Spiegelei und Blutdusche

von Dieter Stoll

Erlangen, 16. Mai 2014. Am Ende war die Französische Revolution dann also doch vor allem eine Blutdusche. Wenn Danton und seine Kommunarden ihren letzten Gang zum Schafott antreten, dreht der Erlanger Büchner-Regisseur Mario Portmann das rote Brausebad so voll auf, dass noch bei der tropfenden Verbeugung jeder Vampir ein Betthupferl wittert. Derart wild sah es am Anfang gar nicht aus, denn "Dantons Tod" beginnt in dieser Aufführung mit einem eitlen Auftritt des Dichters, der liebevoll den Theatervorhang tätschelt und das Publikum auf die eigene Gedankenfreiheit hinweist: "Ich stell das jetzt mal so in den Raum: Die Revolution ist noch nicht fertig!"

Entfesselter Revoluzzer mit dem stets offenen Gürtel

Damit könnte er den Interpreten die Bühne überlassen, doch er wird nicht mehr weichen. Nicht nur als Werktreuhänder, weil gleich im ersten Bild die Requisiten der mitgelesenen Regieanweisungen fehlen ("Wo ist der Schemel?"), sondern  zur Erhaltung eines gewissen Schwebezustands: Wird da nun Geschichte erzählt oder gemacht, analysiert oder manipuliert? Später platziert er persönlich den Schlachtruf "Nieder mit Danton", der die endgültige Wende bringt. Vermutlich weil die Zweifel an der eigenen Schöpfung, diesem depressionsanfälligen Lebenskünstler, zu groß geworden sind. Muss man aber nicht zu ernst nehmen, denn einer aus der zweiten Darsteller-Reihe kam ihm ohnehin drauf, dass das Drama am Schreibtisch noch offen ist und zahlt fürs eigene Überleben im dritten Akt seine Sonder-Tantiemen.

danton1 560 jochenquast uZwischen Brüderlichkeit und Frauenschenkeln: Daniel Seniuks Danton mit Matthias Zeeb und Lisan Lantin © Jochen Quast

Die Erstbegegnung mit Georg Danton bringt allerdings verblüffende Vermutungen. Unter wehender Trikolore bewegt der entfesselte Revoluzzer mit dem stets offenen Gürtel drei flaggenfarbige Girlies und eine Champagnerflasche. Die Groupies piepsen die Marseillaise, die Kumpels klimpern sie auf dem Pantomimen-Piano, die Gefährtin singt aus voller Brust – da muss der desillusionierte Barrikadenstürmer die Hymnen-Huberei mit der kleinen tonalen Verrückung zu "O Tannenbaum" kontern.

Großzügige Streuung von Spektakel-Einfällen

Inzwischen hat er sich "pitschepatsche" eingenässt, im Höchstmaß von Vertrauen mit einem Freund auf offener Szene die Unterhose getauscht und Kokain-Linien geschnupft, dass es nur so staubt. Ein Rocker halt! Wie er mit Robespierre und St. Just in nostalgischer Verklärung zwischendurch ziemlich heavy Luftgitarre spielt und die stockende Handlung auch mal per Rap anschiebt, das weist womöglich auf eine zurückliegende Karriere samt Absturz hin. Frühstücksdirektor ist der vielseitige Danton ebenfalls, er brät hingebungsvoll Spiegeleier für Gäste und reicht eine Portion ins Publikum. Alles in Echtzeit, wie auch das kollektive Ausflippen in der Disco. Es wird viel geboten in dieser Aufführung, oft sogar Sinnvolles.

Wie es Regisseur Mario Portmann bei so großzügiger Streuung von Spektakel-Einfällen aus der Trend-Ablage gelingt, die Kurve zum Drama doch noch mit schleuderndem Behauptungswillen zu meistern, macht die Aufführung geradezu sehenswert, zumindest kurzweilig. Ausstatter Jochen Diederichs baute dafür mahnmalartig drei gestaffelte Wände mit den verteilten Revolutions-Chiffren "Liberté – Egalité – Fraternité", die eben nicht mehr sind als versteinerte Spruchbänder. Die säuerlichen Sieger des Aufstands regeln derweil ihre Macht am Autor vorbei: Während Büchner noch in Erfinder-Pose den Titelhelden als seine Marionette vorführt, wird er vom emanzipierten Chefideologen Robespierre schon selbst in die Schranken gewiesen. Wurde Danton bei seiner letzten Rede einfach mitten im Argumentieren der Ton abgestellt, muss der wortgewaltige Büchner sehr einsilbig das blutige Ende als Echo aus der Realität hinnehmen. "Brüderlichkeit" steht da noch über dem Gemetzel. Der Künstler schaut ratlos hoch und sagt: "Hm!" Vorhang!

Magnetischer Mittelpunkt Danton

Daniel Seniuk setzt den jungen Danton furios auf die Pop-Spur (Stefan Faupel und mouse machine lauern in jeder Ecke mit Sound-Stütze) und wird ein magnetischer Mittelpunkt, um den tatsächlich alle kreisen. Patrick Nellessen ist der kühle Gegenspieler Robespierre und lässt im Zuschauer wie im leibhaftigen Büchner von Martin Maecker das unheimliche Gefühl keimen, vielleicht doch die wahre Perspektive zu repräsentieren. Drei sehr respektable Schauspieler an der Spitze eines hochmotiviert einsteigenden Ensembles, das für dieses Klassiker-Format extra aufgestockt wurde.

Die Premiere war der Start der 32. Bayerischen Theatertage, die seit 1983 als Wander-Festival unterwegs sind. 42 Inszenierungen von 28 Bühnen werden in Erlangen angekündigt, allesamt unjuriert nach Ratschluss des Absenders. Keine "Leistungsschau" á la Berliner Theatertreffen soll das Programm laut der gastgebenden Intendantin Katja Ott werden, eher ein "Überblick über die Vielfalt" des Theaters. Das hat die erste Vorlage mit "Dantons Tod" schon fast im Alleingang geschafft.

 

Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Mario Portmann, Bühne und Kostüme: Jochen Diederichs, Musik: Stefan Faupel, Licht: Ernst Schießl, Dramaturgie: Ralph Blase.
Mit: Lisa Lantin, Martin Maecker, Robert Naumann, Patrick Nellessen, Daniel Seniuk, Christian Wincierz, Matthias Zeeb, Benedikt Zimmermann, Violetta Zupanicic, Janina Zschernig.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-erlangen.de

 

Kritikenrundschau

Portmann liefere statt tiefschürfendem Denktheater "einen fröhlich kaputten Szenenreigen: plakativ, poppig, supergeil!", so Florian Welle nur mäßig amüsiert in der Süddeutschen Zeitung (19.5.2014). Seine Inszenierung sei simpel gestrickt: "Entertainment ist Trumpf. Portmann liebt in schönster Andreas-Kriegenburg-Manier den Kalauer und hat auch sonst jede Menge Einfälle."

Der Regieeinfall, Büchner höchstselbst auf die Bühne zu stellen, leuchte nicht sonderlich ein und werde auch nicht konsequent durchgehalten, schreibt Steffen Radlmaier in den Nürnberger Nachrichten (19.5.2014). "Vor allem macht er deutlich, woran diese jugendlich daherkommende Inszenierung tatsächlich krankt: Sie nimmt weder Büchner noch seinen Text ernst, sondern treibt ein unverbindlich ironisches Spiel damit."
Der Regisseur zitiere "so ziemlich alles, was im Theater der letzten 20 Jahre mal Mode war", kürze den Text nach Belieben, "um ihn durch andere Büchner-Zitate zu ergänzen" und lasse, "obwohl ihm nach der Pause kaum noch etwas Neues einfällt", den Abend "geschlagene drei Stunden" dauern.

"Die politische Bühnenkunst lässt die Hosen runter und veranstaltet einen hellen Lärm", befindet Hans-Peter Klatt in der Nürnberger Zeitung (19.5.2014). Seiner Meinung nach stelle Portmanns Inszenierung keinen großen Gewinn für die bayerischen Theatertage dar. "Pervertierter Volksaufstand oder Elektronik-Mist: Es ist letztlich egal, was hier gespielt wird. Denn nur jene, welche die Vorlage sehr, sehr gut kennen, wissen noch, an welchem Ort, zu welchen Zeiten und in welcher Machtkonstellation sich das Drama gerade befindet."

Ein bildgewaltiges Revolutionsspektakel hat F.J. Bröder gesehen, wie er im Fränkischen Tag (19.5.2014) schreibt. Die Inszenierung (über)ziehe "alle Register der Bühnenkunst",  Portmann schmeiße sich "mit seiner mit Rockmusik unterlegten Revolutionsrevue gnadenlos an eigenwilliges Festival-Publikum, das am Ende begeistert applaudiert". Dass diese Inszenierung dennoch beeindruckt und nicht in effekthascherischen Gags untergehe, sei dem überwältigenden Bühnenbild, den Kostümen und den Schauspielern zu danken:  "Sie nehmen in Sprache, Gestik und Mimik Georg Büchner ernst".

 

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