Doomscrolling mit Bambi

15. August 2024. Der Wald brennt. In Saurier-City sind die Gentrifzierer und die Zombies los, ständig fallen Atombomben. Und mittendrin verlieren sich Bambi, Klopfer und Blume im Internet. Im hannoverschen Theater an der Glocksee inszeniert Jonas Vietzke die Popkultur-Weltuntergangs-Collage "Bambi und die Themen" von Bonn Park.

Von Jan Fischer

Bonn Parks "Bambi und die Themen" von Jonas Vietzke am Theater an der Glocksee Hannover inszeniert © Leona Ohsiek

15. August 2024. Mutter vom Jäger erschossen? Wald abgebrannt? Überall Krieg und die Welt geht regelmäßig unter? Nun ja, Weltuntergänge sind auch nur dornige Chancen, und damit kennen sie sich aus in Saurier-City. Denn dorthin flüchten sich in Bonn Parks Text "Bambi und die Themen" das Disney-Reh Bambi inklusive dem Kaninchen Klopfer und dem Stinktier Blume.

Im Hannoverschen Theater an der Glocksee stellt Regisseur Jonas Vietzke die drei allerdings weniger putzig auf die Bühne aus als vielmehr durchgefeiert, drei Tage wach und auf dem Heimweg durchs fiese Licht eines anbrechenden Montags geblendet: Bambi (Nina Melcher) mit weiten Augen, Pelzbommeln und rosa Hotpants, Klopfer (Tommy Wiesner) in weißer Pelzjacke und Mütze und Blume (Larissa Potapov) als Gothic-Stinktier mit viel schwarz und wirr hochgestecktem Palmenhaar.

Weltuntergang überall

In ihrer WG tollen die drei durch die tiefen Weiten hinter den Bildschirmen ihrer Smartphones – ein großes Exemplar bildet, zusammen mit einigen Stangen, das Bühnenbild – und verlieren sich in ihrer Welterkundung. Denn in der Welt des abgebrannten Waldes, der Welt der durchgentrifizierten Saurier-City, steht es nicht gerade zum besten: Mal kommt eine Zombie-Apokalypse um die Ecke, mal eine Flut.

BambiunddieThemen1 1200 Leona OhsiekFlucht aus dem abgebrannten Wald in eine von Dinosauriern zerstörte Stadt: "Bambi und die Themen" © Leona Ohsiek

Doomscrolling also, aber zwischendrin recherchieren die drei, wie sie wohl einfach ein gutes Leben führen können, bringen mal alle Menschen mit Meinung um – gerade Klopfer tut sich da als sehr brutal gegenüber einem großen Teddybären hervor – oder verzweifeln einfach. Hin und wieder taucht auch eine Figur namens "???" auf, die versucht, als eine Art Anti-Mephisto unglücklich zu machen oder den Rest der Truppe zu demotivieren.

Ein feines Chaos

Das alles wird in kurzen Szenen erzählt – tatsächlich ein wenig, als scrolle man durch eine Insta-Story - die eher locker aneinandergeklebt sind, als das sie auf der Handlungsebene etwas miteinander zu tun hätten. Der rote Faden läuft hier über die Diskursebene: Das gute Leben, das die Freunde führen wollen, all die Katastrophen, die passieren, außerdem gibt es immer wieder Passagen – als Schrift eingeblendet in dem großen Bühnen-Smartphone – die Titel tragen wie "Bambi stellt alle Fragen der Welt" oder "Weltuntergang II". Dazwischen gibt es längere Gesangs- oder Tanzpassagen, Tanz vor allem von Melcher und Popatov.

Kurz: Es ist ein feines Chaos von allem Möglichem auf der Bühne, das größenwahnsinnig versucht, mal alle Fragen der Welt zu stellen, mal alle Probleme der Welt zumindest aufzuzählen, auf jeden Fall aber ein gigantisches Popkulturgemenge veranstaltet, in dem auf dem Smartphone irgendwann echte Kriegsszenen nicht mehr von Godzilla-Filmen zu unterscheiden sind und sich alle versuchen, lieb zu haben.

BambiunddieThemen3 1200 Leona OhsiekNina Melcher als Bambi © Leona Ohsiek

Oft fallen dabei tolle Sätze und Szenen ab wie beispielsweise der gewaltbereite Klopfer oder Bambis rehäugige Verkündung von "der Beschissenheit der Welt". Irgendwie geht es immer darum, trotz all der schlimmen Dinge irgendwie etwas Gutes zu finden – am Ende wird das Telefon dann abgeschaltet, und die drei weigern sich, den Text des Erzählers auszuführen, in dem verlangt wird, sie sollten sich mit Internet "zuballern". Stattdessen schreiben sie lieber ihren eigenen. "Auch wenn alles schlimm ist, am Ende ist es immer noch das Leben", sagt Klopfer am Ende.

Ernst und Ironie

Und da wird es ein wenig schwierig: Die Inszenierung möchte in ihrer Schnelligkeit, Collagenhaftigkeit, in ihrem ganzen Popkultur-Irrsinn gerne ironisch sein, auf jeden Fall aber eine Art Karikatur. Aber gleichzeitig möchte sie auch ernst genommen werden, weil sie eben auch versucht – teilweise verzweifelt – über alle ganz großen Probleme zu sprechen. Am Ende geht beides nur schwierig zusammen, vor allem, weil die Lösung sich darin erschöpft, einfach mal das Internet abzuschalten, sein eigenes Leben zu schreiben und gut und schlecht einfach als "Alles" zu akzeptieren, dann klappt das schon irgendwie mit der Welt. Den cleveren Diskurstext, der oft lieber sein Heil in der Flucht ins Absurde sucht, als sich festzulegen, dahin gipfeln zu lassen, ist tatsächlich etwas enttäuschend.

So viel Spaß die Wirrnis macht, so nachdenklich einige Abschnitte auch machen können: Am Ende gefallen sich der Text des vielfach ausgezeichneten Bonn Park und die hannoversche Inszenierung von Jonas Vietzke zu sehr in ihrer Eigenartigkeit und schaffen es nicht, "Bambi und die Themen" zu einem Abschluss zu bringen, der das auch würdigt.

Bambi und die Themen
von Bonn Park
Regie und Medien: Jonas Vietzke, Bühne: Britta Bremer, Kostüm: Marie Harneit, Choreografie: Nina Melcher, Larissa Potapov, Jonas Vietzke.
Mit: Nina Melcher, Larissa Potapov, Jonas Vietzke, Tommy Wiesner, Martin Winkelmann.
Premiere am 14. August 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-an-der-glocksee.de

Kritikenrundschau

Von einer "faszinierenden" und "ereignisreichen" Inszenierung des Bonn-Park-Textes berichtet Frank Kurzhals in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (16.8.2024). Parks Stück zeige, dass "die Geschichte von Bambi jetzt wieder aktuell" sei und werde in der Regie von Jonas Vietzke "zu einem höchst akrobatischen Ringen um die großen und kleinen Fragen".

"Die Dialoge zwischen Bambi, Blume und Klopfer wirken anfänglich noch fremd und eher wie von einem Erzähler geschrieben, als von den Figuren gesagt," schreibt Yr Langhorst in der taz (21.8.2024). "Die Sorge, das Stück würde in eine jener Darstellungen münden, die Jugendliche von oben herab als ständig von irgendwas getriggerte Smartphone-Zombies porträtieren, bewahrheitet sich nicht: Mit der Zeit erzeugt es über Insider- und authentische Jugendsprache das Gefühl, mit den Charakteren auf einer Wellenlänge zu sein."

Kommentare  
Bambi, Hannover: Lichtblicke in einer lichten Inszenierung
Leider etwas dünne Inszenierung mit noch dünnerem Textmaterial. Allerdings mit einem schauspielerischen Lichtblick: Thommy Wiesner als Hase Klopfer, bei dem jeder Blick, jede Pointe, jedes Wort scherenschnittartig sitzt. Große Präsenz und beeindruckende Gesangsstimme! Eindeutiges Highlight dieser Inszenierung.
Ebenfalls toll: Nina Melchers "Fragenhagel-Monolog" als Bambi. Fährt einem ein.
Ansonsten steht die Frage im Raum, was diese Inszenierung will. Bonn Parks ohnehin schon jugendlich - sturer und naiv - oberflächlicher Text bekommt hier leider nicht mehr Tiefe. Die Inszenierung verliert sich in Musik und Video - Atmosphäre, statt sich den wirklichen Fragen zu stellen. Die schlichte Aussage Bambis gegen Ende des Abends "Ich muss mal an mich denken" kann ja wohl nicht die Conclusio auf all diese Fragen sein. Schade!
Da hätte die Regie ruhig mehr Dichte und Tiefe (und Textkürzungen!) versuchen können.
Hut ab aber den beiden Schauspielern und Tänzerinnen sich bei gefühlten 40 Grad im Saal nicht zu schonen!

Gruß aus Berlin
B.F.
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