Das letzte Feuer - Tobias Wellemeyer zeigt Dea Loher nach dem großen Brand
Leben nach dem Ascheregen
von Johanna Lemke
Magdeburg, 18. Oktober 2008. Über allem liegt Asche. Ein dünner, grauer Firnis, übrig geblieben vom großen Brand. Eingewickelt in graue Decken, wie gestrandete Flüchtlinge, schleppen sich acht Gestalten auf die Bühne. Sie scheinen gerade noch einmal davon gekommen, der Katastrophe knapp entronnen zu sein, und sie beginnen zu erzählen, während sie sich langsam aus ihren Umhängen schälen.
Dea Lohers Text ist ein Meisterwerk, anders lässt es sich nicht sagen. So tief erschüttern die Einblicke in die tragisch-schmutzige Welt des Prekariats, so kongenial mischen sich christliche Analogien in diesen Rhythmus der weltlichen Leiden, so kompromisslos webt Loher sprachliches Pathos in die nüchterne Umgangssprache. Die Autorin wurde für ihren Text in diesem Jahr mit dem Dramatikerpreis der Mülheimer Theatertage ausgezeichnet. Andreas Kriegenburg hatte "Das letzte Feuer" als ein schaurig-alltägliches Karussell einer Schicksalsgemeinschaft am Thalia Theater Hamburg uraufgeführt.
Der Betonboden staubt bei jedem Schritt
Nun wagt sich Tobias Wellemeyer, Intendant am Theater Magdeburg, an diesen Text. Er setzt Gestrandete auf eine Bühne, die aus verschiedenen Materialien gezimmert ist: Pappe, Linoleum, Sperrholz und abgeblätterter Putz fügen sich zu einem Raum, der einzustürzen droht, der nackte Betonboden staubt bei jedem Schritt. Ein verlorener, ein wüster Ort, abseits von jedem Glücksanspruch. Wer hier wohnt, der hat nicht mehr viel vor sich.
Alle Figuren befinden sich permanent auf der Bühne, sie bilden das "Wir". Ein jeder ist Teilhaber an der Geschichte, die an jenem Tag im August begann, als der Junge Edgar von einem Auto erfasst wurde und starb. Der zugekokste Olaf hatte das Auto gesteuert, er war auf der Flucht vor der Polizistin Edna, die ihn fälschlicherweise für einen Terroristen hielt. Das Auto gehörte nicht Olaf, sondern Karoline, der Krebskranken und Brustamputierten, die wiederum ein Verhältnis mit dem Vater des toten Edgar hat. Und dann ist da noch Edgars Mutter Susanne, die ihre alzheimerkranke Schwiegermutter pflegt und dieser immer wieder aufs Neue erklären muss, dass Edgar gestorben ist, weil sie es in dem Moment, da man es ihr sagt, schon wieder vergessen hat.
Bündnis der emotional Erstarrten
In diesem Knäuel der Beziehungen, deren Fäden an diesem Unglückstag im August zusammenlaufen, erscheint eines Tages Rabe, ein Fremder und der einzige Zeuge des Unfalls. Man weiß nicht viel von ihm, nur, dass er Soldat war und sich eines nachts die Fingernägel so lange gefeilt hat, bis kein Fleisch mehr auf den Knochen hing. René Schwittay spielt Rabe als ein verstörtes und traumatisiertes Nervenbündel, das in diese aus den Fugen geratene Gemeinschaft passt, denn er ist ebenfalls ein Versehrter, traumatisiert durch einen Auslandseinsatz. Noch eine gescheiterte Figur in diesem Bündnis der Erstarrten.
Der Text ist – einer Rückblende gleich – ein Geflecht von dialogischen Szenen und epischen Passagen, die mal von dem einen, dann von dem anderen erzählt werden. Den Schock überwinden, indem man ihn in Worte zu fassen versucht, um Sprache ringt. Dieses kongeniale Miteinander von Dramatik und Prosa erlaubt den permanenten Wechsel von Spiel und Subtext, in dem die Geschichte langsam an Kontur gewinnt.
Hochgefahrenes Spiel
Es hätte der Inszenierung wohl getan, wenn sie sich ein wenig mehr auf die Kraft des Textes verlassen hätte. Die Darsteller wollen über ihr Spiel den Text mit Tiefe füllen – und bügeln dadurch gerade die schiere Poesie glatt. Denn sie spielen sehr viel, sehr groß, sehr laut: Susanne Krassa als krebskranke Karoline tut esoterisch, ist aber eigentlich sehr verzweifelt, Polizistin Edna (Katharina Brankatschk) schmiedet Pläne, wie sie den Attentäter doch noch schnappen kann. Der in einem weißen Rollkragenpulli steckende, schwule Peter (Jon-Kaare Koppe) macht auf Klassenclown. Und die Wut von Susanne (Meike Finck), der Mutter des toten Edgar, verdeckt die Abgründe der Figur.
So wird verhindert, dass ihre Brüche transparent werden, als sie sich in Rabe verliebt, in den einzigen Wissenden, der aber zu reden sich weigert. In manchen Momenten, wenn die Sprache als Subtext dient und nicht bloß als Hülse, die gefüllt werden will, sind das präzise und beklemmende Szenen. Im Kollaps am Schluss wird der Regler noch mal richtig hochgefahren: Susanne brüllt, schlägt um sich, lässt sich von Rabe verprügeln. Als der sich schließlich mit Benzin übergießt und selbst in Brand setzt, ist alles wieder ganz ruhig. Alle wirken wie befreit. Das letzte Feuer hat nicht nur die Sehnsucht weggefegt, sondern auch den Verfall besiegelt. Keiner mehr lebt an diesem Schmerzensort. Mit einem letzten Satz verabschiedet sich jeder einzelne von der Bühne – und übrig bleibt die Asche.
Das letzte Feuer
von Dea Loher
Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Musik: Camill Jammal, Video: Bastian Albrecht.
Mit: Meike Finck, Axel Strothmann, Gisela Hess, Katharina Brankatschk, Susanne Krassa, Eddie Irle, Jon-Kaare Koppe, René Schwittay.
www.theater-magdeburg.de
Mehr lesen über Dea Lohers Stück: Andreas Kriegenburgs Uraufführung von Das letzte Feuer fand im Januar 2008 am Thalia Theater Hamburg statt. Ein ausführliches Dossier über das Stück, das 2008 auch den Mülheimer Dramatikerpreis gewann, die Dramatikerin und die Inszenierung steht auf unserer Mülheim-Seite www.nachtkritik-stuecke08.de bereit. Auch die Debatte über die Vergabe des Dramatikerpreis der 33. Mülheimer Theatertage ist dort kommentiert und dokumentiert.
Kritikenrundschau
Dea Lohers "Das letzte Feuer" sei "viel mehr Prosa denn als Dialog geschrieben – in einer beeindruckenden Sprache", schreibt Herbert Henning in der Magdeburger Volksstimme (20.10.). "Es ist eine kollektive Erzählung, verpackt in Monologe und Dialoge, die im Kopf Bilder entstehen lassen." Tobias Wellemeyer, der Magdeburger Intendant und Regisseur der Aufführung, habe "zu den Schmerzen, die Dea Lohers Figuren erleiden, ... eine fast schon cineastische Bildsprache gefunden, er nutzt auch das Medium Film, um ... die von den acht Personen als kollektives 'Wir' chorisch erzählten Geschichten wie in einem zerborstenen Spiegel bildgewaltig zu kommentieren." Das gebe dem Stück "eine faszinierende zusätzliche Erzählebene, die wie viele szenische Metaphern den einzelnen Figuren immer noch ihr letztes Geheimnis lassen und so zum Nach- und Weiterdenken herausfordern." Und dann sei Wellemeyers Inszenierung auch noch dies: "Großartiges Schauspieltheater!"
"Längst ausgebrannt" seien die Figuren in "Das letzte Feuer", schreibt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (21.10.), "Menschen, die außer ihren Erinnerungen nichts mehr zu verlieren haben". "Die Asche, die sie aufwirbeln, ist der Rest ihrer einstigen Wärme – und der Rohbau, der sie umgibt, wirkt wie das Trümmerfeld ihrer vergangenen Zukunft." Das Stück sei "als Panorama des Schmerzes eine perfekte Vorlage für den empathischen Magdeburger Generalintendanten", der in seiner Inszenierung "präzise Entsprechungen für den ungemein dichten und assoziationsreichen Text" finde. "Dass die kaum mehr als anderthalb Stunden zum Fegefeuer für jeden Mitleidenden werden, ist vor allem Wellemeyers Ensemble geschuldet". Als geheilt werde hier keiner entlassen – "auch nicht der Zuschauer, der aus dieser fiktiven Vorhölle in reale Krisen zurückkehren muss".
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War am Wochenende wieder mal im Schauspiel Magdeburg unter der Leitung von Jan Jochymski und habe dort eine hervoragende "Miss Sara Sampson" in der Regie von Kay Vogges gesehen. So etwas erfrischendes wurde seit Jahren nicht mehr in Magdeburg gezeigt. Publikum war begeistert und es gab Standing Ovations für die kraftvollen Schauspieler.
Es geht also weiter und es zeigt sich, dass man aufhören sollte Personenkult um Intendanten zu erschaffen.