Kommentar zur Debatte um die Spielplanabstimmung des Hamburger Thalia Theaters
Ruf ins Dunkel der Netzgesellschaft
von Georg Kasch
6. Dezember 2011. Manipulation! Betrug! Autoritäre Köpfe, wohin das Auge blicket!, rufen die KommenatorInnen auf nachtkritik.de. Das Hamburger Thalia Theater, das vor einigen Wochen sein Publikum dazu aufrief, über den halben Spielplan der nächsten Spielzeit abzustimmen, trete die Netzdemokratie mit Füßen! Denn dem Aufruf folgten ein ungeahnter Hype um unbekannte Stücktitel, missverständliche Posts auf Thalias Facebook-Seite und offene Lobbyarbeit einiger Autoren. Hätte sich das das Thalia nicht denken können?, fragt der Postdramatiker auf seinem Blog. Die Häme ist groß, noch größer das Misstrauen: Steht das Abendland auf dem Spiel, gar die Demokratie?

Im Gegenteil. Das Hamburger Thalia, eine von Deutschlands renommiertesten Bühnen, hat etwas versucht, was auch in der Stadttheaterdebatte explizit gefordert wurde: Zuschauerpartizipation. Und zwar nicht nur vom treuen Abopublikum, sondern von allen, überall. Immerhin muss man bei der Abstimmung über vier Positionen des kommenden Spielplans (die drei erst platzierten plus ein Titel aus allen genannten) Namen und Adresse angeben, so dass Mehrfachvoten einigermaßen unwahrscheinlich werden (bzw. mit einigem Aufwand verbunden sind). Der Rest ist ein Rufen in den großen dunklen Wald der Netzgesellschaft (natürlich kann man auch per Post oder persönlich abstimmen) – ohne zu wissen, wie es von dort wieder herausschallt.
Schwarmintelligenz nicht garantiert
Das ist auch auf nachtkritik.de nicht anders. Auch wir haben unsere Erfahrungen mit der Netzgesellschaft gemacht. Von dort weht ein rauer Wind: Manipulationen lassen sich nie ausschließen. Und dass nun – nur zum Beispiel – aus den putzigen Flashmobs punktuell neuerdings auch Flashrobs werden (das meint Leute, die sich über Facebook zum Massenklauen verabreden, weil dagegen jeder Supermarkt machtlos ist), zeigt auch ziemlich deutlich, dass Schwärme im Netz nicht zwangsläufig auch die sprichwörtliche Schwarmintelligenz oder gar einen allgemeinen Nutzen produzieren.
War die Thalia-Öffnung Richtung Netzöffentlichkeit also blauäugig? "Nein", sagt Dramaturg Carl Hegemann, "wir wollten keine repräsentative Wahl, sondern Überraschungen." Schon in der ersten Pressemitteilung stehe ja, dass "dem Zufall Tür und Tor geöffnet" werde. Man wollte der Welt den Spiegel vorhalten, und siehe da: "Natürlich gibt's unter den Wählern Absprachen, Lobbyismus, Manipulationsversuche. Das ist in der parlamentarischen Demokratie nicht anders, trotz der Sicherungsinstanzen, die die haben."
Offensive der Lobbyisten?
Oder hapert's vielleicht nur an der Uneindeutigkeit der Sprache, in der der Partizipationsaufruf ans Publikum verfasst ist? Folgender Satz von der Thalia-Homepage lässt sich lesen, wie er ins jeweilige Weltbild passt: "Wir sind aber so optimistisch, anzunehmen, dass auch Internet-Wähler nicht alle bescheuert sind. Dass eine Mehrheit sich für ein Stück entscheiden könnte, das nicht mal eine Minderheit sehen will, ist ein absurder Gedanke."
Heißt das nun: Das Thalia wird alles dafür tun, dass es kein schlechtes Stück an die Spitze schafft, wie die Verschwörungstheoretiker vermuten? Oder will Hegemann damit sagen, dass auch die von Lobbys gepushten Stücke nicht ganz verkehrt sein können, weil schließlich niemand einen Text wählen würde, den er schlecht oder komplett misslungen findet? So jedenfalls erläutert Hegemann selbst seinen Aufruf im Gespräch mit nachtkritik.de. Dass dies so sei, sehe man doch auch daran, dass es im Zuge dieser Aktion auch Initiativen für einzelne Stücke über Facebook und das Internet gebe, es davon aber trotzdem nur wenige ins Thalia-Ranking schaffen.
Und diese Initiativen gingen garantiert nicht vom Thalia-Theater aus. Das bestätigt auch Annika Stadler, die die Facebook-Seite des Theaters betreut. Sie ist einigermaßen überrascht, dass die Ironie der Postings aus der Dramaturgieetage nur bedingt verstanden wird. "Wer sich über Jens Nielsens Stück 'Die Erbsenfrau' aufregt, kann sich doch mit seinen Freunden und der Familie zusammenschließen, um einen Gegenoffensive à la T. Halia Wilder starten. Zur Rettung des guten (gutbürgerlichen?) Geschmacks", heißt es etwa in einer Antwort auf einen User-Post. Auch sei die Fan-Page "Friedrich T. Halia Wilder", die zur Wahl von Stücken von "Marivaux, Wilder und Dürrenmatt" aufruft, kein Kind der Dramaturgie, sondern offensichtlich von theaternahen und -interessierten Bürgern gegründet worden. Was die Verdächtigungen gegen den aktuellen Kampnagel-Newsletter betrifft: Ich als regelmäßiger Leser (gerade weil sie immer so unglaublich subjektiv und respektlos sind, zu "Luxy" besonders) kann bestätigen, dass die schon immer so klangen.
"Freuen Sie sich nicht zu früh!"
Wirklich gar keine Manipulation, nicht mal Gelüste? Gegen eine Einmischung des Thalia sprechen jedenfalls die Zahlen: Bislang haben erst gute 1000 Leute abgestimmt – allein die Thalia-Facebook-Seite hat über 7000 Freunde. Außerdem behauptet Hegemann stoisch, die bisherigen Top-Plätze zu mögen: "Ich finde 'Peers Heimkehr' zum Beispiel eine richtig gute Idee, mit der wir uns in der Dramaturgie wahrscheinlich auch ohne die Abstimmung auseinandergesetzt hätten", behauptet Hegemann. Auch für die 'Erbsenfrau' oder 'Jack the Ripper' hat er angeblich ein Herz.
Egal, ob das nun Schönrednerei ist oder aufrichtiges Interesse: Erheblich ist diese Wahl im postdramatischen Zeitalter ohnehin nur bedingt. Schließlich steht die Art der Umsetzung nicht zur Wahl. "Freuen Sie sich nicht zu früh!", warnt auch das Thalia Theater (ironisch): "Die Umsetzung auf der Bühne bestimmen immer noch die Künstler unter Ausschöpfung der im Grundgesetz garantierten Kunstfreiheit." Was also Luk Perceval zum Beispiel aus dem "Jack the Ripper"-Musical machen würde, stehe auf einem vollkommen anderen Blatt.
Sammelbecken der Verschwörungstheoretiker
Interessant auch: Das Netz ist nicht so leicht einschätzbar, gerade weil es transparent erscheint, es aber nicht ist. Auch das Thalia Theater hat das inzwischen begriffen und will bis zum Wahlschluss am 16. Dezember keine neuen Zwischenergebnisse veröffentlichen (nur noch einmal, am 9.12.), damit es für Kampagnen-Führer mit Manipulationsabsichten schwerer wird, potenzielle Sieger abzuschätzen, um ihre Kampagnen danach auszurichten. Ein normaler Vorgang, findet Hegemann: "Was mich ärgert, sind die Verschwörungstheorien, das Nicht-Verstehen-Wollen, die fürchterlichen Verdächtigungen. Warum werden die jahrelangen Frotzeleien zwischen Thalia und Kampnagel jetzt plötzlich ernstgenommen?"
Weil das (anonyme) Netz von Anfang an ein Becken für Verschwörungstheoretiker war? Weil das Neue immer umstritten ist? Weil das Reden im Internet ein besonderer Balance-Akt ist? Wer spricht hier überhaupt? Spricht überhaupt jemand?
Vielleicht gibt es aus der ganzen aufkochenden Diskussion nur eine Lehre: Ironie im Netz unter Smiley-Verzicht? Funktioniert nicht.
nachtkritik.de kann mittlerweile auf über viereinhalb Jahre Kommentarpraxis zurückblicken. Im Februar 2011 etwa beleuchtete Nikolaus Merck in einem Vortrag für den Deutschen Bühnenverein, wie die Kommentare mit einer sich verändernden Öffentlichkeit zusammenhängen.
Für das Hamburger Abendblatt (12.12.2011) hat Armgard Seegers mit Joachim Lux und Carl Hegemann gesprochen. "Sollten nicht eigentlich Fachleute darüber entscheiden, welche Stücke in einem der größten und bedeutendsten deutschen Theater gezeigt werden? (...) Schmeißt sich das Thalia-Theater jetzt an die Zuschauer ran und vergisst dabei, auf Qualität zu achten?", fragt Seegers. Zwischen Kunst und Demokratie herrsche schließlich "eine prinzipielle Unvereinbarkeit, Gerechtigkeit in der Kunst gibt es nicht".
Hegemann erläutert ihr gegenüber noch mal die Intention: "Wir wollen wissen, ob die Menschen das Gleiche wählen, was die Statistik des deutschen Bühnenvereins als die beliebtesten Stücke auflistet. Wir imitieren eine demokratische Wahl." Die Kunst lebe auch "vom Risiko und der Bereitschaft, sich selbst überraschen zu lassen". Wenn nun etwas herauskomme, "das uns nicht passt, dann müssen wir versuchen, für uns und das Publikum das Beste daraus zu machen." Und Lux fügt hinzu: "Vom Theater wird behauptet, es stecke in der Krise. Insbesondere sei es elitär und brauche mehr Publikumsakzeptanz und -mitwirkung." Bei diesem "Experiment" sei "die Möglichkeit zum Scheitern inbegriffen".
Allerdings müsse er als Intendant "auch die übergeordneten Interessen des Betriebs bedenken. Wenn also die Grundvoraussetzungen nicht stimmen sollten, dann muss ich Schaden abwenden." Es gehe schließlich "um eine Publikumswahl am Thalia (...) und nicht an einer Klitsche", da gebe es Parameter, "das Niveau des Theaters wie auch seine ökonomischen Notwendigkeiten" betreffend. Dem Thalia könne niemand vorschreiben, was es aus den gewählten Stücken mache, so Hegemann. "Falls der absurde Fall eintreten sollte, dass die Mehrheit ein völlig blödes Stück wählen würde (was ich bis jetzt nicht sehe), könnte man zum Beispiel so ein Stück auf fünf Minuten zusammenstreichen und als Vorprogramm zu einer anderen Inszenierung aufführen. Wir werden jedenfalls keine Steuergelder für Schwachsinn verschwenden." Eines der in der Publikumsgunst weit oben stehenden, unbekannten Stücke hat Hegemann immerhin schon gelesen: "Es haben schon Regisseure aus schlechteren Vorlagen gute Inszenierungen gemacht."
Hegemann glaubt nicht, "dass die Zuschauer so dumm sind, auf die ersten Plätze nur absoluten Schrott zu wählen. Sonst müsste man ja das Vertrauen in die Demokratie komplett verlieren." "Demokratie und Manipulation" ließen sich "nicht immer fein säuberlich trennen. Ohne Facebook gibt's auch Absprachen. Demokratie erzeugt kuriose Ergebnisse." Und warum sollte jemand – fragt Lux –, der als Bürger alle vier Jahre wählen gehe und über Dinge abstimme, "von denen er häufig nicht viel versteht, die aber sein Leben möglicherweise noch mehr beeinflussen als das Theater", nicht auch den Spielplan des Theaters mitbestimmen. Das Ganze diene, so Hegemann, nicht nur der Auseinandersetzung mit dem Theater, sondern auch "mit den Merkwürdigkeiten der Demokratie", entwickle sich allmählich allerdings, so Joachim Lux, "mehr zu einem internetgestützten Happening mit zig Abstrusitäten, angeführt von unseren Freunden, den Spaßvögeln von Kampnagel".
Friederike Gräff von der taz-Nord (13.12.2011) findet es schwierig, sich auf die Sache einen Reim zu machen. Intendant Joachim Lux hat ihr gegenüber bekräftigt, dass es sich nicht um ein "Marketinginstrument" handele, sondern man herausfinden wolle, was die Zuschauer gern sehen würden. "Zuschauerbindung und Mitbestimmung, also eben jene Partizipation, die heute jeder fordert, der ein Publikum für sein Sachbuch oder seine Demo sucht." Doch die Sache habe ihre Fallstricke. Dass "Partikularinteressen eine gewisse Rolle" spielen würden, habe das Theater wohl vorausgesehen, "zumindest hat es eine Erklärung veröffentlicht, wonach Demokratie und Manipulation nahe beieinander liegen". Jetzt rudere Lux vorsichtig zurück. "Jede Wahl hat bestimmte Koordinaten", zitiert ihn Gräff, und man müsse berücksichtigen, dass das Große Haus auf 1.000 Zuschauer angelegt sei und man sich deshalb eine Inszenierung, die nur 50 Leute anlockte, nicht leisten könne. "Das hätte vielleicht im Kleingedruckten stehen sollen", schreibt Gräff und kommt dann noch kurz auf die Manipulationsvorwürfen und "Verschwörungstheorien im Internet" zu sprechen.
In einer Randglosse vergleicht Peter Kümmel in der Zeit (15.12.2011) die Thalia-Aktion mit Günther Jauchs Publikumsjoker: "Er wird immer dann eingesetzt, wenn der Kandidat in eine Notlage geraten ist." Ob das wohl auch für die wackeren Thalia-Leute gelte? Sei ihre Aktion ein Versuch, sich als Avantgarde zu behaupten auf dem rauen Hamburger Theatermarkt? "Oder ist sie vielmehr die schlaue Parodie autonomer Künstler auf all die Publikumsbefragungen, auf die ausufernde Käuferverhaltensforschung, welche unsere Zeit beherrscht?" Kümmel lässt es offen und dafür eine weitere Beobachtung folgen: In der Schweiz "haben mehrere Theater eine Internetplattform gegründet, auf der sie ihre eigenen Premieren von freien Kritikern rezensieren lassen, und diese Kritiker werden honoriert von den Theatern selbst." (mehr dazu hier, hier und hier). Die Gesamtlage, so Kümmel locker-flockig, sehe also ungefähr folgendermaßen aus: "Die Bühnen agieren im Geiste einer großen Tradition; sie handeln, als wären sie Fürstenhöfe. Sie halten sich ein Publikum als dramaturgischen Beirat (Hamburg), und sie halten sich Kritiker als Hofnarren (Schweiz). All das im Dienste der Zuschauer, versteht sich."
Zunächst erschien der Thalia-"Volksentscheid" Michael Laages vom Deutschlandfunk (Kultur heute, 17.12., 17:30 Uhr) "bloß ulkig": Wie sich da "weniger das Publikum, als vielmehr einschlägig interessierte Theatermacher die Idee unter den Nage rissen" und plötzlich alles eine Chance hat, "wenn nur genügend gute Freunde mit-voten", eben auch jene hochgewählten Stücke, die "sonst kein halbwegs vernünftiges Theater haben will". Mit "derart viel krausem Zeug" würde sich das Thalia "aus der Riege der Top-Theater in Deutschland (...) für eine Weile verabschieden". Bei dem Ganzen gehe es nicht "um irgendeine Form von Repräsentativität, sondern um populistische Ad-hoc-Mehrheiten sozusagen auf Zuruf". Die Initiatoren liefen blindlings "einem Trugbild vom Wesen der Kunst" hinterher. Diese sei nämlich keineswegs demokratisch: "Wer Entscheidungen über künstlerische Ausdrucksformen dem Urteil der Mehrheit unterwirft, oder gar der Masse, läutet freier Kunst das Sterbeglöcklein. Kein Theater, das sich den Steuergeldern der Gesellschaft als Ganzes verpflichtet fühlt, darf sich der Entscheidung zufälliger Mehrheiten unterwerfen; auch nicht innerhalb der Minderheit derer, die sich überhaupt für so etwas interessieren." Entscheidend sei in der Kunst "die Überzeugungskraft derer, die Künstler sind, und sein müssen, oder wenigstens Vermittler von Kunst", also u.a. Theater-Intendanten. Gäben diese das "Selbst-Bewusstsein des Machers", Gestalters, Ideenstifters auf, seien sie "überflüssig". Deshalb bleibe das Thalia-Projekt eine "schlimme Schnapsidee", "gefährlicher, populistischer, kunstferner Unfug".
Man dürfe also getrost wetten, schreibt Christoph Twickel nach der Stimmauszählung am Sonntagabend auf Spiegel Online (18.12.2011) "dass von den gewählten Stücken keines den Weg in den regulären Spielplan findet." Twickel rekapituliert noch einmal das Unternehmen und wirft der Thalia-Führung vor, das "hoffnungslos vergurkte" Unternehmen nicht vorher abgeblasen zu haben. Spätestens die Tatsache, dass Interessensgruppen schwache Stücke an die Spitze katalputieren konnten, wäre aus Twickels Sicht Grund dafür gewesen. Inklusive einer Entschuldigung dafür, "dass man keine Ahnung vom Internet hat". Stattdessen habe sich Hegemann dazu entschlossen, "die Spielplanwahl durchzuziehen" Against all odds sozusagen. Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen habe bei der Diskussion nach der Wahl erklärt, dass sich Kunst und Mehrheitsentscheidungen nicht vertragen und darüber räsoniert, dass und warum das Bürgertum "das Gute, das Wahre und das Schöne" dem Plebiszitären entzogen habe. Die Hamburger Piratenpartei-Vorsitzende Anne Alter habe sogar versucht, Hegemann eine Grundregel der internetgestützten Basisdemokratie beizubringen: "Diese Systeme müssen übernahmesicher gegen Interessengruppen sein." Twickel weiter: "Alles vergebens. Man habe mit dieser Abstimmung etwas erzeugt, was sich nach herrschenden Kulturkriterien nicht legitimieren lasse und mit dem man sich jetzt künstlerisch auseinandersetzen wolle. Es gäbe doch eine Menge irrsinnige Stücke, aus denen man eine Menge machen könne."
Dass keines der gewählten Stücke je auf den Spielplan des Theaters finden wird, davon ist auch Till Briegleb überzeugt, der den Fall für die Süddeutsche Zeitung (19.12.2011) kommentiert. Ein voller Erfolg sei diese Aktion nur in einer Hinsicht gewesen: "In dieser Form wird garantiert nie wieder ein Theater in Deutschland seine Inkompetenz in Sachen Demokratie zur Schau stellen. Denn das Ergebnis dieses Versuchs, die Hälfte des Spielplans der nächsten Saison in einer unkontrollierten Abstimmung von jedermann bestimmen zu lassen, ist so hilfreich wie ein kongolesischer Diktator." Auch wenn Wahlvater Carl Hegemann sich am Wahlabend dem Eindruck Brieglebs zufolge "gewunden bemühte, intelligent klingende Ausflüchte zu formulieren, die dem schwachsinnigen Ergebnis die Würde eines echten demokratischen Experiments andichten, ist die Netto-Erkenntnis dieser Aktion doch ganz schlicht: Ein wenig Beschäftigung mit der Parademokratie der Klick-Medien hätte gereicht, um ein solches Resultat vorherzusehen. Das Image einer weltfernen Institution, das dem Theater gerne angeheftet wird, scheint durch diesen Schadensfall leider voll bestätigt. Aber wer gerne und laut von 'Schwarmintelligenz' redet, sie aber dann mit der Pseudodemokratie unterm 'Like'-Button verwechselt, der muss eben durch eine solche Blamage kuriert werden." Wobei der grundsätzliche Ansatz, der in Carl Hegemanns provozierender Idee einer Spielplanwahl durch das Publikum stecke, räumt Briegleb dennoch ein, nämlich "sich selbst einmal öffentlich zu hinterfragen, ja ein wunderbarer Stolperer in der monotonen Marschordnung deutscher Theatergewissheiten ist."
Zwei Tage später (21.12.2011) legt Briegleb in der Süddeutschen Zeitung noch einmal nach: Diese Wahl sei "ein exemplarisches Beispiel dafür, wie selbstverständlich hohl die Begriffe 'Demokratie' und 'Partizipation' mittlerweile sind". Die 'Demokratie', die hier gemeint sei, bezeichne man aber besser "als 'Wählen ohne Argument und Verantwortung'. Unkontrollierte Abstimmungen ohne Konsequenzen für den Wählenden zeugen eben nicht von der Herrschaft des Volkes, sondern von moderner Marktforschung. Like-Buttons, Netzbewertungen und Internetabstimmungen dienen vor allem der Impulsabfrage zum Erzeugen von Stimmungsbildern, mit der Unternehmen ihre Angebote besser justieren können." Die Geste dieser Spielplan-Wahl, "wir schenken euch jetzt Mündigkeit", habe die erste Lebensregel der Demokratie völlig außer Acht gelassen: "Demokratie muss gefordert, nicht gewährt werden." Aber habe jemand eine Spielplan-Beteiligung gefordert? Echt demokratisch abstimmen könne der Zuschauer hinterher, an der Kasse. "Das ist seine Verantwortung, und dort hat sein Votum auch Konsequenzen. Wir leben schließlich im Kapitalismus."
In der Welt (21.12.2011) setzt Alan Posener die Thalia-Abstimmung zu einem Nicht-Ereignis in Beziehung, nämich der Nicht-Einladung des Londonder Richard III. mit Kevin Spacey durch die Spielzeit Europa der Berliner Festspiele. Wenn Joachim Sartorius eine Inszenierung als "Mainstream" abtue, weil sie auf "die Mätzchen des Regietheaters" verzichte, müsse man sich andererseits nicht "über fehlende Resonanz und Relevanz" wundern wie in Hamburg, wo sich Joachim Lux mit der Abstimmung blamiert habe. "Vielleicht sollte er einfach einer Hollywood-Größe Platz machen. So jemand bringt die Kunst vielleicht nicht voran, wohl aber unters Volk. Und darauf kommt es an."
Auch der für seine Internetaffinität nicht gerade bekannte Kritiker Gerhard Stadelmeier hat sich zu einer Glosse hinreißen lassen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.12.2011) steigt er – naheliegend – mit Lessings "Hamburgischer Dramaturgie" ein, um dann zu berichten, dass das Thalia nicht nur auf einem abgestimmten Rock-Musical, einem Dürrenmatt und einem Wilder sitze, sondern "auch auf vielen, von Freundeskreisen mittels sozialer Netzwerke massenhaft, aber naturgemäß anonym gepushten Amateurdramen", die es nun "alles brav spielen" müsse. Was so nun auch wieder nicht stimmt. Das Verfahren sei ausbaufähig, ätzt Stadelmeier: "Das Publikum könnte ja solcherart Intendanten per Mausklick abwählen (Dramaturgen bitte sofort auch) – und vor allem das Schnapssortiment der Kantinen bestimmen, in dem ja nicht nur in Hamburg die besten Ideen stecken."
Und so haben die findigen Diagramm-Bastler von "Spielplandeutschland" die Sache aufbereitet.
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wenn eines der größten und bedeutendsten deutschen Stadttheater den halben Spielplan dilettantisch verjuxt, sich dann kommunikativ wie ein Elefant im Porzellanladen verhält und glaubt, "Scherben bringen Glück" trällernd aus der Sache entwischen zu können - wenn das und noch einiges mehr schon keiner Aufregung wert ist: warum tun sich dann Menschen die Mühe an, ein großartiges Theaterportal wie nachtkritik ins Netz zu stellen und mit ihrer Leidenschaft zu betreiben, um Theater kritisch zu begleiten und sich über Schlechtes aufzuregen?
1. es war dumm, zwischenstände bekannt zu geben.
2. die leute regen sich auf, weil sie eigentlich die (in unserer zeit) blauäugige, naive idee, dass jeder da ein kärtchen hinschickt und für ein stück wählt und sich weiter nichts denkt, verführerisch schön finden. sie trauern einer zeit hinterher, in der eine einfache wahl ohne ironie, kommentarebene, netzwerke usw. noch möglich gewesen wäre.
3. die gewünschte zuschauer-partizipation findet statt. nur eben hauptsächlich in der debatte außen herum. schlimm? nicht schlimm? weiß ich nicht. aber auf jedem fall real.
Und ein Buch von Jens Nielsen gibt es auch und zwar hier: www.menschenversand.ch/?sect=author&id=100029.
mir ist die lust am 'wahlspiel' vergangen; die flapsigen kampnagel kommentare geben anschaulich wieder, wie so der wind weht zwischen den häusern (von 'Luxy' bis 'Bob')und zeigen oder sollen zeigen,wie wenig wir, die wähler, das publikum (ohne das sie nicht existieren könnten)ernst genommen werden.
wenn die so geil auf 'Black Rider' sind, so sollen sie den doch auf ihren spielplan setzen. alles nur 'theater'.
ich bin für einen kleinen, feinen smart mob am 17. innen wie außen.
Na, da müssen sich diese Wünsche aber sputen, denn der letzte Zwischenstand ist meineserachtens schon einigermaßen fortgeschritten (siehe Thalia-Homepage zum letzten Zwischenstand vom 9.12.2011) und sieht "Peers Heimkehr" vor "Black Rider" und
"Die Erbsenfrau". Wer weiß, vielleicht war mein Einwand zu möglichen juristischen Problemen im Nachbarthread doch nicht ganz "ins Blaue" geschossen. Ich will wahrlich nicht gegen irgendeinen Wahlvorschlag mich (munkelnd) verwenden, aber bei "Peers Heimkehr" frage ich mich schon, ob die Wählerinnen und Wähler da nicht doch eine fest umrissene Produktion vor Augen haben mit bereits feststehenden Akteuren etcpp., also eben gerade nicht mehr das, was ich (vereinfachend) einen "Text" nannte. Wirft das keine Fragen und/oder etwaige Probleme auf ?? Offenbar ist weiterhin für Spannung gesorgt, wenn sie vielleicht auch auf einem Mißverständnis meinerseits beruht bzw. sich beschränkt..
Kleine Info.
Also ich rufe jetzt hier als Spasskulturpolitiker das alternative Voting für das Thalia aus und wünsche mir fünfhundert Stimmen für Curth Flatow.
Toi, toi, toi....
(der a Capella-Metal-Band) trennen lassen, und dies wäre dann wohl auch schade, denn offenbar wird das Projekt -folgt man wie ich dem
Van-Canto-Interview auf der Homepage der Band- schon über 4 Jahre mit einer gewissen Beharrlichkeit verfolgt/vorbereitet (im Interview steht auch sinngemäß, daß natürlich mit dem Thalia und den dortigen Profis zu "verhandeln" wäre, aber das klingt ganz sympathisch und "kampfeslustig", und man will auch nicht zu viel darüber im Vorfeld sagen, bevor der Bär oder Peer erlegt ist sozusagen).
Wenn Herr Hegemann eh auch sonst über "Peers Heimkehr" nachgedacht
hätte, so ist ihm das vermutlich schon im Vorfeld auch irgendwie bekannt gewesen (als ein Projekt, das irgendwie auf die Bühne drängt ...), was eigentlich dann eher dafür spräche, daß sich jene
Probleme und Fragen, die ich kurz skizzierte, keineswegs zwangsläufig einstellen müssen/müßten: eher im Gegenteil, was Peer angeht.
Das ändert nichts daran, daß ich hier immernoch ein wenig dazu tendiere, in etwaigen juristischen Szenarien um Text-versus-Projekt
eine gewisse Achillesferse des Spielplan-Votings zu sehen, aber, da meine diesbezüglichen Einlassungen von keiner Seite her der "Beantwortung" wert zu sein scheinen, muß ich mich wohl damit begütigen, daß ich hier vielleicht meine frisch angezapfte naive Ader ein wenig "kultivieren" lerne oder immerhin, wie "Steppenwolf"
es im Nachbarthread höchst ironisch zeichnete (dabei gibt es eine positive Korrelation von Nachtkritikkommentar und dem "Flirt danach" ..., aber nicht jedem ist danach danach oder überhaupt)
das Hochgefühl des Kommentarwesens auskoste..
Wenn tatsächlich "Peers Heimkehr" inszeniert wird, ist das Thalia natürlich genauso wenig dazu verpflichtet, "Van Canto" zu engagieren, wie sie es im Falle von "Black Rider" bei Bob Wilson sind (der, ob er aus Spass tatsächlich selber seine vielzitierte Mail als Antwort an Kampnagel geschrieben hat oder nicht, bis geschätzt 2015 wissen dürfte, was er wann und wo inszenieren wird). Wenn die Autoren von "Peers Heimkehr" das Stück unter diesen Umständen nicht zur Aufführung freigeben, hätten sie sich ihre Facebook-Kampagne dann eben auch sparen können. Ich halte die ganzen Verschwörungstheorien und juristischen Szenarien zwar für ein wenig zu hysterisch, aber es hätte schon eine gewisse komische Dimension. Man stelle sich vor: Spielplanwahlpuristen zerren das Thalia zur Einhaltung der selbst aufgestellten demokratischen Prinzipien vor den Kadi, während die Autoren von "Peers Heimkehr" sich auf die Bühne klagen und Bob Wilson belangt wird, weil er aus Jux eine Inszenierung zugesagt hat. Das Gericht strebt dann einen Trippelvergleich an: "Van Canto" übernehmen drei Vorstellungen von "Thalia Vista Social Club", und Bob Wilson wird verpflichtet "Peers Heimkehr" frühstmöglich im Thalia zu inszenieren - also in der Spielzeit 2017 / 2018 unter der Intendanz Peter Spuhlers.
"Der Trippelvergleich" von David Gieselmann - eine komische Dimensionierung einer Spielplanwahl auf eine "kommende" Intendanz hin: ist das jetzt auch wählbar und würden Sie ... ??
Aber ernsthaft, ich sah gerade den Komödiantenbus Herrn Dentlers ("Die Komödianten", eine Kieler Privatbühne) an mir vorbeirauschen,
vielleicht winkt da wirklich ein Stückauftrag (zB. von den KOMÖDIANTEN, die ja auch soetwas wie "Schlaflos in Neumünster" von John von Düffel im kommenden Jahr auflegen werden). Nun aber wirklich ernsthaft: Von "Verschwörungstheorien" halte ich wenig, und davon, alles sogleich "Verschwörungstheorie" zu nennen sogar noch weniger; eigentlich sehe ich diese Spielplanwahl -nicht aus Gleichgültigkeit- immernoch recht gelassen (wie offenbar auch einschlägige HH-Blogger vom "Hamburger Feuilleton" über "GODOT" bishin zur "Bandschublade", es sprechen, liebe Vicki, mitnichten alle nur noch übers Thalia, selbst solche nicht, die es sonst nicht selten und augenscheinlich nicht ungern tun !!) , und schätze es (siehe "Texte stehen zur Wahl") ebenso ein, daß "Van Canto" gewiß kaum Chancen hätte sich einzuklagen, aber es sähe schon merkwürdig aus, wenn hier eine A-Capella-Metalsache auf der Thalia-Bühne, multimedial bis ins Letzte, "angekündigt" und letztlich wohl auch gewählt werden sollte (noch dazu, wenn das Hegemann-Wort stimmt, daß "Peers Heimkehr" auch ohne Spielplanwahl "in Frage" gekommen wäre) und nun von den Thaliaprofis etwas vollkommen Anderes zu sehen wäre (was die Ausschreibung gewiß hergibt, an die man möglicherweise hätte erinnern können angesichts der trügerischen Hoffnung, hier "Van Canto" "direkt" zu wählen ungefähr). Ich will da nichts aufbauschen, zumal ich mit der Freigabe und der Verhandlung nichts zu schaffen habe, keinen "Sturm im Wasserglas" (vermutlich, käme es tatsächlich zu dieser Wahl, Sachen wie "Das Geld liegt auf der Bank" scheinen es ja noch einmal spannend zu machen, und wer weiß, vielleicht wird in letzter Minute eine Kampagne zu "Weiningers Nacht", das immerhin vor genau 25 Jahren schon am anderen Hamburger Großhaus zu sehen war, noch alles umkrempeln: ich glaube, der Schreck würde mir dann doch noch in die Glieder fahren, von einer etwaigen Konkurrenz um das Aufführungsdatum 4.10. (siehe oben) ganz zu schweigen (das Bankenstück zum Einheitstag auf den 4.10., das hätte wohl auch etwas), käme es also tatsächlich zu dieser Wahl, so würde da vermutlich tatsächlich etwas mit "Van Canto" aufgezogen -und etwaige Sorgen, daß Enttäuschungen nach der Wahl dann doch zu groß werden könnten, auch die Wahlunternehmung selbst in Mitleidenschaft ziehend, wären "unbegründet"-).
Ich werde mich jetzt also aus dem Thread tummeln und etwa eine Woche warten bis das Ergebnis raus ist und natürlich meinem Favoriten weiterhin die Daumen drücken, wenngleich ich zahlreiche "Stücke" auf der Liste fand, für die ich mich nicht weniger interessieren würde als für meinen eigenen Vorschlag.. lg aus Kiel
Josef Steeklitz
www.abendblatt.de/kultur-live/article2123370/Streitgespraech-Darf-Publikum-ueber-Theater-entscheiden.html
...sagt Hegemann, was soviel heißt, wie, dass er seinen Glauben an die Demokratie schon zu großen Teilen verloren hat, und es für ihn nur noch um einen kompletten Verlust seines Glaubens gehen kann. - Nun, das will man gerne einmal so stehen lassen, aber...was hat dieses Voting mit Demokratie zu tun? Diese Demokratie, die ja auf Grundlage eines Grundgesetzes in einem komplizierten Zusammenspiel von Gewaltenteilung und Wahlen, Komunen, Städten und Bund in oft langwierigen Prozessen zu Ergebnissen kommt, die dann noch vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden können? Nicht viel.
Es ist doch ungefähr so, als ließe das LiDL seine Kunden über ein neues Milchprodukt oder Käsesorte abstimmen.
Ich bedaure sehr, so etwas Abfälliges schreiben zu müssen. Aber das Thalia hat ja nicht einmal einen Wahlkreis für sein Voting bestimmt, geschweige denn auch nur im Ansatz versucht, die Vorgänge einer Demokratie abzubilden, um zu einem Ergebniss zu kommen.
Und was heißt schon, "die Zuschauer" können nicht so dumm sein. Die Zuschauer, dass dürften Zehntausende sein. Hier geschieht doch die Umkehrung eines zentralen Satzes der Ankündigung des Hauses: Eine Minderheit wählt ein Stück, dass sich danach eine Mehrheit angucken muss. Außer es geschieht noch ein Wunder. Denn diejenigen, die sich bisher beteiligt haben, dürften keine zwei Vorstellungen füllen.
Zudem stellen sich in einer Demokratie die Kandidaten freiwillig und niemand kann daher kommen und sagen: Du bist jetzt mal gewählt. Find dich damit ab.
So leid es mir tut, aber nach dem Interview kann ich nur sagen: Thalia, lass Hirn regnen!
Es geht nicht um Käse, es geht um die Wurst und die hat bekanntlich zwei Enden. So sind auch demokratisch basierte Entscheidungsprozesse a priori bipolar zu betrachten. Hegemann hin oder her, ex lux adveho atrum - wie auch immer. Ernst gemeinte Vorschläge werden hier laktosephil diskriminiert. Warum? Nicht alles ist ja Musical! Es gibt hervorragende Vorschläge, die beispielsweise grundlegende Fragen (Subjekt vs. Ökonomie) eindrucksvoll widerspiegeln. Was könnte man denn ernsthaft gegen Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" einwenden wollen, wenn nicht auch das von Steaklitz favorisierte "Man braucht kein Geld" zur Auswahl stünde? Der Rest ist Demokratie.
Kaum möglich aber ist es, dass jemand aus Utzbach eine neue Kanalisation für Hamburg vorschlägt und dafür auf Stimmenjagd in Bielefeld und sonstwo geht, und falls seine Stimmen nicht ausreichen auf facebook und bei seinen Freunden weiter sammeln geht, mit dem Ergebnis, dass Hamburg dann tatsächlich eine neue Kanalisation veranstalten muss.
Gut, einverstanden. - Aber eine Sache wollte ich noch nachtragen, nur der Ordnung halber.
Das Theater verhält sich gegenüber seinem Publikum nicht, wie der Staat gegenüber seinen Bürgern. Schauspieler sind keine Parlamentarier. Sie können Debatten auslösen. Aber nicht im parlamentarischem Sinne über diese Debatten entscheiden lassen. Ebenso wenig wie das Theater an sich.
Hätte das Thalia Theater darüber entscheiden lassen wollen, welche Schauspieler das Publikum in der nächsten Spielzeit sehen will, würde die Debatte ganz anders aussehen.
Hier wird die disponable Größe des Theaters genutzt, der/die Autor/in, um eine pseudo-kritische Demokratiedebatte zu entfachen.
Ich weiß nicht mehr weiter. Peter Sloterdijk, hilf mir! Alain Finkielkraut, leiste mir Beistand! Philipp Rösler, wie würdest du jetzt handeln? Nachtkritik, du allein kennst dich aus! Oder vieleicht auch Rainald Goetz.
Lieber Weltgottgeist, hilf uns allen - ach, ich bin so unendlich wütend, daß die Kunst hier mal so einfach an eine Demokratie ausgeliefert wird, die sowieso keine ist.
Stadelmair schweigt, Mattussek auch, Schirrmacher hilf!
Nein, sie können uns alle nicht retten, fürchte ich. Rettung ist allein im KLassiker, jawoll. Wählt alle schnell, um den Untergang des Abendlandes bei Thalia abzuwenden, einen x-beliebigen KLassiker wie Sommernachtstraum, aber schnell, denn dann sind wir erlöst von dedm ganzen UNsinn, uns irgendeinen Quark angucken zu müssen, den irgendwelche comunities in den Olymp pushen...
Ein veränghstigter Bürger
Ich hoffe sehr, Sie sind nicht halb so verängstigt wie Sie mir aus Ihren herrlichen Zeilen überhauptnicht verängstigt erscheinen !
Allein das "Peter Sloterdijk, hilf mir ! Alain Finkielkraut, leiste Beistand ! Philip Rösler, wie würdest du jetzt handeln ?",
war und ist es ja beinahe schon wert, die ganze Aktion zu starten, die jetzt schon an und bei einen merkwürdigen Kultstatus zu haben scheint: so weit an einen (vermeintlichen) Rand muß es der Mainstream am sehr prominenten Ort erst einmal bringen !
Philip Rösler, wie würdest du ... ?! Als Herr Briegleb das FDP-Theater "erfand", wer hätte ahnen können, daß schon bald der "Stresstest" darauf im Thalia Einzug halten würde ?? Ein Quorum ward jedoch nicht gesehen, und so könnten gut und gerne hier die 1,8 % ihre Chance wahrnehmen ! Doch, was wären wir unchristlich, hier nicht freudig den Zehnten zu geben, auf daß es nicht wieder 18 seien !!
Ein bißchen wie "Nihilit" von Kurt Kusenberg, diese Wahl, so richtig weiß keiner etwas damit anzufangen, scheint es, und denen, die es beherzt doch verstehen, will man fast jegliches Verständnis abgesprochen haben wissen.
Mit der Kneifzange von Peter Kümmel in der ZEIT randglossierend angefaßt, vielerorts, wo sonst Thalia-Sachen kommentiert werden, garnicht aufgegriffen oder so spät wie etwa in der taz-Nord, das ist schon irgendwie augenfällig und läßt immerhin auch mich ein wenig staunen - verängstigen wird mich das kaum, dafür bewege ich mich zu häufig im öffentlichen Raum, um gänzlich andere "Debatten" und/oder Aktionen zu "erwarten".
Wenn das Thalia SchauspielerInnen und Schauspieler hat, die Anlaß dazu geben könnten, mit Ihnen ganz klassisch zu punkten, so muß ich zugeben, wird mir weniger bange, den "Quark" in ihren Händen zu wissen als in möglicherweise viel ungeeigneteren, auch wenn es, zugegeben, wohl am meisten schmerzt, wenn gerade Könner mit publikumswirksamen Lappalien aufgerieben werden, oder wir es mit ansehen müssen, wenn auf der Bühne unsere größten Hoffnungen verspielt werden, die so groß waren auch im Wissen um die eine oder andere Spielerin, den einen oder anderen Spieler: aber, allein das muß nicht geschehen, ganz egal, was ein Lux oder ein Hegemann nachliefert ! War ja auch allerlei (nicht nur unbegründetes)
Getümmel um die Adaption von "Axolotl Roadkill", aber das war dann weitestgehend eher eine positive Überraschung. Wenn das Thalia der Olymp ist (und man nicht schon länger auf der Fährte der Ideenlosigkeit sich befindet), dann mutet es jetzt schon auch eigentümlich an, anzunehmen, man werde Quark einfach Quark sein lassen. Es mag "schlechte Philosophie" geben, aber es ist vielleicht nicht unter des Philosophen Würde, diese gut zu entlarven: ja, gerade das ist möglicherweise der Schlüssel zu jeglicher "guten Philosophie". Gut, hier geht es ums Theater und ein Demokratiespiel, das heute weniger sein Ende haben sollte als
eher ein Nachspiel, das wie ein Vorspiel des Spieles in der nächsten Saison sein könnte: warum denn nicht ?? Wir könnten über die mögliche Gleichsetzung der hiesigen Facebooklancierungen und sonstige Wahlwerbung im Staate des Parteienprivilegs reden, beispielsweise. Wenn hier irgendwelche "Communities" Zeit und Geld haben, eine Sache entsprechend zu pushen, ist das mehr gen Zensuswahlrecht als gen "mehr Demokratie wagen" ? Wenn wir leichtfertig derlei Gleichsetzungen bejahen, bejahen wir nicht insgeheim einen Mechanismus unserer Bevormundung, wie er vielleicht jetzt so noch garnicht vorliegt ?? Und ist nicht die Rede von der Demokratie hier irreführend, wo doch schon unser Theatersystem nicht demokratisch unlegitimiert daherkommt einerseits, und wo andererseits es möglicherweise um Kunst mehr denn um Herrschaft geht ??? Wer alles politisiert, soll sich meineserachtens über die Frage nach "totalen Kriegen" nicht allzusehr wundern; es besteht noch nicht einmal zwingend der Grund dazu, diese Thalia-Wahl besonders zu politisieren, wenngleich das nicht unmöglich erscheint. Keine Angst, lieber verängstigter Bürger, manch einer wird zu Sloterdijk, Finkielkraut, Rösler noch denken Grönemeyer, Wenders, Gottschalk, wahrlich :"Weltgeistgottesdienst" schwingt da mit, sich noch einmal "Muxmäuschenstill" reintun und aus dem dogmatischen Schlummer erwachen, möglicherweise, versteht sich..
Von den Körpern, deren Stimmen jetzt bei "Erbsenzähler" liegen, dürften kaum 10% im Zuschauerraum auftauchen.
Die Mischpoke, sorry, nimmt das Thalia als Geisel.
GSG9, übernehmen Sie!
zugegebenermaßen ich bin ein Fan der Metal-A-Capella-Gruppe Van Canto.
Unabhängig davon bin ich auch kulturell interessiert, kenne diverse Theater auch in Hamburg und es wäre vermessen, dieses Interesse den anderen Fans bzw. - zum Teil akademischen - Mitgliedern der Gruppe VanCanto abzusprechen.
Ich bin sehr negativ überrascht über die Vorbehalte und die fehlende Kollegialität der Theaterkünstler gegenüber den Künstlern von VanCanto. Ein solches unkollegiales Verhalten kenne ich bisher nur aus anderen Berufszweigen, nicht aber aus dem hiesigen, welches sich durch Offenheit und freie künstlerische Gestaltung auszeichen sollte, was m.E. auch Grundlage der Einbeziehung des Publikums bei der Abstimmung war.
Verkannt wird hier von vielen Verantwortlichen, dass nicht schlichtweg Fans in voreilendem Gehorsam für ihre Gruppe votierten, sondern dass diese Fans überzeugt sind von der Qualität der Werke ihrer Gruppe im gesamten künstlerischen Bereich und dass die Fans insbesondere das Theaterstück auf der Bühne aufgeführt sehen wollen und hierfür auch weite Anreisen in Kauf nehmen, was nicht zuletzt auch dem Resümee des Theaters zugute kommt.
Das (Musik-)Theater war schon immer ein Ort des Freigeistes. Das Thalia-Theater hat nun die Chance, dieses fortzuführen. Dazu verdient das Thalia-Theater durchaus Respekt. Bereits früher sind Theaterstücke und Aufführungen verkannt worden, stellten sie sich später doch als bedeutende Bestandteile der Kunst und Kultur heraus. Ich gehe davon aus, dass solche Beispiele hinlänglich bekannt sind.
Ich will jedoch nicht soweit gehen, das Stück "Peers Heimkehr" im Vorfeld derart hoch zu loben. Eines ist jedoch sicher: hier ist nicht irgendeine (Metal-)Band am Werk sondern hart und gewissenhaft arbeitende Kreative, die nicht ohne Engagement und Können "Beste Newcomer 2009" geworden sind bzw. deren letztes Album Platz 23 der Albumcharts eroberte.
Die Bemühungen und die Erfahrung, die hinter den o.g. Bühnenstück stehen, werden vom Mitautor Schmidt detailliert beschrieben auf: www.metal.de/heavy-metal/interview/van-canto/48503-interview-mit-stefan-schmidt-zu-peers-heimkehr/.
Die Qualität des Gesangs und der Kompostionen der Band VanCanto sind auf youtube frei zugänglich. Alleine man muss sich nur von den etwaigen eigenen Vorbehalten gegenüber dem Musikstil befreien, was zugegebenermaßen Toleranz voraussetzt.
Auch muss dass Thalia-Theater nicht besorgt sein. Zum einen werden diejenigen, die für das o.g. Stück votierten, dieses auch sehen wollen. Zum anderen wissen sich auch Freunde der Metal-Musik für Theaterbesuche zu kleiden und besitzen mindestens einen Anzug, zum Teil sogar mehrere Kravatten.
Ich spreche für mich selbst, wenn ich fordere, dass dem innovativen Bühnenstück "Peers Heimkehr" schlichtweg die gleiche Gelegenheit gebenen wird, sich einem größeren Publikum zu beweisen, wie andere Inzenierungen, zum Beispiel von "Romeo & Julia" vor Jahren im Düsseldorfer Schauspielhaus, welches zwar vom Grunde her bekannt ist, von der Inzenierung jedoch nicht jedermanns Geschmack war. Oder denken Sie an die hoch gelobten Bühnenauftritte des "Poetry-Slam", ein Publikumsmagnet mit zahlreichen innovativen Künstlern, die dem Publikum etwas neues bieten, es elektrisiert haben und was durchaus auch geeignet wäre, in einem Theater aufgeführt zu werden.
Dieses alles müsste Ihnen gezeigt haben, dass die Auszählung im Thalia-Theater und die Auswahl der Theater-Stücke keinesfalls "vergurkt" war sondern in freier Tradition des von Aristoteles mitbegründeten Theaters erfolgte.
Dass wir bei den Aufführungen zu Aristoteles` Zeit nicht verhaftet geblieben sind, spricht für die Entwicklungsfähigkeit des Theaters, zu dem ich auch das Thalia-Theater zählen möchte.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Beckers
Solche einmaligen und in der Tat wohl weniger seltsamen, als eher seltenen Kostbarkeiten gehen ihm halt durch die Lappen, wenn er aus der diffusen Seite seines Daseins guckt, bewertet und entscheidet. Dann sieht er eben nichts anderes als Diffuses. Stattdessen hätte er das Potenzial z.B. bei den außergewöhnlich engagierten, fleißigen, kreativen, sich stetig und gegen Widerstände geduldig durchbeißenden Leute von Vancanto suchen und finden und über seine engen Grenzen hinauswachsen können. Das hätte aber was gekostet, Herr Hegemann! Mut - intelligenten Mut! Aber wie das auch, wenn Sie schon bei der Ausschreibung "Feinde" im Blick hatten und von der Absicht getrieben sind, Ihre Pflicht in 5 min. zu erfüllen? - Da muss man sich dann allerdings am Ende und bei dem Ergebnis mit leb- und inhaltslosen Worthülsen um Kopf und Kragen reden. Traurig, aber er ahnt es.
Marie