Alte Seelen in Kinderkörpern

von Eva Biringer

Berlin, 4. Dezember 2014. Ein ungeschriebenes Gesetz auf deutschen Theaterbühnen lautet: keine Kinder, keine Tiere. In seiner Inszenierung von Dostojewskis "Karamasow" bricht Thorsten Lensing beide Regeln auf einmal. Aus dem tausendseitigen Familienepos mit dem Prädikat unaufführbar wird in den Sophiensaelen eine Suche nach der kreatürlichen Unschuld, der Vermutung nach in jenen Wesen zu finden, die nichts wissen vom Bösen: in Kindern und Tieren eben.

"Die Brüder Karamasow" sind Dostojewskis letztes Werk. Dafür wurden noch einmal die ganz großen Themen aufgerollt, Schuld, Sühne, Glaube, Liebe. Hoffnung ist eher fehl am Platz. Für ihre Textfassung dampfen Thorsten Lensing und Dirk Pilz den Stoff auf etwas über hundert Seiten ein. Vom Mordkomplott an Vater Karamasow bleibt wenig mehr als indirekte Rede, von seinen drei Söhnen als Bühnencharakter nur der schöngeistige Aljoscha. Zum Glück, denn so ist aus Dostojewskis gesellschaftlichem Rundumschlag mit seinem von befremdlichen Impulsen heimgesuchten Personal etwas sehr viel Greifbareres geworden.

Verletzliche Komik

So entschlackt wie die Handlung ist auch Johannes Schütz' Bühnenbild. Zehn nackte Glühbirnen baumeln von der Decke, ein elftes Licht markiert Momente besonderer Pathetik. Aus der Klassenzimmerbestuhlung entsteht mit Hilfe von Gaffa Tape bei laufendem Betrieb erst eine Krankenstatt, dann eine Leichenbahre. Wenige Zentimeter über dem Boden schwebt eine Glocke wie ein Damoklesschwert über den Sündern, die sie zum Klingen bringen. Lange Jahre arbeitete Johannes Schütz mit dem Regisseur Jürgen Gosch zusammen, aus der Möwe etwa am Deutschen Theater erinnert man die pausierenden, vom Bühnenrand das Geschehen beobachtenden Darsteller.karamasow14 560 stoetzner-striesow-lardi-blomberg-foto-arwed-messmer xWie die Kinder? Ernst Stötzner, Devid Striesow, Ursina Lardi, Sebastian Blomberg
© Arwed Messmer

Diese Darsteller entlassen einen auch nach knapp vier Stunden Spielzeit mit dem Gefühl, nur ein kleines bisschen zu lang im Theater gewesen zu sein. Devid Striesow als Aljoscha tauscht die besonnene Erhabenheit der Romanfigur (die einem Neunzehnjährigen sowieso zwei Nummern zu groß ist) gegen verletzliche Komik. Sebastian Blomberg spielt den dreizehnjährigen Kolja wie die Karikatur eines Disney-Bösewichts. Von den Existenzialisten leiht sich dieser Däumling nicht nur den schwarzen Rollkragenpullover, sondern auch die Misanthropie. Statt Däumchen dreht er die Rute, bereit auf alle einzudreschen, die unempfänglich sind für sein zweifellos vorhandenes Charisma.

Auf den Hund gekommen

Ursina Lardi als Lisa ist der personifizierte sich lösende Dutt, im einen Moment um Aljoschas Liebe flehend, im nächsten durch geistige Abwesenheit glänzend. In Sekundenschnelle durchmisst Lardi die großen Frauenfiguren, von Lolita, zu Lulu, zu Lilith, allerdings ohne auf deren sexueller Dominanz zu beharren. Ist Lisa eine Freud'sche Hysterikerin oder eine frühreife Liebende (von den Gefühlsaufwallungen einer Vierzehnjährigen wusste ja schon Shakespeare zu berichten)? Ihre Mutter Mme. Chochlakowa wird bei Ernst Stötzner zur wechselweise dem magischen Realismus verpflichteten Küchenpsychologin. Von der schönen Witwe zur Pantoffelheldenautorität, die zumindest verbale Backpfeifen verteilt. Horst Mendroch als Iljuscha braucht nicht mal seinen Minitornister, um für neun Jahre gehalten zu werden, es reicht, wenn er schattenboxt. Rik van Uffelen als Iljuschas Vater ist die Resignation in Person, eine Resignation mit russischem Akzent und gebrochener Würde.

Allen gelingt es – und das macht nach Meinung der Rezensentin den wahrlich großen Schauspieler aus – durch minimale Körpersprache, noch vor der eigentlichen Sprache, maximal komplexe Figuren zu erschaffen. Am deutlichsten wird das dort, wo Sprache fehlt. Man muss gesehen haben, wie André Jung auf den Hund kommt (ein Bluthund oder eine Bulldogge wird es sein). Man muss gesehen haben, wie er leicht vornübergebeugt auf Sebastian Blombergs Schulter sabbert und sich das Ohr kraulen lässt, wie er winselt, trieft, die Augen in Zeitlupe zukneift, Reisig apportiert, den Kopf in die Schneemaschine hält wie in den Fahrtwind, kurz: die ganze Palette des devoten bis dämlichen Treucharakters eines Haustiers abspielt.

Kleine Sadisten

Was bleibt? So gerne man Thorsten Lensings insgesamt doch sehr heiterem, auf jeden Fall glücklichem Zugriff auf die unheitere Vorlage Glauben schenken mag, straft sein Ensemble seine Interpretation Lügen. Kinder und Tiere sollen der Schlüssel sein zum Paradies? Vielleicht sind es die Vögel, die unsichtbar, nur durch menschliche Gurrlaute präsent, am Ende des Stücks das Kindergrab umkreisen. Die Kinder hingegen sind allesamt kleine Sadisten. Sie füttern Hunde mit nagelgespickten Stullen, sie träumen davon, wie sie, Ananaskompott löffelnd, Gekreuzigten beim Sterben zusehen. Alte Seelen in Kinderkörpern. Keine Kinder auf der Bühne, nirgends.

 

Karamasow
nach Fjodor Dostojewski
Textfassung: Thorsten Lensing unter Mitarbeit von Dirk Pilz
Regie: Thorsten Lensing, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Anette Guther, Produktionsleitung: Eva-Karen Tittmann, Technische Leitung:Eugen Böhmer.
Mit: Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Horst Mendroch, Ernst Stötzner, Rik van Uffelen, Devid Striesow.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.sophiensaele.com

 

Offenlegung: Dirk Pilz, einer der Redakteure von nachtkritik.de, hat bei der "Karamasow"-Produktion an der Textfassung mitgearbeitet.

 

Der Regisseur Thorsten Lensing ist einer, der nur alle Jubeljahre mal inszeniert. Dann aber mit seinen eingeschworenen Mitstreitern wie etwa Devid Striesow und Ursina Lardi aufs Ganze geht. Beide waren z.B. auch schon in den Tschechow-Abenden Onkel Wanja (März 2008) und Der Kirschgarten (Dezember 2011) dabei.


Kritikenrundschau

Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (6.12.2014) preist die "Intensität" und "Echtheit" des Schauspiels an diesem Abend. "Es ist ein pures Spiel mit offenen Karten. Ein Machen ohne Vormachen. Ein bewusster, kontrollierter Gang durch gegebene Situationen, wobei keiner schon vorher genau zu wissen scheint, wo er mit dem nächsten Schritt landet." Die Akteure "tun, was sie tun, und sie sind, was sie sind. Wie unverlässlich ist die Wirklichkeit, wenn man dieses Theater verlässt."

"Ein Familiendrama ohne Familie“ und ohne die in den Brüdern widerstreitenden philosophischen Positionen biete dieser Lensing-Abend, mithin einen "Dostojewski light, könnte man meinen", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (6.12.2014). Schauspielerisch erinnere manches an den "Onkel Wanja" von Jürgen Gosch. Das Problem der Inszenierung: Mit Aljoscha stehe ein Mensch im Zentrum, "der nur glaubt und nichts will. Der den anderen als stummer Beichtvater dient." Größe gewinne der Abend mit der Figur des Kolja, die Sebastian Blomberg "als eitles, unberechenbares Rumpelstilzchen" spiele.

"Die Entschlackung" des Romans in der Spielfassung "tut dem Material gut. Die Triebkräfte Generationenkonflikt, Gottsuche und Schuld und Sühne schälen sich im exzellenten Spiel des Ensembles heraus", sagt Ute Büsing im Inforadio des rbb (5.12.2014). "Es ist Lensings Kunst, Raum zur Entfaltung zu geben, für lange Monologe und komische Kabinettstückchen."

Lensing habe sich "für eine epische Erzählweise entschieden, gefühlt besteht der Abend aus vielen langen Monologen. Und einigen kurzweiligen Nummern", berichtet Stefan Kirschner in der Berliner Morgenpost (6.12.2014) von einer "mäßig inspirierenden Inszenierung" mit "raren, großartigen Szenen".

Eine "weihevolle Kunsterstarrung" hat Christine Wahl vom Tagesspiegel (8.12.2014) erlebt. "Statt elementaren Spiels" sehe man über weite Strecken "eher selbstbewusstes Virtuosentum. Die intendierte Suche auf offener Bühne mündet ins Kabinettstück." Das heißt: "Die Akteure treten ähnlich monologinselartig auf, wie der Text strukturiert ist: Jeder spielt mit großem Engagement seinen eigenen Hochkaräter-Stiefel, was man schon sehr mögen muss, um über vier Stunden bei der Stange zu bleiben."

Man merke von Anfang an, "da herrscht eine große innere Spannung" bei allen Beteiligten, sagt André Mumot im Gespräch auf Deutschlandradio Kultur (5.12.2014, hier im Podcast). Der Fokus auf die Kinder "ist ein ganz spannender und interessanter Blick auf diesen Roman, wie man ihn so normalerweise nicht bekommt". Gar nicht satt sehen kann sich der Kritiker an den Leistungen der Schauspieler*innen; "die dürfen sich da richtig entfalten, da wird richtig intensiv mit den Schauspielern gearbeitet und die nehmen das ganz dankbar ab und da sieht man die Leute dann in Hochform".

Kommentare  
Karamasow, Berlin: sie können einfach alles
Es geht mit brachialer Komik los und erstmal wird gebrüllt: sofortige Skepsis. Und natürlich war ich auch gespannt, ob die Darstellung von Kindern (und einem Hund) durch erwachsene Schauspieler gelingt. Nach fünf Minuten und dem ersten herzlichen Lacher ist klar: alles geht wunderbar auf. Diese Schauspieler können einfach alles. Und die Textfassung ist fabelhaft. Witz und Tiefe, man ist hingerissen, begeistert, erschüttert und krümmt sich vor Lachen und Mitleid.
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Karamasow, Berlin: tatsächlich ziemlich groß
Ich habe es ein wenig anders erlebt als 1. Für mich ging es erst nach der Pause zusammen und auf, dann aber richtig. Und dann wird es tatsächlich noch ein ziemlich großer Abend.
Karamasow, Berlin: großartige Reduktion
Wie auch immer, die Reduktion auf Aljoscha und Teile des 10. Buches: Die Jungen geht großartig auf. Auch ein Zeichen dafür, dass sich durch gezieltes Anreißen der Oberfläche des Romans, unter der sich ja ein Geflecht von Nebenhandlungen verzweigt, erst die volle Spannung der immer wiederkehrenden Themen Dostojewskis entfaltet. Gute Regie, tolle Schauspieler. Tatsächlich sehenswert, und man muss nicht zwangsläufig den Roman gelesen haben, um die Botschaft zu verstehen.
Karamasow, Berlin: selbst die Kinder sind verdorben
Wobei die Botschaft /"selbst die Kinder sind verdorben") ein bisschen weniger schlicht und negativ sein könnte. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Karamasow, Berlin: das volle Spektrum
@4: generell tue ich mich schwer damit, 'die Botschaft' einer Inszenierung zu identifizieren, hier aber noch viel mehr als sonst. Schlicht jedenfalls finde ich Karamasow überhaupt nicht, im Gegenteil ist ja in jeder Minute das volle Spektrum zu sehen: überheblich und unsicher. Laut/autoritär und verletztlich. Verspielt und aggressiv. So wie Kinder, Jugendliche, Pubertierende auch sind.
Und dann noch die Ebene, die durch die erwachsenen Schauspieler entsteht: Im Sterben des jungen Iljuscha sieht man trotz oder wegen aller Kunst des Schauspielers Horst Mendroch auch das Sterben eines alten Mannes und spiegelt damit das Sterben des alten Starez, der auf dem Totenbett in die eigene Kindheit blickt.

Zur Kritik von Eva Biringer, die ich größtenteils gut und treffend finde, würde ich gerne noch anmerken, daß ich nicht glaube, daß die Schauspieler die Intention von Text und Regie unterlaufen, ich halte die Inszenierung für sehr genau gearbeitet. Was die Länge angeht: ich habe viele Stücke von 2 Stunden Spieldauer gesehen, die doppelt so lang waren...
Karamasow, Berlin: so einfach nun auch nicht
Ich denke nicht, es ist die bloße Feststellung, dass auch Kinder verdorben sind. Sondern die Frage, wie und warum verderben sie. Und da macht es sich Lensing so einfach nun auch nicht. Die Nachtkritik vermittelt das nur ungenügend.
Karamasow, Berlin: wenig optimistisch, aber stringent
Natürlich geht es auch ums Warum, nur hätte ich mir beim Ob mehr Variabilität gewünscht. OK, Iljuscha ist weniger schwarz-weiß, aber hat auch seine (sehr) dunkle Seite. Generell dürfte der Abend etwas optimistischer sein, aber gut, ist bei Dostojewski auch schwer. Und stringent ist das allemal.
Karamasow, Berlin: vieles zu ironisch
Ich war doch sehr enttäuscht. André Jung ist durchgehend fabelhaft, manch andere Darsteller auch, allerdings nur kurz. Leider ist Vieles zu ironisch geraten. Man sollte sich nicht ständig mit äußeren Brüchen zu retten versuchen, das nützt ab, das langweilt, das ist auch nicht ehrlich.
Karamasow, Berlin: Vorbehalt schrumpft
Nach 2 tagen Nachdenken sind die Vorbehalte gegenüber dem Abend noch kleiner geworden. Gutes Theater schafft das zuweilen. Mehr gibt's hier (heute ist meine Eigenwerbung mal etwas schamloser): http://stagescreen.wordpress.com/2014/12/06/kein-kinderspiel/
Karamasow, Berlin: überfo(e)rdertes Star-Theater
Ich fand die Inszenierung eine Frechheit. Uninspiriert und langweilig. Mit großen Schauspielern, die selbstverliebt und eitel nichts anderes tun, als großtönend große Schauspieler spielen! Und das ohne innere Inhalte! Die Mittel, die bei Jürgen Gosch so gut funktionierten, wurden, meiner Meinung nach, handwerklich nicht beherrscht und verkamen zu schlechten Zitaten (vergangener, besserer Zeiten), die aber, bei Lektüre der Besprechungen, den meisten Kritikern anscheinend reichen, um sich in ihrem Star-Elite-Theater ganz wohl zu fühlen und ihr Großmanns-Theater auch in der freien Szene zu finden. Zumal diese Ästhetik ja auch schon 10-15 Jahre alt ist. Das Ärgerlichste aber, finde ich, ist, dass das ganze überhaupt in den Sophiensälen stattfinden durfte. Warum müssen Star-Schauspieler, die gutversorgt an den Staatstheatern alimentiert werden und die Filmlandschaft beherrschen, nun auch für viel Geld an einer freien Bühne ihr Handwerk darbieten? Wenn es wenigstens inspiriert, neu, innovativ wäre, was da gezeigt wurde und einen neuen Zugang erforschen würde zu so einem Text! Alles das sind nämlich Förderkriterien für die Förderung freier Theaterproduktionen, auch beim Hauptstadt-Kulturfonds, die die Produktion immerhin mit 80.000€ unterstützte. (Hier einmal die Förderübersicht Sprechtheater vom HKF: http://www.hauptstadtkulturfonds.berlin.de/index.php?id=292&no_cache=1&tx_nkhkf_pi1[category]=57) Bei dieser Anhäufung von Stars darf man sich nicht wundern, wenn die Produktion fast die doppelte Fördermenge der anderen Produktionen bekommt, Geld, was anderen, freien Produktionen dann fehlt! Hätte irgendeine freie Theatergruppe sich bei den Sophiensälen oder beim Hauptstadt-Kulturfonds mit so einem Konzept beworben (ohne Stars, aber mit hungrigen Schauspielern), wäre das Konzept ohne Kommentar im Müll gelandet. Ehrlicher wäre es gewesen, die Produktion am Theater am Kurfürstendamm herauszubringen! Da gehört Boulevard-Theater mit Stars nämlich hin!!
Karamasow, Berlin: Neid ist zu wenig
Gottchen Jürgen, das Neid-Argument, ganz schwaches Tennis. Gott sei Dank ist das kein Kriterium für oder gegen Förderung. Haben sie sonst nichts zu sagen außer Neid? Offenbar nicht. Was ist innovativ? Sagen sie nicht? Gibt es Kriterien die das festlegen? Nein, seit 200 Jahren nicht mehr. Gibt es veraltete Ästhetik? Auch nicht mehr. Sollte sich eigentlich rumgesprochen haben. Haben sie offenbar noch nicht gewusst. Warum ist die Inszenierung uninspiriert? Sagen sie auch nicht. Kennen Sie den Roman? Offenkundig nicht. Bleibt nur nackter Neid. Bisschen wenig.
Karamasow, Berlin: aphoristisch
"Neid ist das böse Wort, das die Reichen für den Gerechtigkeitssinn der Armen verwenden."
Karamasow, Berlin: enttäuscht von Kritiken
Ich war diesmal auf die Kritiken gespannt und bin jetzt ziemlich enttäuscht. Kaum jemand, der was zu sagen hat, die meisten scheinen nicht mal das Buch zu kennen und finden dann die Inszenierung schwach. Der Tagesspiegel hat gar nichts zu sagen außer ressentiments und ein geschmacksurteil, vom Buch keinerlei Ahnung, die SZ blamiert sich weil da noch nicht mal Begriffen wird was Kinder und Tiere unterscheidet. Niemand schreibt über den Starez. Das ist alles sehr dürftig, die Leute scheinen überfordert. Der Abend ist so streitbar und heikel und dann diese nichtssagenden Kritiken.
Karamasow, Berlin: scharfer ironischer Geist
Mir hat die Inszenierung außerordentlich gut gefallen, geistvoll, witzig , von hohem Unterhaltungswert.
Ich habe viel von Dostojewski gelesen und meine, das in dieser Interpretation sein scharfer , Ironischer Geist zu spüren ist, seine Liebe zur und seine Verzweiflung an der "Russischen Seele". An der hat sich auch in den letzten 100 Jahren nicht viel geändert.
Und gleichzeitig schwingt in der ganzen Inszenierung viel von unserer jetzigen Zeit mit, Befindlichkeiten, Gekränktesten, Irritationen.
Für mich eine der interessantesten Inszenierungen dieses Jahres.
Und man kann guten Schauspielern ja nicht vorwerfen das sie toll spielen.
Karamasow, Berlin: Hund zu Geistlichen
fantstisches spiel. humor. geist. seele. imense liebe. welch talente da zusammen kommen.
die szene mit den geistlichen zwei. der hund der zu einem geistlichen mutiert ist das genialste was ich je sehen durfte. was eine klarheit und zartheit in der einfachsten, menschlichsten form. frei von dramatik und kitsch. ich habe alles verstanden. diese szene beschreibt für mich das zentrum des stückes, die wahrhaftigkeit des stückes.
darüber spricht keine presse. wo waren sie nur als sie mit dem schrift den A5 block vollkritzelten?
sebastian blomberg zum in die knie gehen, so fein, so liebevoll schöpfte dieser sein ganzes können in den abend hinein. ursina lardi, unbeschreiblich in alle richtungen. andre jung, ein hund den man riechen kann und einen geistlichen den man verstehen kann.
4 stunden ist eine lange zeit. gerade im theater. aber hier gehörte alles zu einem, man durfte empfinden. dafür ist die zeit viel zu kurz gewesen.
ersichtlich ein grosser fan. eine fänin.
Karamasow, Berlin: mit Bewunderung
Danke, lieber Iwan 1,
auch ich habe mit Bewunderung diesen Reigen gesehen und ein solcher solle es wohl auch sein. Man muss auch Gosch kennen und das Zusammenspiel toller Schauspieler, die auf der Bühne bleiben und zum Zuschauer werden.
Mit Verlaub Herr Jürgen, ich sehe gute Schauspieler gern und manchmal fällt es mir schwer, in jedem hungrigen Schauspieler auch einen Künstler zu sehen. Das gehört dann auf die Off-Bühne.
Nun obliegt es dem Geschmack, solch eine Inszenierung zu mögen oder auch nicht.
Auch für mich war es eine der ganz wichtigen Inszenierungen des Jahres, weil im ersten Teil in den Monologen immer wieder bedeutende Wahrheiten über die Liebe, die Hoffnung und das Leben ausgesprochen wurden, Zitate, die ich gern notiert hätte. Nun muss ich wohl Karamasow erneut lesen und unterstreichen, um nachvollziehbar die wesentlichen Ideen zu vertiefen.
Karamasow, Berlin: Buch und Ausriss
Leider wahr. Wenn man im Tagesspiegel lesen muss: "Karamasow" bekennt sich zur Ausrisshaftigkeit und referiert Dostojewskis Glaubensfragen, die Schuld-und-Sühne-Diskurse vier Stunden lang vornehmlich an den im Roman auftretenden Kindern und Tieren entlang.", dann weiß man gleich, dass die Kritikerin das Buch nicht kennt, Dostojewskij schon gar nicht. (...) Lustig auch das Argument, warum die Inszenierung nicht komplex ist: weil bestimmte Figuren nicht auftreten. Dass Iwan und Dimitri nicht gestrichen sind, sondern in Aljoscha verlegt - das ist doch wirklich nicht so schwer zu kapieren. Aber offenbar doch. (...)
Karamasow, Stuttgart: Vorsprechen für Mimen-Ruhmeshalle
Au weia, da bin ich aber in Stuttgart schwer reingefallen. Große Namen haben mich ins Kammertheater gelockt - und dann das! Also der Hund war das Beste. Ansonsten trifft das zu, was hier auch schon geäußert wurde: große Monologe, kein Team, sondern einzelnes "Vorsprechen" für die Aufnahme in die Halle der unsterblichen Mimen. Die Romanvorlage ausgebeutet nach netten Stellen, Stötzner berlinert, Blomberg albert, Striesow dramatisiert, Lardi schreit...am Ende wurde aber brav getrampelt, eine Sternstunde, froh und dankbar müssen wir sein, dass wir das noch erleben durften frei nach Dr.Schönfärber in "Monaco Franze".
Karamasow, Stuttgart: Freie Szene als Steigbügelhalter?
Die Beteiligung des Schauspiels Stuttgart an diesem Projekt verdankt sich wohl der Tatsache, dass Jan Hein jetzt dessen leitender Dramaturg ist. Zu den übrigen Koproduzenten gehören die Pioniere der Freien Szene wie Kampnagel Hamburg, die Sophiensaele oder Hellerau, die einst angtreten sind, um ein "anderes Publikum" zu gewinnen. In Stuttgart war es kein bisschen anders. Was mir niemand erklärt, was ich aber gerne wüsste: worin besteht bei Thorsten Lensing die Differenz, die den Ansprüchen einer Freien Szene gerecht wird? Was wäre dieser Inszenierung an einem traditionellen Haus - zum Beispiel am Schauspiel Stuttgart - im Wege gestanden? Was zu sehen war, ist beste Qualität, die die Gegenüberstellung von Regietheater und Schauspielertheater obsolet erscheinen lässt. Strukturell unterscheidet sich die Produktion nicht von Tourneetheaterinszenierungen, die auf Fernsehstars setzen - sozusagen Startheater für literarisch Ambitionierte. Kein Einwand gegen das künstlerische Ergebnis - aber von den Advokaten der Freien Szene hörte man doch gerne ein Wort über die politische und ökonomische Bedeutung der Ersetzung von Ensembles durch vazierende Spitzenkräfte. Die Freie Szene als Steigbügelhalter für die Übernahme von Opernunsitten im Sprechtheater? Wer das will, sollte sich dazu bekennen. Ich bitte um Aufklärung.
Karamasow, Stuttgart: Ensemble als Spiegel der Kommune
Müsste man ja sehen, um den Fragekomplex aufklärerischen Willens zu bedenken und niemandem bei der Erörterung Unrecht zu tun... Im Prinzip würde ich sagen: Die künstlerisch kampflose, resignative Entlassung des Staates aus der Verantwortung für Ensemble-Kunst (Theater-Ensembles/Orchester/Tanz-Compagnien) ist verantwortungslos. Denn die Kunst des Theaters (w.v.) besteht eben im Ensemble! bildendurchsetzenerhalten! Das durch seine Kunst kollektiv Darstellende Ensemble ist der Spiegel der Kommune. Wird es zerstört, nicht gefördert oder behindert, wird gemeinschaftlich lebende Bevölkerung be-, verhindert und oder gar zerstört! Nachweislich. Sichtbar. Insofern liegt m.E. das Potenzial eines neuen Regie-Theaters in den loseren, oft projektbedingten (und das heißt auch: ökonomisch flexibel in die Darstellung übergriffigen) Produktionsbedingungen der Freien Szene und das Potenzial für eine Weiterentwicklung des Schauspiels als Ensemble-Darstellung im subventionierten Staatstheater bis auf die kommunale Ebene. Dafür haben die Kommunen zu kämpfen. Oder verhalten sich andernfalls unverantwortlich innerhalb ihrer eigenen gewählten Staatsform. Dann vereinzeln sie ihren bürgerschaftlichen Willen in Vereinsgründungen oder Online-Petitionen. - Besser als nichts.
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