Schuss ins Irgendwo

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 23. März 2017. "Ground Control to Major Tom" – nein, das wird nicht gesungen an diesem kleinen Abend im Ballhaus Ost. Wobei "Space Oddity" als Genre eigentlich ziemlich gut passen würde für diese Koproduktion des für seine fantasievollen multimedialen Spielereien bekannten Post Theater und der bulgarischen Gruppe Subhuman Theatre aus Sofia.

"Satellites" ist ihr schmuckloser Titel, dabei sieht man hier nur einen Satellit. In dem befinden sich ein Astronaut und eine Kosmonautin, die vor 30 Jahren ins All entsendet wurden, um eine geheime Raumstation zur Verhinderung des Atomkriegs aufzubauen. Nette Idee – eine gemeinsame Secret Mission der einander in Kaltem Krieg verbundenen Großmächte, um sich vor sich selbst zu retten. Darauf wird aber nicht weiter eingegangen wie auch sowieso der Ankündigungstext ganz falsche Erwartungen weckt: "30 Jahre später wachen sie aus einem künstlichen Koma auf. Was ist passiert?"

Wir spielen Raumstation und Disko

Ja, keine Ahnung – woher sollen sie's auch wissen? Haben ja geschlafen. Und dann macht auch noch gleich nach dem Aufwachen Astronaut Alex das Radio kaputt, so dass sie es auch nicht erfahren können. Sie müssen sich also ganz allein zu zweit entfalten in den Ex-Deprimierten Alex, der die Erde nicht mal von oben schön findet und es eigentlich nur im All floatend aushält, weshalb die ganze Situation ihn auch nicht weiter stört – und die quecksilbrige Kosmonautin Juliana, die erst hier oben so richtig ihren irdischen Lebenshunger bemerkt und deren Verführungsversuche bei Alex aber nicht fruchten.SATELLITES 560 Elitza Nanova uSatellit mit Innenleben © Elitza Nanova

Der Satellit ist eine transparente Kapsel, auf deren Rundung das Cockpit einer veralteten Raumstation projiziert wird, manchmal außerdem die Gesichter der beiden Spieler in Großaufnahme. Auf einer Schiene fahren Alex und Juliana auf ihren Sesseln im Kreis und spielen mit an den Sesseln befestigten stieläugigen Lampen Disko – außerdem spielen sie auch ein bisschen mit der Frage, ob sie wirklich Astronauten und im All sind oder ob das alles nur ausgedacht ist.

Du bist die Erde

Aus dieser auf die Dauer allzu kindlichen Verweigerungshaltung entwickelt sich leider überhaupt gar keine Dynamik, und so bleibt einem, das sorgfältig gestaltete Bühnenbild zu studieren und wie es sich von der sonstigen Schrammligkeit des Ballhaus Ost abhebt mit seinen liebevoll gezeichneten Details – auch die Kostüme sind geradezu verschwurbelt; so zieht sich Juliana, als sie einmal aus der Kapsel aussteigt für einen kurzen Spaziergang im All, um und trägt einen transparenten Anzug statt des weißen, in dem sie innen im Partnerlook mit Alex war.

Drunter ist sie nackt – wahrscheinlich um ihre Sehnsucht nach Nähe nochmal sichtbar zu machen, die der läppische Text gerade zwar explizit gemacht, aber zum Nachfühlen in weite Ferne gerückt hat. Die witzigste Stelle ist eine Anekdote, die Alex erzählt, um Julianas Annäherungsversuche abzuweisen – von einem Freund, der irgendwo im Wald ein Loch in den Boden gegraben hat, um die ganze Erde zu ficken. Pointe (Achtung, gemein!): Juliana, du bist die Erde – und ich bin nicht dieser Freund.

Wann wird es wieder, wie es im Wunderland war?

Mit "I in wonderland" hat das Post Theater 2016 im Theaterdiscounter einen wundervoll verschraubten Parcours für Kinder inszeniert, in dem das Publikum stationenweise mitgenommen wurde in die Träume eines Kindes, das beschlossen hat, so lange zu schlafen, wie seine Eltern ihm das Tagträumen verbieten. In den Stationen tauchte man gleichzeitig in die ineinander verschachtelten Geschichten und die Videobilder von Hiroko Tanahashi ein, beide Ebenen schaukelten einander hoch in eine abgefahrene Fantasie-Welt.

Hier nun, im Ballhaus Ost, hat das Post Theater seine Qualitäten leider ins Irgendwo geschossen.

 

Satellites
von Post Theater/Subhuman Theatre
Künstlerische Leitung: Max Schumacher, Venelin Shurelov, Musik, Sounddesign: Sibin Vassliev, Bühne: Venelin Shurelov, Medienkunst: Yoann Trellu, Kostüm: Elica Georgieva, Design: Hiroko Tanahashi.
Mit: Juliana Saiska, Alexander Schröder.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.ballhausost.de

 

Kommentare  
Satellites, Berlin: Störendes in Schach gehalten
Das Kapselinnere ist mit einigen Federstrichen und viel ausgeklügeltem Videoeinsatz eindrucksvoll skizziert, Sterne und Weltraumschrott werden auf die Außenhaut projiziert, die beiden Darsteller*innen in weißen Raumanzugen kreisen wie schwerelos auf einer kreisförmigen Schiene durch ihre kleine große Welt, atmosphärische Musik betont den verlorenen Traum, den sie leben, noch, wie hingetupfter Humor heitert die Stimmung auf. Alles ist also bereit für eine stimmige Parabel über die Schwierigkeit des Menschen, Trennendes zu übersehen, und wie einfach es doch eigentlich ist, Heimat, wie es einmal heißt, auch ohne Länder zu denken. Und wie unmöglich in einer Welt, die sich von Machtverhältnissen und deren Ausübung definiert wähnt, die darauf basieren will, dass jemand die Verhältnisse aufrechter-, Störendes in Schach hält.

Nur leider passiert hier nichts davon, weil der Abend, der visuell und thematisch kosmische Größe behaupten, in sich so unendlich klein geraten ist. Der deutsche Kosmonaut (hier werden die sowjetischen Begriffe verwendet) ist ein Pessimist, der an der erde nichts Schönes findet und seine Liebe zum All zum Ventil eines misanthropischen Eskapismus zusammenschnurren lässt. Die bulgarische Kollegin dagegen gibt sich lebenshungrig, was sich bei ihr zum beinahe manischen Sexhunger verengt, die ständig in wie es scheint ernstgemeint überzogenen Emotionalität den Kollegen begatten will. Dass dabei eine hohe Dosis ironiefreien Sexismus mitschwingt – hier der rationale, kontrollierte Mann, dort die emotionale, sich nicht im Griff habende Frau – macht die Konstellation nicht besser. Der Rest ist Lebenslust auf Softpornoniveau „I want to be loved. I want to be free.“) gepaart mit Küchenphilosophie („There is no God beside the black.“), das die „großen Fragen“, welche die Stückankündigungen in den Raum zu stellen schien („Welche Weltanschauung wird von wem wie geprägt? Welche Gesetze gelten heute im Orbit? Und wie viel Politik steckt nach MIR und ISS im Weltall? Wo sind die neuen Zentren, die andere Regionen zur Peripherie machen?“), in einer Art Küchentischdiskussion implodieren lässt, die sogar für Gute Zeiten, Schlechte Zeiten zu banal wäre. Depressiver Mann trifft sexhungrige Frau. Im Weltall. War sonst noch was? Nein. Das Nichts, nachdem sich der depressive Deutsche sehnt – der Abend verkörpert es konsequent.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/03/25/reise-ins-nichts/
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