Casa Kollo

von Wolfgang Behrens

Berlin, 22. Juni 2016. An einem Stand seitlich neben dem Festspielhaus steht der Weltstar René Kollo und signiert Bücher. Das heißt, er würde Bücher signieren, wenn jemand da wäre, der Bücher signiert haben wollte. Es ist aber keiner da. Ein Unentwegter nur hat sich eingefunden, der Kollo vielleicht sogar ein Buch abgekauft und ihm eine Widmung abgenötigt hat. Jetzt aber, gegen Ende dieser Pause der Bayreuther "Tannhäuser"-Premiere, redet er auf den Sänger ein, und es ist schwer zu beurteilen, ob Kollo genervt ist oder doch froh, dass wenigstens dieser eine gekommen ist.

Ein trauriges Bild, eingefangen vor ein paar Jahren bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Sicherlich war die Situation trügerisch, denn René Kollo tritt ja noch immer auf und hat noch immer Erfolg. Trotzdem schien diese Szene die Botschaft auszusenden: Wenn der Opernstar vom Olymp des Ruhms herabsteigt, ist er allein.

Auftritt in der Residenz

Giuseppe Verdi etwa wusste um diese Gefahr, weswegen er noch kurz vor seinem Tod eine Altersresidenz für Sänger und Musiker gestiftet hat: die Mailänder Casa Verdi. Auf dass der abgetakelte Opernstar nicht allein bleibe. Der britische Dramatiker und Drehbuchautor Ronald Harwood wiederum hat 1999 ein der Casa Verdi nachempfundenes Heim zum Schauplatz seiner gehobenen Boulevard-Komödie "Quartetto" gemacht – und damit einen veritablen Dauerbrenner geschaffen, immer mal wieder gerne aus der Mottenkiste geholt und 2012 gar von keinem Geringeren als Dustin Hoffman verfilmt. Es muss ja auch ein diebisches Vergnügen für alternde Schauspieler*innen sein, die Marotten alternder Opernstars auf die Schippe zu nehmen.

Quartetto1 560 BarbaraBraun DramaBerlin hVier glorreiche Opernhelden in "Quartetto": Ute Walther, René Kollo, Karan Armstrong,
Victor von Halem © Barbara Braun / drama-berlin.de

Am Berliner Renaissance-Theater – das nach der Uraufführung von Entartete Kunst schon das zweite Mal in dieser Spielzeit auf Harwood setzt – hatte der bewährte Hausregisseur Torsten Fischer nun (weltweit erstmals!) den Einfall, die alternden Opernsänger*innen von alternden Opernsänger*innen mimen zu lassen. Und so marschieren hier plötzlich Helden auf, die sonst einen guten Kilometer weiter westlich an der Deutschen Oper ihre Triumphe feierten: neben jenem René Kollo, der in Bayreuth so einsam signierte, noch Karan Armstrong, Ute Walther und Victor von Halem.

Wege zum Ruhm und zurück

Die Idee ist so genial wie riskant. Natürlich ist es ein Coup, vier solche Kaliber mit der geballten Erfahrung von ungezählten Theaterjahrzehnten in eine Boulevardschlacht zu schicken. Dass sie allesamt den Ton noch wunderbar zu treffen vermögen, beweisen sie in kleinen musikalischen Einlagen, die eigens für diese Produktion hinzugefügt wurden: Gleich zu Beginn darf sich Karan Armstrong durch Barbara Streisands "The Way We Were" schmachten, René Kollo singt später eine schön introvertierte Version von Nat King Coles "When I Fall in Love", Ute Walther bewegt mit Charles Trenets "La Mer" – und auf schöne Art scheinen in den naturgemäß nicht mehr jugendlichen Stimmen ganze Biografien mitzuschwingen.

Einen anderen Ton aber treffen die Vier nicht, und das belastet die Aufführung doch stark: Mit dem schnellen und leichten Boulevard-Dialog sind die Opernstars (mit der bemerkenswert charmanten Ausnahme von Karan Armstrong) sichtlich überfordert. Die offenen Stimmapparate der Sänger*innen erzeugen Resonanzen, was das Zeug hält: Jeder Sprechakt wird dadurch zur groß tönenden Geste, die Pointen wirken mitunter mehr gesungen als gesprochen, und das Tempo scheint förmlich mit Pomade eingerieben.

Besser ohne Playback

In Harwoods "Quartetto" bereiten die vier Sänger*innen einen Auftritt vor, den sie sich im Grunde gar nicht zutrauen: Bei einer Gala der Residenz wollen sie das Quartett "Bella figlia dell'amore" aus Verdis "Rigoletto" zu Gehör bringen, obwohl ihre Stimmen das nicht mehr hergeben. Ihr durchaus selbstironischer Ausweg besteht zuletzt darin, das Quartett zum Playback ihrer alten Aufnahme lippensynchron zu performen und so noch einmal ihre eigene Glanzzeit zu beschwören.

In Torsten Fischers Fassung findet nun eine regelrechte Umkehrung statt: Da seine vier Darsteller*innen viel besser singen als darstellen können, geben sie das Quartett zuletzt natürlich ganz ohne Playback. Es ist, als sagten sie: "Seht her, unsere Glanzzeit ist noch lange nicht vorbei." Und der Zuschauer denkt vielleicht: "Liebe Opernstars, bleibt bei eurem Leisten. Ihr müsst keine Bücher signieren, ihr müsst eigentlich auch gar nicht Boulevard spielen. Singt einfach, denn ihr singt so schön."

Quartetto
von Ronald Harwood
Aus dem Englischen von Janice Probert-Gromüller und Albert-Reiner Glaap, Fassung von Torsten Fischer
Regie: Torsten Fischer, Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos, Musikalische Leitung: Harry Ermer, Dramaturgie: Gundula Reinig.
Mit: Karan Armstrong, Ute Walther, René Kollo, Victor von Halem, Harry Ermer/Michael Belter (Klavier).
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.renaissance-theater.de

 

Kritikenrundschau

Die Besetzung mit vier prominenten Sängern gäbe "der wehmütig-komischen Geschichte" von Ronald Harwood "mit den Rückblicken auf einstige Bühnentriumphe und Jugendsünden im Gegensatz zur längst vorherrschenden Vergessenheit, Einsamkeit und dem mühseligen Prozess des Alterns eine ergreifend authentische Dimension", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen (24.6.2016). In den Musikeinlagen zeigten die Interpreten, dass sie "weder ihre Musikalität noch ihre sängerische Intelligenz vergessen" hätten. "In seiner hübsch diskreten, liebevoll ausgestalteten Inszenierung baut Torsten Fischer das Stück geschickt um die Gesangeinlagen herum, solcherart die Charaktere ausmalend und schärfend" – und beim Schlussquartett sängen die Vier "mit einer Leidenschaft und Intensität, die sich allein aus dem oszillierenden Begehren der Musik speist – nicht einfach schön, sondern suchend, fordernd, verzehrend ungeschützt. Die Wahrheit, zu der sie damit vordringen, hat in der Tat kein Alter."

Ronald Harwood schwadroniere sich "in seinem Stück langatmig durch alles mögliche", sagt Andreas Göbel auf rbb Kulturradio (Zugriff 24.6.2016). Jede Figur bekomme "ein anderes Klischee mit". Alles komme "irgendwie vor: Alterswehwehchen, Auftrittsangst, divenhaftes Rumgezicke, Affären. (...) Das ist mal sentimental, mal banal, die Dialoge sind klischeeübersättigt. Kurz: ein schwaches Stück." Da könne der Regisseur Torsten Fischer "auch nicht ganz verhindern, dass die Dramaturgie mitunter durchhängt und Episoden zusammenhanglos aneinandergekleistert wirken." Sängerisch aber mache "die Sache Freude. Die Musical-Lieder und Chansons können alle wunderbar bewältigen, und jeder kann einen gestalterischen Charakter entwickeln, der über die Rolle hinausgeht." Und was das Quartett aus "Rigoletto" betreffe: Nach über zwei Stunden seien "diese fünf Minuten am Schluss der Grund, die Aufführung zu besuchen."

"Herzhafte Attacken", wie René Kollo sie im echten Leben noch oft genug reitet, kämen "im Stück von Ronald Harwood nicht vor", schreibt Ulrich Amling im Tagesspiegel (25.6.2016). Es wirke "in der Fassung des Renaissance-Theaters, besorgt von Regisseur Thorsten Fischer, zahnlos und bar jeden Rhythmusgefühls". Was "Text und Schauspielversuche nicht zu sagen" vermöchten, werde "der Musik überantwortet". Das immerhin klappe "ganz gut, weil hier durchscheinen darf, was für nimmersatte Scheinwerfersucher die Mitglieder dieses 'Quartetto' doch sind."

"Der Schluss versöhnt etwas mit dem sonst überaus langatmigen Abend", so Birgit Walter in der Berliner Zeitung (25.6.2016). Das Stück werde am Renaissance Theater zu einer Art Revue. "Torsten Fischer hat dazu einige schöne Momente inszeniert."

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