Kolumne: Straßentheater - Janis El-Bira über die Kulturförderung der Videoplattform TikTok
TikTok kauft sich ein
von Janis El-Bira
29. Juni 2021. Unter den Meldungen der vergangenen Wochen flog eine ganz zu unrecht tief unterm Radar hindurch: TikTok macht jetzt Theater. Nicht etwa auf die Weise, wie es angeblich schon immer irgendwie Theater gemacht hat, weil ja auch auf TikTok Menschen unter gewissen formalen Regeln vor sich hin performen. Nein, TikTok steigt jetzt richtig ein in die Sache und spendiert dem Nationaltheater Mannheim 100.000 Euro für dessen neues "Institut für Digitaldramatik". Aus dem Topf, so heißt es, sollen Autor:innen mit Förderstipendien unterstützt werden, die das Schreiben im digitalen Raum erforschen wollen.
Tolle Sache! Dass ausgerechnet die milliardenschwere chinesische Videoplattform mit dem entspannten Verhältnis zum Datenschutz nun der etwas zerzausten Tante Theater unter die Arme greift, berührt sofort. Wie die Geschichte vom Fußball-Wunderkind, dessen Eltern eigentlich immer fanden, der Junge solle was Anständiges lernen, und am Ende trotzdem zum Dank ein Haus mit Carport und Schottergarten in Dortmund-Hörde geschenkt bekommen.
Aber kommt die Großzügigkeit bei TikTok allein daher, dass man sich im Baum der Evolution gleichsam auf einem Ast mit dem Theater wähnt? Wohl kaum. Tatsächlich sind die 100.000 Euro, die man in Mannheim gewiss sinnvoll ausgeben wird, Teil eines mit 5 Millionen Euro ausgestatteten TikTok-Kulturförderprogramms unter dem Namen #CreatorsForDiversity, mit dem das Unternehmen Kunst- und Kulturinstitutionen unterstützen will. Ziel des Programms sei, so TikTok selbst, "bestehende Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen, unterrepräsentierte Perspektiven aufzuzeigen und den offenen, respektvollen und inklusiven Austausch noch stärker zu fördern". Trivial ist das nicht, stand doch ausgerechnet TikTok selbst in der Vergangenheit wegen seines vermeintlich ableistisch und queerfeindlich ausgerichteten Algorithmus in der Kritik. Damit war TikTok unter den Social-Media-Plattformen zwar keineswegs allein, wie der Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen im nachtkritik-Interview zurecht betont hat, aber seine Selbstinszenierung als geläuterter Ex-Rabauke ist deutlich offensiver als die der Konkurrenz.
Erstaunlich sind dabei vor allem die Riesenschritte, mit denen die einstige Exklusiv-Plattform der zweiten Generation von Digital Natives jetzt in den analogen, Grillparty-kompatiblen Raum vordringt. Bei den Übertragungen der Fußball-EM erscheint das TikTok-Logo dieser Tage an prominenter Hauptsponsorenstelle. Blöd nur, dass das Unternehmen im Eklat um die verbotene Regenbogen-Beleuchtung des Münchner Stadions von seiner Vergangenheit eingeholt wurde: Wie aufrichtig ist das mit der #Diversity, wenn gleichzeitig mutmaßlich viele Millionen auf dem Spiel stehen? Die Antwort kam so erwartbar wie ernüchternd: Einverstanden sei man zwar nicht, businessrelevante Konsequenzen soll die Sache aber dann doch nicht haben.
Mit dem Fußball lässt sich bekanntlich das große Geld verdienen. Das Theater aber wird TikTok in einer anderen Währung zurückzahlen: Nobilitierung durch Einheirat in den verarmten Adel der Hochkultur. Wer TikTok sagt, muss fortan auch "Nationaltheater" sagen. Das ist (fast) unbezahlbar.
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
In seiner vorherigen Kolumne analysierte Janis El-Bira die Aktion #allesdichtmachen.
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Ich bin Janis El-Bira sehr dankbar für diese Analyse, die genau das schwammige Feld von Einflußnahme und Interessensvermischung erhellt, das auch von Google finanzierte HU-Institute einen unangenehmen Beigeschmack gibt und mit der schönen, neuen Tech-Welt anscheinend einhergehen soll.
Es ist aber eben nicht egal, wer das Geld gibt - sonst wären Theater ja auch nicht steuerlich gemeinnützig eingestuft und würden von allen finanziert, damit sie dem Gemeinwesen und nicht Partikularinteressen dienen. Das wird von Leitenden im Theaterbetrieb sehr oft vergessen, weil sie ihre Interessen für ausreichend halten, um den Einsatz der Mittel vor sich und anderen zu begründen. In Mannheim sehe ich in der Sparte Schauspiel eine gewisse Tendenz in diese Richtung, der sich auch in diesem Post der Niedrigkultur artikuliert.
Lieber Hinweisgebender (Mann?),
vielen Dank für Ihren Kommentar. Bitte seien Sie doch so gut und erklären mir was dieser Kommentar zur Klärung des Sachverhalts beiträgt.
Wer ist das "wir" der Niedrigkultur? Wer spricht für wen hier? Und was bedeutet es, wenn "whatever works" Zweifel über die Wege und Bedingungen von künstlerischer Arbeit wegwischen soll?
Ich bin gespannt auf eine verbindliche und klare Antwort, die Rösser und Reiter*innen benennt.
Die Frage des "whatever works" zu beantworten? Nein, da habe ich keine allumfassende Antwort in Gestalt eines nachtkritik-Kommentars, außer vielleicht: strukturell wäre zielführender als symptomatisch, wofür Janis El-Biras Kolumne ja ein guter Startpunkt sein könnte.
Wenn Sie als "Prinzessin" die Kommentator*innen aufgrund ihrer Anonymität, die ja hier traditionell Einzug hält, kritisieren und damit Argumente untermauern, na ja, dann frage ich mich schon: Was liegt denn hier auf dem Boden und knirscht so? Ist das ein pulverisiertes Glashaus?
Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Kommunen, Kulturinstitutionen und Unternehmen sind sicher ein wichtiges Thema, das untersucht und kritisch beäugt werden muss, aber sich eine diversitätsspezifische Förderung der momentan einflussreichsten Social/Cultural App als erstes vorzuknöpfen ist dann vielleicht ein bisschen opportun
(Teile dieses Kommentars konnten nicht veröffentlicht werden, weil sie, da pseudonym gepostet, nicht überprüfbar sind. VG, Die Redaktion)