Alles so schön leer hier?
von Nikolaus Merck
18. Juni 2014. Wir dürfen uns nichts vormachen. Stadttheater, wie sie in der Bundesrepublik verfasst sind, gehören zum anachronistischen Bestand einer vergehenden Gesellschaft. Kostümabteilungen, in denen Kostüme zum Teil von Hand gefertigt werden, Tischlereien, Schlossereien, Malsäle, in denen Dekorationen angefertigt werden, hier und da noch ein Rüstmeister für den Waffenfundus, Maskenbildner, Ankleider, Schnürmeister – es ist wunderschön, aber es ist von gestern. In der heutigen Situation bräuchte es einen Willen, einen politischen Willen, diese anachronistischen Inseln zu erhalten. Reservate für aussterbende Handwerke. Darstellungs- und Musikhäuser. Kleine Kraftwerke kollektiven Arbeitens von Handwerkern, Verwaltern, Künstlern und Planern. Pathetisch gesprochen: Romantisch-utopische Einsprengsel in einer ganz und gar ernüchterten Gesellschaft.
Diesen Willen gibt es vielerorts nicht mehr. Wenn jetzt in Vorpommern die beiden sogenannten Theaterstandorte Vorpommern und Neubrandenburg / Neustrelitz mit, in Wirklichkeit, viel mehr Standorten: nämlich in Neubrandenburg, Neustrelitz, Greifswald, Stralsund und Putbus zu einem Staatstheater zusammengelegt werden sollen, entspricht das zuvörderst einer ökonomischen Logik.
Mecklenburg-Vorpommern: nur ein Anfang
Die Mitarbeiter der Theater sollen nach Tarifvertrag bezahlt werden, anders als im Moment, wo vielerorts Haustarife verabredet sind. Angesichts der ohnehin schon niedrigen Löhne und Honorare im Theaterwesen ein dringend notwendiger Schritt. Aber die städtischen und vom Land ausgereichten Förderungen für die Theater sollen nicht steigen auf mittlere Sicht. Und Schulden machen, Schulden auch um Theaterdefizite auszugleichen, soll ab 2020 verboten sein. Gesetzlich. Grob gesagt. Also muss Personal "abgebaut" werden, müssen Menschen in die Rente gehen und im Betrieb nicht ersetzt werden, müssen andere Menschen mit goldenem, wohl eher aber bronzenem Handschlag zur Kündigung bewegt werden und müssen die Verbleibenden mehr und härter und schneller arbeiten. Damit überhaupt noch weiter Theater gespielt werden kann von Neustrelitz bis Putbus. It's the economy, stupid.
Die Menschen ziehen weg aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Einwohnerzahl sinkt kontinuierlich, weil es keine Arbeit gibt im Land, wenigstens sehr wenig ordentlich bezahlte Arbeit. Stattdessen gibt es Tourismus, Saisonarbeit, aber kaum mehr Werften, hochintensive Landwirtschaft, aber kaum mehr Handarbeit auf'm Acker, dazu noch die Verwaltung. Ein schönes Land, ein leeres Land.
Die CDU-Landräte in Vorpommern zögern noch, die Theater-Fusion toll zu finden. Sie sind zurückhaltend, weil sie eine Abstrafung bei der nächsten Wahl fürchten, nicht weil sie auf der Produktivkraft des Spielwesens für die Gesellschaft bestehen würden. Natürlich ist Mecklenburg-Vorpommern, wo der Prozess der Theaterbegradigung, der jetzt an Fahrt aufnimmt, bereits vor mehr als 20 Jahren eingeleitet wurde, nur ein Anfang. In Halle und Dessau, in Moers und Trier konnte einstweilen in Sachen "Theaterrückbau" das Schlimmste verhindert werden, aber für wie lange? In Wuppertal ist das Theaterkind schon in den Brunnen reingefallen. Selbst hohe Funktionäre des Bühnenvereins sagen einem mittlerweile im persönlichen Gespräch, sie glaubten nicht daran, dass die Theater außerhalb der großen Städte à la longue als Mehrspartenhäuser überleben könnten.
Auftritt Publikum
Insofern muss man den verantwortlichen Politikern in Mecklenburg-Vorpommern zugestehen, dass sie tun, was gemeinhin von ihnen erwartet wird. Sie versuchen, sich abzeichnende Probleme zu erkennen und zu bearbeiten. Dass sie dabei einer rein ökonomischen Logik folgen, kann man ihnen schwerlich vorwerfen, wenn die ganze Gesellschaft dieser Logik gehorcht. Und besonders in Vorpommern gibt es eben keine Industriebetriebe, die für ihre MitarbeiterInnen hinreichend ausgepolsterte weiche Standortfaktoren (= Theater, Museen, Kinos, öffentlicher Nahverkehr) forderten, keine Bleistiftfabrikbesitzer oder Sanitärbetriebskönige, die darauf bestünden und dafür bezahlen, dass in ihrem Ort das Theater weiterlebt.
– Mecklenburg-Vorpommerns Kulturminister will Theater zusammenlegen – Meldung vom 18. Juni 2014
– Theater Parchim verlegt Spielbetrieb wegen Baumängeln in die Stadthalle – Meldung vom Januar 2014
– Ständige Konferenz der Theaterintendanten in MV gegründet – Meldung vom November 2013
– Mecklenburg-Vorpommern diskutiert die Neuordnung seiner Theater- und Orchesterstrukturen – Presseschau vom 28. Oktober 2012
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