Tanz der Vergeblichkeit

von Esther Boldt

Mannheim, 24. Mai 2014. Dieser Titel ist definitiv zu viel des Guten: "Super Premium Soft Double Vanilla Rich" versammelt sämtliche Optimierungsversprechen, die ein Konsumgut so im Namen tragen kann. Es könnte einem glatt übel werden davon. In seinem neuen Stück porträtiert der japanische Regisseur Toshiki Okada den Alltag in einem Convenience Store, beim Festival "Theater der Welt" in Mannheim wurde es nun uraufgeführt. Die Tokioter Convenience Stores haben 24 Stunden am Tag geöffnet, und es gibt hier alles, was der Großstädter braucht: Lebensmittel, Kosmetika, Getränke und Zeitschriften. Okada interessiert dieser stets geöffnete Mikrokosmos, diese rundum verfügbare Konsummöglichkeit, die auch einen sozialen Treffpunkt darstellt.

Komplexe Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Auf der Bühne des Probenzentrums Neckarau steht, nein hängt die Skizze eines Ladens. Mit Warenregalen bedruckte Folien bilden die Rück- und die Seitenwand der Spielfläche, drei weitere Regale sind durch bunt leuchtende Flächen im Boden markiert, ebenso die Bedienungstheke. Dazu rieselt Bachs "Das Wohltemperierte Klavier, Buch 1" aus den Lautsprechern, eine verblüffend triftige Einkaufs- und Einlullungsmusik. Zwei Mitarbeiter mit halblangem Haar und Streifen-Patchwork-Uniform stehen herum und lästern. Ihre Körper sprechen eine andere Sprache: Ihre Arme rudern, ihre Rücken beugen sich, sie machen Kniebeugen und plötzliche Sprünge, während sie über optimierte Warenzufuhr und die angebliche Asexualtität ihres Chefs reden.

Bewegung und Sprache scheinen entkoppelt zu sein, und doch wird die Choreografie auch aus dem Gesprochenen entwickelt, Gesten werden vergrößert und bis zur Unkenntlichkeit schematisiert. Ununterbrochen produziert die Bewegung einen zweiten Text und schafft so eine komplexe Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Mit dieser choreografischen Regiearbeit ist Okada bekannt geworden, und der Bruch an der Haut des Körpers ist tatsächlich ein markantes Element des Abends.

SuperPremium 560 MasanobuNishino uKonsum-Choreographie: Lästern im Supermarkt @ Masanobu Nishino

Der ansonsten einer Seifenoper gleicht: Sieben stilisierte Figuren absolvieren ritualisierte Abläufe in einem zeitlich nicht markierten Rahmen, in einer nicht enden wollenden Gegenwart des Immerselben. Schließlich hat der Convenience Store immer geöffnet. Da sind die beiden tratschenden Aushilfen, Usami, der nette Junge von Nebenan, etwas naiv und stets willens, Situationen das Beste abzugewinnen, und Igarashi, der Lässige mit den hängenden Schultern, der aus Prinzip immer dagegen ist – aber nur so viel, dass es nicht anstrengend wird.

Hinzu kommt Mizutani, die neue Aushilfe, die ihr herzliches Lächeln zu einem Dumpingpreis verkauft und damit den Servicestandard versaut – zumindest findet Igarashi das. Eine Stammkundin kauft hier jeden Abend ihr Eis, ganz klar eine Verrückte, die mit zitternden Armen vor dem Kühlregal steht und in Verzweiflung ausbricht, als ihr Lieblingseis "Super Soft Vanilla" mangels Nachfrage aus dem Sortiment genommen wird. Ebenfalls täglich schaut ein Störenfried vorbei, der die Mitarbeiter mit lästigen Fragen zu ihrer schlechten Arbeitssituation löchert und Freiheit probt, indem er nichts einkauft. Widerstand aber vermag er nicht zu wecken.

Repräsentant des aus dem Ruder laufenden Kapitalismus

Mit leisem Witz und einer gewissen Lust an Banalitäten werden wir in Betriebsstrukturen eingeführt, die den Store zu einem Ort der Kontrolle und Manipulation machen: Warensortiment und Auslage manipulieren die Kunden, der Chef kontrolliert seine Mitarbeiter, er selbst wird kontrolliert und gedemütigt vom Supervisor im schnittigen Anzug. Aus seiner Aktentasche holt er ein Mikrofon, seine Stimme hallt verzerrt wieder und macht ihn allumfassend, gottgleich, wenn er die Segnungen der Convenience Stores erklärt, um die Mitarbeiter auf Kurs zu halten: Ohne sie gäbe es kein Essen in der Nacht! Und auch kein Licht in der Dunkelheit!

In teilweise enervierender Behäbigkeit werden die Szenen ausgebreitet. Es geschieht wenig, und dieses Wenige bleibt ungeschnitten. Ein ganz eigener Rhythmus entsteht, eine Rhythmus des Wartens, Plauderns, der kurzen, intensiven Aktivität und des erneuten Wartens. Gemeinsam mit Bachs "Wohltemperiertem Klavier" und den ausscherenden Bewegungen der Schauspieler gewänne die Inszenierung fast hypnotische Qualitäten, müsste man nicht immer den Blick heben von der Spielfläche, um die Übertitel zu lesen. In seiner Genauigkeit, in seinen dahinskizzierten Beobachtungen und zugespitzten Pointen ist "Super Premium Soft Double Vanilla Rich" wundervoll. Denn natürlich ist dieser Laden ein Repräsentant des aus dem Ruder laufenden Kapitalismus und einer Gesellschaft, die versucht, über Geschäftsverhältnisse Beziehungen aufzubauen und ihrem Leben Bedeutung zu verleihen. Selten war der Tanz dieser Vergeblichkeit so schön, so komisch und so traurig wie hier.

 

 

Super Premium Soft Double Vanilla Rich
von Toshiki Okada / chelfitschRegie
Text: Toshiki Okada, Bühne: Takuya Aoki, Kostüm: Sae Onodera (Tokyo Isho), technische Leitung: Koro Suzuki, Ton: Norimasa Ushikawa, Akino Hayashi, Licht: Tomomi Ohira, Naoko Ito, Musik Arrangement: Takaki Sudo.
Mit: Makoto Yazawa, Tomomitsu Adachi, Azusa Kamimura, Hideaki Washio, Shuhei Fuchino, Shingo Ota, Mariko Kawasaki.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterderwelt.de

 

Kritikenrundschau

"Unverbindliches Personal und unverschämte Kunden, das alles kommt uns mit Recht bekannt vor. Was den meisten ziemlich neu erscheint, ist das kunstfertige Verfahren Okadas, seine Dreikanaltechnik aus Schauspiel, Musik und Bewegung zur ewigen Melodei der Ökonomie zu formen", so Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (26.5.2014). Der Mensch spiele in diesem Musikstück aus Präludien und Fugen weder in den Dur- noch in den Molltonarten eine Rolle. "Okadas - teils urkomischer, teils anrührender - Tanz aus Verlegenheits- und Übersprungsgesten, führt vor Augen, dass der Mensch in der Arbeitswelt längst im Diskant singt, selbst wenn er dabei Alltagssprache spricht."

So "komisch und todtraurig zugleich wie das Spiel eines Meisterclowns im Zirkus" sei diese "satirisch zugespitzte Alltagsgeschichte", schreibt Monika Frank in der Rhein-Neckar-Zeitung (27.5.2014). Bachs Klavierwerk "Das Wohltemperierte Klavier" bestimme "Tempo und Rhythmus der Aufführung", und es ergibt für die die Kritikerin auch inhaltliche Effekte: "Die Präzision, mit der in dieser Musik die Töne strengen Kompositionsregeln folgen, korrespondiert mit dem Idealzustand einer reibungslos funktionierenden Steuerung von Warenfluss, Dienstpersonal und Konsumenten, an dessen Realisierung auf den höheren Marketing-Ebenen hart gearbeitet wird." Im Supermarkt der in Okadas Stück dargestellten "Smile Factory"-Kette "erweisen sich die hier verkaufenden und einkaufenden Menschen allerdings noch als etwas sperrig."

Eine "simple, aber menschlich anrührende Geschichte von Hierarchie, Abhängigkeit und sozialer Kommunikation auf der Basis eines allumfassenden Kapitalismus" hat Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (27.5.2014) bei Toshiki Okada erlebt. Die Akteure agierten "extrem gemächlich, aber mit einer expressiven, psychologisch verräterischen, der Etikette ihres höflichen, förmlichen Auftretens meist zuwiderlaufenden Körpersprache: schlenkernde Arme, zuckende Beine, Rumpfverrenkungen. Das hat eine sehr feine, subversive, auch traurige Komik."

Nur kurz äußert sich Peter Michalzik in seinem Festivalauftakt-Bericht für die Neue Zürcher Zeitung (28.5.2014) über diese Arbeit. Die Schauspieler zeigten zur Musik von Bach "eigenständige, absolut abstrakte Bewegungen, die man als Ausdruck des Inneren oder eigentliche Sprache sehen kann. Das erste echte Datentheater der Welt, könnte man sagen. Allerdings war es auch so spannungsreich wie das Innenleben eines Computerprozessors."