Kolumne: Straßentheater – Über Bildsprachen in Zeiten des Krieges
Rauch, Ruß und Blau-Gelb
22. März 2022. Diese Tage sehen wir den Widerstand und seine verschiedenen Inszenierungen. Unser Kolumnist denkt über das Nebeneinander der Bilder in einer sich verfinsternden Zeit nach – und wagt einen Ausblick in die nahe Zukunft.
Von Janis El-Bira
22. März 2022. "Der Krieg verändert auch unser Land." Das schrieb mein Kollege Michael Wolf vergangene Woche an dieser Stelle. Was das bedeutet – politisch, wirtschaftlich und sogar, wie in Michael Wolfs Kolumne festgehalten, für die Theater – wird gerade breit diskutiert. Ich hatte zuletzt das Gefühl, dass wir gerade auch in der öffentlichen Bildproduktion eine Transformation erleben, als ich in Berlin an der ukrainischen Botschaft vorbeilief. Als Theatergänger:in kommt man hier regelmäßig entlang, liegt das Botschaftsgebäude doch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Deutschen Theater. Von der Reinhardtstraße aus passiert man erst den ehemaligen Reichsbahnbunker, der seit vielen Jahren eine private Kunstsammlung hinter seinen meterdicken Mauern beherbergt, dann die Botschaft und erreicht so schließlich das Theater. Seit jeher ist das eine historisch merkwürdig verdichtete, sehr Berlin-typische Ecke.
Ein Fenster zur Hölle
Diesmal lagen viele Blumen und brannten Kerzen vor dem Botschaftseingang. Das hatte ich erwartet. Nicht erwartet hatte ich den großen Flachbildfernseher, hoch über der Pforte angebracht, auf dem nonstop Handyvideos der ukrainischen Kriegserfolge gegen die russischen Invasoren flimmerten. Zerstörte Panzer, abgeschossene Hubschrauber, Stiefel, in denen die Füße eines gerade so aus dem Bild ragenden, toten russischen Soldaten steckten. Rauch, Ruß und Blitze. Nicht die schlimmsten Dinge, die man seit Beginn des Krieges beim Scrollen auf Twitter zu sehen bekommt, aber doch ein Fenster zur Hölle, mitten auf der Straße, auf dem Weg ins Theater. Dort angekommen, nur einmal ums Eck, leuchtete dann alles gleich wieder sehr aufgeräumt im solidarischen Blau-Gelb.
Mich hat dieses Nebeneinander seither nicht in Ruhe gelassen. Zwei Inszenierungen vom Widerstand, deren Bildpolitiken nicht unterschiedlicher ausfallen könnten. Während die ukrainische Botschaft in der Sprache jenes Krieges spricht, der ihrem Land aufgezwungen wurde, hissen deutsche Schrebergärten-Besitzer:innen die blau-gelben Fahnen dort, wo sie sonst zu jeder Fußball-WM penetrant schwarzrotgold im Wind flattern lassen. Und anlässlich eines Benefizkonzerts am Brandenburger Tor verkitschen die Pop-Weichspüler die Weltlage zu der Aussage, dass wir in Deutschland doch froh über unsere funktionierenden Handys und das fließende Wasser aus der Leitung sein sollen.
Die Unentschiedenheit bewahren
Doch auch wenn derlei Hilflosigkeit mitunter schmerzt: Mir sind die Reste eines vielleicht naiven Werbens um Frieden lieber als die grausame Eindeutigkeit der Kriegspropaganda. Letztere der Ukraine anzulasten, steht uns allerdings nicht zu. Schließlich resultiert ihre gepanzerte Bildproduktion aus der existenziellen Not eines überfallenen Landes. Auch die fordernde Aufdringlichkeit, mit der ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst vor dem deutschen Bundestag sprach, rührte tief an das seltsame Unbehagen, das uns ergreift, wenn wir Menschen begegnen, denen es um alles geht – wie Bettelnde oder Betende. So viel Unmittelbarkeit ist uns fremd geworden. Wahrscheinlich ist man im Bundestag auch deshalb anschließend rasch wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt.
Davon unbenommen bleibt, dass auch wir nun sicherlich in eine diskursiv martialischere Zeit aufbrechen. Vielleicht werden mehr Fahnen wehen, wird die politische Rede gespornter daherkommen und bestimmt wird die Hochrüstung der Bundeswehr uniformierte junge Menschen im Straßenbild wieder selbstverständlich werden lassen. In diesen Zusammenhängen wäre ich froh, wenn die Theater sich einiges von ihrer Unentschiedenheit, ihrem Zaudern und meinetwegen auch von ihrer Naivität bewahren würden. Noch müssen sie nicht mitverdunkeln, auch wenn es rundherum finster wird.
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
> In seiner letzten Kolumne schrieb Janis El Bira über den traurigen Abstieg des Bildungsbürgers Harald Schmidt.
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