Die Geschichte von Kaspar Hauser - Der Shorty zum Gastspiel beim Theatertreffen 2014
Carte Blanche mit Hufen
von Anne Peter
Berlin, 17. Mai 2014. Zum Feierabend des Theatertreffens gibt's sozusagen #Catcontent. Tiere und Kinder auf der Bühne, das geht immer. Schon nach Castorfs Reise ans Ende der Nacht war auf den Sozialkanälen auffallend viel von einem gewissen Huhn die Rede. Alvis Hermanis stellt bei seiner zweiten Theatertreffen-Einladung für Die Geschichte von Kaspar Hauser neben greisenpuppenhaften Kindern als Klein(!)bürger-Personal ein Pony ins Rampenlicht. Weißes Fell, scheinwerferbeschienen. Hach.
Das Pony ist nicht aus Zürich angereist, sondern stammt aus Brandenburg. Das vermeldet Yvonne Büdenhölzer während der Trophäenüberreichung, bei der sich dank der aufgekratzten Kinderspieler endlich mal jemand in fotografierenswerte Posen wirft – kurz bevor in der Festspiel-Kassenhalle per Beamer zur Pokalendspielverlängerung geswitcht wird.
Auf der Bühne ist das Pony nicht nur ein hochpräsentes, unberechenbares Anti-Als-Ob-Element, sondern bietet sich überhaupt wundervoll als Deutungsobjekt an, quasi Carte Blanche mit Hufen. Zwei kleine Holzpferdchen waren es, mit denen Kaspar Hauser in seinem Gefängnis spielte. Auch wollte der 1828 ungefähr sechzehnjährig in Nürnberg eintaumelnde Findling gern "Reuter" werden. Wenn das Bühnentier nun ungerührt ob der szenischen Vorgänge Heu knabbert oder den Sandkasten durchstapft, aus dem der steifgliedrige Kaspar Jirka Zetts anfangs ausgegraben wird, sieht man in ihm sogleich jene unverbildete Natur, die die Nürnberger Kleinbürger in dem "edlen Wilden" bestaunten. Und natürlich darf dem rechtschaffenen Zuschauerherzen gern ein bisschen unbehaglich werden, wenn ihm zu Bewusstsein kommt, dass er das Pony auf der Bühne grade ähnlich ungeniert begafft, wie die Biedermeierwiderlinge den Kaspar – es wird Zoo gespielt.
Ungeteilte Aufmerksamkeit – fürs Pferd
Für all das muss das kleine Pferd auf der Bühne also stehen. Uff. Kein Wunder, dass es bisweilen unruhig mit den Hufen scharrt oder sich derart unglücklich mit dem Vorderbein in der Anbindeleine verhakt, dass man in einer Art Nietzsche-Reflex auf die Bühne rennen und es retten möchte. Es reißt sich zu Beginn auch ganz real und ungeplant los und strullt wenig später unbekümmert auf den Bühnenboden.
Ungeteilte Aufmerksamkeit sowie wohlwollendes Publikumslachen sind ihm bei derlei Sperenzchen natürlich sicher. Zumal das Bedrohlichkeitslevel der Greisenkinder ungefähr dem der Rumpelwichte in "Ronja Räubertochter" entspricht. So kommt die Inszenierung, trotz bewegender Momente um den poetisch verquer denkenden Kaspar, der mit uns selbstverständlich gewordenen Willkürregeln drangsaliert wird, kaum über die hübsch konzeptionierte Puppenstubenniedlichkeit hinaus. Wäre da nicht das Pony.
Kurz vor dem aufplätschernden, sich zum Gleichklang steigernden Applaus, in den sich nur ein einziges mattes Buh mischt, steht das Tier vor einem schauerlich schräg musizierenden Sextett, bleckt sein Gebiss, und man fragt sich, ob es stumm wiehert, lacht oder gähnt. Fehlt noch ein Beuys, der ihm das Theater erklärt.
Hier die Nachtkritik zur Premiere dieser Inszenierung im Februar 2013 am Schauspielhaus Zürich.
Unsere Theatertreffen-Festivalübersicht mit Nachtkritiken und Kritikenrundschauen zu allen Premieren sowie Shorties zu den TT-Gastspielen.
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Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/18/die-welt-als-puppenstube/
Fazit des Theatertreffens, das Theater lebt, die Kritik ist ratlos, verstummt in dummer Selbstüberschätzung.
Die Nachgespräche bieten eine Informationsqulle für schlechte Kritiker, die nichts mehr sehen. Aber dort sitzen dann auch diese furchtbaren Frager, so dass man wie Jirka Zett es gut zusammengefasst hat, doch lieber wieder in den Sandhaufen verschwinden würde.
Mir hat die Inszenierung sehr gut efallen. Vielen Dank nach Zürich.
Grossen Dank an das Schauspielhaus Zürich und Alvis Hermanis für diesen fantastischen - wunderbar undeutschen - Theaterabend!