Wenn Hades zum Sopransaxophon greift

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 11. August 2014. "Talkie" hat man zu dem sich in den dreißiger Jahren allmählich den Weg bahnenden Tonfilm auch gesagt. Das Little Bulb Theatre hat den Orpheus-Stoff in eine teils grelle, teils verspielte Revue im Paris der Zwischenkriegszeit verwandelt. Optisch reitet man die Stummfilm-Ästhetik zu Tode, aber es ist ein netter "Soundie".

Orpheus als Gipsie und Gitarrist

Die Leute vom Little Bulb Theatre, einem südostenglischen Tourneetheater, sind rechte Tausendsassa: Jeder Einzelne ist ein ganz vorzüglicher Instrumentalist und Sänger. Sie alle haben auch keine Scheu, tanzend und springend über die kleine Bühne zu wirbeln. Kann man Schauspielerei dazu sagen? Nennen wir es: beherztes Outrieren – mit einem unbestreitbaren Talent, für kurze Momente auch Poesie, Magie einzubringen.

orpheusb 560 bernhardmueller uGitarre statt Lyra: Orpheus (Dominic Conway) in Salzburg © Bernhard Müller

Vor allem aber geht es musikalisch turbulent zu. Orpheus ist der Gitarrist der Gruppe. Er ist als Django Reinhardt hergerichtet. Der war ja ein Pariser Gipsie, passt also gut zu Zeit und Ort. Dominic Conway hat sich dessen Spieltechnik gut abgeschaut. Der Unterweltsgott Hades ist Alexander Scott, Theaterleiter und Regisseur der Aufführung. Er ist Klarinettist in der Musik-Crew. Wenn er als Hades zum Sopransaxophon greift und mit dem klimpernden Orpheus/Django um Eurydike wetteifert, wird das eine recht tolle Instrumentalnummer.

Überhaupt ist die Musik die Hauptsache, Einspielungen und live Produziertes (die Protagonisten stürzen immer wieder von der Bühne zu den Instrumenten am Bühnenrand zurück) sind tollkühn verschnitten. Da darf schon am Beginn eine kleine Introduktion ins Thema als verspielte Opernszene "in modo antico" stehen (immerhin ist der älteste existierend "Orfeo" von Claudio Monteverdi).

Der Slapstick wuchert

Als Musikfreund kommt man auf seine Kosten, gesprochen wird ganz wenig, das meiste von Eugenie Pastor als Diseuse "Yvette Papin": ein nerviges, schrilles Plappermäulchen. Sie schlüpft auch in die Rolle der Eurydike und kann obendrein gut Querflöte spielen. Die Damencombo (Miriam Gould, Violine, Shamira Turner, Akkordeon und die hyperaktive Clare Beresford, Kontrabass) hat köstliche Gesangsnummern parat, etwa als Zerberus mit seinen drei Hundeköpfen.

Mit einer gewissen Hemmungslosigkeit wird optisch illustriert und der Slapstick wuchert. Was man als Publikum mitbringen muss für diese Art von Theater? Am besten dicke Schenkel, die was hermachen, wenn man drauf klatscht. Das ist eine angemessene Reaktion, und drum waren geschätzte zwei Drittel des Publikums am ersten der vier Salzburger Abende so richtig hemmungslos begeistert.

orpheus-ii 560 bernhardmueller uBekanntlich lauschten ja auch die Tiere Orpheus' Musik.  © Bernhard Müller

Krumme Kurve

Das übrige Drittel mag sich ein bisserl fremdgeschämt und sinniert haben: Was hat eine Produktion, die auf einem Kleinkunstfestival allemal berechtigt Furore machte, beim "Young Director's Project" der Festspiele suchen? Es bahnt sich auch heuer, beim letzten YDP (Langzeit-Sponsor Montblanc zieht sich zurück) ein Wettbewerb zwischen völlig Unvergleichbarem an. Eine Stadttheaterproduktion von Ernst Tollers Hinkemann, das beherzt-engagierte Studententheater 36566 Tage und jetzt eben diese "Orpheus"-Revue – das geht einfach nicht zusammen in einer Reihe (als viertes folgt ab 15. August "Der Abschied", die Uraufführung eines Texts des Georg-Büchner-Preisträgers Walter Kappacher).

Warum also wirklich dieser Musik-Orpheus? Auf den 1914-Jahresschwerpunkt kann man nicht ernsthaft rekurrieren: Die Revue ist pure l'Art pour l'art, Zeit und Ambiente sind bloß Staffage. Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf hat als eine seiner vielen Leitlinien einst beschrieben, er wolle immer auch eine Produktion im Programm haben, in der Schauspiel mit Musik zusammengeht. Auf der Website der Festspiele nennt Bechtolf nun diese englische Tourneeproduktion in einem Atemzug mit dem Shakespear'schen Sommernachtstraum im Vorjahr und der Uraufführung von Meine Bienen. Eine Schneise von Händl Klaus (2012). Die Linie ist eine ziemlich krumme Kurve.

 

Orpheus
Regie: Alexander Scott, Musikalische Leitung: Dominic Conway, Masken und Puppen: Max Humphries, Desing: Mary Drummond, Sounddesign: Ed Clarke
Mit: Clare Beresford, Dominic Conway, Miriam Gould, Charlie Penn, Tom Penn, Eugenie Pastor, Alexander Scott, Shamira Turner.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.salzburgerfestspiele.at
www.littlebulbtheatre.com

 


Kritikenrundschau

Mit "viel Musik und ostentativem, dabei durchaus virtuosem Quatsch lässt sich das Salzburger Publikum gerne das Grübeln über den Krieg austreiben", berichtet Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (13.8.2014). Von der Virtuosität des Slapsticks samt "drolligem Aberwitz" lässt er sich durchaus einnehmen, wendet allerdings ein: "Man kriegt also eine ziemlich durchgeknallte Orpheus-Nummer mit Schlange, Unterwelt und Göttern geliefert. Doch deren Ironie überschwemmt das Geschehen vor der Bühne. Alles wird zum Wir-tun-nur-so-als-ob, die Unterhaltung raubt ihrem Gegenstand jede Würde. Und ist dadurch auch nicht mehr komisch."

Eine "mehr als gelungene Premierenaufführung" erlebte Nicole Schnell von den Salzburger Nachrichten (13.8.2014). "Das diesjährige Festspiel-Thema 'Krieg' sucht man in diesem Stück vergeblich, was jedoch keinesfalls stört – ganz im Gegenteil. Zwischen all der Weltkriegs-Dramatik besticht 'Orpheus' trotz tragischen Themas durch Heiterkeit, einem bestens aufgelegten Ensemble, das voller Elan agiert und musiziert und einem Happy End."

Über "ein hinreißendes Gesamtkunstwerk" berichtet ein/e Autor/in unter dem Kürzel bp (Barbara Petsch?) in der Presse (13.8.2014). Die "Virtuosität der Künstler" findet sie "staunenswert: Sie musizieren, spielen, singen. Ihre irre Lust an der Sache wirkt ansteckend. Man möchte gleich aufspringen und mittanzen."

Dem/der Autor/in unter dem Kürzel mf von den Südtirol News (online 12.8.2014) hat dieser Abend "nur stückchenweise Spaß gemacht". Vom Orpheus-Mythos bleibe "nur gnadenlose Überzeichnung, Zucker für den Affen bis an die Grenzen zum Klamauk. Und gelegentlich auch deutlich darüber." Die Akteure böten dabei "einen flotten Mix aus Jazz, Tanzmusik und Liedchen aller Art, bedienen sich bei Rock und Pop, spielen gut und können, was sie tun." Allerdings: "Für sich gesehen ist die Musik aber doch zu wenig virtuos und berührt nur am Rande."

Eine echte "Trouvaille" ist "Orpheus" für Frederik Hanssen vom Berliner Tagesspiegel (14.8.2014). Mit "feinstem britischen Humor" schössen hier "alle erdenklichen Genres" durcheinander. "Ein hinreißendes, zwischen Pathos und Selbstironie changierendes Spektakel" sei das.

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