Tugenden im Krisenmodus

2. Mai 2024. Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit, Gerechtigkeit: Welchen Stand diese vier "Kardinaltugenden" heute noch haben, untersucht Rebekka Kricheldorfs Stück "Die Guten" humorvoll und ohne Happy End. Anna Tenti hat es in Fürth inszeniert.

von Wolfgang Reitzammer

Szenenbild aus "Die Guten" am Stadttheater Fürth, Foto von Thomas Langer

"Die Guten" von Rebekka Kricheldorf am Stadttheater Fürth © Thomas Langer

3. Mai 2024. Es ist wie ein Klassentreffen: Alle zehn Jahre versammeln sich die vier Kardinaltugenden der Antike und bereden die Lage der Dinge mit besonderem Augenmerk darauf, wie es denn um den guten Menschen steht. Das ist die Grundstruktur des Theaterstücks von Rebekka Kricheldorf mit dem Titel "Die Guten", das 2022 in Heidelberg uraufgeführt wurde und nun in einer Eigenproduktion des Theaters Fürth im Kulturforum Schlachthof präsentiert wird.

Launiger Einakter

Das Adjektiv "gut" wird neuerdings in der Politik gerne als Euphemismus gebraucht – man denke an das "Gute-Kita-Gesetz". In der Nachbarstadt Nürnberg gibt es sogar eine Wählergemeinschaft "Die Guten", die einen Sitz im Stadtrat erobert hat. Originalzitat: "Bis heute leben wir sehr gut ohne Programm. Wer genug gute Ideen hat und selber denken kann, muss sich nicht an einem Programm festhalten." Und dann gibt es noch das böse Wort vom "Gutmenschen", das 2015 zum "Unwort des Jahres" gekrönt wurde. Die Jury formulierte damals: "Mit dem Ausdruck Gutmensch wird das ethische Ideal des guten Menschen in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren."

All diese Aspekte hat Rebekka Kricheldorf durch die Theater-Maschine gedreht, herausgekommen ist ein launiger und intellektuell fordernder Einakter, der den Zuschauer manchmal in eine etwas zähe Warteschleife versetzt. Die Fürther Inszenierung von Anna Tenti versammelt die vier Tugenden Gerechtigkeit, Mäßigung, Weisheit und Tapferkeit an einem variablen schmucklosen Bühnen-Mobiliar, das wahlweise als Sprech-Podium, als Krabbel-Kiste oder als Konferenztisch genutzt werden kann (Bühne: Natalie Krautkrämer). Im Sinne der Mäßigung gibt's nur Weißweinschorle, Äpfel, Trauben und Salzletten.

Die Gerechtigkeit ist depressiv

Anfangs herrscht noch freudiger Optimismus, denn nach schlechten Jahren scheint nun wieder eine Tugenddämmerung sichtbar zu werden: Die Menschen essen keine Avocados mehr, schämen sich beim Wurstaufstrich, nutzen weniger das Flugzeug, brauchen nur noch ein tiny house und spenden für Geflüchtete. 

DieGuten1 1200 Thomas LangerDie Kardinaltugenden in der Couchlandschaft © Thomas Langer

Doch bald bröckelt die Fassade: Iustitia (Sunna Hettinger) hält ihre Existenz nur noch mit Anti-Depressiva aus, wenn sie beobachtet, was in ihrem Namen geschieht und wie schwer sich eigentlich Gerechtigkeit definieren lässt. Fortitudo (Boris Keil) ergeht sich in blutrünstigen Zweikampf-Fantasien, wenn er die Kollegen wie in einem Trainingslager auf die kommende Auseinandersetzung Tugend vs. Laster vorbereitet. Auch Temperantia (Hannah Candolini) kriegt gegen Ende die Krise, stopft sich mit Süßigkeiten voll und will einfach mal schwach sein dürfen. Einzig die nerdige Prudentia (Daniel Warland) bleibt cool und richtet den Realo-Blick auf die Menschheit: "Wir wollen uns auf das Machbare konzentrieren". 

Zaghafte Beschwörung der Menschlichkeit

Es gibt noch einen mantra-artigen Hu-Hu-Hu-Humanitas-Gospel, eine Imagekampagne für Demut wird geplant, bis schließlich das frustrierte Schluss-Fazit zur Sprache kommt: Man habe 100 Minuten zusammengesessen und unstrukturiert gequatscht, als Conclusio und als Message sei wieder mal nur herausgekommen, dass alles so beschissen wie immer ist.

Ernüchtert geht damit eine knallige Bühnen-Show als Mischung aus Gesellschafts-Satire und gymnasialem Grundkurs Ethik zu Ende, das spielfreudige und aufgedrehte Tugend-Quartett verabschiedet sich in den Philosophen-Himmel und lässt ein amüsiertes, manchmal aber auch etwas überfordertes Publikum im Schlachthof-Amphitheater zurück.

Die Guten
von Rebekka Kricheldorf
Regie: Anna Tenti, Bühne: Natalie Krautkrämer, Kostüme: Pina Starke, Dramaturgie: Julia Thurn.
Mit: Hannah Candolini, Sunna Hettinger, Boris Keil, Daniel Warland.
Premiere am 2. Mai 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.stadttheater.de

Kritikenrundschau

"Krichelsdorfs ironisches Dialogstück ist erst einmal ein Brocken, der am besten mit einer gepflegten Portion Bildung verdaut wird", so Sabine Rempe in den Nürnberger Nachrichten (3.5.2024). Regisseurin Anna Tenti habe "aus dem Irrsinn ein gewaltiges Spektakel gebaut". Die Spielenden hängten sich mit einer für den Zuschauer körperlich spürbaren Energie und Lust in ihre Parts. "Damit gelingt es Tenti und dem Ensemble, dass der Spannungsbogen keinen Augenblick durchhängt." Fazit: "Gut gemacht."

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