Kolumne Straßentheater - Über Protest-Angriffe auf Kunstwerke
Kartoffelbrei für Monet
14. Juli 2023. In Regensburg haben Aktivist:innen der Letzten Generation eine Musiktheateraufführung unterbrochen, um auf ihr Anliegen – die Rettung unseres Planeten – aufmerksam zu machen. Ähnliche Protestaktionen gab es in Museen. Viele nehmen sie als kunstfeindlich wahr. Dagegen argumentierte Janis El-Bira in seiner Kolumne "Straßentheater" im Oktober 2022. Hier als Beitrag der Saison zum Wiederlesen empfohlen.
Von Janis El-Bira
25. Oktober 2022. Vor anderthalb Wochen wurde in der Londoner National Gallery eine Dose Tomatensuppe auf Vincent van Goghs "Sonnenblumen" gekippt und am Sonntag nun eine sehr üppige Portion Kartoffelbrei gegen einen der Monet'schen Heuschober im Museum Barberini geklatscht. Tomatensuppe für van Gogh, Kartoffelbrei für Monet? Falls geheime Rezepturen dahinterstecken, habe ich sie zumindest noch nicht durchschaut. Womit würde man wohl einen Dürer, womit einen Bruegel bewerfen? Wahrscheinlich wird man es noch herausfinden.
Dass man sich derlei Fragen aber überhaupt stellen möchte, hat mit der ausgeklügelten Choreographie und medialen Inszenierung der jüngsten Protestaktionen junger Klimaaktivist:innen zu tun. Sie sind die obszönste, drastischste und gleichzeitig faszinierendste Form politischen Theaters, die mir seit langer Zeit untergekommen ist. Sorry, liebe Regisseur:innen, aber da kommt ihr gerade alle nicht ran. Und wie jedes gelungene politische Theater lösen auch die Gemäldespritzereien eine vielsagende Welle der Empörung aus. Dabei gehen die jüngsten Aktionen auch Sympathisant:innen radikalerer Gangarten beim Klimaprotest mehrheitlich zu weit. Das Hauptargument: Die Aktivist:innen schadeten ihrer eigenen Sache und Angriffe auf die Kunst seien sowieso außerhalb jeder Diskussion. Eine verständliche, aber auch allzu gemütliche Vorstellung davon, wie Protest auszusehen habe. Stattfinden solle er natürlich, nur wehtun möge er bitte nicht. Und wenn doch, dann wenigstens den Richtigen, die natürlich niemals wir selbst sind. Ein netter Berliner Taxifahrer (ja, ich weiß…) sagte mir neulich, er fände die Klimaproteste ja nachvollziehbar, deretwegen er am Morgen zwei Stunden im Stau gestanden und somit kein Geld verdient hatte. Nur warum zögen "die" nicht einfach vor ein Ministerium? Das würde doch mehr bringen. Eben nicht.
"Kunstfeindlichkeit" sieht anders aus
Das verstörende Wesen der Besudelungen von Kunstwerken liegt gerade in der brutalen Übertretung ihrer auratischen Wirkung. Es tut fast körperlich weh, diese Bilder so behandelt zu sehen. Man schämt sich doch schon, wenn man im Museum einen Schritt zu nah an den Rahmen herantritt und so den Alarm auslöst. Die Kunst, so meint man, ist unberührbar und überzeitlich. Wer sie angreift, greife "uns alle" an, denen sie ein zivilisatorisches Fundament bietet, Trost und Inspiration spendet. Das stimmt zwar, unterstellt aber, dass die Aktionen der Aktivist:innen kunstfeindlich seien oder die Kunst um der reinen Aufmerksamkeit willen missbrauchten. Das Gegenteil ist der Fall. Auch in der präzisen inhaltlichen Auswahl der so "angegriffenen" Werke scheinen die Aktionen vielmehr zu sagen: Die Darstellungen dieser Bilder werden gegenstandslos, ja die Kunst selbst, so großartig sie auch ist, wird keinen Bestand haben, wenn wir jetzt nicht handeln. Weil die Welt dieser Bilder verschwinden wird und mit ihr der Bezugsrahmen, in den sie eingelassen sind.
Ein Theatertrick
Das argumentiert aber gerade nicht gegen die Bedeutung der Kunst, sondern mit ihr. Die Klimakatastrophe wird neben allem noch viel Schlimmeren eben auch einen Verlust an Schönheit mit sich bringen. Die Aktionen der Aktivist:innen erinnern an beides: An das kommende Schlimmere, das unser Entsetzen über ein paar Farbspritzer auf einem Bild lächerlich erscheinen lässt. Aber auch an das Schöne, das verlorengeht, und dessen Verlust in der Besudelungsaktion symbolisch vorweggenommen wird. Das funktioniert auch deshalb in eindringlicher Ambivalenz, weil bisher kein einziges Bild bei diesen Aktionen tatsächlich dauerhaft beschädigt worden ist. Eine sehr theatrale Verabredung: Für den Moment ist alles erlaubt, aber über das Ende der Vorstellung hinaus darf kein Schaden zurückbleiben. Die Verletzungen müssen unmittelbar heilbar sein – wie der Kartoffelbrei auf der schützenden Glasscheibe vor einem Monet abwaschbar, wie der Kleber an den zittrigen Händen der jungen Protestierenden löslich sein muss. Noch ist das alles nur ein Effekt, ein Theatertrick. Noch.
Es ist ein ausgeklügeltes, dreistes Stück Artivismus, das gerade in den Museen gegeben wird. Da letztere aber verständlicherweise nicht sonderlich glücklich über die ungebetenen Gastspiele sind, gilt, was auch für weniger gefährliche Einfälle in der Kunst immer gelten sollte: Bitte nicht nachmachen.
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Wir sollten die Kunst nicht so wichtig nehmen. Der Zwang, kulturelle Werke unangetastet zu bewahren, ist historisch eine eher neuere Erscheinung. Problemlos übermalten Künstler in früheren Jahrhunderten ihre Gemälde, wenn sie sich etwa keine neuen Leinwände leisten konnten.
Ich glaube, van Gogh oder Monet hätten über diese Aktion geschmunzelt. Und der Schredder-Künstler Banksy nur gegähnt.
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