Presseschau vom 2. August 2014 – Christine Dössel trifft für die Süddeutsche Zeitung den "Ring"-Regisseur Frank Castorf im Bayreuther Wirtshaus

Glücklicher Buhmann

Glücklicher Buhmann

2. August 2014. In Bayreuth läuft Frank Castorfs "Ring"-Inszenierung nun im zweiten Jahr, und Christine Dössel hat für die Süddeutsche Zeitung die Chance genutzt, ihn in Bayreuth im Wirtshaus zu treffen, wo er so wortreich seine Inszenierung verteidigt, dass der Kritikerin bald der Kopf rauchte.

"Uff. Es schwirrt einem der Kopf, wenn Castorf die Markierungspunkte seiner 'Ring'-Vermessung so gedankenfetzenhaft dahingrummelt. In einem Ton, als sei ihm furchtbar fad dabei." Und der "Ring"-Inszenator gebe seinen Kritikern ja auch noch vollkommen recht, so Christine Dössel in dem ganzseitigen Text: "Es ist eine bewusste Überflutung mit Reizen und Informationen. Und mit Sprüngen, die gewalttätig im Denken sind", wird Castorf zitiert.

Castorf springe mit Wagners Libretto im Kopf von Nietzsche zu Beckett zu Felsenstein. "Von den Bohrtürmen am Kaspischen Meer über die Oktoberrevolution 1917 hinüber nach Amerika, seit je Castorfs Tankstelle der Träume, hier sausen seine Gedanken auf der Route 66 in die Wüsten und Verwüstungen des Kapitalismus (…), um sodann auf dem Highway to Hell wieder zurückzuflitzen in den DDR-Kosmos, Denkschule seiner Dialektik: Bitterfeld. Halle. Petrochemie. Plaste und Elaste – das Gold des Ostens. Berlin Alexanderplatz mit der Weltzeituhr: Ausdruck östlichen Lebens."

Aus den Erläuterungen, die Castorf zu seiner "Ring"-Konzeption gibt, gehe vor allem eines hervor, so die Kritikerin: "Wie rasend gehirnstürmerisch, intellektuell zupackend und sprunghaft assoziativ, dabei immer von seiner eigenen Ost-Biografie her denkend – und auch die seines Belgrader Bühnenbildners Aleksandar Denić mit einbeziehend – sich dieser vermeintliche 'Ring'-Provokateur Wagners wabernden Weltentwurf eroberte." Einmal eingeschaltet, pegele sich Castorfs schnoddriges, die irren Assoziationsschübe seines Hirns mit einem nöligen Ost-Sound kontrastierendes Mundwerk in einer leisen, gelangweilt klingenden Monotonlage ein – "und hört dann lange nicht mehr auf".

Der Erregungseifer, mit dem Castorf vor zwei Wochen in einem Spiegel-Interview gegen die von "Angst, Vorsicht und vorauseilendem Gehorsam" getriebenen Festspielchefinnen wetterte – "dieser Zorn hat sich doch merklich gelegt". Er nenne zwar die Sänger-Umbesetzung immer noch einen Affront, doch von einer gerichtlichen Klage durch seinen Schwager und Anwalt Gregor Gysi ist keine Rede mehr.

Aber so hatte auch dieser Bayreuth-Sommer seinen kleinen Skandal und Castorf sich aufgeladen mit jener "Regiewut, ohne die es nicht geht". Die zu erwartenden Buhs nach der "Götterdämmerung", wenn er sich erstmals in diesem zweiten Jahr auf der Bühne zeigt, wird er sich noch in geballter Ladung gönnen.

(sik)

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