Demokratismus ohne Bart

von Jürgen Reuß

Freiburg, 21. Juni 2014. Ein Mann am Keyboard bzw. der gedämpften Trompete, zwei Schauspielerinnen, ein Schauspieler, drei Stühle, eine Weste, zwei Jacken und zwei Perücken – fertig ist die letzte Schauspiel-Premiere des Theater Freiburg in dieser Spielzeit. "Mag der Thron in Flammen glühn!" heißt das, was die Autorin Jenny Warnecke selbst als ein "soziologieaffines Theaterstück über 1848 und die Frauenemanzipation" und "unterhaltsame Bühnenessenz" ihrer Doktorarbeit über Louise Aston, eine radikale Vormärzautorin und Revolutionsanhängerin, bezeichnet.

Die Inszenierung wird vom Literatursommer Baden-Württemberg gefördert, der unter dem Motto "Worte sind Taten – Zivilgesellschaftliches Engagement in der Literatur" steht. Dazu passt, dass es sich streng genommen um eine szenische Lesung in Werkstattatmosphäre mit dem Skript in der Hand handelt. Akzeptiert man diese Rahmenbedingungen und nimmt die Hürde, dass die Premiere auf einen Abend gelegt wurde, an dem später noch ein WM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft folgt, wird man immerhin mit unterhaltsamer Bildungsarbeit belohnt.

Sympathische Ikonographie
Charlotte Müller haucht der als Pfarrerstochter geborenen Louise Hoche, die mit 20 den englischen Dampfmaschinenfabrikanten Samuel Aston heiratet und sich zwischen Kurbäderluxus und Fabrikarbeiterelend politisiert, ein sympathisches Leben ein. Mit charmantem Augenzwinkern lässt sie die aus ihrer Ehe in die Berliner Revolutionsbohème geflüchtete Louise Aston zwischen emanzipatorischen Provokationen einer frühen Spaßguerilla und mal lyrisch, mal kolportageartig literarisch verarbeitetem glühendem Revolutionspathos changieren.

MagderThron 560 MauriceKorbel uZwischen Spaßguerilla und Revolutionspathos: Charlotte Müller als Louise Aston © Maurice Korbel

Während sie in Hosen mit Junghegelianern in der Kneipe philosophiert, raucht und Weißbier trinkt, wechselt Božidar Kocevski zwischen der Rolle des Ehemanns und der des Polizeispitzels. Ein schön betontes "Mein junges Häschen" genügt ihm, um die Mischung aus Herablassung, Wut und Hilflosigkeit des gehörnten Ehemanns erstehen zu lassen, der es nicht fassen kann, dass ihm seine Frau von Grog bedüdelt die Szenen einer Ehe als Klassenkampf bis in die eigenen Fabrik trägt. Und den verdrucksten Polizeispitzel lässt Kocevski in der Begegnung mit dem Objekt der Beobachtung schön in einem Gebräu aus Untertänigkeit, Pflichterfüllung und bewundernder Begierde gären.

So entsteht 50 Minuten lang, bisweilen unterstützt von Dias und Trompete, die sympathische Ikonographie einer selbst von der Frauenbewegung eine Zeitlang verachteten anarchischen Vormärzlerin. Man lernt, dass die heutigen Antiglobalisierungsbärte schon damals als Signal für "Demokratismus" gefürchtet waren. Nett, daran erinnert zu werden, dass Frauen wie Louise Aston dazu beigetragen haben, dass Demokratismus heute als zivilgesellschaftliches Engagement aus Landesmitteln gefördert wird.

Mag der Thron in Flammen glühn!
Leben und Werk von Louise Aston im Spiegel ihrer Zeit
von Jenny Warnecke
Regie: Darja Stocker, Beratung: Charlotte Müller, Komposition und Live-Musik: Burkhard Finckh, Bühne und Kostüme: Darja Stocker & Jenny Warnecke.
Mit: Charlotte Müller, Marie Bonnet, Božidar Kocevski.
Dauer: 50 Minuten, keine Pause

www.theater.freiburg.de


Kritikenrundschau

"Stockers Inszenierung ist szenische Lesung und literarische Studiobühne, aber auch feministisches Lehrstück", berichtet Annette Hoffmann in der Badischen Zeitung (23.6.2014). Den Akteuren gelinge es, "das eigentlich Ungehörige dieses Lebens" von Louise Aston "aufzuzeigen: dass hier jemand in der Lage ist, über die damaligen Grenzen seines Geschlechtes, seiner Klasse und seiner Nation zu denken." Der Auftritt von Charlotte Müller in der Rolle der Louise Aston als "Mutwille in Person" zeige auch: "Der Sexappeal radikalen Denkens und das Pathos utopischer Vorstellungen sind einander nicht fremd."

 

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