Gegenwartsdramatik – Mit dem Verband VTheA und dem theaterautor*innen-netzwerk sind gleich zwei neue Autoren-Organisationen entstanden
Schulterschluss der Einzelkämpfer
von Michael Wolf
13. November 2020. Dramatiker haben im Theaterbetrieb einen schweren Stand. So orientiert sich die Spielplangestaltung der Häuser meist nicht an Stücken, sondern an den Regisseuren. Auch die Dramaturgen haben es in vielerlei Hinsicht leichter, sie wissen eine Institution und meist auch eine Festanstellung im Rücken. Theaterautoren hingegen waren bislang ästhetisch wie ökonomisch Einzelkämpfer. In der Corona-Krise sehen sie nun ihre Tantiemen und damit ihr Einkommen wegbrechen. Es scheint geradezu überfällig, dass sie sich eine Interessenvertretung schaffen, um ihren Anliegen mehr Gewicht zu verleihen.
Kommentar: Iris Laufenberg wird Intendantin des Deutschen Theaters Berlin
Startschuss für eine neue Ära
von Georg Kasch
6. November 2020. Das ist eine Überraschung: Iris Laufenberg wird von der Spielzeit 2023/24 an Intendantin des Deutschen Theaters Berlin (DT). Wer sich zuletzt durch die Gerüchteküche hörte, vernahm Namen wie Ersan Mondtag, Hasko Weber, Thomas Oberender. Auch Anna Bergmann galt mal als Anwärterin, nachdem die hoch gehandelte Karin Beier sich zu Hamburg und dem Deutschen Schauspielhaus bekannt hatte und Shermin Langhoff (die ihre Ambitionen selbst öffentlich gemacht hatte) am Maxim Gorki Theater verlängert wurde. Manche wetteten auf einen Mensch mit Ost-Biografie. Aber jemand mit Station in Graz? Es gibt wenige Häuser im deutschsprachigen Gebiet, die weiter von Berlin entfernt liegen. Aber diese Grazerin ist eine Heimkehrerin.
Von der Systemrelevanz der Kunst – Essay von Sarah Waterfeld
Wash your dirty hands
von Sarah Waterfeld
5. November 2020. Neuerdings beharren Kulturschaffende auf der Systemrelevanz der Kunst. Die Systemrelevanz der Theater wollen nicht wenige im löblichen Engagement gegen Rassismus, Sexismus und andere Diskriminierungsformen oder gar kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse sehen, denn Theater sind dezidiert keine reinen Unterhaltungstempel, sondern Diskursstätten, in denen aufgeklärt, analysiert, historisiert wird.
Theaterpodcast (30) – Geschmacksurteil oder Kunstverstand? Theaterkritik in Zeiten von Social Media
Vom Hammer und der Freundlichkeit
4. November 2020. Theaterkritiker*innen sind eine vom Aussterben bedrohte Art. Der Grund dafür: eine dramatisch veränderte Medienlandschaft. Jobs und Plätze für Theaterkritik werden seit Jahren knapper. Die einstigen Großkritker*innen haben längst ihre Hochsitze in den Feuilletons geräumt. Die Rolle der Kritiker*innen als Stellvertreter*innen des Publikums ist fragwürdig geworden, denn "das" Publikum gibt es nicht mehr. Unterschiedliche Zielgruppen tauschen sich über eigene Kanäle in den sozialen Medien aus. Für Literaturkritikerin Sigrid Löffler ist dieses "elektronische Stammtischgeschnatter" eine "unerwünschte Konkurrenz" zum professionellen Kultur-Urteil.
Burning Issues – Auf Kampnagel Hamburg diskutieren Theatermacher*innen Strategien zum Abbau von Diskriminierung
Mehr als Genderfragen
von Falk Schreiber
Hamburg, 2. November 2020. Sympathisch, wie Amelie Deuflhard der Fauxpas gleich bei den einleitenden Worten unterläuft. Die Intendantin des Hamburger Produktionshauses Kampnagel begrüßt die Besucher*innen des vom Ensemble Netzwerk initiierten Geschlechtergerechtigkeits-Arbeitswochenendes "Burning Issues", erwähnt kurz den bevorstehenden Lockdown, bedauert "Wozu sollen unsere Theaterräume gut sein, wenn wir sie nicht live bespielen dürfen?", freut sich, dass die mittlerweile dritte "Burning Issues"-Ausgabe trotz Lockdown und Pandemiebeschränkungen vor Ort (und im Livestream) stattfinden kann. Und erklärt "Das Festiv… die Konferenz!“ für eröffnet.
Internationaler Gastspiel- und Reisebetrieb – Ein Plädoyer für klimabewusstes Reisen, für Nord-Südausgleich und gegen Beschränkungen für diejenigen, die sowieso am meisten unter Restriktionen leiden
Nicht spalten, sondern solidarisieren
von Monika Gintersdorfer
in Zusammenarbeit mit Dalel Bacre, Madhusree Dutta, Hauke Heumann, Sarah Israel, Octopus, Schellhammer/Mukenge, Felizitas Stilleke und Gregor Zoch
29. Oktober 2020. Dieser Text ist eine Reaktion auf Veröffentlichungen der letzten Monate zum Thema Klimaschutz und Reisen beziehungsweise NICHT-REISEN von Künstler*innen. Für mich sehr aufwühlend und bedrohlich, aber ich versuchs mit einer kühleren Bestandsaufnahme, bei der mir Künstler:innen und Kollektive in Gesprächen und E-Mails geholfen haben.
Netztheater – Aus dem Maschinenraum der Webserie "Dekalog" vom Schauspielhaus Zürich
"Es braucht ganzheitliche Lösungen"
Christopher Rüping, Katinka Deecke und Timo Raddatz im Interview mit Christian Rakow
28. Oktober 2020. Mit "Dekalog" schuf das Schauspielhaus Zürich im April und Mai dieses Jahres eine mehrteilige Netztheater-Serie über moralische Dilemmata und existenzielle Handlungszwänge (hier die Nachtkritik vom Aufktakt). Angelehnt an die gleichnamige Filmreihe von Krzysztof Kieślowski wurden zeitgenössische Erzählungen im Lichte der biblischen Gebote entfaltet: von "Du sollst keine Götter haben neben mir" bis zu "Du sollst nicht neidisch sein". Die Erzählungen wurden als Monologe im Bühnenraum des Zürcher Schiffbaus live aufgeführt, abgefilmt und parallel über die Website des Schauspielhauses einmalig live ausgestrahlt. Bis zu 1000 Zuschauer*innen schalteten sich pro Episode ein.
Kommentar: Warum der zweite Lockdown für Theater und Künstler*innen wie eine Ohrfeige wirkt
Bildet Banden!
von Georg Kasch
28. Oktober 2020. Es ist ein bitteres Déjà-vu: Theater, Opern- und Konzerthäuser müssen schließen. Montag geht's los in Deutschland. Besonders schmerzhaft ist diesmal das Label, unter das die Kulturbetriebe zumindest in Deutschland fallen: nicht Bildung, sondern Unterhaltung. Deren Besuch ist nämlich ab dem 2. November in Deutschland verboten, jedenfalls außerhalb der eigenen vier Wände. Im Entwurf zu den heutigen Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Landeschef*innen werden Theater in einem Atemzug mit Messen, Kinos, Freizeitparks, Vereinssport und Fitnessstudios genannt, aber ebenso mit Wettbüros und Bordellen.
Dramatiker Konstantin Küspert über die Renaissance der Rampensau in sozialmedialen Theaterräumen
Die performative Parallelwelt von TikTok
von Konstantin Küspert
22. Oktober 2020. Das komische Gefühl verschwindet schnell. Das komische Gefühl auf einem Schulhof zu sein. Als über 30jähriger 14jährige bei eitlem Verhalten zu beobachten. Das hört auf, sobald die Algorithmen trainiert sind, und mir mehr und mehr gut gemachte, überraschende, witzige und vor allem sprühend kreative Kurzvideos gezeigt werden, auf der "fyp", der "for you page" von TikTok.
Eine Auswahl aus dem Netztheater-Band von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung
Netztheater. Positionen | Praxis | Produktionen
Berlin, 21. Oktober 2020. Seit 2013 veranstalten die Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de gemeinsam die Konferenz "Theater und Netz" in Berlin. In diesem Jahr musste die Zusammenkunft ausfallen. Coronabedingt. Aber Corona brachte nicht nur Einbußen, sondern auch einen Schub für die Themen der Netz-Konferenz.