Endstation Sehnsucht - Sascha Hawemann überdreht Tennessee Williams in Magdeburg
Alles fit im Schritt?
von Ute Grundmann
Magdeburg, 21. März 2014. Wie bestellt und nicht abgeholt hockt Blanche zwischen abgelegten Möbeln, einer Kleiderstange, all dem Kram, der vom Leben so übrigbleibt. Sie ist mit kleinem Schwarzen, Perlenkette, Hochsteckfrisur herausgeputzt wie zu einem wichtigen Besuch oder einem besonders wirkungsvollen Auftritt. Sie ist deutlich fremd in dieser Umgebung, in der ihre Schwester Stella lebt, und wird es auch bleiben, allen verzweifelten Versuchen zum Trotz. Mit diesem starken Bild in der beeindruckenden Szenerie von Wolf Gutjahr beginnt Sascha Hawemanns Inszenierung von Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" im Theater Magdeburg. Doch in diesen stummen Auftakt marschieren zwei ganz coole und betont lässige Typen quer über die Bühne, nehmen ihre Plätze links vorn an Klavier und Gitarre ein – die Musiker Günther Harder und Raphael Tschernuth, die später als Steve und Pablo in Stückrollen hinein- und wieder zur Musik zurückwechseln. Erst einmal starren sie feixend ins Publikum, bis Ruhe ist, und beginnen dann mit wehmütiger Südstaatenmusik.
In diesem Auftakt findet sich schon das, was Sascha Hawemanns Inszenierung des Bühnenklassikers von Tennessee Williams – uraufgeführt 1947, später mit Vivien Leigh und Marlon Brando von Elia Kazan verfilmt, der auch die Theater-Uraufführung inszenierte – ausmachen wird: wenige stille Momente, aber viel Überdeutliches, Überzeichnetes, Überdrehtes.
Auf dem kalten Präsentierteller
Der niedrige Kubus, den Wolf Gutjahr in all den Lebensmüll gestellt hat, wird auch im wörtlichen Sinn heftig und immer schneller gedreht. Er stellt einen klaustrophobischen, kalten Lebensraum dar, aber auch einen Präsentierteller, auf dem Stella (Katharina Schlothauer) ihrem Mann Stanley (Konstantin Marsch) den Nacken rasiert, mit noch verpacktem Staubsauger (schließlich ist Stanley Staubsaugervertreter) die Bude saubermacht.
In diese Enge stolpert nun Blanche (Marlène Meyer-Dunker), mit ihrem Köfferchen, mit pompösen Kleidern und Papieren – dem einzigen, was vom einst reichen Elternhaus übriggeblieben ist. Schon äußerlich könnte ihre Schwester Stella kaum anders (geworden) sein: Mit Ganzkörpertattoo (wie alle aus Stanleys Dunstkreis) und knappsten Shorts und Tops darüber. Sie ist ständig in Unruhe, mit sprechenden Gesten, coolen Bewegungen, die sie jedem Satz, fast jedem Wort mitgibt. Es herrscht eine lärmende Heiterkeit zwischen den beiden; doch als Stanley (Konstantin Marsch) und seine Kumpels zu hören sind, läßt Blanche schnell die Jalousie runter. Doch es wird ihr nichts nutzen: Stanley, vom ersten Moment an Proll und Obermacker ("Alles fit im Schritt?"), verachtet sie und macht sie gleichzeitig an, schließlich ist er es von seiner Frau nicht anders gewohnt, die um Liebe und Gnade zugleich bettelt. Und wenn Stanley sich breitbeinig im Sessel fläzt, tut Blanche es ihm nach und reckt ihm die gespreizten Beine entgegen.
Jeder kann lauter brüllen
Es ist diese Ein- und Überdeutlichkeit, die Williams Stück platter macht, als es ist, und für Nuancen kaum einmal Zeit hat. Die Pokerrunde wird zur flaschenstemmenden Männerriege an der Rampe, mit viel Getue und schalen Witzen. Kaum ist der blass-schüchterne Mitch (Michael Ruchter) aufgetaucht, schmeißt Blanche die Verführungsmaschine an: Ahs und Ohs und kokettes Lachen, um die Angst und das Alter zu überspielen. Dass es auch anders geht, zeigt die Inszenierung viel zu selten: Da tanzt Blanche mit und für Mitch unter einem Lampion, den er über sie hält – doch gleich fällt wieder der Krawall der Pokerspieler in diesen Moment. Auf Stellas verzweifeltes "Ich liebe ihn" antwortet Blanche mit Affengrunzen und -gesten, um den "Steinzeitmenschen" Stanley zu diffamieren. Und wenn Mitch mit einem Eimer welkender Tulpen aus dem Sonderangebot vorsichtig um Blanche wirbt, muss er gleich drauf laut brüllend an die Wand hämmern und Koffer stemmen, um zu zeigen, wie fit er ist.
Fast scheint es, als traue Sascha Hawemann Williams' Text allein nicht mehr zu, die Geschichte von Abhängigkeit, Angst, Alleinsein zu transportieren, motzt ihn deshalb mit vielerlei Äußerlichkeiten auf – und schwächt ihn dadurch nur.
Endstation Sehnsucht
von Tennessee Williams
Übersetzung: Helmar Harald Fischer
Regie: Sascha Hawemann, Bühne/Kostüme: Wolf Gutjahr, Musik: Günther Harder, Raphael Tschernuth, Dramaturgie: Heide Palmer.
Mit: Marlène Meyer-Dunker, Katharina Schlothauer, Konstantin Marsch, Michael Ruchter, Luise Audersch, Günther Harder, Raphael Tschernuth, Sigrid Hoelzke-Wittig.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.theater-magdeburg.de
In der letzten Nachtkritik, die "A Streetcar named Desire" auf die Bühne fahren sah, ging es nicht um eine Tennessee Williams-, sondern um eine René Pollesch-Inszenierung, Je t'adorno im Bockenheimer Depot des Frankfurter Schauspielhauses.
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Leider! So ist es, bei den meisten Regisseuren - nicht nur bei Williams' Text - die versuchen, irgendwas "originales" mit dem Stück zu machen. When will they ever learn?
Das ist tolles Theater!