Odyssee: Buch von Homer - Theater Magdeburg
Jetzt klappt es aber!
14. Mai 2023. Bastian Reiber, bis heute Teil der Herbert-Fritsch-Familie und einst Ensemble-Mitglied in Magdeburg, inszeniert dort jetzt "Odyssee: Buch von Homer". Wenig Homer, viel Slapstick. Dem man sich, einmal in Fahrt gekommen, nicht so richtig entziehen kann.
Von Iven Yorick Fenker
14. Mai 2023. Der eiserne Vorhang öffnet sich und dahinter ist die Bühne hell und vollgestellt. Die große Geste: direkt verpufft. Die Bühnenwände sind mit Bauplane verhangenen, die Requisiten in schlammiger Farbe, die leicht bröckelt und an Ton erinnert. Dazu: ein Pappmachéhügel. Eine IKEA-Couch. Monoblock-Stühle. Nun stolpern die Spielerinnen mit großem Gestus auf die Bühne. Plötzlich: Schulterzucken und verhaltenes Baumeln der Arme. Impetus: Ich weiß es nicht. Ich mache mal.
Immer geht was schief
Und ich – und jetzt spricht der Autor – weiß es auch nicht. Das geht jetzt nämlich noch eine ganze Weile so und der ganze Saal lacht. Laut. Auf der Bühne zeigt das Ensemble gerade, wie eine unbeholfene Geste (das synchrone Schulterzucken) sofort eine andere Qualität bekommt, wenn sie auf einer Bühne wiederholt wird – so lange, bis sie ihr witziges Potential offenbart. Arme im Takt, alle Spielerinnen synchron, bis auf eine. Immer wenn man denkt oder denken soll, jetzt klappt es aber, dann passiert etwas ganz anderes, geht schief.
Slapstick, klar. Jetzt fällt jemand hin, will auf den Pappmachéschlammberg, stürzt, steht auf, fällt, in vielen Variationen. Das ist ziemlich lustig, weil gut gemacht. Und wird nicht die letzte Einlage von Julia Buchmann sein (die Szene mit der Leiter!). Generell ist die größte, die fundamentale Stärke des Abends das enthemmte Ensemble-Spiel.
Also auf der Bühne wird gefallen – und gefällts? Hinter mir jedenfalls scheinen sie von den Sitzen zu fallen. Was wird hier gespielt?
Im Fritsch-Fahrwasser
Die Odyssee. So lautet jedenfalls der Titel: "Odyssee: Buch von Homer". Steckt natürlich nicht Homer drin (oder wer immer das Epos geschrieben hat), jedenfalls ebenso viel oder wenig wie damals in Antù Romero Nunes‘ Fantasiesprachen-Version. Sondern Bastian Reiber. Reiber gehört seit Anbeginn zur Schauspieler:innen-Familie um Herbert Fritsch, vom Hallenser Haus in Montevideo bis zur Hamburger Jagdgesellschaft. Schon seine ersten Regiearbeiten, Passionsspiele am Deutschen Schauspielhaus und Prometheus an der Schaubühne waren deutlich von Fritsch’schen Enthemmungsstil inspiriert.
Wie auch jetzt in Magdeburg, wo Reiber einst Ensemblemitglied war. Aus der Fritsch-Familie hat er Musiker Ingo Günther mitgebracht, von Claudia Bauer Vanessa Rust, deren quietschbunte Kostüme zwischen Rüstung und Rüschenrock pendeln. Es ist ja ein reines Frauenensemble, das sich hier zwischen Heldinnenpose und Rotem-Teppich-Saugen verselbstständigt. Seine Slapstick-Choreografien branden in Wellen auf – es gibt Szenenapplaus! – und ebben ab.
Vorher muss angeatmet werden
Alles was geschieht ist sehr naheliegend, oft zu nah, fast schon bedrängend und beengend. Es braucht kein Orakel um vorhersagen zu können, dass da gleich etwas komisch schiefgehen wird. Das bisschen Text ist ein dünner, fader Stream alltäglicher mehr oder weniger treffsicherer Gedanken. Plötzlich wird im Chor gemurmelt! Auch da ist klar, noch bevor es losgeht: Jetzt werden die Replikate antiker Theatermasken hergezeigt und die Lacher mitgenommen, bis die Spielerinnen sich formieren und eins, zwei, drei – natürlich, na klar, man kann es mitdirigieren – als Chor beginnen. Aber vorher muss angeatmet werden.
Und dann passiert doch, was selten passiert, wenn ein Abend so unentschlossen startet, dass nämlich die Unentschlossenheit entschlossen wird über die Dauer. Und eigentlich ist der Take schön, auch wenn er maximal einfach ist: Wie bei Vorbild Fritsch dürfen die Spielerinnen aufdrehen. Darauf vertraut die Inszenierung. Und dann erwachen auch noch die Dinge auf der Bühne zum Leben, spielen mit. Hier findet eine Odyssee des Theaters statt, eine endlose Reise, die dann sehr schnell endet und gut, ja, also: Ich musste schon auch lachen.
Odyssee: Buch von Homer
von Bastian Reiber
Regie: Bastian Reiber, Bühne: Marina Stefan, Kostüm: Vanessa Rust, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Bastian Lomsché, Künstlerische Vermittlung: Tillmann Staemmler.
Mit: Iris Albrecht, Marie-Joelle Blazejewski, Julia Buchmann, Bettina Schneider, Carmen Steinert, Sophia Vogel.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-magdeburg.de
Kritikenrundschau
Der Regisseur brenne "ein Feuerwerk von scheinbar zweckfreien Handlungen und Bildern ab", schreibt Rolf-Dietmar Schmidt in der Magdeburger Volksstimme (15.5.2023). Zweckfrei, aber nicht zwecklos oder zweckentleert. Wer um die Ecke denken könne, der werde "vielleicht Vergnügen an dem Spiel auf der Bühne finden." Besonders lobt Schmidt die Schauspielerinnen, die "springen und fallen, klettern" und überhaupt im Zirkus auftreten könnten.
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Auch wenn man sich vllt. über einige Sachen im Foyer streiten kann, aber wen stört das schon.
Beste Grüße aus Niedersachsen
Dobrindt
Wo ist der Mehrwert des Abends? Was ist die Kernaussage? An sich ist es doch ein Plot nachzudenken, was wohl die Frauen in den 100 Monaten Rückkehrerwartung so beschäftigt haben mag… aber bei diesem Stück ist dies bedauernwerter Weise nicht ersichtlich. Man harrt 90 Minuten im Saal aus und wartet auf irgendeine Handlung… dann ist es vorbei - endlich! Hätte sich die Regie zu einer Pause durchgerungen, wären nach der Pause nur die Angehörigen des Theatervolks in den hinteren Reihen übrig geblieben… immerhin haben die zwischendurch was zum Lachen gehabt und am Ende laut geklatscht… irgendwer muss ja ;-)