Genug geschrien!

25. Mai 2024. Eigentlich sollten sie den Staat lenken, aber zunächst einmal müssen Elektra und die ihren in die Familientherapie. Frei nach Hugo von Hofmannsthal zeigt Rebekka David "Elektra, wir müssen reden". Ein Abend zwischen Schreiwettbewerb und Diskursnanlyse.

Von Jan Fischer

"Elektra, wir müssen reden" in der Regie von Rebekka David in Braunschweig © Thomas M. Jauk / Stage Picture

25. Mai 2024. Diese Atriden wieder. Nichts als Ärger. Dieses Mal im Staatstheater Braunschweig in der Inszenierung von Rebekka David. Und da hat erst einmal Elektra keine Lust mehr. Säulen, "mehr gibt es nicht zu sehen. Es wird nicht besser", herrscht sie das Publikum an. Die Leute sollten doch bitte wieder nach Hause gehen.

Mit ihren Ausgrabungen beginnt sie auf der sandbedeckten Bühne mit griechischer Ruinenlandschaft trotzdem. Und so nehmen die Familienprobleme ihren Lauf: Elektra – schwierig, laut, schwer deprimiert – will Rache für ihren Vater. Ihre Mutter Klytämnestra will sich am liebsten aussuchen, woran sie glaubt, und vor allem ihre Alpträume hinter sich lassen. Ihre Schwester Chrysothemis will einfach nur ihre Ruhe und ein bisschen Harmonie in die gebeutelte Familie bringen.

Während der Chor in Form von Ingolf und Rudolf als Comic Relief über die Bühne scharwenzelt und jemand namens Hamm als Souffleur im Hintergrund herumsitzt, beginnt das große Schreimatch: Klytämnestra (Lisa Hrdina) besorgt sich von irgendwoher eine Nebelkerze und zündet sie, Elektra (Nina Wolf) hat versucht, sie zu überbrüllen, Chrysothemis (Mariam Avaliani) versucht zu vermitteln.

Versucht's doch mal mit Ich-Botschaften!

Es ist also tatsächlich eine veritable Familientherapie, die Rebekka David hier frei nach Hugo von Hofmannsthals Drama auf die Bühne stellt. Wie auch bei Hofmannsthal liegt der Fokus dabei stark auf Elektra, sind alle Figuren als ihre psychologischen Extreme angelegt, so dass alles gar nicht anders als in den Konflikt münden kann. Also wird geschrien.

Elektra4 1200 ThomasMJaukMit nerviger Familie geschlagen: Nina Wolf als Elektra © Thomas M. Jauk / Stage Picture

Weil die Psychologie seit Hofmannsthal Fortschritte gemacht hat (und der Rächer-Bruder Orest in der Inszenierung durch Abwesenheit glänzt), wird miteinander kommuniziert. Gemäß dem Titel "Elektra, wir müssen reden". Chrysothemis fordert Ich-Botschaften ein, und vielleicht – so sind sich alle einig – müsse ja auch nicht jeder zu allem eine Meinung haben, überhaupt sei es vielleicht sogar so, dass nicht diejenige gewinne, die am schnellsten am lautesten schreie.

Kurz: Die Atriden versuchen Verständnis füreinander aufzubringen, zu reden und sich gegenseitig zu heilen. Das klappt eher schlecht als recht, führt hin und wieder auch in leicht faschistische Ideen, aber am Ende umarmt Elektra ihre Mutter, und alle lassen sich gemeinsam als Familienbild vor den griechischen Säulen fotografieren.

Nur Chrysothemis ist mit der erfolgreich durchtherapierten Familie unzufrieden: Jetzt, wo man gelernt habe, miteinander auszukommen, könne man sich vielleicht auch um den ganzen Rest der Welt kümmern und den alten Schutt wegschaufeln. Aber dafür sind die Atriden dann doch zu faul.

Witz, Bitterkeit, Kalendersprüche

Vieles ist lustig an "Elektra, wir müssen reden", Ingolf und Rudolf zum Beispiel (Ivan Marković und Robert Prinzler), die zwischendrin mal als Griechenland-Touris mit "I ♡ MYKN"-Schriftzug auftauchen, Elektras Weigerung, überhaupt irgendwas zu machen, oder die Vorstellung, dass die Atriden sich mal eben selbst therapieren.

Vieles ist allerdings auch bitter: Weil die Herrscherfamilie der Kern der Polis ist, sind die verhärteten Fronten auch ein politisches Problem. Und ihre Familiendynamiken reproduzieren politische Diskursmechaniken, in denen Fragen nicht gestellt werden, um etwas zu erfahren, sondern um andere bloßzustellen, in denen es darum geht, wer am lautesten schreien kann. Gerade Nina Wolfs Elektra ist so wunderbar durch den Traumawolf gedreht, dass es einen manchmal gruselt.

Elektra1 1200 ThomasMJaukDurch den Traumawolf gedreht: Lisa Hrdina als Klytämnestra und Nina Wolf als Elektra © Thomas M. Jauk / Stage Picture

Einiges ist aber auch weniger gelungen. Gerade die Passagen, in denen versucht wird, aus dem hochdramatischen Griechendrama heraus in bessere Kommunikationsmuster zu kommen, kippen in Richtung Kalenderspruchsammlung. Da kommt dann auch nichts Besseres raus, als dass man ja alle Ungleichheit ausgleichen könne und sich zur Abwechslung mal zuhören oder vielleicht einfach gar nichts sagen könne. Oder dass man ja ein bisschen weiter weg als nur vor der eigenen Haustür kehren könne.

Ansonsten aber funktioniert das Atridendrama gut, so ohne Krieg, dafür mit einer Familie, die nach einer langen Aussprache zumindest einigermaßen beisammen ist. Überspitzte Absurdität, Tragödie und ein klein wenig Diskursanalyse. Passt.

 

Elektra, wir müssen reden
nach Hugo von Hofmannsthal
Regie: Rebekka David, Bühne: Jana Wassong, Kostüme: Florian Kiehl, Musik: Nicki Frenking, Dramaturgie: Katharina Gerschler.
Mit: Lisa Hrdina, Nina Wolf, Mariam Avaliani, Ivan Marković, Robert Prinzler, Arne Ziegfeld
Premiere am 24. Mai 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-braunschweig.de

 

Kritikenrundschau

"Der Abend ist eine mehrfache Überschreibung des Ur-Stoffs, aber eine respektvolle", so Florian Arnold in der Braunschweiger Zeitung (27.5.2024). "Es geht schon um etwas." Die Wucht und Schwere des antiken Verhängnisses werden ironisch gebrochen, aber nicht veralbert. Die Inszenierung wechsle umstandslos zwischen Originaltext und eigenen Einschüben, zwischen der Antike und Weitungen in die heutige Echokammern- und Rechtsruck-Gesellschaft. Eine "anspruchsvolle, gelegentlich ausufernde, aber weitgehend unterhaltsame und dichte 'Elektra'-Neudeutung. Langer Applaus im nicht ganz ausverkauften Kleinen Haus."

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