Theaterbrief aus London – Großbritanniens immersive Theaterszene im Lockdown
Keine Show ohne Publikum
von Alice Saville
August/Dezember 2020. Während des Lockdown boten Großbritanniens Theater dem krisengebeutelten Publikum Online-Theater in Not-Rationen: Aufzeichnungen alter Produktionen, Online-Monologe und Livestreams von Stücken, die vor leeren Sälen aufgeführt wurden. Bei den Künstler*innen hat dieser Ansturm von digitalem Gratis-Theater gemischte Gefühle hinterlassen. "Gleich zu Beginn des Lockdown las ich einen Artikel, in dem es hieß: 'Warum sollte ich mir eine Lesung von Hedda Gabler ansehen, statt Tiger King auf Netflix?'", sagt Emma Blackman. "Und es stimmt ja: Das Theater hat eine beschissene Ausstattung im Vergleich zu Netflix." Die Online-Aufführungen, mit denen sie sich hingegen wirklich beschäftigt habe, "waren diejenigen, die mir als Zuschauer*in eine gewisse Autorität verliehen haben".
Great Britain's immersive theatre scene, going strong in pandemic times
No show without an audience
by Alice Saville
August/December 2020. As the UK's theatres closed, they offered emergency rations of online theatre to crisis-hit audiences; archive recordings, online monologues, and livestreams of works performed to empty auditoriums. But some people had mixed feelings about this onslaught of free digital theatre. As Emma Blackman told me, "Right at the beginning of lockdown, I read an article that said 'Why would I watch a reading of Hedda Gabler, instead of Tiger King on Netflix?' Theatre’s got crappy equipment compared to the monster that is Netflix. The performances that I engaged with online during lockdown were the ones that gave me agency as an audience member."
Theaterbrief aus Moskau – Olga Fedianina über die Pandemie-Spielzeit in Russland
Theater am Draht
von Olga Fedianina
28. November 2020. Am Anfang war es wie überall. Ab Mitte März wurden die Theater in Russland nach und nach geschlossen. Angekündigt waren zunächst drei bis fünf Wochen Schließung. Insgeheim aber wussten alle, dass die Spielzeit damit zu Ende war. Die allgemeine Stimmung war mehr als schlecht, und die Strategie hieß erst einmal: Präsenz aufrechterhalten, um nicht aus dem Alltag der Menschen zu verschwinden. Es gab Panik, aber auch spürbare Neugier: Wieviel Herausforderung steckt in der Katastrophe? Das heutige Theater wird immer medialer, immer vernetzter, immer stärker von digitalen Welten durchdrungen. Theater im Netz soll sowieso bald kommen, warum also nicht jetzt!
Theaterbrief aus Frankreich – Joseph Hanimann über französische Theaterexperimente im Lockdown
"Wo sind Sie gerade?"
von Joseph Hanimann
Paris, 23. November 2020. Improvisation ist dem französischen Theater nicht unbekannt. Durch die Dauerimprovisation aufgrund ständig wechselnder Covid-Maßnahmen sind die Theater in Frankreich aber an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und Experimentierfreude geraten. Nach dem Lockdown des Frühjahrs hatten sie einen reichhaltigen Saisonstart mit den entsprechenden sanitären Vorsichtsregeln ausgearbeitet, jedes auf eigene Weise. Für seine "Iphigenie" von Racine, eines der Highlights der neuen Spielzeit, hatte Stéphane Braunschweig am Théâtre de l’Odéon mit zwei gesondert spielenden Besetzungsteams geprobt, damit die Produktion weiterlaufen kann, falls ein Schauspieler positiv getestet wird. Doch auch das half nichts. Nach der Mitte Oktober verhängten Ausgangssperre ab 21 Uhr in Paris und anderen Städten, die die Aufführungen ins enge Zeitfenster zwischen Feierabend und Abendruhe zwängte, kam zwei Wochen später der zweite Lockdown fürs ganze Land. Und damit die Rückkehr für alle ans Fenster der Computerbildschirme.
Theaterbrief aus Griechenland – Savas Patsalidis über die Auswirkungen der Krise auf die griechische Theaterlandschaft und ihre Fragen an die Zukunft des Theaters
Prosperos Bann
von Savas Patsalidis
Athen, November 2020. Wenige Jahre nach den Olympischen Sommerspielen von 2004 in Griechenland und der Hochstimmung, die sie begleitet hatte, erlebte die griechische Wirtschaft 2010 einen epochalen Zusammenbruch, dessen Folgen fast ein Jahrzehnt lang andauerten. Die Theaterszene war davon völlig unvorbereitet getroffen worden. Die Geldnot brachte enorme Schulden mit sich, unbezahlte Mieten und Probleme bei der Bezahlung der Mitarbeiter*innen. Selbst großen Häusern – denen es zunächst noch gelungen war, ihre Standards aufrechtzuerhalten – ging schließlich die Luft aus.
A Letter from Kosovo – "The Return of Karl May" by Jeton Neziraj, commissioned by Volksbühne's "PostWest" festival, premieres in Prishtina
Handke And The Frog
by Natasha Tripney
Prishtina / Kosovo, October 2020. Jeton Neziraj's new play "The Return of Karl May", a co-production between Berlin’s Volksbühne, Kosovo's Qendra Multimedia and the National Theatre of Kosovo, was the first play to premiere in Prishtina after theatres were allowed to reopen earlier this month. The play's journey to the stage has not been straightforward, though that’s true of most productions this year. It is was originally intended to premiere in Berlin in May, as part of the Volksbühne's PostWest Festival, a transcultural theatre festival intended to bring together artists from ten countries in eastern Europe in order to interrogate what it means to be 'Eastern European' as well as, according to curator Alina Aleshchenko, to create a space for "cooperation and exchange" between theatre makers from these countries.
Theaterbrief aus dem Kosovo – "Die Rückkehr von Karl May" von Jeton Neziraj, im Auftrag des Festivals "PostWest" der Berliner Volksbühne jetzt in Prishtina uraufgeführt
Handke und der Frosch
von Natasha Tripney
Prishtina / Kosovo, Oktober 2020. Jeton Nezirajs neues Stück "Die Rückkehr von Karl May", eine Koproduktion der Berliner Volksbühne, der Qendra Multimedia Kosovo und des Nationaltheaters des Kosovo, war das erste Stück, das in Prishtina uraufgeführt wurde, nachdem die Theater Anfang des Monats wiedereröffnet werden konnten. Der Weg des Stücks auf die Bühne war nicht einfach, was für die meisten Produktionen dieses Jahres gilt. Ursprünglich sollte es im Mai in Berlin uraufgeführt werden, und zwar im Rahmen von PostWest in der Berliner Volksbühne, einem transkulturellen Theaterfestival, das Künstler*innen aus zehn osteuropäischen Ländern zusammenbringen wollte. Fragestellung des Festival war: was bedeutet es, "osteuropäisch" zu sein. Darüber hinaus wollte PostWest einen Raum für "Zusammenarbeit und Austausch" zwischen Theatermachern aus diesen Ländern schaffen, so die Kuratorin Alina Aleshchenko.
Theaterbrief aus Ungarn – Im Protest ungarischer Theaterstudent*innen geht es um viel mehr als eine Universitätsreform
Dieser Protest ist stärker
von Noémi Herczog
22. September 2020. Ich kann mich an kein stärkeres und aufbauenderes Zeichen des politischen Protests in Ungarn der letzten Jahre erinnern, als den Widerstand der Studierenden der Universität für Theater- und Filmkunst in Budapest, kurz: SZFE. Junge Schauspieler*innen, angehende Theaterpädagog*innen, Regisseur*innen, Kameraleute, Cutter*innen und Dramaturg*innen setzen sich für ihre Rechte ein und besetzen ihre Universität, blockieren die Eingänge, um sicherzustellen, dass die von der Regierung ernannten neuen Kurator*innen nicht eintreten können. Mit dieser Besetzung geben die Studierenden vielen von uns in diesem Land gerade Hoffnung.
Theaterbrief aus New York – Die Theaterszene zwischen Coronastillstand und der Wucht der #BlackLivesMatter-Proteste
Im Ausnahmezustand
von Verena Harzer
New York, Juni 2020. Das war wohl kein einfacher Schritt für den Schwarzen Schauspieler und Autor Griffin Matthews. Und doch hat er ihn gemacht. Mit einer Video-Botschaft Anfang Juni, auf Twitter, Facebook und Instagram. Überschrieben ist sie mit "Broadway is racist". Dahinter steht der Hashtag #burnitdown, Brennt den Broadway nieder.
Theatre letter from London (4) – How the the conversation about why the UK’s theatre must be saved should change
Not Another Failing Business
by Alice Saville
London, 14 June 2020. Theatre is good at stories. Telling them, retelling them, and using novel forms to make them bite in new ways. And as the coronavirus pandemic makes live theatre performances all but impossible, the UK theatres must marshall all their resources to tell a story that's both painful, and central to their survival; the one which explains why theatre companies and buildings must be preserved in a time of crisis.