Die Fallhöhe des Schafotts

von Matthias Schmidt

Halle, 27. Juni 2014. Nach rund anderthalb Stunden wäre es eigentlich vorbei. Die Revolutionäre haben sich entzweit, zerfleischt und aufs Schafott geschafft. Dantons Frau hat sich umgebracht und Camilles Gattin mit einem kecken "Es lebe der König" ihre Verhaftung provoziert. Auch eine Art Selbstmord. Aber in Halle ist es hier noch nicht vorbei. In Halle kommt noch was: auf leeren Fässern wird ein ekstatischer Rhythmus getrommelt und chorisch das Vermächtnis der Französischen Revolution in die Nacht gerufen. Von allen bis auf Robespierre, der auf einem Balkon und also über den Dingen steht. Sinngemäß sagen sie, wir haben alles für euch vorbereitet – die Freiheit erkämpfen müsst ihr selbst. Eine Botschaft. Wir? Für einen Moment glaubt man, die Schauspieler seien eben tatsächlich aus ihren Rollen getreten.

Wir sind das Volk

In Wahrheit haben sie den "Danton" weder gerockt noch gerappt und schon gar nicht mit Gegenwart und klugen Heute-Texten aufgeladen. Nur verknappt und verdichtet hat Regisseur Jörg Steinberg den Büchner, im Interesse der Frage, was genau da im Verlaufe geschehen und wann eine Revolution eigentlich am Ziel ist. Offenbar nie. Wofür es Beispiele in jeder Nachrichtensendung gibt. Sogar im Leben vieler Zuschauer. Tatsächlich sagt Katharina Brankatschk, die als "Volkes Stimme" mehrere große Auftritte hinlegt, einmal, "wir sind das Volk". Wir! Ab und an setzt sie sich zu uns, dem Volk, und wir müssen aufpassen, dass wir bleiben, was wir sind: Zuschauer. Dass diese Idee irgendwann mal wirklich Sinn macht, wer hätte das gedacht?

Doch gemach, so ist die Inszenierung gar nicht, so platt und plump und sich kabarettistisch anbiedernd. Im Gegenteil. Sie ist ein finsterer Sog. Die Szene ist ein von barrikadenartig aufgebautem Müll umgebenes Schafott. Die Fallhöhe stimmt. Die Barrikaden werden später brennen, was zusammen mit dem düsteren Klangteppich des Musikers Falkenberg ziemlich gespenstisch wirkt. Akustisch eine Mischung aus Industrial und Dark Ambient, immer wieder unterbrochen vom fiesen Geräusch der Guillotine, optisch eine Parade von blaßgeschminkten Untoten unter den echten Retro-Stadtlaternen aus dem Katalog.

Brennnende Tonnen

Die sich gegenüberstehen sind einerseits die bunten Vögel um Danton und auf der anderen die schwarz gewandeten um Robespierre. Danton und Robespierre sind antonym: weiß und schwarz, gut und böse, trinkend und trocken, Genießer und Spießer. Der Gefahr, die diesem genialischen Text ja nun mal innewohnt, nämlich, dass die beiden zu in Epigrammen sprechenden Gipsköpfen werden, entgeht die Inszenierung durch ihre Schauspieler. Kurz bevor sie in die Thesenfalle tappen, schaffen es Alexander Gamnitzer (Danton) und Harald Höbinger (Robespierre), ihre Protagonisten tatsächlich zum Leben zu erwecken.

dantons tod2 560 falk wenzl u Die Barrikaden werden noch hochgehen in diesem "Dantons Tod", Szene mit Alexander
Gamnitzer und Kerstin König © Falk Wenzl

Danton etwa, der lange Zeit coole, die ihm drohende Gefahr zynisch weglachende Dandy, schweigt irgendwann gefühlt minutenlang. Ihm fehlen schlicht die Worte, als er sein Scheitern begreift. Und weitergehend uns anschaut und mutmaßt, dass das, was die Revolution wollte, mit uns Menschen vielleicht gar nicht gehe. Das ist großes Theater. Ein Kammerspiel im Über-Drama, direkt neben brennenden Tonnen und unter freiem Himmel. Man trinkt seinen Wein, traut sich aber nicht ihn herunterzuschlucken.

Danton und die Mütterrente

Schließlich kommt dieses hinzu inszenierte Ende. Plötzlich stehen sie alle vor uns, die gerade Hingerichteten, dem Geschichtsbuch entsprungen und direkt am Halleschen Universitätsplatz herausgekommen. Das sagt uns was. Die Revolution von heute frisst ihre Kinder nicht. Sie spuckt sie wieder aus. Und da stehen sie nun und haben sich zu entscheiden, ob sie es erneut versuchen. In Halle tun sie es, trommeln und rufen es in die Nacht.

Und das Zuschauervolk denkt sich was dazu. 25 Jahre nach der friedlichen Revolution, die jemand gewonnen hat, der gar nicht dabei war. In einem Landstrich, in dem Frauen ab Juli 2014 für ihre vor 1992 geborenen Kinder nur 92 Prozent mehr an Mütterrente bekommen, weil ein Rentenpunkt hier eben nur 92 Prozent wert ist. Wir? Doch stopp, von der Rente oder dem Osten ist in der Inszenierung keine Rede. War nur so ein Gedanke – am Rande eines Revolutionsdramas, so als Volk und 92-Prozent-Bürger – wie man diese Lebensabwertung als Sieg interpretieren kann. Damit aus dem Theater zurück in die angeschlossenen Funkhäuser!

Dantons Tod
von Georg Büchner
Open Air des Neuen Theaters Halle in Kooperation mit dem Thalia Theater Halle
Regie: Jörg Steinberg, Bühne und Kostüme: Heike Neugebauer, Musik: Falkenberg, Dramaturgie: Kathleen Rabe.
Mit: Alexander Gamnitzer, Florian Stauch, Philipp Noack, Cedric Cavatore, Enrico Petters, Harald Höbinger, David Kramer, Manuel Zschunke, Axel Gärtner, Peer-Uwe Teska, Kerstin König, Natalja Joselewitsch, Katharina Brankatschk, Ilja Roßbander.

Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.kulturinsel-halle.de

 

Kritikenrundschau

"Sicher", schreibt Joachim Lange zur Hallenser Aufführung von "Dantons Tod" in der Mitteldeutschen Zeitung (30.6.2014), "die Autoreifen, Müllsäcke oder brennenden Fässer erinnern an die Revolten von heute. In Kairo, Kiew oder anderswo. Doch es dominiert der Respekt vor dem Text." Was man "im Schatten der Guillotine auf dem Holzgerüst" erlebe, sei "trotz der Perücken und Kostüme aus der jakobinischen Zeit beinahe ein Gegenwartsstück." Alexander Gamnitzer juble seinem Danton "immer wieder dialektischen Wirtz unter den demonstrativ zur Schau getragenen Hedonismus." Und auf der anderen Seite gebe Harald Höbinger den Robespierre als "Buchhalter des Todes."

 

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