auch recht einfach, sich über das Häppchen fressende Vernissagepublikum lustig zu machen. Mit Bushwick-Hipster- und Biobohème-Zitaten wird nicht gespart: Apple ist böse, naturtrüber Apfelsaft auch keine Lösung, das Publikum weiß Bescheid. Dass "Kings" trotzdem in keinem Moment langweilt, liegt an den großartigen Schauspielern, Abdel-Maksouds Schulhofbattlelyrik mit Sätzen wie "Hörst du das? Tsch Tsch Tsch Tsch. Das ist der Lame-Train. Fährt mit deiner Story auf den Whateverest" und daran, dass in all der Absurdität mehr als der berühmte Funke Wahrheit steckt. Denn letztlich weiß jeder, der sich in dieser bescheuerten Kunstwelt bewegt, dass diese "Kings" dort bestens aufgehoben wären. John-Lennon-Brillen sieht man überall und Silber ist wieder im Kommen, warum nicht in Form von Plateaustiefeln?

Am Ende verpufft der Empörungsgestus, immerhin melodisch untermalt von Riot Grrrl-Gitarren (Musikalische Leitung: Lili Sommerfeld). Den größten Durchblick hat die sich ihrer Durchschnittlichkeit bewusst werdende Pino. Dass jeder fliegen lernen, ergo ein Designwunderkind sein kann, entpuppt sich als Lüge – da hilft auch der Moleskin-Gin nicht. Eine bittere Erkenntnis, schließlich bedeutet Durchschnittlichkeit die Aufkündigung sämtlicher Facebookfreundschaften. Um dem zu entgehen, entert man entweder mit einem Motorrad die Akademie der Bildenden Künste. Oder man folgt dem allerneuesten Trend. Der heißt Normcore, kommt aus New York, und zelebriert genau das: die absolute Durchschnittlichkeit.

 

Kings
von Nora Abdel-Maksoud
Regie: Nora Abdel-Maksoud, Bühne: Katharina Faltner, Dramaturgie: Nora Haakh, Kostüm: Josa Marx, Musikalische Leitung: Lili Sommerfeld, Choereographie: Johanna Lemke.
Mit: Eva Bay, Anne Haug, Stella Hilb, Serkan Kaya.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.ballhausnaunynstrasse.de

 

Kritikenrundschau

Im Deutschlandradio "Fazit" (7.5.2014) beschreibt André Mumot "Kings" als "gallige Kunstbetriebs- und Selbstverwirklichungssatire, die sich unter wildem Hochdruck in eine völlig überdrehte und atemlos hysterische Farce hineinsteigert". Nora Abdel-Maksoud entfache "eine Art Pollesch-Abend mit zusätzlich eingeworfenem Herbert-Fritsch-Slapstick", bei dem jede Geste übergroß ausgestellt werde. Anstrengend und krachledern komme das oft daher, "lustig aber ist es vor allem, wenn Eva Bay als Grete mit schwarzer Hochsteckfrisur wie eine dunkle Schwester von Joanna Lumleys Absolutely-Fabulous-Patsy roboterhaft über die Bühne stakst, sich nur durch Gin überhaupt am Leben hält und zwischendurch mit schneidender Schärfe über radikale Kunst schwadroniert." Auffällig bleibe der selbst gewählte Idealismus der Autorin und Regisseurin. Der sei "natürlich aller Ehren wert", verpuffe aber in der Gefälligkeit und Ungefährlichkeit der Hau-Drauf-Komik. "Es bleibt launiges Kabarett mit einigen bösen Spitzen über den korrupt-apathischen Künstlerrummel, bei dem sich das Publikum am Ende bloß bestätigt fühlt, nur einverstanden lachen und nicken muss." Und das falle eben doch zu leicht.

"Ein furioses Duo" hat Patrick Wildermann vom Tagesspiegel (10.5.2014) im Ballhaus Naunynstraße erlebt. "Eva Bays Grete ist eine roboterhafte DandyDomina mit suizidalen Tendenzen, Anne Haugs Mehmet ein Kommunikationszombie, dem das Handy zur Hand verwachsen ist." Dem ganzen Team gelinge ein "wutbefeuerter, rasend komischer Rundumschlag: gegen den zahnlosen Kunstbetrieb, die bereitwillige Vereinnahmung durch die Warenwelt, das Achselzucken des Allesschon-Dagewesen. Am Ballhaus ist lange keine Produktion mehr so bejubelt worden; man wünscht 'Kings' jeden erdenklichen Erfolg."

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