Cyrano de Bergerac - Rostands Mantel- und Nasenklassiker bei den Heidelberger Schlossfestspielen
Der Fechter von der traurigen Gestalt
von Esther Boldt
Heidelberg, 4. Juli 2008. Es ist der Stoff, aus dem das Sommertheater ist: Tragische Liebe, komische Helden, dekorative Gefechte und eine historische Kulisse. Im Heidelberger Schlossgarten sinkt die Sonne, im Rücken fließt tiefgrün der Neckar, und das Leben könnte so schön sein. Doch in Edmond Rostands "Cyrano de Bergerac", dem Mantel- und Degenklassiker, ist natürlich gar nichts in Ordnung.
Dabei ist das Problem nur einige Zentimeter lang und legendär: Die Nase. Cleopatra hatte eine, so schön, dass man von ihr nur in Versalien sprach. Aber sie kann auch missraten: Zwerg Nase ist ein hässlicher Vertreter, des Holzmanns Pinocchios Nase wächst beim Lügen, und Virginia Woolf litt ebenfalls unter der Überlänge ihres Riechorgans – wohingegen Nicole Kidman für ihre Darstellung der britischen Dichterin wohl gerade wegen der angeklebten Nase einen Oscar erntete. Auch Cyrano de Bergerac, dem Fechter von der tragischen Gestalt, steht mitten im Gesicht ein enormer Zinken.
Im Ganzen eher zierlich
Er ist mit Wort und Degen schlagfertig, schämt sich seines entstellten Gesichts aber derart, dass er der schönen Cousine Roxane unmöglich seine Liebe gestehen kann. Indem er dem tumben, aber schönen Christian seine Worte einflüstert, kann er Roxane doch gewinnen – so weit, so bekannt. Heutzutage könnte man den Schaden mit plastischer Chirurgie schnell beheben. So aber stilisiert sich Cyrano de Bergerac zum Berserker mit geradem Rückrad, der keinem Herrn untertänig ist und rachsüchtig heimzahlt, wenn ihm vermeintliches Unrecht geschieht.
In Cilli Drexels Inszenierung bei den Heidelberger Schlossfestspielen ist seine Nase nicht obszön. Sie ist lang und spitz, im Ganzen eher zierlich. Benjamin Hille als Cyrano kommt einem einfach zu jung vor, er tänzelt, einen schwarzen Hut auf dem Kopf wie Charlie Chaplins Melone, dichtet so aus dem Handgelenk und gibt mit eher flegelhaftem Grinsen jedem mal eins auf die Mütze. Zusammen mit Christian de Neuvillette (Björn Bronner) gibt Cyrano ein schräges zweiköpfiges Wesen ab: Dieser hat die Schönheit, jener die Wortgewandtheit, um Roxane zu becircen. Natürlich zählt am Ende der schöne Geist, die feine Seele, die kein Chirurg konstruieren kann.
Das Bühnenbild stellt ein schlichter Rahmen mit rotem Vorhang, der Theater mit dem Theater macht, doch allgemein setzt man sich lieber auf die Pointen drauf – und sitzt dort eine Weile gut. Drexel und ihre Ausstatterin Hannah Landes verorten das Geschehen im historischen Irgendwo, mit Rüschenhemden und Reifrockzitaten bleibt man zunächst in der Nähe des 17. Jahrhunderts, später aber tragen Nonnen Cowboystiefel, die Bilder von der Front erinnern an den Ersten Weltkrieg und der Offizier Guiche lässt sich auf dem Motorrad vorfahren. Ein verwirrender Reigen, dessen Stoßrichtung diffus bleibt.
Unerklärlicher Wandel
Weil Sommer ist, wird alles auf die leichte Schulter genommen. Was durchaus komisch sein kann. Wie in der zentralen Szene unter Roxanes Balkon, wo sich ein witziges Scharade-Spiel entwickelt, in dem Cyrano Christian die Worte als stumm gestikulierender Souffleur in den Mund legt. Cilli Drexel lässt in langen Spielszenen den Schauspielern die Leinen los, und mit denen gehen sichtbar die Komödianten durch – was leider auch nach hinten losgehen kann. Holger Stockhaus gibt als Guiche den Prahlhans vom Dienst inklusive minutenlanger Steppnummer und wildem Tanz im Eulenkostüm. Antonia Mohr greift im Überschwang ganz daneben und macht aus Duenna eine naschende Debile. Doch was will uns das erzählen? Man weiß es nicht.
Nach der Pause dann der große Bruch: Da ist es aus mit karnevalesker Fröhlichkeit und eloquenten Büttenreden. Da ziehen Rauchschwaden über die Schlachtfelder von Verdun, der doppelköpfige Held ist angeschlagen, und die Schönheit stirbt zuerst. Die romantische Komödie, die kaltschnäuzige Übertreibung wird zum Melodram. Ein einigermaßen unerklärlicher Wandel, der den schenkelklopfenden ersten Teil stringent und gut gestrickt erscheinen lässt.
Cyrano de Bergerac
von Edmond Rostand
Neubearbeitung von Carsten Ramm
Regie: Cilli Drexel, Bühne und Kostüme: Hannah Landes, Kämpfe: Klaus Figge.
Mit: Benjamin Hille, Joanna Kitzl, Björn Bonn, Holger Stockhaus, Jens Koch, Hagen von der Lieth, Klaus Codfalka-Adami, Antonia Mohr, Alexander Peutz, Simone Mende u.a.
www.schlossfestspiele-heidelberg.de
Wie die Regisseurin Cilli Drexel sonst so inszeniert? Lesen Sie hier.
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