Kolumne: Straßentheater - Beim PCR-Test fühlt sich Janis El-Bira dem Theater ganz nahe
Ein beinahe wärmendes Erlebnis
von Janis El-Bira
15. Dezember 2020. In den vielen theaterlosen Monaten dieses elenden Jahres habe ich das Theater selten mehr vermisst als dort, wo es ganz nah schien. Wo alles wirkte, als ginge es jetzt gleich los oder würde doch wenigstens aufhören. Man also hoffen konnte, bald mit einem Fußtritt aus der unseligen Vorstellung entlassen zu werden, in die man sich hier verirrt hatte. Etwa so wie damals in Köln, als ich nach einem vielstündigen Signa-Exzess, schlecht riechend und mit allerlei Flüssigkeiten an der Kleidung, wieder auf der Straße stand, während die Performance-Zombies zum Abschied von innen an der gläsernen Einlasstür kratzten. Sie würden vielleicht auf alle Zeit dort drinnen und in meinem Gedächtnis bleiben, aber ich war wieder frei – so viel war sicher.
PCR-Test in der Garage
Kaum eine andere Erfahrung aus 2020 hat dieses unheimliche Gefühl der Theaternähe bei mir so ausgelöst wie die Umstände meiner bislang drei Corona-Tests. Der erste war im Juni, einer dieser "Wir waren Kontakt eines Kontakts"-Checks. Der Arzt in der Corona-Praxis ist bester Laune und vorsorglich optimistisch, schließlich habe er "eh kaum noch Infizierte". Den Abstrich nimmt er im Hinterhof eines Kreuzberger Wohnblocks. Zwei Armlehnstühle mit aufgerissenem Kunstleder sind abstandskonform zum Warten auf den Beton gestellt. Das Wetter ist toll, aus den offenen Fenstern der umliegenden Wohnungen dringt Musik, Geschirr klimpert. Ein Arzthelfer trägt Bermudas mit Dschungelpflanzen unter dem Kittel. Zum eigentlichen Test werde ich in eine leerstehende Garage geführt, ein kleiner Paravent im japanischen Stil simuliert Privatsphäre. Alles geht schnell, freundlich, ein beinahe wärmendes Erlebnis. Am nächsten Tag gibt es am Telefon das Resultat. Dieser Besuch verspricht: Die Sache sollte bald ausgestanden sein.
Zwei Monate später stehen wir als Urlaubsrückkehrer*innen an einer bayerischen Autobahnraststätte. Es ist Nacht und am Ende der brummenden Autoschlange, hinter den Köpfen der neben Mülleimern Rauchenden, liegen im weißen Scheinwerferlicht die Testzelte. Eine beeindruckende Pandemie-Szene. Polizist*innen winken, alle stellen sich – das wirkt auf mich immer irgendwie bayerisch – mit Namen vor. "Guten Abend, mein Name ist Huber. Bitte halten Sie ihre Ausweise bereit." Am Zelt angekommen lassen wir die Fensterscheiben herunter. "Das wird ein bisschen unangenehm", sagt die Ärztin noch, während sie das Wattestäbchen tief bis in ungeahnte Areale in unsere sonnenverbrannten Nasen schiebt. Ein kleiner Stich entlässt uns in die Nacht und beendet untrüglich den kurzen Sommer des Verdrängens. Wie ein Triggerreiz für die zweite Welle, die mit uns Rückkehrer*innen langsam losrollen sollte. Die Testergebnisse erhalten wir drei Wochen später per Post.
Der Ton ist zackig
Am Montagmorgen dieser Woche finde ich mich vor dem Eingang einer Galerie in Berlin-Mitte ein. Es sind schon Menschen vor mir dort, denn hier, wo immer noch Kunst an den Wänden hängt, soll auch ohne Termin und schnell getestet werden – Ergebnis nach 30 Minuten. Der Ton ist zackig, auf Englisch wird die Warteposition zugewiesen, drinnen läuft sedierende Musik. Niemand nennt seinen Namen. Beinahe ein vertrautes Gefühl aus der vor-pandemischen Berliner Kunst-Normalität: Eigentlich, spürt man, ist man nicht gut genug, hier sein Nasensekret überprüfen zu lassen. Am "Counter" blicken einige sehr junge Menschen hinter ihren riesigen iMacs auf. Einer von ihnen kommt mir trotz Maske bekannt vor. "Hey Ollie", will ich fast sagen, und muss mich ermahnen, es nicht zu tun. Genauso wie damals bei Signa in Köln: Denk nicht darüber nach, dass du diese Performer*innen schon einmal gesehen hast. Dass selbst das hier eine Rolle ist. Mach das Spiel nicht kaputt. Es ist nicht der Moment dafür. Aber "Ollie" ist wahrscheinlich eh gar nicht Ollie. Bloß jemand, der meine EC-Karte einliest. Neunundvierzig Euro für kein Theater.
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Straßentheater" schreibt er über Inszeniertes jenseits der darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
In seiner letzten Kolumne verabschiedete Janis El-Bira den liebsten Bösewicht des politischen Theaters: Donald Trump.
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