Und überall nur Scheinheiligkeit

von Kathrin Kipp

Stuttgart, 8. Mai 2014. Zwangsarbeit, Theaterlandschaft, Ausbeutung, Total-Ökonomisierung, Autorsein, Automobilindustrie, Bertolt Brecht, Ferdinand Porsche, lahme Phrasen, miese Ausreden, allgemeine Scheinheiligkeit: Der Shitstorm von Schlechte-Laune-Missionar und Nestbeschmutzer Oliver Kluck ist ein Rundumschlag gegen alles. Und zwar von allen gegen alle, denn auch der Sprecher der Weltanklage lässt sich nicht genau identifizieren.

Für eine Handvoll Dollar

"Der Hund des alten Mannes" spricht seinen Monolog aus vielen verschiedenen Ichs heraus und wechselt munter zwischen Themen, Zeiten, Perspektiven, Motiven und Haltungen. Der Text handelt außerdem gerne mal von sich selbst, dreht und wendet sich, lässt sich nie ganz fassen, kommt aber manchmal auch ziemlich konkret daher. In diesen konkreten Momenten ist viel von Ausbeutung die Rede: In der Industrie, im Kunstbetrieb, in sich selbst. Damals und Heute. "Wie kann man die Leute dazu bringen, dass sie sich für eine Handvoll Dollar für uns zu Tode schuften?", fragen sich nicht nur Manager, sondern auch die Theatermacher. Gezwungenermaßen. Während sich für die Verhältnisse mal wieder keiner zuständig sieht. Da kann die Industrie vom Kunstbetrieb noch so einiges lernen. Schon Brecht hat seine Frauen ausgebeutet und von seinen Dichterkollegen abgekupfert. Heißt es zumindest immer. Und überall nur Scheinheiligkeit.

HundMann3 560 AndreasZauner uDas dramatische Ich im Morgenmantel, vom Bühnennebel umweht.
© Andreas Zauner

Was genau uns Oliver Kluck mit seiner leicht selbstmitleidigen Universalpredigt sagen will, bleibt ein wenig nebulös. Vielleicht will er auch nur das allgemeine Gefühl von Unbehagen zum Ausdruck bringen, dass man sowieso nie weiß, was man tun kann und soll. Und so ist weder in der Realität, noch im Stück Handlung möglich. Das dramatische Ich liefert zwar gleich zu Anfang eine mögliche Lösung: "Nichts machen, das ist der Vorschlag, den ich Ihnen machen werde" und präsentiert sein Buch, in dem überhaupt nichts steht, "meine bisher beste Arbeit". Das Stück erweist sich dann aber doch noch als ziemlich redselig. Und siehe da: "Dass hier nichts bedeutungslos ist, darum geht es hier". Widerspruch rules.

Ein recht vertrackter Text also, den sich Marie Bues (Regie) und Martina Grohmann (Dramaturgie) da vorgenommen haben. Sie untermalen das Hin und Her zwischen assoziativer Unbestimmtheit und konkreter Anklage mit vielsagendem Nebel und eindeutiger Bombasthymne, wechseln später zu Madonnas Hung Up. Der Songtext "Time goes by so slowly" wiederum trifft weniger auf die Inszenierung zu, die nach etwas schleppendem Anfang noch so richtig Fahrt aufnimmt.

Viel jammern, wenig bewegen

Indra Nauck (Ausstattung) setzt dem vollmundigen Text einen hohlen Holzwerkstattquader entgegen, der durchaus auf den Experimentalcharakter des Stücks verweisen könnte. An der Wand hängt eine Zettelwirtschaft mit Fotos von allen Tätern: Brecht, Piech, Porsche, Maschmeyer. Die Schauspieler werfen sie per Live-Projektion gegen die Wand. Niko Eleftheriadis repräsentiert mit rotem Blaumann und Mercedes-Kappe die Arbeiterklasse, die viel jammert, aber sich nicht rührt. Stefan Wancura tritt in glitschig blauer Hose auf und Monika Wiedemer als Dame in Weiß. Das Trio gestaltet abwechselnd anklagend, betroffen, ironisch oder sarkastisch den "kabarettistischen Abend mit grotesken Elementen", nimmt aber den Text insgesamt eher ernst.

HundMann2 560 AndreasZauner uAuf der Textfläche ausgerutscht oder in Ohnmacht gefallen?  © Andreas Zauner

Und so schwadronieren sie sich in den Assoziationsrausch, rutschen auf der Textfläche aus und fallen angesichts der ganzen Wortgewalt in Ohnmacht. Monika Wiedemer theoretisiert über die Wut und redet sich in Rage, während Eleftheriadis endlich mal die "Dinge beim Namen nennen" will. Monika Wiedemer steckt mittlerweile in rosa Plüsch und singt den Text als Musical. Zuvor hat sie noch mit Eleftheriadis in der Badewanne gelegen. Es wird also nicht nur textuell, sondern auch optisch einiges geboten.

Wir machen unsere Stars selbst: aus unseren Exkrementen

In Sachen totaler Ökonomisierung von Kultur und Leben will das Theater Rampe Klucks Vorwürfen natürlich in Nichts nachstehen und fährt ganze Paletten an Wulle-Bier und Hengstenberg-Produkten rein, bittet das Publikum auf die Bühne, lässt es den Senf, die Gurken und das Sauerkraut kosten, spielt dabei "Mülheimer Dramatiker-Tage" und sammelt Spenden für die arme Assistentin. Eine dynamische Verkaufsshow, bei der die Darsteller in glitzernden Ganzkörperkondomen nicht nur die Gurken, sondern auch den ganzen Designertrash auf der Bühne anpreisen, bildet den Höhepunkt des Abends.

Text und Performance driften immer weiter auseinander, während vom Autor mehr Authentizität gefordert wird. Star-Dramaturg John von Düffel will ihn als "Hausautor" engagieren: "Wir machen unsere Stars selbst, aus unseren Exkrementen". Und so bekommen auch noch Claus Peymann, Christoph Schlingensief oder Alexander Kluge ihr Fett weg. Stefan Wancura macht noch kurz den Hitler, bevor er sich gegen Ende als "Fritzi Fratzi Katzi", der titelgebende Polizeihund, entlarvt. Aber auch das ist keine Lösung.

 

Der Hund des alten Mannes (UA)
von Oliver Kluck
Regie: Marie Bues, Ausstattung: Indra Nauck, Dramaturgie: Martina Grohmann.
Mit: Niko Eleftheriadis, Stefan Wancura, Monika Wiedemer.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theaterrampe.de

 


Kritikenrundschau

Kluck rechne in "Assoziationsketten" mit "allem ab, was er zu fassen bekommt – Kapitalisten, Schriftsteller, Theatermacher", schreibt Lea Melcher in den Stuttgarter Nachrichten (10.5.2014) und gibt „Faszination" zu Protokoll. Mit der Geldsammlung für die Assistentin erreiche "die Darstellung genialischen Charakter". Marie Bues gelinge es, "eine komplexe Textgrundlage in eine starke und häufig ironische Inszenierung zu verwandeln, die vor Details nur so strotzt".

"Wie sich die Gesellschaft in Sprache abbildet, das ist das Thema des Stücks", schreibt Cord Beintmann unter dem Kürzel C.B. in der Stuttgarter Zeitung (12.5.2014). Das Publikum werde mit "Sprachhülsen" bombardiert. "Klucks Text ist ein Sammelsurium von zu vielem, es mangelt an Verdichtung. Und doch beleuchtet er grell und spöttisch gesellschaftliche Wirklichkeit." Und zwar "nie bierernst, sondern mit viel Witz".

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