Kolumne: Straßentheater – Über Harald Schmidt
Niedergang eines Bildungsbürgers
8. Februar 2022. Unser Kolumnist war Fan von Harald Schmidt. Ohne Sendung aber bleibt von dessen Kunstfigur nur Zynismus übrig. Ein trauriger Abstieg.
Von Janis El-Bira
8. Februar 2022. Ich erinnere mich einen Auftritt des späten Gert Voss, von dem ich nicht mehr genau weiß, was oder wo er war. Voss trug, meine ich, ein goldglitzerndes Jackett und kam zu Beginn des Abends aus dem Bühnengrund in Richtung Publikum, halb schwankend, halb stolzierend. Er sagte so etwas wie "Guten Abend", vielleicht sogar noch "meine Damen und Herren", und obwohl ich fast alles, was auf diesen Anfang folgen sollte, vergessen habe, sind mir diese ersten Minuten auf völlig unverhältnismäßige Weise im Gedächtnis geblieben. Etwas ungeheuer Abschätziges ging von diesem Auftritt aus. Ein Überdruss und eine unheilbare Müdigkeit. Beim besten Willen schien unentwirrbar, was hieran Rolle und was die Lebensschwere eines Theaterkaisers war, der sich an den Shylocks, Richards und Wallensteins überfressen hatte wie einst, theaterewiglich, an Thomas Bernhards Brandteigkrapfen. Es war schrecklich, irgendwie auch wunderbar und auf jeden Fall voller Theater.
Gert Voss, der 2014 starb, war der Lieblingsschauspieler von Harald Schmidt. Es gibt einen schönen Interviewfilm mit beiden, ein schürfendes Gespräch über das Handwerk und die Abgründe der Verwandlung. Viel früher als von Gert Voss war ich, wie etliche (vor allem) junge Männer meiner Generation und bürgerlichen Herkunft von Harald Schmidt begeistert. Zu Oberstufenzeiten spaltete sich unser Jahrgang in diejenigen, die allnächtlich seine Shows sahen und jene, die es nicht taten. Die Anhängerschaft einte, dass man sich in aller Regel ein Stück weit über den Dingen wähnte.
Wir fühlten uns wie selbstverständlich angesprochen von Schmidts feuilletonistischen Exkursen, seinem Hochsitzblick auf die Niederungen der Tagespolitik und den heute legendären Ausflügen ins Playmobil-Reich der Geistes- und Kulturgeschichte. Wenn hier Nietzsche oder gar Carl Schmitt auftauchten, gefiel uns das, obwohl wir natürlich kaum etwas von Nietzsche und garantiert nichts von Carl Schmitt gelesen hatten. Aber, klar, Carl Schmitt! Da war doch was. Auf diesen Da-war-doch-was-Reflex, den Dosenöffner bildungsbürgerlichen Selbstbewusstseins, setzte Schmidts Humor. Mit ihm gab er einer ganzen Generation (again: vor allem) junger Männer das Gefühl, sich etwas darauf einbilden zu dürfen, wenn man alle vier Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufzählen konnte. Gelesen haben musste man sie dafür selbstverständlich nicht.
Das Prinzip Schmidt
Erst wesentlich später begriff ich, wieviel das Prinzip Harald Schmidt mit dem Theater zu tun hatte. Mit dem großen Echoraum der Referenzen, dem bürgerlichen Vergnügen im Ringen mit den Klassikern, Vorvätern und -bildern. Schmidt, der Gelegenheitsschauspieler und Theaterfan, der sich nichts Größeres vorstellen konnte, als selbst in der Theater heute vorzukommen. Der plötzlich höchsten Respekt an den Tag legte, wenn er auf Größen wie Anne Tismer, Rainald Goetz oder eben Gert Voss traf. Wenig erstaunlich, aber nicht weniger unangenehm erscheint da, wie er nun, in regelmäßigen Interviewstatements zur Lage des Weltgeschehens, das Schreckliche des von mir erinnerten späten Gert-Voss-Moments in die Ewigkeit verlängern will. Schmidt hat sich eine Kunstfigur zurechtgelegt, an deren Schillern die Fragen nach Rolle und Authentizität regelmäßig abprallen. Vor allem aber macht sie Hässliches sagbar. Geschenkt, dass er angeblich jeden Text sofort abbricht, in dem gegendert wird. Seltsamer schon, wenn er mittlerweile offensiv mit seinem Impfstatus kokettiert, obwohl auch das eine Privatsache ist, deren Privathaltung sich derart in der Öffentlichkeit präsente Persönlichkeiten aber vielleicht dreimal überlegen sollten.
Nein, hässlich wird es dort, wo in Schmidts Provokationsmarkern der Sorte "deutscher Houellebecq" die Selbstverständnisse einer vermeintlich untergegangenen Epoche aufblitzen. Dass Frauen sowieso nicht witzig seien, wie er vor ein paar Jahren auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin sagte, den einkalkulierten Widerspruch aus dem Publikum sichtlich genießend. Dass ihm über weibliche Politikerinnen nichts weiter erwähnenswert scheint als die Höhe ihrer Absätze. Dass überhaupt die ganze Welt nur als unendlicher, grimmiger Spaß taugt. Ein Bombenhagel, den durch ein gut gefülltes Burgunderglas zu betrachten man sich eben leisten können muss – wie Schmidt selbst womöglich mit Ernst Jünger sagen würde.
Das erscheint mir auch deshalb traurig, weil in den Schmidt-Klassikern noch die Restwärme einer Bürgerlichkeit im besten Sinne vorhanden schien. Zivilisiertheit als Panzerung vor dem echten Grauen jenseits des Theaters: Dort, wo selbst der Witz versagte, blieb wenigstens ein Bach-Choral. Sich davon zu entlieben, fällt schwer. Und wenn es seine Show noch gäbe, dann wäre es vielleicht noch immer das Größte für mich, er würde in ihr diesen Text zerlegen.
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
In seiner letzten Kolumne schaltete sich Janis El-Bira in die Diskussion ein, ob auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Opern aufgeführt werden dürfen.
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