Ein Sommernachtstraum — Philipp Preuss inszeniert Shakespeares zweischneidige Komödie als Dark Metal Alb in Leipzig
Sommernachtmahr
von Tobias Prüwer
Leipzig, 19. September 2015. Lautstarkes "Bravo" und ebenso kräftiges "Buh", ein gespaltenes Publikum. Endlich ist lebendiges Theaterdasein auch in den großen Saal des Schauspiel Leipzig wieder eingezogen. Philipp Preuss hat sein Crossover aus Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" und der gleichnamigen Musik von Mendelssohn Bartholdy mit düsterer Ästhetik versehen. Wer zum Spielzeitauftakt ein süßliches Scherzchen erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht.
Rotierender Finsterforst
Eine Stückzertrümmerung lieferte Preuss aber auch nicht ab, fügte zwar einige alltagssprachliche Bemerkungen ein, aber seine Inszenierung hangelt sich im Großen und Ganzen am roten Faden der Vorlage entlang. Da hätte er etwas kompromissloser sein können und das nach der Pause gezeigte "Spiel im Spiel" der Handwerkerhampel getrost weglassen können. Dieses ist zwar in sich lustig anzusehen, wirkt aber wie eine versöhnliche Geste. Denn es mildert die Wucht des früheren Bilderreigens ab und verkleistert die Abgründigkeit des zuvor Erlebten. Immerhin bekommen die Gewandhausbläser & Friends hier Mendelssohn-Bartholdy-Melodien am Stück zu spielen, statt diese nur kurz aufklingen zu lassen und sich ansonsten leise zupfend und knarzend an den Klangflächen aus dem Synthesizer zu beteiligen.
Nachdem Theseus vorn an der Bühnenkante Audienz gehalten hatte – als libidinöses Leibtheater deutete diese Exposition das Hauptthema schon hübsch an –, hebt sich der Eiserne. Dahinter kreiselt eine bemüht naturalistische Waldlandschaft, die sich wie eine Anspielung auf eine hyperrealistische Kitschkulisse ansieht. Zwischen den Baumgruppen ist ein Tümpel verborgen, in dem Oberon und Titania planschen. Videoprojektionen auf die Baumkronen machen sie erst richtig sichtbar. Die Elfen treten, wie die später hinzukommenden Menschen, in Fellgarderobe auf, die sie alle im Verlauf verlieren sollen. Durch wechselndes Licht und Schatten sowie Nebel wird der rotierende Finsterforst zur variablen, meist im Zwielicht gehaltenen Spielfläche.
Zaunreiter der Grenzerfahrung
Vielfältig eingesetzte Videoprojektionen schaffen schöne Verfremdungseffekte. Als die zwei verkappten Liebespärchen das erste Mal den Wald betreten, ist ein Gazevorhang vor die Bühne gelassen. Die Zuschauer erahnen sie dahinter, sehen aber die Schauspieler deutlich auf diesem Vorhang agieren. Eine extrem langsame Kamerafahrt mit Nahaufnahmen aus dem Gehölz verleiht der zuvor hoch künstlich wirkenden Kulisse mit einem Mal realistische Anmutung. Die wacklige Handkamera könnte dem Wald-und-Wiesen-Horrorfilm Blair Witch Project entsprungen sein.
Wie zuvor der Eiserne markiert nun der transparente Vorhang die Grenze zwischen (menschlicher) Zivilisation und (mythischer) Barbarei. Hier taucht mal eine Hand auf, ansonsten sieht man unmittelbar nichts, nur manchmal springt der Puck ins Bild. Immer wieder dieser Puck: Er gerinnt wie das Kunstblut, das er kanisterweise anschleppt, nicht nur zum Dreh- und Angelpunkt des Waldkreisels, sondern ist insgesamt der stärkster Charakter. Während auch die anderen Darsteller gerade durch groteske Körperlichkeit – bei der stimmlichen Präsenz schwächeln dann einige doch arg – überzeugen, legt Markus Lerch gleich mehrere Schippen drauf. Lustig Koboldhaftes hat sein Puck nicht zu bieten. Er gibt den Zaunreiter dieser Grenzerfahrung, zerstört mutwillig jeden Anflug eines süßen Sommernachtstraums. Wie ein Marionettenspieler treibt er seine Figuren schier in Wahnsinn und Tod – oder ist das doch nur ein (Alp-)traum? Mit absurden Tänzchen, im Skurrilen fischenden Körperbewegungen, zwischen Arglist und Missmut changierender Mimik und Gestik bringt er als eine Art Trickster-Type Oberons Ordnung ordentlich durcheinander.
Elfische Anderswelt mal anders
Kunstblut, Kunstblut, Kunstblut – und niemand dürfte Philipp Preuss böse sein. Denn das rote Liquid ist ja kein Blut, sondern symbolisiert lediglich den Blumensaft, der die Liebesraserei anstachelt, sowie das entsprechende Gegengift. Dass Puck literweise gießt statt träufelt; geschenkt. Dadurch entstehen starke Bilder, die zuweilen an Auftritte von Black-Metal-Bands erinnern, wenn weißgeschminkte Gesichter unterm herunter rinnenden Rot zerfließen. In der Pause meinte ein rauchender Zuschauer vor der Tür, da sei der Widergänger Sebastian Hartmanns am Werk. So tief sitzen sie also noch, die Gräben in Leipzig.
Preuss' Lust auf Horror und Schauder ist unübersehbar. Sein Ansatz, die elfische Anderswelt nicht als ulkiges Universum in quietschbunter Kulisse zu inszenieren, schafft nicht nur ästhetisch originelle Gegenbilder zu gängigen "Sommernachtstraum"-Adaptionen. Warum soll die Elfenwelt unbedingt drollig sein? Auch sein Spiel mit den Wahrnehmungsebenen geht gut auf, Verfremdungen werden immer wieder zugunsten anderer Verfremdungen aufgegeben. Der Videoeinsatz ist hier kein loser Effekt, sondern starkes Mittel, das zeigt, was Film, sofern im Theater bewusst eingesetzt, erwirken kann. Trotz sich manchmal zu lang hinziehender Sequenzen entfesselt dieser Sommernachtsmahr einen starken Sog der Faszination – oder eben abwehrende Abscheu.
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare, unter Verwendung der Fassung von Angela Schanelec, Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Mit der Musik "Ein Sommernachtstraum (Schauspielmusik op. 61)" von Felix Mendelssohn Bartholdy in einer Bearbeitung für Bläsernonett von Andreas Nicolai Tarkmann
Eine Kooperation mit dem Gewandhausorchester Leipzig
Regie: Philipp Preuss, Bühnenbild und Kostüme: Ramallah Aubrecht, Musiker: Gewandhausbläserquintett & Gäste, Licht: Carsten Rüger, Video: Konny Keller, Klangregie: Kornelius Heidebrecht, Dramaturgie: Alexander Elsner, Christin Ihle.
Mit: Ulrich Brandhoff, Jonas Fürstenau, Gewandhausbläserquintett & Gäste, Andreas Herrmann, Dieter Jaßlauk, Roman Kanonik, Daniela Keckeis, Anna Keil, Andreas Keller, Markus Lerch, Denis Petković, Felix Axel Preißler, Runa Pernoda Schaefer, Sebastian Tessenow.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
Man bekomme ein Gesamtkunstwerk geboten, wie man es an diesem Haus lange nicht mehr gesehen hat, so Joachim Lange in der Mitteldeutschen Zeitung (23.9.2015). Preuss und seine Ausstatterin "entfesseln eine dunkel sinnliche Opulenz, bieten psychologisch gründelnden Hintersinn, aber auch Witz und dosierte Selbstironie." Das Ensemble laufe zu Hochform auf. "Das eigentliche Wunder aber sei der dunkel dräuende feen- und Alptraumwald, den Aubert auf die Drehbühne gezaubert habe."
"Wohlverdienten freundlichen Applaus" und "wohlverdiente Buhs" vernahm Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (21.9.2015) für diesen "Sommernachtstraum". Eine dunkle Grundierung versuche Preuss, "und das anfänglich vielversprechend". Den Emotionshickhack inszeniere Preuss als hyperventilierende Absurdität. Die Suggestionskraft gehe jedoch zunehmend verloren. Nach einer Stunde sei das Ideenpotential, das die Theatermaschine so gut in Gang setzte, mehr oder weniger abgeholzt.
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Mache mich bald auf den Weg.
Das Publikum war mehrheitlich nicht begeistert. Ersten, waren bereits nach der Pause sehr viele Sitzreihen leer und zweitens waren die Buhrufe beim Auftritt des Regieteams, vom dann noch verbliebenen Publikum, mehr als nur vereinzelte Rufe.
Ich empfand, daß die Leipziger Inszenierung zu Beginn noch recht intensiv, witzig und vor allem bildgewaltig daher kam. Doch mit zunehmender Länge, mehrheitlich verursacht durch einige unnötige Regieeinfälle, ebbte die Spannung und auch das Interesse zunehmend ab. Ja, und auf den zweiten Teil (Handwerkerhampel) nach der Pause, hätte man in der Tat verzichten können.
Da hat z.B. die Inszenierung des Anhaltische Theater in Dessau im vergangenen Jahr das Publikum viel stärker begeistert und regelmäßig für ein gut besuchtes Haus gesorgt.
Nur, wär's ein Film, hätte man an einigen Stellen gerne 'Schnitt' gesagt - wie früher so oft bei Hartmann. Z.B. als Pyramus der weiße Ballon davonschwebt - der weitere Auftritt von Thisbe war dann entbehrlich. Bei den kommenden Aufführungen bitte unbedingt die Stimmkraft einiger Schauspieler verbessern. Da gibt es auch technische Mittel, damit schwächelnde Stimmleistung (z.B. bei Thisbe) nicht vom vollen Saal verschluckt wird. Das akustische Problem hat man wohl bei den Proben vor leerem Haus nicht gemerkt. Die Zuschauer sollen auch den TEXT akustisch verstehen.
Aber trotzdem wieder ein wunderbares Theater, weiter in diesem Sinne!
gemacht habe.
Claudia Bauers Abend ist perfekt, leider für mich inzwischen zu perfekt. Bauer schrammt langsam am Kunsthandwerk. Aber trotzdem deutlich besser als der Sommernahtstraum.
Die beste und besonderste Arbeit ist Lübbes Schutzflehende! Klug, politisch, eben nicht geradlinig hermetisch (wie Bauer) und auch mit großen Bildern (wie Preuss).
Zurück zu gestern Abend: auch neu für mich in Leipzig war: volles Theater! Das habe ich weder unter Hartmann noch Engel hier erlebt! Respekt!