Die Legende von Paul und Paula - Nationaltheater Weimar
Rot ist die Farbe der Liebe
von Tobias Prüwer
Weimar, 17. September 2021. In der DDR war "Die Legende von Paul und Paula" Kult. Noch heute wird der DEFA-Spielfilm in der Nostalgie-Ecke des MDR ausgestrahlt. Am Nationaltheater Weimar nun steigt der Stoff zu zeitloser Größe auf. Zart und unverkrampft inszeniert ihn Brigitte Dethier als berührendes Liebesdrama – selbst die ausgenudelten Puhdies-Songs klingen frisch: "Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen."
Jegliches hat seine Zeit
Rote Rhomben hängen an der linken Bühnenseite über einem Musiker-Trio. Mit Rot – "die Farbe der Liebe" (Paula) – ist der vordere Bodenbereich ausgeschlagen. Hinten steht die Drehbühne bereit für den raschen Stationenwechsel. Der gelingt unglaublich gut, die Szenen fließen ohne harte Schnitte flott ineinander. Das Bühnengeschehen ist ein permanentes Werden und Vergehen, was vom Grundtenor der schicksalshaften Begegnung von Paula und Paul getragen wird: "Wir lassen es dauern, so lange es dauert. Wir machen nichts dagegen und nichts dafür." (Paula)
"Geh zu ihr...": Isabel Tetzner als Paula, Nahuel Häfliger als Paul in der Kaufhalle © Candy Welz
Natürlich ist es nicht so einfach mit den Liebesdingen, auch in einer Legende nicht. Denn die Kaufhallen-Angestellte Paula hat als Alleinerziehende zwei Kinder aufzuziehen, der Außenhandelsreferent Paul ist verheiratet und Vater. Sein staatlicher Dienstherr legt Wert auf einen ordentlichen Lebenslauf. Und doch finden beide zusammen – für eine Zeit.
Vertrauen auf Theatermittel
Warum hier so viel Inhaltliches erwähnt wird, werden sich manche Lesende fragen. Der ist doch gut bekannt, beim "Faust" erzählt man auch nicht die Story nach. Da sind wir beim Grundproblem: Ehemalige DDR-Bürger und später ostdeutsch Sozialisierte kennen den Stoff in der Regel gut, haben den 1973 erschienen Film mehrfach gesehen oder wenigstens von den Eltern schwärmend erzählt bekommen, wie er das damalige Lebensgefühl transportierte und ihnen einen Moment der Freiheit schenkte.
Das kreative Team um Brigitte Dethier hätte sich darum in die beliebte Masche flüchten können, den Film möglichst detailgetreu am Original nach zu inszenieren. Solches Nachstellen ist ja nicht nur in Musicals, sondern auch an Stadttheatern gängig. Man entschied sich fürs Gegenteil – und auch gegen jede Ostalgie.
Leben im Moment
Zwar kommen das Gefühl des Film, das Aus- und Aufbrecherische, das bedingungslose Begehren und die lodernde Liebe in der Inszenierung voll zum Ausdruck – aber auf eigene Weise. Die Regie hat den Mut bewiesen, sich von der Vorlage zu lösen. Sie hat ein eigenständiges Theaterstück geschaffen, das glaubhaft zeigt, warum der Stoff so auf die Bühne muss. Dieses Vertrauen auf die Theatermittel ist ein seltenes Kunststück bei Filmadaptionen.
Trabbi, wie es ihn so gar nicht gab, aber doch keine falsche Ostalgie in Birgitte Dethiers "Paul und Paula" © Candy Welz
Das liegt zum einen an einer eigenen Optik. Der Bühnenraum ist nicht vollgestellt. Die vordere Fläche kann frei bespielt werden, die Drehbühne hält vier Kulissenorte parat. Diese wirken wie grob mit einem Farbkasten hingepinselt. Da soll kein Realismus aufkommen. Ein knallroter Trabant, wie es ihn damals so nicht gab, und ein Neon-"Kaufhalle"-Schriftzug allein weisen Richtung DDR. Ein zwischendurch agierender Erzähler – sympathisch nonchalant: Lutz Salzmann – bettet in den Kontext und erklärt auch mal einen damaligen Begriff.
Denn komplett lösen vom Original wollte sich die Regisseurin nicht, warum auch, der Film ist ja Teil der (Kultur-)Geschichte. Der Clou des Erzählers besteht darin, dass er moderierend über die Szenen hilft und dadurch unterstützt, wie sie ineinander übergehen.
Puhdys- Zauber
Auch die Live-Band trägt neben Song-Szenen mit Geräuschen und mit Zwischenmusiken zum Charakter des Verfliegens, des Lebens im Moment bei. Der für Musik verantwortliche Christian Decker interpretiert die Puhdys-Hits neu, so dass sie einen Zauber entfalten, den sie einst gehabt haben mögen, bevor sie bei Ossi-Partys rauf und runter gespielt wurden. Das passiert mal leiser, mal lauter als im Original. Den machohaften Song übers Steigenlassen des Dachens – versteckte Andeutung von Erektion und Sexakt – singt Schauspielerin Dascha Trautwein.
Mit Film-Feeling: Isabel Tetzner und Nahuel Häfliger © Candy Welz
Sie schafft zusammen mit Bernd Lange, Bastian Heidenreich und Christian Decker einen Rahmen für Paul und Paula. Die beiden Schauspieler schlüpfen flink in unzählige Rollen, vom Gynäkologen bis zu Paulas Tochter und dem Bauarbeiterchor, und geben in ihrer bewussten Zurückhaltung Raum für das Paar.
Denn natürlich liegt das Gelingen des Abends mit großem Gefühl – niemals gefühlig – an den Darstellern von Paul und Paula: Nahuel Häfliger und Isabel Tetzner. Ihr leidenschaftlicher Umgang miteinander ist in keinem Moment behauptet, sondern jederzeit intensiv. Aus ihren Blicken füreinander spricht eine innige Zärtlichkeit. Natürlich fallen sie übereinander her, aber selbst da ist in aller Leidenschaft eine Behutsamkeit sich innig Liebender zu spüren. Das ist berührendes Spiel innerhalb einer insgesamt berührenden Inszenierung.
Die Legende von Paul und Paula
von Ulrich Plenzdorf
Regie: Brigitte Dethier, Bühne und Kostüme: Carolin Mittler, Musik: Christian Decker, Dramaturgie: Eva Bormann.
Mit: Isabel Tetzner, Nahuel Häfliger, Bastian Heidenreich, Dascha Trautwein, Bernd Lange, Lutz Salzmann, Christian Decker.
Musiker: Christian Decker, Lars Kutschke, Bastian Heidenreich
Premiere am 17. September 2021
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.nationaltheater-weimar.de
Kritikenrundschau
Henryk Goldberg schreibt in der Thüringer Allgemeinen (online 5.10.2021, paywall), die Zuschauer:innen wollten "sich erzählen lassen, wie es damals war mit den Gefühlen von Paul und Paula – und, vor allem, mit ihren". Es gehe um "geteilte Vergangenheit". Allerdings habe die Regisseurin Brigitte Dethier anderes im Sinn gehabt, sie nehme Teile aus Plenzdorfs Roman als "retrospektive Erklärungen zur gesellschaftlichen Situation". Das sei aber nur langweilig. Wer mit dieser Geschichte etwas über die DDR erzählen wolle, müsse "eine Liebe erzählen, die sich den Teufel schert um DDR und Karriere, um Mitbürger und wenn es sein muss sogar um den Tod". Dabei seien Bühnenraum und Nebenrollen vorzüglich. Nur Paul und Paula sähen die Zuschauer nicht. Isabel Tetzner und Nahuel Häfliger seien "nie schlecht, manchmal nett - und nie die, die für ihre Liebe auf alles pfeifen". Die Schauspieler:innen sängen gut, Aber sie hätten "viel mehr machen können mit diesem treibenden Soundtrack". Aber man habe offenbar den Eindruck vermeiden wollen, "hier nur eine Nostalgie zu bedienen".
"Regisseurin Brigitte Dethier orientiert sich stark am Kultfilm von Heiner Carow", schreibt Michael Plote im Freien Wort (21.9.2021), aber die "Bilder auf der Bühne rotieren und abstrahieren". Die Rollentausche klappten dabei eher als die Charakterwechsel, findet der Rezensent, dem vor allem die Zeichnung des Paul "vage" erscheint. Dennoch: "Die Inszenierung ist nicht zum Heulen und doch zum Lachen" und zeige, dass der Stoff auch 50 Jahre später noch auf der Bühne "leben" könne.
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