Wie es euch gefällt - Am Schauspiel Köln triumphiert Roger Vontobel mit Shakespeare
Und wie es uns gefällt!
von Martin Krumbholz
Köln, 8. Mai 2015. Fabelhaft! Es ist ein seltenes Glück, eine Shakespeare-Aufführung zu erleben, die energiegeladen und zartfühlend zugleich ist, charmant-verspielt und doch luzid wie eine Partie Schach. Anknüpfend an sein auch schon überzeugendes Bochumer "Was ihr wollt" hat Roger Vontobel sich für seine erste Kölner Inszenierung an "Wie es euch gefällt" gewagt – das kompliziertere Stück. "Was ihr wollt" ist glasklar konstruiert; "Wie es euch gefällt" bei weitem dunkler, rätselhafter.
Die Ringer-Bestie an der langen Leine
Schon dass der später sich als so ein romantischer Geist entpuppende Liebhaber Orlando als Ringer am Hof eines Herzogs eingeführt wird, ist eine bizarre Idee. Vontobel verstärkt die Pointe, indem er Orlando mit der wunderbaren Katharina Schmalenberg besetzt – entsprechend wird Rosalinde von einem Mann gespielt werden, Niklas Kohrt. Der großmäulige falsche Herzog (Robert Dölle) kommandiert, aus einem Scheinwerferring wird ein Ringkampfring, und Schmalenberg wirft den gegnerischen Macho-Ringer durch die Luft wie eine Feder. Der war vorher wie eine Bestie an einer langen Leine aus seiner Hundehütte gekrochen. Rosalinde und ihre Cousine Celia (Melanie Kretschmann) sind als Girlie-Pärchen in Szene gesetzt. Beim Anblick des fremden Ringers ist Rosalinde, wie es heißt, "ohne Grund verrückt geworden". Um sich in den Jüngling Ganymed zu verwandeln, entblößt Kohrt lediglich seinen Oberkörper. Henriette Thimig spielt den treuherzigen alten Diener Adam, der Orlando ins Exil folgt – die dritte Cross-Gender-Besetzung. Dieser sperrige erste Akt steckt voller Energie.
Wald spielen. © David Baltzer
Parodie der Idylle – und des Lebens überhaupt
Dann also der Ardenner Wald, von dem niemand weiß, wo er eigentlich liegen soll. Dölle spielt auch den echten Herzog, begleitet von seinen Getreuen Amiens und Jacques: Drei Männer, mit nichts als Unterhosen bekleidet, stellen diesen Wald dar, später eine Schafherde, als Camouflage gegenüber ihren Verfolgern und Nachzüglern, die da auftauchen. Die szenischen Mittel sind so einfach wie plausibel und wunderbar zu spielen. Man begreift auf einmal, dass diese seltsamen Waldschrate die Idylle parodieren – und vielleicht das Leben überhaupt. Jacques berühmtes "Die ganze Welt ist eine Bühne" ist lediglich die pessimistische, zugespitzte Lesart dessen, was auch der milde Herzog denkt und empfindet. Ganz klassisch adressiert Johannes Benecke den Monolog ans Publikum, aber in einer schräg-burlesken Form, die einen fast an den Idioten denken lässt, der laut "Macbeth" die Welt als ein Märchen liest, bestehend aus Schall und Wahn.
Schließlich die zärtlichen Begegnungen zwischen Orlando und Rosalinde. Stolz, mit schroffen Gesten und zugleich verletzbar markiert Kohrt die oszillierende Identität und das Liebesverlangen Rosalindes. Schmalenberg, kleiner, zarter, als wäre sie die Frau und nicht etwa der Mann, hält mit Souveränität, aber ohne jede Überheblichkeit dagegen; dass Orlandos Liebeserklärungen rührend, aber poetisch nicht ganz überzeugend sind, muss man nicht extra betonen. Dezent wirft der Narr Touchstone (wiederum Extraklasse: Benjamin Höppner) die Nebelmaschine an ("das muss einfach mal sein"), indem er Orlandos Liebeslyrik persifliert. Kretschmann macht "mäh" wie ein Schaf, wenn die Liebenden turteln: Nicht aggressiv und hysterisch ist Celias Eifersucht, sondern erstaunlich zurückhaltend, als wüsste sie um deren mangelnden Effekt.
Ziemlich perfekt
Das Schäferpärchen Phoebe/Silvius erhebt sich unvermittelt aus dem Parkett, in Zivilkleidung, der Streit der beiden jungen Menschen ankert im Hier und Jetzt. "Wer liebte je, und nicht beim ersten Blick" – dieser so schöne und wahre Satz (von Lou Zöllkau kristallklar artikuliert) steht leider in einem negativen Kontext: die scharfsinnige Phoebe schmettert damit die Werbung des zu harmlosen Schäfers ab. Der vermeintliche Ganymed, dem Phoebes "erster Blick" galt, muss eingreifen, und Kohrt tut es vehement. Shakespeares scharfer Blick auf die Menschen – der ein erster, zweiter und hundertster Blick zugleich ist – wird keine Sekunde relativiert, und doch wirkt hier nichts unnötig aufgesetzt oder forciert.
Der Könner Vontobel hat diesen sonderbaren, kantigen Text konsequent durchdacht und dann groß und mutig umgesetzt. Es ist wohl die überzeugendste Ensembleleistung seit Beginn der Intendanz Stefan Bachmanns. Kein einziger Durchhänger. Die schwierige Bühne hat Claudia Rohner so geschickt in die Tiefe gestreckt – nur mit farbigen Clustern bestückt -, dass ihr Breitwandformat gar nicht mehr stört. Doch, dies ist schon ein ziemlich perfekter Shakespeare.
Wie es euch gefällt
von William Shakespeare, deutsch von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Tina Rudolph, Musik: Keith O'Brien, Choreografie: Sabina Perry, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit: Robert Dölle, Niklas Kohrt, Melanie Kretschmann, Katharina Schmalenberg, Stefko Hanushevsky, Johannes Benecke, Benjamin Höppner, Henriette Thimig, Lou Zöllkau, Thomas Brandt, Keith O'Brien.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.schauspielkoeln.de
Alle von nachtkritik.de besprochenen Inszenierungen von Regisseur Roger Vontobel sind im Lexikon gelistet
Kritikenrundschau
Christian Bos schreibt im Kölner Stadt-Anzeiger (10.5.2015): Das "Selbstvergessen" habe Roger Vontobel in seinem Regiedebüt am Schauspiel Köln im Ardenner Wald gefunden. Gut und Böse seien nur "unterschiedliche Färbungen der Weltsicht" und das "Geschlecht nur eine Rolle". Niklas Kohrts Rosalinde sei eine "androgyne Schönheit" im rosa Kaschmirpulli, "herrlich, wie Katharina Schmalenberg mit Bierdose zum Kampf mit dem Ringer Charles" anschlurfe, im Wald von Arden verflüchtigten sich "Mann und Frau im Spiel der Gesten zu bloßen Nebelschwaden". Vontobel sei ein "wunderbar lichter und klarer Blick auf Shakespeares irrlichterndes Stück" gelungen. Die knapp drei Stunden flögen dahin. "Wie das so ist, wenn man sein Selbst vergisst. Der Premierenapplaus hätte ruhig noch kräftiger ausfallen können."
Jürgen Schön Herzog schreibt auf Koeln.de (10.5.2015) Shakespeares Worte würden "trefflich durch Modernes durchsetzt". Da gehe es "mal deftig derb zu, mal wunderschön poetisch". Witz und Humor kämen auf ihre Kosten, der Szenenapplaus häufe sich. "Fazit: Wenn jeder – egal ob auf der Bühne oder in der Welt – spielen darf, was und wie es ihm gefällt, muss nicht, kann aber wie hier etwas Wunderbares herauskommen."
Hartmut Wilmes schreibt in der Kölnischen Rundschau (11.5.2015): Nach dem "brillanten Einstieg" mit Fürst Frederick als "knallhartem Impressario" und dem wie ein "Pitbull" knurrenden Ringer Charles, bleibe doch fraglich, was die Crossdresserei (Männer spielen Frauenrollen und vice versa) hier sei: "Schlüssel zur tieferen Identitätskrise der Figuren oder entbehrliche Pirouette." Leider tendiere die "sichtbare Anziehungskraft" zwischen Schmalenberg und Kohrt in "diesem arg artifiziellen Rahmen gegen null". Ohnehin scheine Vontobel weniger an "emotionalen Abgründen" interessiert, als an "Verwandlungszauber und clowneskem Spie"l. Beides glücke "makellos". Das "Feuerwerk der Fantasie" überstrahle letztlich sogar "die Schwäche im Zentrum der Inszenierung".
"Bäume in Boxershorts" ist Andreas Rossmanns Kritik in der FAZ (12.5.2015) übertitelt. "Das erotische Verwirrspiel des Dramas meint Vontobel potenzieren zu müssen, indem er Orlando mit einer Frau und Rosalinde mit einem Mann besetzt – und Henriette Thimig als alten Diener Adam mit offenem Hosenladen herumhumpeln lässt." Die Aufführung mogele sich über das emotionale Epizentrum des schwierigen Dramas hinweg. Wie die unmögliche Liebe den Figuren zusetze, "lässt das possierliche und posenreiche Spiel nicht erahnen, umso umtriebiger wird, was drum herum passiert, popkulturell aufgepulvert." Fazit: "Was die Bühne der Welt hier entgegensetzt, ist dieser nicht gewachsen."
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es ist mir bewusst, dass Kritiken immer subjektiv sind. Dass diese nicht nur poetisch nicht ganz überzeugend ist, muss man deshalb nicht extra betonen.
Warum es Sie als Kritikschreiber aber nicht stutzig macht, dass bei einer KOMÖDIE von Shakespeare, das Publikum nur an einer einzigen Stelle lacht, nämlich bei einem vom Schauspieler eingebauten Funny van Dannen Zitat aus dem Lied "Nebelmaschine", bleibt mir ein Rätsel.
(...)
Mit verzweifelnden Grüßen,
S.B.
"...Fabelhaft! Es ist ein seltenes Glück, eine Shakespeare-Aufführung zu erleben, die energiegeladen und zartfühlend zugleich ist..."
Aha. (...)
Mit Verlaub :
Ihre Kritik liest sich wie die Korrektur eines Deutschlehrers.
Diese Inszenierung wirkt wie ein Gosch-Abend für Fussgänger.
ich muss den Kommentatoren vor mir recht geben. Ich habe ihre Kritik mit Verwunderung gelesen. All ihre positiven Adjektive kann ich nicht nachvollziehen. Wie schon erwähnt, ist es ja subjektiv so eine Kritik, aber ich habe selten auf so einer großen Bühne eine so uninspirierte Inszenierung gesehen. Die Schauspieler haben sich versucht zu retten, zum Teil garnicht miserabel, aber es ging über das retten nie hinaus. (…) Ich habe es noch nicht oft erlebt, dass man so viele Kollegen traf, die man nicht besonders gut kennt und doch waren die Meinungen gänzlich verschieden zu ihrem Eindruck.
Nun gut.
Subjektiv bleibt Subjektiv…
Man weiß nicht, wie es zu so einer Rezension kommt, ob man im selben Theater war oder ob da jemand einen Narren gefressen hat an einem Regisseur.
6:1 gegen mich, das ist ja Bayern-München-FC-Porto-mäßig, da möchte ich mich doch noch einmal zu Wort melden. Kritik ist subjektiv, ja, aber ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, dass das subjektivste aller subjektiven Kriterien dieses ist: Langeweile? Denn es liegt doch nicht zuletzt an einem selbst, ob man sich bei einem Erlebnis langweilt oder ob das Gegenteil der Fall nicht. Das Düsseldorfer "Wie es euch gefällt" in der Regie von Nora Schlocker habe ich auch gesehen und rühmend gewürdigt; inwiefern diese Aufführung für die Kölner stilprägend gewesen sein soll, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Und wieso "Korrekturen eines Deutschlehrers"? Ich korrigiere doch gar nicht, im Gegenteil, ich versuche dem unschuldigen Vergnügen an einer Theateraufführung Ausdruck zu geben, das ich nun einmal so empfunden habe. Es ist in meinen Augen einfach nur gutes Theater! It's only Rock'n'Roll - but I like it!
Herzlich, Ihr Martin Krumbholz
Bitte bitte, schauen Sie sich die Aufführung an, und teilen Sie anschließend Ihren Eindruck mit uns! Ich kann Ihre Skepsis nach dem Pressespiegel verstehen, aber zumindest mein 1. Kommentar ist nicht aus Neid entstanden. Ich fühlte mich einfach dazu genötigt, dieser Diskrepanz zwischen von mir Erlebtem, und vom Kritiker Besprochenem, Ausdruck zu verleihen.
Mit freundlichen Grüßen,
S.B.
Das echte Riesenproblem mit dem Abend aber war nicht diese Unwilligkeit und das stockige Spiele, sondern die Dramaturgie: Wie es Euch Gefällt als Komödie über das Androgyne, so wie das hier gespielt wurde, das hat überhaupt kein Konfliktpotential. Wenn plötzlich alles geht, erotisch, und wenn plötzlich nichts mehr Konsequenzen hat oder kontrolliert werden muss, dann geht dem Stück nämlich das Grundproblem flöten -- und mit dem alle Gefahr, alle Furcht, alle Gewalt auch, alles Zwanghafte. Die Gewalt muss dann halt irgendwie behauptet werden, so dass man dem Touchstone dabei zusehen kann, wie er sich an seiner Audrey (oder it's doch noch Adam?) mit der strap-on Champagnerflasche mehr oder weniger vergewaltigend vergeht. Aber auch ohne Konsequenzen. Was auch immer das alles bedeuten sollte oder wollte, durchdacht war es wirklich nicht.
Schmalenberg wieder einmal als Junge- Kohrt als Mädchen - das habe ich jeweils schon viel klüger inszeniert gesehen. Kretschmann hat das Spiel der Beiden zusammengehalten- doch am Ende als Champagnerflaschen umgeschnallt wurden und die anbiedernde Hausmusik zum x.- Mal ertönte war der Abend endgültig ruiniert.
Schade um einen grossen Shakespeare.
Manchmal ist weniger vielleicht doch mehr.
Das Gender-Thema an sich ist interessant - dann hat mich jedoch das Ganze blöde Drum-Herum gestört. Wald etc.
Was daran eine überzeugende Ensembleleistung sein soll?
Für mich ist es nicht erkenntlich geworden- manche Schauspieler waren so vernuschelt , dass man sie gar nicht verstanden hat.
Gruß
Georg