Seestücke - Die Volksbühne entdeckt den Seefahrer Schiller in seinen späten Fragmenten
Wind, hilf unserm Kampf!
von Christian Rakow
Berlin, 25. November 2009. "Jetzt mit Meer" verspricht die Volksbühne auf neongrünen Plakaten am Eingangsportal. Und also liegen wir drinnen wieder – wie jüngst bei Frank Castorf – auf weißen Seesäcken im Parkett, um auf große Ozeanfahrt mitgenommen zu werden. Dunkel ist es. Über dem endlos weiten, leeren Bühnenboden beginnen die Scheinwerfer zu spielen, so als würden unentwegt Lichtgitter über die Bretter gezogen.
Männer- und Frauenchöre (bestechend: der Chor der werktätigen Volksbühne mit Gästen) erscheinen in der Tiefe des Raumes und schreiten gemessen den Lichtkorridor voran. Manch einer setzt wie ein Matrose einen Ausfallschritt zur Seite, auf dass die Gruppe wie eine wogende Welle erscheine. "Wind, fill our sails, help our fight!" Über einem einsam dräuenden Basston erklingen Seemannsweisen. Kirchenchoräle mischen sich hinein, später Bruchstücke der Marseillaise oder des Deutschlandliedes. Sprecherchöre steuern Schiller bei sowie Raumordnungstheorien von Carl Schmitt. Dahinter wogt eine behutsame Orchestrierung wie ein Vorsegel auf der Bounty vor dem nahenden Sturm.
Welthandel, Kolonialismus und Piraterie
Es ist ein großes Exerzitium, eine ozeanische Liturgie, die Regisseur Ulrich Rasche gemeinsam mit Musikdesigner Sir Henry entworfen hat. Eine Stunde in schier endloser Rotation schwappt uns Chorwelle um Chorwelle entgegen. Suggestiver, packender könnte ein Abend kaum beginnen, der uns verspricht, drei späte Seefahrts-Fragmente von Friedrich Schiller im Lichte neuester geopolitischer Forschung zu erwecken.
Schillers drei "Seestücke", entstanden zwischen 1798 und 1803, sind kaum mehr als Stichpunkte für ein nie begonnenes Drama über Welthandel, Kolonialismus und Piraterie. Der erste Entwurf ("Das Schiff") sah noch ein veritables Rührstück vor: mit europamüden Auswanderern, heimwehleidigen Kolonialisten und allerlei Liebeshändeln. In "Die Flibüstiers" und "Das Seestück" dreht sich dagegen alles um die Freibeuter und die Selbstgestaltung von Gemeinschaften im rechtsfreien Raum (von weitem klingen darin "Die Räuber" an). Der Stoff ist in seiner Breite eher epischer denn klassisch dramatischer Natur, und also wird er in allen drei Bearbeitungen an diesem Abend nicht dialogisch aufbereitet, sondern mit der ganzen Spröde der Prosaskizze vorgestellt und eben auch mit viel Globalisierungs- und Raumtheorie angereichert.
Weltrevolution mit Jack Wolfskin
Ulrich Rasches rituelles Chortheater umkreist intellektuell den Moment der kolonialen "Landnahme", als Ursprung der modernen Nationen England, Frankreich und Deutschland. "Das Meer ist anarchisch", heißt es. Aber der Mensch nicht. Er zieht Grenzen. Stetig fließen die Sänger und Sprecher über den Lichtsteg. In weißen Hemden, Bundhosen und Röcken, mit farbigen Krawatten und Käppis uniformiert, könnten sie auch Brigaden auf der Militärparade sein oder Arbeiterströme in einem unsichtbar gewordenen Metropolis. Die strenge Form regiert hier sinnbildlich das freie Spiel der Kräfte.
Man hätte den drei Stunden dauernden Abend gut auf eine herunter kürzen können. Denn in den beiden anschließenden Adaptionen werden die "Seestücke" praktisch zu Treibholz zerkleinert. Heiko Kalmbach besinnt sich mit einer Gruppe von Mittel- und Südamerikanern und Afrikanern auf Schillers Notiz "Darf die Revolution mit eingewebt werden?" Ja, darf sie. Anscheinend aber nur, wenn man dazu auch mal komische Ethnomasken (oder doch Faschingsmasken?) aufsetzt und Iglu-Zelte aufbaut. Das ist die Weltrevolution aus dem Geiste von Jack Wolfskin.
Wegsegeln und Dableiben
Mit dem von Hause aus Bildenden Künstler Ulf Aminde wird es nach der zweiten Pause noch knappe 20 Minuten lang lustig. Als hämmere er morgens um fünf Uhr an den Spätkauf, brüllt sich hier ein irrer Jüngling über Lautsprecher bewusstlos: "Abschied des Seemanns von seinen Gefährten, oder doch sonst ein höchst rührender Abschied!" Dazu zerschrammelt uns die Punkband "Something Inside" die Gehörgänge.
Alsbald aber bittet ein Regisseur per Lautsprecher vier weibliche, offensichtlich leicht psychotische Figuren herein. Man will in Auseinandersetzung mit dem Theorieklassiker "Über das Erhabene" vom Scheitern des Sittlichen am Sinnlich-Unendlichen philosophieren. Gut gedacht (weil Meer selbstredend "erhaben"), nur allzu zäh und knöchern aufs Parkett gestelzt. Spätestens wenn sich die Inszenierung darin gefällt, endlose Minuten lang den roten Vorhang auf und zu zu schieben, sinkt der Spaß auf Grundschulniveau ab. Der Saal klatschte sie von der Bühne.
Sei's drum. Diese drei Bühnenadaptionen sind nicht im Geringsten miteinander verschmolzen worden. Wenn die Dramaturgie den Goldklumpen auswäscht, hat das Haus wieder ein echtes Kleinod vorzuweisen. Wie spricht Schiller? "Ein Wegsegeln und Dableiben muss zugleich vorkommen. Beides hat etwas Trauriges, aber das Freudige ist überwiegend."
Seestücke
von Friedrich Schiller
Seestück 1
Regie und Bühne: Ulrich Rasche; Kostüme: Nina von Mechow; Musik: Sir Henry; Licht: Torsten König, Hans-Hermann Schulze; Mitarbeit Regie/ Chorleitung Sprechchor: Jürgen Daniel Lehmann; Einstudierung Chor der Werktätigen: Anna Charim / stefanpaul.
Mit Sprechchor: Samia Dauenhauer, Michael Hase, Christian Holdt, Aurora Kellermann, Matthias Komm, Anne Kulbatzki, Kornelia Lüdorff, Bettina Ludwig, Hanna Lütje, Antonia Menslin, Viola Neumann, Monica Reyes, Henrik Schmidt, Eva Maria Sommersberg, Jonas Steglich, Alexander Weise.
Chor der werktätigen Volksbühne und Gäste: Denise Alshuth, Frank Backmeister, Helga Bartz, Eric Beillevaire, Alexandra Bentele, Carsten Bernasch, Johann Binder, Immo Bräutigam, Christoph Brunner, Lothar Butszies, Ronald Carius, Sandra Danch, Tobias Fischer, Henrike Hamann, Evelyn Handrich, Holger Hartung, Jörg Henkel, Franziska Huhn, Fritz Huste, Barbara Jaenichen, Gesina Krebber, Maja Lange, Jan Lentschke, Corinna Lorenz, Christa Meier, Manfred Meier, Manuela Mildt, Judith Rakowski, Matthias Richter, Carla Schmidt, Reinhard Schmidt, Bernhard Schumann, Irene Schumann, Ulrike Schwab, Ingetraud Skirecki, Annelie Wittig
Chorsolisten: Jean Denes, Guillaume Francois, Dana Hofmann, Anne-Lisa Nathan.
Seestück 2
Regie, Bühne, Video: Heiko Kalmbach; Kostüme: Nina von Mechow; Musik: F.S. Blumm; Licht: Torsten König, Hans-Hermann Schulze; Mitarbeit Bühne: Edwin Bustamante; Mitarbeit Video: Jens Crull; Lyrics: N. R. N Sondé
Mit: Dalila Abdallah, Marly Borges de Albuquerque, Antonio Cerezo, Kelly Cristina Gomes Ribeiro, Lamine Laye Ndoye, Michael Ojake, Vanessa Rottenburg, Epafras Malakia Schneider, Solano Torres Antunes Marins Im Video (u.a.): N. R. N Sondé.
Seestück 3
Regie und Bühne: Ulf Aminde; Kostüme: Nina von Mechow; Musik: Something Inside; Licht: Torsten König, Hans-Hermann Schulze.
Mit: Kathleen Gallego Zapata, Eve Kolb, Inka Löwendorf, Sabine Reinfeld, Sophie Reinhold, Sportlerinnen des Social Startup e. V.
www.volksbuehne-berlin.de
Gerade mal sechs Wochen ist es her, dass Ulrich Rasche in Stuttgart mit Salome nach Oscar Wilde Premiere feierte. Heiko Kalmbach arbeitete bisher vorwiegend als Videograph am Theaterhaus Jena. Bilder machte er unter anderem für Katharina Schmitts Knock Out im November 2007 und für Markus Heinzelmanns Bearbeitung von Shakespeares Sturm im Juli 2008.
Kritikenrundschau
Teil II und III der "Seestücke", inszeniert von Heiko Kalmbach und Ulf Aminde, seien schöne Beispiele für "prätentiöse Kunstbemühungen", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (27.11.2009). Schiller habe den Regisseuren dieser "Avantgardismusverkrampfungen" "offenbar nichts zu sagen, und weil sie Schiller auch nichts zu sagen haben, wird pseudointellektuell die berühmte Locke auf der Glatze gedreht". Das sei "weder anregend noch unterhaltsam, aufschlussreich, irritierend, provokant oder erhellend". Im Gegensatz zum ersten Teil von Ulrich Rasche, der Pilz bestens geeignet scheint, "die Geister in bezeichnender Weise zu scheiden": "Religiös unmusikalische Zeitgenossen, für Liturgien, Rituale und Exerzitien Unempfängliche" hätten es damit womöglich ebenso schwer wie jene, die "in strengen Formen reflexartig protofaschistisches Gedankengut zu erkennen" glauben. Das hält der Kritiker allerdings für ein "grobes Missverständnis", verschränke Rasche Gesangs- und Sprechchöre doch derart, dass daraus "eine Art Körper-, Stimmen- und Klangrelief entsteht". Rasches Chöre seien "kühne, strenge Gottessucher", die immer einen "gleichzeitig sakralen und säkularisierten Raum" abschritten. Die strenge Form sei bei Rasche "die Heimat großer Gegensätze, er zelebriert ein Ritual der Risse – das macht dieses Theater so gehalt- und sinnreich".
Schillers "offenes Material" habe Rasche "zu einer streng geführten und genau gearbeiteten chorischen Realisation inspiriert", beschreibt Eberhard Spreng für Fazit auf Deutschlandradio Kultur (25.11.2009). Die "musikalische Dekontextualisierung" der Fragmente von Meeresliedern und Nationalhymnen mache sie "zu verwehten Reminiszenzen des nationalstaatlichen Aufbruchs in die Ferne". Zudem liege über allem "Rituelles, Zeremonielles, ein Requiem auf maritime, soldatische Traditionen". Nach diesem "berauschenden ersten Teil" stelle Kalmbach schwarze Darsteller zum Zeltaufbauen auf die Bühne und lasse das Publikum am "Flüchtlingslagergefühl teilhaben". Aminde hingegen zerschreddere den Stoff "in einer sehr lauten, sehr aggressiven Performance, die erkennbare maritime Bezüge und die Verbindung zu Schiller vermissen lässt". Mit diesen drei Künstlern komme die Volksbühne "zu völlig disparaten Ergebnissen (...), aber eben auch zu einer großen künstlerischen Entdeckung", die Spreng zu dem Vorschlag verleitet, Ulrich Rasche am Rosa-Luxemburg-Platz doch mal "einen ganzen Abend bestreiten" zu lassen.
Bei Rasche werde aus dem Schiller, "wie zu erwarten, ein Licht- und Chorstück", so Peter Hans Göpfert im rbb-Kulturradio (26.11.2009). Dabei werde "eine große choralhafte Litanei gesungen, ein endloses motivisches Meeres- und Ozeans-Gespüle", worauf Bruchstücke aus Marseillaise, Brechts Lied der Seeräuber-Jenny oder aus Pirate Ships schwämmen. Rasche mache hier "eine Stunde lang reines l’art-pour-l’art, reines anti-Castorf-Theater. Dass die Dramaturgie ein paar heikle Zitate von Carl Schmitt in punkto Landeroberung in das Stück geschummelt hat (Keine Einheit von Raum und Recht, Das Meer ist frei) – das dürfte kaum jemand heraushören und erkennen". Im zweiten Teil, bei Kambach, habe man wohl "läuten gehört, dass in Schillers Fragmenten (...) schon was von Globalisierung klingelt". Die Inszenierung sei jedoch "todlangweilig, sie sagt gar nichts, hat mit Schiller nichts zu tun". Alles in allem "ein ziemlich zusammengeschusterter Abend", von dem Rasches "hochgestyltes Sprech- und Gesangs-Design in Erinnerung" bleibe.
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(Lieber Frank Krautz,
die Auswahl trifft natürlich die nachtkritik-Redaktion. Dabei gilt es aus einer Vielzahl von Premieren im gesamten deutschsprachigen Raum auszuwählen, was wir stets mit Bedacht und unter Berücksichtigung zahlreicher Faktoren tun.
Unmöglich, es dabei allen recht zu machen. Dafür haben Sie als Leser ja bei uns die Möglichkeit, im Forum auf Dinge aufmerksam zu machen, die uns Ihrer Meinung nach entgangen sind.
Herzliche Grüße,
Anne Peter / Redaktion)
ich muss präzisieren. Es waren sogar fünf "weibliche, offensichtlich leicht psychotische Figuren“. Nr. 5 trat später hinzu und gegen den Container, in dem die Punkband hockte.
Nr. 1., mit langem Kleid, erklomm wie ein Salamander den Container und ließ sich dort von einer Windmaschine das Haar durchspielen.
Nr. 2., mit Pagenschnitt, stampfte vorn nahe der ersten Reihe so lang mit dem Fuß auf die Bühnenbretter bis ihr die Tränen über die Wangen kullerten.
Nr. 3 irrte etwas orientierungslos und immer wieder stockend umher.
Nr. 4., in der Anmutung einer anämischen russischen Adligen, deklamierte Passagen aus Schiller „Über das Erhabene“.
Da aber auch der Jüngling über Lautsprecher recht „irre“ klang, wage ich nicht, von einer einseitigen Genderrollenverteilung zu sprechen.
Wenn ich mir Anne Ratte-Polles bestechende Interpretation der Prostituierten Renate (in "Ozean" von Frank Castorf) in Erinnerung rufe, glaube ich nicht, dass an der Volksbühne kein Platz für „selbstbestimmte Frauen“ wäre.
Die kritische Analyse solcher Codierungen und darauf aufbauender Ein- und Ausschlussmechanismen einer Gesellschaft zeigt sich da wohl tatsächlich deutlicher in Anne Ratte-Polles Monolog in "Ozean", zumindest wage ich das hier zu behaupten (und zu hoffen!).
das ändert aber nichts daran, dass die kritische auseinandersetzung mit ihm lohnt und schon von brecht und benjamin betrieben wurde.
Der Rest ist "stehengeblieben in seiner 90 ger Mitte Pseudo Star Tümmellei.."...ja , schade..so viel Schrott von Menschen die die eigne, sinnliche , Wahrnehmung "verlernt haben anzuhören "....Kunst , führt uns doch am Ende zu uns selbst..und da ist bei vielen in dieser abgenudelten Mitte Volksbühnen Szene leider nur sehr wenig, wenn überhaupt etwas noch spürbar..., ja berührt...
Befreit Euch doch einfach mal von dieser ganzen Tümmelei und schaut in Euch hinein. Das Chorstück hat etwas in mir berührt, daß ich nicht benennen kann und auch nicht suchen möchte, was es eigentlich war. Und ich schäme mich auch nicht zu schreiben , daß ich bei einigen Stellen wirklich geweint habe...ja, weil es etwas in mir berührt hat,...Danke !Ich freue mich auf viele weiterer solcher geheimnissvollen , emotional dirket angehenden Bilder / Inszenierungen , in denen eine ganz besondere Kraft frei wird. Es sind die Bilder in uns , die in solchen Momenten frei werden , uns auf uns selbst zurückwerfen...da kommt kein Zeltbausatz mit..da ist es pur , am Ende jeder bei sich und in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Danke !
Ich war auch sehr berührt. Finde ich auch gut, wenn man sich dessen nicht schämt.
Ich bin zum Beispiel auch immer sehr von Anne auf Green Gables berührt. da muss ich auch jedes mal weinen.
Es tut mir wirklich Leid, doch möchte ich mich mit meiner Meinung ebenfalls, der eventuell etwas "über emotinalen Beschreibung", von Frau West anschließen.
Für mich waren die beiden, das Chorstück anschließenden Teile lediglich eine einzige Aneinandereihung von exhibitinistisch eitel, unbegabte Personen in langweiligen und völlig belanglosen szenischen Vorgängen .
Ich wünsche Ihnen trotzdem weiterhin viel Spaß mit den Containerfilmchen und an dem Rest austauschbarer, eitel exhibitinistischer Unbegabungen. Das ist dann doch wohl "Geschmacks Sache ".
Die singenden alten Damen im Rock, die Chormannen mit Mütze und Hemd hatten für mich in der Inszenierung mehr Austrahlung und Format, als der ganze andere, ambitionierte Chi Chi. Ich schließe mich diesbezüglich Frau West an: An der Volksbühne spüre ich die letzte Zeit mehr und mehr die Nachwehen der 90ger Jahre, Theaternostalgiker, die sich in einer bereits nicht mehr aktuellen Theaterszene noch gegenseitig feiern. Und "Tränen "kann ich vielen von den Beteiligten nur wieder persönlich in Ihr Leben wünschen. "Tränen der Rührung" - ein echtes Abenteuer !
Den Chorleuten weiterhin auch von meiner Seite viel Erfolg. Ich hoffe da kommt noch mal was..Ihr Horst S.
Das Problem des Abends war ja eher die ängstliche Haltung nicht Einen der Dreien sich mal ausspielen zu lassen, sondern die Last der anderen Beiden mit auf den Schultern haben zu müssen.
Das Erste und Letzte zusammen hätte allerdings einen kräftigen Abend ergeben.
Friedrich, sie scheinen die Texte ja sehr genau zu kennen. Dass nicht jede Auseinandersetzung mit Carl Schmitt reaktionär ist - geschenkt. Es geht um das wie. Und das Wie ist eben die Litanei, das Vorbeten. Da schwadet das Christliche aus jeder Ecke. Das Theater mag seinen Ursprung in der religiösen Liturgie haben, wie die Musik Beethovens und Mozarts den Ihren in der Kaffehausmusik. Aber Beethoven hat die Kaffeehausmuisk eben überwunden, wie das Theater die religiöse Lithurgie. Reaktionär wäre heute, tonale Musik zu machen und liturgisches Theater. Das die Volksbühne an dieser neuen Innerlichkeit sich beteiligt ist tragisch. Ob Recht und Freiheit oder Recht gegen Freiheit eine Diskussion auf dem Theater Wert ist oder lieber eine im juristischen Proseminar bleibt die Frage. Das Theater ist wie die Pest heißt es in einem Monolog in Ozean. Dieses Theater des Ulrich rasche ist wie Tavor.
@Vita Fest. Wahrscheinlich wäre mir auch zum Weinen zumute, wenn es in mir aussähe wie in Ihnen Vita West. Alles wie draussen. Die Kraft, die frei wird aus dem Inneren ist der pure Kitsch.
1. woher wissen sie, WAS überwundene formen sind?
2. woher wissen sie, WANN eine form überwunden ist?
3. was heißt es, eine form zu überwinden?
4. was ist emanzipation in der kunst?
5. wer bevormundet da?
6. wenn sie an ÜBERWINDUNG glauben, dann glauben sie an HÖHERENTWICKLUNG, und wieso kann man dann heute und in hundert jahren beethoven spielen?
7. sehen sie den widerspruch auf den ich hinauswill?
"Denn wohl hab ichs gefühlt, in meiner Furcht, / Daß ihr des Herzens freie Götterliebe / Bereden möchtet zu gemeinem Dienst, / Und daß ichs treiben sollte, so wie ihr. / Hinweg! ich kann vor mir den Mann nicht sehn / Der Heiliges wie ein Gewerbe treibt. / Sein Angesicht ist falsch und kalt und tot, / Wie seine Götter sind. Was stehet ihr / Betroffen? gehet nun!"
Der erste Teil war wie das Auflösen eines metaphysischen Baldachins, als hätte die Himmel still die Erde geküsst, wie es bei Eichendorff heißt. Der Chor hatte eine unaufdringliche Leichtigkeit, etwas Fließendes, was ja gut zum Thema Wasser passte. Zum letzten Mal habe ich einen derart anregenden Chor in "Maßnahme/Mauser" gesehen. Leider war er dort nur ein Intermezzo, eine Verheißung, die nicht weiter fortgesetzt wurde.
Der zweite Teil war etwas existentialistischer im Sinne von: es ging um die nackte Existenz, um die Daseinsfristung. Vielleicht fühlte sich im Publikum jemand benachteiligt, weil er wegen des begrenzten Kontingents keine Decke zum Aufwärmen bekam....
Geistig aufwärmen hätte man sich im dritten Teil durchaus können, wenn die Stellen von Schiller über das Erhabene weiter ausgeführt worden wären. Kritiker, die behaupten, "Seestücke" habe nichts mit Schiller zu tun, sind wohl von allen guten Geistern verlassen. Gerade das Meer und seine Gefahren eignen sich bestens dazu, den Schrecken und die positive Aufhebung ins Erhabene zu demonstrieren. Herr Rakow, das Individuum erlebt angesichts der Schreckens nicht ein Scheitern des Sittlichen, sondern eine Überflutung des Wahrnehmungsapparats. Erst dann greift die Vernunft ein und kann das, was alle Dimensionen des Bewusstseins gesprengt hat, wieder in eine Ordnung fügen. Kurz: die Vernunft bändigt die scheinbar aufgelöste Natur und wird sich seiner Kraft bewusst, die alles Regellose doch geistig regeln kann. Dadurch entsteht ein Lust-Gefühl, das Erhabene. Das hat nichts mit Allmachtsphantasien zu tun. Dass das auf die Bühne gebracht wurde, dafür bin ich der Regie letztlich doch dankbar, auch der Darstellerin, obwohl die maßgeblichen Schiller-Passagen etwas mehr Betonung und Raum (diesmal im Sinne von Zeit) benötigt hätten. Hier wäre eine Castorf-Dauer von mindestens 4 Stunden angemessen gewesen - manchmal vergeht die Zeit wie im Flug.
Das Wechselspiel zwischen Form und strukturloser Offenheit lässt tatsächlich das erleben, worum es geht: die Balance zwischen Freiheit und Regeln, welche Freiheit ermöglichen und einschränken. Die Musik, die Lichter und Farben und die Bewegung erzeugen das Gefühl der Vertrautheit, der kalkulierbaren Gesetzmäßigkeit anstelle des Chaos, und gleichzeitig das Gefühl, im den Wellen zu treiben.
Schade, dass nach dem brillanten Abend mit Rasche lauter Lärm und Geschrei folgen und damit zunichte gemacht wird, was mit Präzision und Kreativität entwickelt wurde.
Habe nun ach(!) diese fragmente des menschenfreundes schiller mit heissem Bemühen am nikolaustag angeschaut; und muss sagen: was gibt es denn da zu nölen? + weshalb sollen denn nur die stuecke #1 und #2 kommensurabel sein? (siehe posting Nr. 7, 21) + ist nicht allein schon der MUT des regiefuehrenden menschenkollegen Heiko Kalmbach anzuerkennen, der es sich und seinen mitstreitern zur aufgabe des SEE-stueckes # 2 macht, UNS ALLEN gestrandete Menschen zu zeigen und zu wort kommen zu lassen und sei es nur durch schwersymbolische errichtung einfacher zeltaufbauten. Ja erscheinen da in EUCH nicht die Bilder von Menschen, die auf ihrem SEE-stueck zwischen Afrika und Europa ertrunken sind, zu TAUSENDEN, getrieben allein von der sehnsucht nach etwas mehr perspektive in ihrem leben, nach ein wenig menschenwuerdigeres dasein? DIESEN MENSCHEN EINE SPRACHE ZU GEBEN, ist das Verdienst des Regisseurs Heiko Kalmbach. Es mit seinen respektvollen mitteln dem VOLKS-buehnen-besucher ueberhaupt zur auseinandersetzung vorzufuehren, ist ein weiteres verdienst. Respekt zunaechst dafuer.
ETWAS WENIGER RESPEKT – jetzt gleich – in einer EINREDE ZUR REZENSION.
Aergerlich wird obige theaterkritik dann, wenn der rezensent ch. rakow in ausbreitung seines gefährlichen halbwissens in stück #3 eine '' schrammelnde Punkband '' auszumachen meint ... vielmehr gemahnt doch die sehr eindrucksvolle Darbietung aus dem geschlossenen(!) Container an die Losungen RAY CAPPO's. And -This -Is- Not -Punk.
Und von dieser oberflaechlichkeit ist es zur boshaftigkeit freilich nicht weit, wenn selbiger rezensent unter posting nr. 6 – der kritiker antwortet, in der bewertung saemtlicher darstellerinnen und hier in sonderheit der darstellerin Nr. 4 in stück #3 offensichtlich ganz zu sich selbst findet und auf das grundschulniveau absinkt, welches er gerade dem stuttgarter regisseur ulf aminde meint attestieren zu muessen . . . Dafuer ueberhaupt keinen respekt. Sondern eine antwort von dem menschenbruder Friedrich Schiller, der seinerzeit - 1801 - in seinem DAS MAEDCHEN VON ORLEANS sehr schoen gegen eine solche geisteshaltung hielt:
Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwaerzen
Und das Erhabene in den Staub zu ziehen;
Doch fuerchte nicht!
Denn, dass der hinreissende, knappe vortrag von SCHILLERschem ORIGINALtext der darstellerin Nr.4(Can sb. Take your name, please?) der gesprochene HOEHEPUNKT des abends war, beweist immerhin auch die andere meinung in posting nr. 30 – das erhabene und der chor, von flohbaer.
Ich schliesse mit einer empfehlung: habt mut und geht in diesen dreigeteilten Dreistunden-Abend. Er hat zwei Pausen. Und der Imbiss ist tatsaechlich vorzueglich.
. . . mit weihnachtlichen grüßen aus stuttgart, wo sich gerade der berliner regisseur sebastian baumgarten mit heftiger zeitung, seine Tschechov-Adaption FLUCHT betreffend, rumzuschlagen hat.
nicht wundern, frau d'arc geht nur zu pollesch-stücken und was sie so an allerlei top-10-philosophen-poststrukturalisten-chique zitiert, stammt aus selbigen inszenierungen. also nicht zu ernst nehmen...
@ stdlmr: Hören Sie auf, auf meinem Körper rumzuhacken!
dauerpupertär wäre ja ständig einen fehler im anderen zu suchen um sich selber weierhin zu bemittleiden. straight edge hardcore geht da einen deutlichen und entscheidenden schritt weiter, der allerdings immer auch etwas von bekehrungsverhalten haben kann. ich denke dass ray cappo nicht seine weltbilder so schnell wechselt wie sie meinen. ein sehr bedachter und überlegter mensch.
ich habe den eindruck, dass hier im forum der nacktkritik ein schnellerer meinungswechsel und pseudointellektueller diskursschlagabtausch stattfindet frau johanna.
und was an der containerband wichtig ist kann ich ihnen auch nicht sagen. da müssen sie wahrscheinlich einfach selber hingehen.
http://www.youtube.com/watch?v=JXbLyi5wgeg
das Video ist allerdings sehr schön. und nicht Hardcore gegen das System sondern für etwas Frau Johanna... Und die Kapitalismuskritische Haltung ist wirklich eine Ideologie ? So weit sind sie schon vorgedrungen ? Bewundernswert.
Weiterhin, straight edge hardcore ist also für etwas? Und was machen wir dann mit folgender Formulierung von Ihnen? Die war dann wohl nicht ganz so durchdacht, oder? Kann ja mal passieren: "die aggressivität ist also nicht indifferent sondern entsteht einerseits aus einem system gegen das man sich versuchte zu wenden". Sie können sich aber doch gar nicht gegen ein System wenden, von dem Sie bereits ein Teil sind. Das ist das Paradox der erzwungenen Wahl. Sie können es immer nur situativ verändern. Zumindest ist das schonmal ein Anfang.
Schließlich, ich finde das "Pulp"-Video übrigens auch sehr schön, vor allem deshalb, weil es innerhalb des Bereichs der KUNST verbleibt und damit kein Fall für das Strafgesetzbuch wird, obwohl es kriminelle Handlungen zeigt.
sehr schoen herausgefunden; Nur: geoffenbart wurde dies schon vor geraumer zeit in einem anderen blog . . . tja, bleibt die frage:: wieviel kuenstler muss man(n) eigentlich werden, unaufhoerlichen gefallen daran zu finden, seine eigene kommentare zu kommentieren . . .
Sei's drum. UND/ODER anders, nur um 'mal ganz sanft und behutsam wieder zurueck zu FRIEDRICH SCHILLER zu finden: Auf, auf in die Gaerten von Aranjuez, schliesslich versprach man uns dort ein Auto-da-fé . . . Versprochen ? ? ? Der Rest Ist Schweigen.