Presseschau vom 28. Mai 2014 – Die SZ bilanziert die erste Saison von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg

Altes Gebräu in neuen Schläuchen

Altes Gebräu in neuen Schläuchen

28. Mai 2014. Im Anschluss an seinen Verriss der neuen Schimmelpfennig-Arbeit "SPAM" (zur Kritikenrundschau) bilanziert Till Briegleb für die Süddeutsche Zeitung (28.5.2014) etwas ernüchtert die mit starken Erwartungen befrachtete erste Saison der Intendanz von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

"Der erfreulich hohe Anspruch, die großen realen Dramen der Gegenwart mit Stoffen der Antike und den Konflikten in Afrika vielfältig neu zu erzählen, mit dem Karin Beier und ihr Team in Hamburg antraten, endete in der Regel verzettelt, verschwurbelt, verblasen. Großer Ausstattungsaufwand und die Verpflichtung zahlreicher Regie- und Schauspielstars (die aber stets nur ein- oder zweimal zu sehen waren) führten nur selten zu einer Verdichtung von Stoffen und einer Reibung an neuer Ästhetik."

Katie Mitchells "bedrückend-strenges Theben-Projekt" namens "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino" und die "kunstvoll inszenierte Metaphysik-Kommune der Performancegruppe Signa" (i.e. "Schwarze Augen, Maria") gelten ihm als Saisonhöhepunkte. Auf der Minusseite steht der "offensichtliche Versuch, mit Personal und nostalgischen Anmutungen die Aura der Baumbauer-Jahre in den Neunzigern wiederzugewinnen, als Deutschlands größtes Sprechtheater letztmals wirklich Furore machte". Der Auftritt von Christoph Marthaler und die "Castorf-Gebräue in neuen Schläuchen" von Sebastian Baumgarten oder Maja Kleczewska fallen in diese Kategorie. Auch, dass Beier sich über österreichische Medien "als neue Burgtheater-Chefin ins Gespräch brachte", habe die Beziehung zu ihrem Publikum in Hamburg "nicht wirklich erwärmt".

(chr)

Kommentare  
Presseschau Karin Beier: erst entwickeln
Ich frage mich, wenn ich Statements wie das von Till Briegleb lesen: woher kommt diese hohe Erwartungshaltung gegenüber Karin Beier? Eine neue Intendantin versucht mit einem neuen Ensemble ein Haus wieder nach vorne zu bringen, dass zuletzt komplett gegen die Wand gefahren worden war und auf Grund dessen über mehrere Jahre in die Bedeutungslosigkeit abgedriftet ist. Da erschließt es sich doch von selbst, dass dieses neue Ensemble sich erst mal finden muss, genauso wie das Haus seine 'Sprache' und seine Positionierung. Man kann doch nicht allen Ernstes erwarten, dass Karin Beier gleich in der ersten Spielzeit - bei manchen Kritikern hatte man das Gefühl, sie haben es schon bei der ersten Inszenierung erwartet - das Theater neu erfindet! Auch wenn wir in einer schnelllebigen Zeit leben: manche Dinge müssen sich erst entwickeln dürfen, sie müssen entstehen und zusammenfinden. Ein etwas wohlwollenderer Blick und eine etwas kleinere Erwartungshaltung wäre hier angebracht.
Presseschau Karin Beier: außerdem
Bleibt hinzuzufügen, dass Beier "Die Ballade vom Fliegenden Holländer", "Carmen Disruption" und Shakespeares "Sturm" nach nur drei oder vier Monaten zum Ende der Spielzeit schon wieder absetzt (absetzen muss?)
Außerdem werden in der nächsten Saison mit "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" und "Die Ratten" noch zwei weitere Inszenierungen aus ihrer Kölner Zeit wiederaufgenommen - nach "Das goldene Vlies", "Der Idiot", "Gott des Gemetzels" und "Die Troerinnen" als Teil der "Rasenden" sowie mehreren Produktionen, die im Malersaal gezeigt werden. Ein gelungener NEUSTART am Hamburger Schauspielhaus sieht wirklich anders aus.
Presseschau Karin Beier: am Wille gemessen
Wer ein "al. Star " Ensemble zusammenstellt und den klaren Willen zum Grosserfolg zeigt, muss sich auch daran messen lassen!
Presseschau Karin Beier: schwieriges Pflaster
@3 aber schon komisch, daß sie jetzt für Dinge kritisiert wird (viele Gast-Schauspieler bzw Vielflieger), die sie genauso in K auch praktiziert hat, dort aber nur Lorbeeren einheimste. Vielleicht ist HH doch ein verflixt schwieriges Pflaster. Und sicher wird dort mit anderem Maß gemessen, als in K.
Presseschau Karin Beier: auch Highlights
Die wahnsinnig hohe Erwartungshaltung resultiert nach meiner Ansicht aus dem langen Zeitraum zwischen dem Bekanntwerden ihrer geplanten Wahl zur Intendantin und der ersten Premiere mit der bekannten Verspätung. In jedem neuen Bericht zu ihr und ihren Plänen wurde berichtet, was sie tolles aus dem Kölner Schauspiel gemacht hat und wurde gemutmasst, wie sie das Schauspielhaus nach vorne bringen würde.
Das konnte doch niemals alles hundertprozentig umgesetzt werden. Die ersten Produktionen waren nicht alle toll, das stimmt, aber es waren auch Highlights dabei. Neben Kate Mitchell fand ich vor allem "Nach Europa" sehr eindringlich - andere haben anderen Highlights.
Das Schauspielhaus ist wieder da, es ist wieder eine Marke, das ist doch schon mal eine gute Basis, auf der in der zweiten Spielzeit, der ersten kompletten (!) aufgebaut werden kann.
Presseschau Karin Beier: lächerlich!
Warum hat sie meine Träume nicht erfüllt, ich hatte es mir doch so schön ausgemalt.

Theater ist doch einfach malen nach Zahlen, warum kapiert die das denn nicht?

Und alte Inszenierungen aus anderen Theatern mitnehmen, dass hat bisher noch kein anderer Intendant gewagt. Keiner!!!

Sie war nicht mal in der Kantine und hat mich begrüßt als ich da neulich einmal mittags gegessen hab, die Cola war da übrigens auch zu kalt.

Sie hatte doch eine 2/3 Spielzeit mit nur ein paar grundlegend verschobenen Produktionen Zeit. Lächerlich!!!
Presseschau Karin Beier: Pul-Theater
Ja, das mit der Cola war fies.
Das ging mir auch so: Weder begrüßt hat mich die Karin, noch war die Cola lecker und die ganzen Theaterstars wollten sich auch nicht mit mir unterhalten.

Ich find' auch gar nicht so schlimm, wenn ich mich im Theater langweile.
Mein Job ist schließlich auch langweilig, ich bin Langeweile also gewohnt.
Außerdem ist es in anderen Theatern ja auch oft langweilig.
Das wär' also echt ungerecht, das Frau Beier vorzuwerfen.

Ich find' auch nicht so schlimm, das ich als Theaterfan viele der Inszenierungen schon in Köln (oder Berlin) gesehen habe, denn so langweilig ist mein Leben allemal, das ich für gutes Theater durch die Republik reise.

Guck' ich eben die guten, alten Kölner Stücke noch ein zweites Mal, immernoch besser als das neue langweilige Hamburger Zeugs.
(Hab früher auch lieber die guten Marken-Jeans von meiner großen Schwester aufgetragen, als billige neue zu bekommen.)
Ich bin also ganz zufrieden.

Und natürlich ist Frau Beier NICHT für die Erfüllung meiner Träume zuständig, - das wäre ja nun eine wirklich vollkommen vermessene Forderung.
Lächerlich geradezu.
Theater und Träume, - das hat nunmal wirklich GAR NIX miteinander zu tun.
Theater kann sich doch nicht mit meinen Erwartungen beschäftigen. Unsinn !
Theater braucht' sich sowieso eigentlich GAR NICHT mit mir mir beschäftigen.
Oder überhaupt mit Publikum.
Dafür ist Theater ja nun echt nicht da.
Theater soll sich einfach nur auf sich konzentrieren.
Theater soll sich einfach nur im Bauchnabel pulen und sich einmal im Jahr gegenseitig in Berlin die durchhgepulten Bauchnäbel zeigen.
Dafür ist Theater glaub' ich da.
Speziell das von Karin Beier.
Und ich und das andere Publikum, soll mal endlich aufhören rumzumeckern.
Damit Theater in Ruhe weiter um sich selber pulen kann.
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