Kein Mitleid mit den Golden Girls

von Hartmut Krug

Recklinghausen, 8. Mai 2014. Schon wieder eine Uraufführung nach einem Roman. Grellrot türmen sich die Exemplare des im vorvergangenen Herbst erschienenen Werkes im Foyer des Theaters. Immerhin hat die Autorin Anita Augustin, die als Dramaturgin in Salzburg und am Deutschen Theater in Berlin gearbeitet hat, ihren Roman gemeinsam mit der Dramaturgin Alexandra Althoff selbst für die Bühne eingerichtet. Dabei ist zwar die Erklärung für den Titel verloren gegangen, aber das macht nichts, er klingt einfach witzig und geheimnisvoll.

Wenn das Publikum ins Theater strömt – vorerst noch bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, ab Ende Mai dann auch im Schauspiel Frankfurt –, läuft in Endlosschleife eine Rede der Bundesfamilienministerin. Ihre Phrasen über den Alterungsprozess der Gesellschaft und über den Nutzen, den die Alten noch für die Gesellschaft haben können, münden in Überlegungen zu den Kosten dieser Entwicklung. Und schon werden die Alten zu leeren Menschenhülsen und Ballastexistenzen, über deren nutzvolle Verwendung in freiwilligen Engagements zum Zwecke der Wohlstandserhaltung und Ressourcenoptimierung die Ministerin schwadroniert.

Wie kommt man zu Pflegestufe 2?

Die vier älteren Frauen, die sich dann auf der schwarz gehaltenen Bühne mit ihrem runden Podest unter silbrig-schwarzen Plastik-Palmen zusammen finden, sind einerseits ganz euphorisch: Sie haben die Ministerin zusammengeschlagen (und gar getötet?). Andererseits aber wollen sie ihr Leben nicht im Gefängnis beenden. Also diskutieren sie Auswege: Sie könnten sich als traumatisiert und nicht zurechnungsfähig ausgeben, könnten sich in ein Seniorenheim eintricksen, wo sie bei Vollpension gepflegt würden. Vor den Tests dazu haben sie keine Angst: Zehn Tage Theater vorspielen und dann Pflegestufe 2 bekommen, das wär' ein Leichtes. Das System unterlaufen sie doch locker …ZwergKittel1 560 BirgitHupfeld uQuartett infernale – v.l.n.r.: Angelika Thomas, Lore Stefanek, Helga
Werner (hinten), Josefin Platt. © Birgit Hupfeld

Und schon erhebt sich ein Psychiater im Publikum und befragt die Frauen. D.h. stellvertretend für die vier wird die Kettenraucherin Almut befragt. Josefin Platt, ganz in Schwarz, ist von kluger, herber Aggressivität. Natürlich weiß sie, was die albern wirkenden Fragen und Tests bewirken sollen. Aber hinter ihren Schlafstörungen verbirgt sich ein Geheimnis, nicht umsonst flackert das Licht immer so feurig gefährlich, wenn Almut gezwungen wird, ihre Augen zu schließen.

Die grelle Bedeutungstube

Lange scheint dies ein Stück über Alter und Entwürdigung, über Zustände in Pflegeheimen und über munter selbstbewusste Alte zu sein. Vier Frauentypen zwischen Selbstbewusstsein und altersbedingtem Selbsthass, die sich dagegen wehren, einfach nur weiterverwertet zu werden. Also singen sie Madonna, Motto "You can turn around this world", und schicken Almut vor. Während die Ideengeberin eine Ex-Sportlehrerin ist, die von Lore Stefanek, kurzgeschoren und in einer Art Bundeswehr-Tarnjacke, wie eine Generalin gespielt wird, steuert die hochgewachsen elegante Angelika Thomas, ganz in Weiß, die als Hexe bezeichnete Marlen mit ironischer Gelassenheit durchs heftige Geschehen. Dass sie immerhin neun Ehemänner bis zu deren Tode begleitet hat, gibt zu Vermutungen Anlass.

Helga Werner, etwas fülliger und bunt gekleidet, hat die derb auftrumpfende, leicht prollige Suzanna zu spielen. Die schaute als Krankenschwester den Patienten gern beim Sterben zu, liebt aber noch immer den Sex und praktiziert ihn mit einem jungen Pfleger, wovon so plakativ detailliert wie überflüssig provokativ berichtet wird. Ohnehin setzt Bettina Bruiniers Regie auf Hektik und Übersteigerung bis hin zur (unfreiwilligen) Komik, fast Lächerlichkeit der Frauen. Mitleid bekommen wir mit ihnen nicht, das will die Autorin auch zu Recht nicht. Aber da die Figuren immer nur auf die grelle Bedeutungstube drücken, verliert sich auch bald das Interesse an ihnen. Auch, weil sich die einzelnen Bedeutungsstränge schnell einfach verlieren und abbrechen.

Es zieht sich wild dahin

Im Zentrum steht nicht die Anklage über die Zustände in der Altenpflege. Sicher, die Infantilisierung alter Menschen, ihr Verlust der Würde nicht nur beim Waschen durch die Pfleger, ihr Dasein als Objekt eines Verwaltungsapparates werden durchaus deutlich. Doch was bei der Lektüre witzig und zupackend wirkt, steht in der Inszenierung wie unter lähmendem Dauer-Bedeutungsdruck. Ohne Schärfe, ohne Spannung, ohne Figurenentwicklungen. Die Aufführung zieht sich einfach so wild dahin und bleibt uns fern.

Die Schlusspointe, in der Almut offenbart, dass alles nur ihre Projektionen waren, dass ihre drei Freundinnen längst tot und bei einem von ihr verschuldeten Feuer umgekommen sind, hebt das Stück plötzlich auf eine ganz andere Ebene, auf die der Schilderung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wenn Almut mit dem Arzt am Schluss an der Ostsee steht, hat sie sich wohl befreit. Wir aber haben einer dramaturgisch allzu undeutlich bedeutungsvollen Inszenierung beigewohnt.

 

Der Zwerg reinigt den Kittel
von Anita Augustin
Uraufführung
Regie: Bettina Bruinier, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Mareile Kretter, Musik: Kornelius Heidebrecht, Video: Clemens Walter, Licht: Frank Kraus, Dramaturgie: Alexandra Althoff.
Mit: Josefin Platt, Lore Stefanek, Helga Werner, Angelika Thomas, Christoph Pütthoff, Kornelius Heidebrecht, Franziska Junge.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.ruhrfestspiele.de
www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Auf dem langen Weg über die Stationen vom Roman zur Bühnenaufführung sei einiges auf der Strecke geblieben, zum Beispiel das innere Denken über und genaue Beobachten von anderen Figuren, so Christiane Enkeler auf Deutschlandradio Kultur (9.5.2014). "Was dann auf der Recklinghauser Bühne übrig bleibt vom Roman, ist fahrlässig plakativ und platt." Die einzelnen Charaktere werden hier nicht lebendig, "die Exposition ist überlang, das Schlüpfen weniger Darsteller in viele Rollen so keine geschickte Lösung". Auch die vier Freundinnen schaffen keine plastischen Situationen, "sie richten sich ja hauptsächlich nach vorn, ans Publikum, und spielen nicht miteinander. Konflikte rauschen vorbei, aber auch offen sichtliche Möglichkeiten, mehr 'Bühnensituation' zu schaffen, werden nicht genutzt."

Über kräftigen "Applaus für ein engagiertes Spiel, dem die lakonisch-sarkastische Leichtigkeit des Romans etwas fehlt", berichtet Britta Helmbold von den Ruhrnachrichten (9.5.2014). Der "Wortwitz, das Spiel mit Kalauern, die den Roman zu einer vergnüglich-makabren Lektüre machen, verkommen auf der Bühne zu einem bedeutungsschweren Abhaken von Themen."

Nicht "bitter komisch, sondern bitter enttäuschend" findet Cornelia Fiedler von der Süddeutschen Zeitung (10.5.2014) diesen Abend. Es herrsche "90 Minuten lang platte Pointenschinderei". Vor Bruinier inszeniere "die vier altgedienten Schauspielerinnen um Josefin Platt als Rädelsführerin Almut in derart überzogenem Comedy-Stil, dass jeder noch so lakonische Kommentar darin erstickt. Ein zähes, unangenehmes Spektakel ohne Würde und ohne Ziel."

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