Presseschau vom 3. November 2016 – Die SZ berichtet, dass die Schauspielerin Brigitte Hobmeier ihren Vertrag mit den Münchner Kammerspielen kündigt
Auf der Ersatzbank
Auf der Ersatzbank
3. November 2016. Nach der jüngsten Absage von "Unterwerfung", schon wieder schlechte Nachrichten für die Münchner Kammerspiele: Die Schauspielerin Brigitte Hobmeier kündigt ihren Vertrag mit dem Haus, und zwar weil sie sich angesichts des Spieplans "wie auf dem Abstellgleis" fühle, berichtet Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (3.11.2016).
Hobmeier werde Ende der Spielzeit aus dem Ensemble ausscheiden. "Der Grund für ihren Weggang sei kein Zerwürfnis mit dem neuen Intendanten Matthias Lilienthal. Sie wolle auch keine Grundsatzkritik üben an dessen Kurs hin zu Performances und theatralen Hybrid-Formen." Sie gehe diesen Schritt "schweren Herzens", zitiert Christine Dössel die Schauspielerin, schließlich empfinde sie das Haus, dem sie seit 2005 angehört, als ihre "künstlerische Heimat". Zuletzt habe sie sich jedoch immer heimatloser gefühlt: "Die können mit mir nichts anfangen (...)."
"Das, was gemeinhin als 'Schauspielkunst' gefeiert wird, ist an den Münchner Kammerspielen ja längst keine Qualität an sich mehr und psychologisches Identifikationstheater eher verpönt", kommentiert Dössel kritisch. Das postdramatische Diskurs- und Performancetheater, wie Lilienthal es zu etablieren versuche, verlange nicht mehr den klassischen Schauspieler, der gut sprechen könne und "eins-a-wandlungsfähig ist", sondern den Performer.
Ein Skandal eigentlich
Selbstverständlich müsse ein neuer Intendant auch "Setzungen" machen, die "nicht immer schmerzfrei sind", so Dössel. "Nur verweist der Fall Hobmeier auf ein grundsätzliches Problem einer Theaterorientierung à la Lilienthal: das Null-Interesse und fehlende Sensorium für die Schauspielerei als Kunst. Diese Geringschätzung des Schauspielers an sich. Welch ein Skandal eigentlich!" Im Fazit fragt Dössel kritisch, "wohin dieses Haus strebt". Eine "Könnerin" wie Hobemeier, die der Kritikerin durchaus "performancefähig" erscheint, gehen zu lassen, sei wie? "Das ist, als ließe der FC Bayern Robert Lewandowski auf der Ersatzbank hocken. Die Champions League gewinnt man so nicht."
(sik / chr)
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Frau Dössels Analyse stimme ich im Wesentlichen zu. Letzlich verweist der Fall auf das Doch-andere-Leute-brauchen, wenn ein Haus von einem Sprechtheater hin zu einem Performance-Haus umgebaut wird. Das muss man ja nicht schlecht finden, aber man kann anerkennen, dass es eben doch einen Unterschied zwischen beiden Polen gibt.
Mal sehen, was das Publikum und das restliche Ensemble dazu sagt.
Wieso er bei Antritt nicht den Mut aufbrachte ihr offen zu sagen, dass in seinem Theater für eine Schauspielerin ihres Kalibers kein Platz mehr ist, wird wie vieles sein Geheimnis bleiben.
Mal abwarten, ob sie die einzige Abwanderin der alten Schauspielgarde bleiben wird. Ich finde es einfach total schade und bedauerlich.
Endlich -aber unendlich traurig- zieht ein Theaterstar die Notbremse.
Wer wird folgen ?
Lilienthal zurück nach Berlin fände ich dufte
Bin ich allein mit der Meinung, dass das despektierlich ist?
Hat das noch irgendetwas mit der Beurteilung von Schauspielerei zu tun?
Ja , der Fussball , Frau Dössel , der hat mit Theater leider überhaupt nichts zu tun , auch wenn sich die Kunst so gerne sportlich geben möchte .
Süddeutsche Zeitung, 04.11.16
Ich finde, das sagt alles. Da ist noch lange nicht das Ende dieses Trauerspiels erreicht. Adieu, geliebtes Sprechtheater, geliebte Schauspieler.
"den Performer: den möglichst jungen, möglichst "authentischen" Ich-Darsteller mit Street Credibility und Spezialtypenqualität, am besten mit einem interessanten Migrationshintergrund und Idiom.Da macht es auch nichts, wenn einer lispelt."
Bin ich allein mit der Meinung, dass das despektierlich ist?
Hat das noch irgendetwas mit der Beurteilung von Schauspielerei zu tun?"
Wieso meinen Sie, dass man bei dem beschriebenen Phänomen von "Schauspielerei" sprechen kann?
Wie wahr. Nach Ende der Lilienthal-Verbrannte-Erde-Ära lassen sich die Kammerspiele aber - nach Düsseldorfer Vorreiter-Modell - sicher noch als Kongresszentrum nutzen.
Nehmen wir Gundars Abolins, nehmen wir Samouil Stoyanov, nehmen wir Hassan Akkouch, gestandene Schauspieler mit Migrationshintergrund, Dialekt und zartem Sprachfehler. Wie kann es sich eine lokale Kritikerin erlauben, diese derart zu disqualifizieren. Und jetzt auch noch Sie? Das ist keine Kritik, sonden pure Verachtung. Allein Abolins Theaterherkunft sollten Sie vielleicht nachlesen. Wenn jetzt klar wäre, dass der Gegenentwurf irgendeine Form hätte, könnte ich den Hass vielleicht verstehen. Aber so? Wie ist denn Ihre Alternative, nach der doch gefragt werden darf? Deutsches Theater den gesunden Deutschen? Frau Hobmeier und Frau Drexler als Kartoffelschälerinnen in Nachkriegsstücken? Es ekelt mich einfach ...
Ich möchte widersprechen. Allein aufgrund seiner geringen Größe (KAMMERspiele!) scheint eine Nutzung als Kongreß- oder Messezentrum fragwürdig. I.ü. verfügt München mt dem Gasteig und dem ICM über ausreichende und hervorragende Kapazitäten. Der Raum und seine Lage legen eher eine Nutzung als Cafe oder Boutique nahe.
" könnte ich den Hass vielleicht verstehen. Aber so? Wie ist denn Ihre Alternative, nach der doch gefragt werden darf? Deutsches Theater den gesunden Deutschen? Frau Hobmeier und Frau Drexler als Kartoffelschälerinnen in Nachkriegsstücken? Es ekelt mich einfach "
Wenn Ihnen pointierte Kritik an schauspieleischem Dilettantismus bereits als "Hass"erscheint, vor dem es Sie ekelt, und der Sie automatisch faschistisches Gedankengut unterstellen, sollten Sie vielleicht mal Ihr Begriffsinstrumentarium überprüfen.
Wie so oft im gegenwärtigen Theater wäre es schön wenn das Interesse an Migration über bloße Gesten und Zurschaustellen hinausgehen würde.
Aber viel elementarer, es geht doch schlicht darum, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund wiederfinden, dass unsere Gesellschaft in den Ensembles und damit auf der Bühne abgebildet wird, zunächst mal quantitativ - als Abkehr von einer langjähirgen Praxis von blackfacing, whitewashing, etc.
Was dann in den Ensembles mit diesen Menschen gemacht wird, kann und muss ja nicht immer funktionieren und darüber kann und muss man auch streiten.
Aber die pauschal sich ereifernde Frau Dössel bringt ja ganz ohne Not (die wunderbare) Brigitte Hobmeier vs. SchauspielerInnen/PerformerInnen mit Migrationshintergrund in Stellung, als finde da ein Verdrängungskampf statt, der unsere (Sprech-)Theatertradition bedroht, das finde ich in dieser Pauschalität indiskutabel.
Na ja, wenn ich mir die Spielplanseite der Kammerspiele so ansehe, sieht es für mich so aus, als ob der Kampf bereits verloren wäre.
Ein Teil der Diskussion hängt sich dann an einem Satz von ihr auf (Stichwort: Migrationshintergrund). Mir scheint da etwas zu viel Hass in der Beurteilung dieser Zeilen reinzuspielen. Das ist ein Zeitungsartikel, min Jott!
Aber selbst wenn: Wer meint, sie habe Menschen mit Migrationshintergrund pauschal abgekanzelt, hat ihren Text entweder nicht gelesen oder falsch verstehen wollen. Sie kritisiert die Setzung, dass in den Kammerspielen nur noch Setzungen mit "Typen" vorgenommen werden. Sie kritisiert nicht grundsätzlich Performer mit Migrationshintergrund.Und damit wären wir wieder bei der Sache.
Ich finde diese Setzung schade. Wenn an einem großartigen Theater keine gescheiten Rollen mehr für Brigitte Hobmeier (und Co.) da sind, stirbt ein Stückchen Münchner Theaterkosmos - und das spricht erstmal gegen das Haus, das keinen Platz für überragende Schauspieler*innen und Publikumslieblinge bietet. Das, was bislang an die Stelle getreten ist - oft ein Aufguss Berliner Spielereien - überzeugt mich nicht, dass dieser Wechsel lohnte.
(Lieber Theaterfan, wir wissen nicht davon, aber werden nachfragen. die nachtkritik-Redaktion)
Ich halte die Dominanz dieser Performer auf deutschen Bühnen für das Symptom eines völlig narzisstischen Zeitgeistes.
Ich weiß das klingt recht altmodisch, ich bin ja auch schon 32.
Es wird gemunckelt, dass außerdem ein erfahrener Performer -der vor einem Jahr überraschend aus Berlin an die Kammerspiele kam-auch das Haus verlässt... vielleicht liegt es ja nicht nur an der fehlenden Bereitschaft, echten Schauspielern was zum spielen zu geben...
und viele ehemalige besucher der kammerspiele aus münchen und umgebung sähen bestimmt hobmeier, hunstein oder hüller lieber auf der bühne als die gern gezeigte kleinkunst unter dem bonsaiintellektuellen überberiff >performance
32 ? Und Sie gehen ins Theater ? Sind Sie vom Fach ? Oder wirklich eine interessierte Zuschauerin ?
Gruß
Offensichtlich gibt es im Weltbild mancher Leute nur die binäre Alternative "richtig" oder "falsch". Diese Leute weisen es auch weit von sich, ihre eigenen Kriterien in frage zu stellen - denn sie wissen ja, dass sie die Guten sind, die immer recht haben. Und alle andern, die nach ihrer Definition NICHT recht haben, sind eben die Bösen, und die sind eben von "Strategien" gelenkt und von "Hass". Da gibt's kein Vertun, das ist so, da muss man gar nichts klären oder überprüfen, sagen diese Leute. "Es ist einfach so". Punkt.
Man könnte es infantil nennen, wenn es nicht so weit verbreitet und so gefährlich wäre, diese Blockwart-Mentalität.
Was ist das hier.!!!! Wie soll etwas Zukunftsweisendes entstehen, wenn man nichts mehr wagt. Wagnisse beinhalten die Möglichkeit zu scheitern. Aber auch die einzige Möglichkeit etwas neues hervorzubringen. Menschen zusammenzubringen die voneinander lernen können. Was ist daran schlecht? Menschen an einem Haus zusammenzubringen, die aus ganz unterschiedlichen künstlerischen Richtungen kommen. Menschen die etwas zu erzählen haben über sich und die Welt. Menschen deren Beruf es ist, sich in andere hineindenken, wie Schauspieler und andererseits Menschen, die sich mit dem was sie selbst mitbringen einer Sache zu Verfügung stellen und sie bereichern, wie Performer oder Menschen deren Spezialgebiet das Singen und die Musik ist.Das ist befruchtend für alle . Und kann einem als Zuschauer neue Sichtweisen eröffnen, wenn man sich dem öffnen will. Gebt doch Lilienthal und vor allem auch den Künstlern Zeit sich zu finden, damit etwas ganz neues entstehen kann. Das dauert länger als ein Jahr. Es ist vieles nicht rundgelaufen, einiges war elitär, einiges auch unausgereift..eine Findungsphase, ganz eindeutig. Aber sprecht den Menschen dort nicht ihre Kompetenz ab..weil man nicht Schauspieler gelernt hat, hat man dennoch eine Berechtigung auf der Bühne, hat man dennoch etwas zu erzählen, ist man ein Künstler. Das klingt hier alles so unglaublich nach Kulturfaschismus. Die Afd würde sich darüber freuen.Eine laienhafte Einteilung von dem was Kunst ist und was nicht. Vielleicht auch nur noch deutsche Stoffe an den Kammerspielen, nur noch Klassiker. Es gibt gegenüber und in der Briennestrasse doch richtiges wunderbares Theater zu sehen. Warum kann es nicht ein Haus geben, in dem Neues gewagt wird, dass man so in München noch nicht kennt. Warum kann man da nicht mit Spannung, sondern nur mit Verachtung darauf schauen. Ich finde, der kleine Stachel in der Maximilanstrasse tut München gut.
Der kleine Stachel ist nun aber leider keiner. Wenn's mal so wäre....
Dieser plötzlich über die Kammerspiele hereinbrechende, wohl über ein Jahr aufgestaute Ärger ist in dieser Heftigkeit schon erschreckend.
War bisher also Schonzeit und die ist nun vorbei?
Ich möchte die Fälle Lacher & Hobmeier wirklich nicht vergleichen, weil sie so komplett unterschiedlich gelagert sind - aus ihnen aber verschiedene Symptome einer Theaterkrise herauszulesen, wie gerade in der SZ geschehen, finde ich aber sehr albern. Dass SchauspielerInnen mit hohem Marktwert und entsprechenden Möglichkeiten gelegentlich nach neuen Herausforderungen suchen, finde sich sympathisch. Dass sie beim Abgang ein bisschen Wind machen und damit ihre neue Freiheit/Verfügbarkeit jedem kundtun, geschenkt...
Aber man muss daraus nicht gleich den Untergang des abendländischer Theaterkultur herauslesen!
Es geht bei dieser aktuellen Entwicklung (Krise?) im Kern um etwas anderes, was vielleicht nur für Münchner wirklich nachvollziehbar ist. Denn Matthias Lilienthal hat eine Sache fundamental falsch eingeschätzt oder wollte sie bewusst seinem Verständnis von Theaterarbeit unterordnen: Es geht um die Identifikation des Publikums mit einem Ensemble. Und nicht irgendein Ensemble, es geht um das Kammerspiele-Ensemble! Das muss irgendwann bei Dorn eingesetzt haben, aber auch unter Baumbauer und Simons waren die Schauspieler stets im Mittelpunkt und die Münchner liebten und verehrten ihr stets einzigartiges, berühmtes und preisgekröntes Kammerspiel-Ensemble.
Das würde sicher auch mit einem "gemischten" Ensemble funktionieren, denn auch Performer bieten Identifikationspotential, aber das Publikum spürt, dass das aktuelle Ensemble viel mehr aus Einzelkämpfern und Gruppen besteht bzw. dass es Unterschiede gibt, die von oben bestimmt sind. Die Münchner sehen, dass einzelne Mitglieder dieses Ensembles (und wahrlich nicht nur Brigitte Hobmeier!) ihrer Möglichkeiten beraubt und missachtet werden, ja dass man sie regelrecht am ausgestreckten Arm beruflich verhungern lässt. Und das tut den Münchnern im Herzen weh! Das weltberühmte Kammerspiele-Ensemble wurde so sehenden Auges seiner Identität beraubt, im Kleinklein unzähliger Gastspiele und Gastkollektive und Gastkünstler ist etwas zerfallen, das so vielleicht nie wieder zurückkehren wird.