Presseschau vom 5. September 2014 – Das Wirtschaftsmagazin brand eins über das deutsche Stadttheater am Beispiel des Thalia Theaters Hamburg

Paradoxe Organisation

Paradoxe Organisation

5. September 2014. In seiner September-Ausgabe veranstaltet das Wirtschaftsmagazin brand eins einen Schwerpunkt zur Arbeit. In dessen Rahmen kommt auch der Berliner Journalist Peter Laudenbach zu Wort, der die "paradoxe Organisation" Stadttheater am Beispiel des Hamburger Thalia Theaters vorstellt.

Paradox ist die Organisation Stadttheater deshalb, weil dort "Kunst und öffentlicher Dienst", "Improvisation und Hierarchie" aufeinander träfen. Schreibt Laudenbach.
Dann handelt er von den zwei Fraktionen der Belegschaft: den Künstlerinnen und den Angestellten aus Technik und Verwaltung, von ihren Interessenvertretungen, ihrer Arbeitssituation, von der Stellung und der Praxis des Intendanten, von der Machtlosigkeit der Regisseurinnen, wenn es ihnen nicht gelingt, die Schauspieler und auch die Bühnengewerke zu gemeinsamer Faszination am jeweiligen Stoff zu verführen.

Arbeitsorganisation

Interessant welche Formen der Interessenkonflikt zwischen den Vertretungen der Techniker und den Ansprüchen der künstlerischen Arbeit annehmen kann: " 'Die Art, wie wir gern Arbeit organisieren möchten, und die Vorstellungen von Verdi sind nicht identisch', sagt Thalia-Intendant Joachim Lux diplomatisch. 'Wenn wir zum Beispiel die Arbeitszeitdienstpläne unserer Gastspiele zu spät vorlegen, kann es zu juristischen Auseinandersetzungen mit unserem Betriebsrat kommen. Wir müssen theoretisch die Dienstpläne schreiben, bevor wir wissen, wie unser Gastspiel in Schanghai, Avignon oder Sankt Petersburg aussieht. Oft wissen wir selbst vor Ort noch nicht genau, wie die Arbeit zwischen unseren Leuten und denen vor Ort organisiert wird.'"

Leider seien flexiblere Arbeitsbedingungen derzeit nicht durchsetzbar. (Warum das so ist, in einer Zeit, in der sich Arbeitnehmer ganz anderen Zumutungen ausgesetzt sehen, erklärt Laudenbach nicht – jnm).

Gagen

Besonders interessant ist die Passage, in der Laudenbach den inzwischen pensionierten Thalia-Geschäftsführer Ludwig von Otting zu Wort kommen lässt. Von Otting war 29 Jahre Geschäftsführer des Theaters. Er beklagt, dass die durchschnittliche Schauspieler-Gage in den 20 Jahren zwischen 1992 und 2012 um 22 Prozent gestiegen sei, "ein Prozent im Jahr, deutlich unter der Inflationsrate. Im selben Zeitraum sind die Verdi-Tarife um 67 Prozent gestiegen." Die Durchschnittsgage am Thalia Theater liege heute bei 4000 Euro. Wenig mehr, als ein Bühnenmeister verdiene, dessen Arbeitsplatz allerdings deutlich sicherer sei.

Folgen der Kürzungen

Die Erhöhungen der staatlichen Förderung für das Thalia Theater, von 12 Millionen Euro 1990 auf knapp 21 Millionen Euro 2013, hätten die Tariferhöhungen und die Inflation nicht ausgeglichen. Von Otting: "De facto eine Kürzung im Millionenbereich". Das Ensemble sei geschrumpft, die Bühnenbild-Etats reduziert. Ob ein "Platonow" in historischen Kostümen wie der von Jürgen Flimm Ende der achtziger Jahre inszenierte, heute überhaupt noch möglich sei, stehe in Frage.

Immerhin sei die Zeit der Großregisseure mit egozentrischen Herrscherallüren vorbei, Exzesse bei den Gagen gäbe es nicht mehr. Weil Geld für Material und Personal knapp geworden ist, müssen Theaterleiter, Regisseure oder Bühnenbildner um die Mitarbeiter werben. Ludwig von Otting: "Bei einer Generalprobe zum Beispiel müssen die Techniker hochkonzentriert sein. Wenn die Dienst nach Vorschrift machen, ist die Generalprobe gelaufen. Demotivierte Techniker ziehen alle runter."

Effizienzsteigerung nur in anderem Theater

Um den Theaterbetrieb "effizienter zu organisieren" müsste man "ein neues Multiplex-Theater bauen, mit mehreren Bühnen und großen Seitenbühnen mit Platz für komplett aufgebaute Bühnenbilder." –"Man könnte produktionsbezogene Technik-Crews mit technischen Allroundern und einzelnen Spezialisten für jede Produktion zusammenstellen, statt alles in getrennten Abteilungen zu organisieren (...) Aber das wäre nur bei einer Theater-Neugründung durchsetzbar."

Zahlen

Den ganzen Artikel finden Sie in brand eins 9/2014 am Kiosk Ihrer Wahl.

(jnm)

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