Adern - Akademietheater Wien
Die Berg ruft
14. März 2022. Besonders wichtig ist die Stille: in der Uraufführung "Adern" arbeitet Regisseur David Bösch mit Auslassung und Kunstgriffen. Die Konzentration schafft einen dichten und humorvollen Abend mit dem Text der jungen Dramatikerin Lisa Wentz, die ihre eigene Familiengeschichte erforscht und zugleich das Leben der Bergregion spiegelt.
Von Andrea Heinz
14. März 2022. Rußverschmierte Gesichter unter Tage, da denkt man wahrscheinlich erst mal an Ruhrpott-Romantik – aber auch in den Tiroler Gebirgen gab es Bergarbeiter, wurden Kupfer- und Silbererze abgebaut. Die junge Tiroler Dramatikerin Lisa Wentz wuchs unter einem dieser Berge auf. In ihrem mit dem Retzhofer Dramapreis 2021 ausgezeichneten und nun von David Bösch am Akademietheater uraufgeführten Stück "Adern" versucht sie, sich die (in weiten Teilen unerzählte, gemutmaßte) Geschichte ihrer Familie zu erschreiben, und zugleich die Geschichte dieser Gegend, dieses Landes.
Punktgenau
Einiges passt da hinein in diesen kompakten Text, der an die Volksstücke einer Marieluise Fleißer oder eines Horváth erinnert, und der vor allem außerordentlich präzise und klar geschrieben ist. Ohne ein Wort zu viel, genau auf den Punkt: Auf eine Anzeige hin treffen sich 1953 die alleinerziehende Mutter Aloisia (Sarah Viktoria Frick), die ein Kind (Lieselotte Leineweber) von einem französischen Besatzer hat, und der Witwer und fünffache Vater Rudolf (Markus Hering). Sie heiraten wegen dem Gerede der Leute, mögen, lieben sich irgendwann und bekommen zusammen noch ein siebtes Kind.
Dann gibt es noch Hertha (Andrea Wenzl), Aloisias ledige und deshalb von Neid beinah schon zerfressene Schwester, den in Alkohol- und Spielsucht verfallenen Bergbaukollegen Danzel (Daniel Jesch) – und: "Die Berg". Dargestellt als feenhafte Figur im weißen Kleid von Elisa Plüss. Diese Berg ist angelehnt (wenn man das so sagen darf) an den realen Eiblschrofen, eine bewaldete Kuppe nahe dem Tiroler Ort Schwaz. In diesem Berg waren die sogenannten Messerschmitt-Hallen versteckt, in denen zahllose Zwangsarbeiter:innen an Kampfflugzeugen bauten.
Hauptfigur: die Stille
Im Stück wird Rudolf regelmäßig von der Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis eingeholt, einer Sprengung wohl, die Stimme eines namenlosen Mannes bringt sich immer wieder in Erinnerung – genaues erfährt man ebenso wenig, wie über den Verbleib von Aloisias französischem Geliebten. Kurze, dichte Szenen folgen aufeinander. Das Verschwinden, Verschweigen, die Stille sind die eigentlichen Hauptfiguren, und wie Frick und Hering als Aloisia und Rudolf das auf dieser arg düsteren Bühne, in ihrem aus nur drei Wänden bestehenden, spärlichst eingerichteten Haus (Bühne: Patrick Bannwart) spielen.
Sekundiert werden sie von Jesch und Wenzl, die in ihren Nebenrollen genau den richtigen Ton treffen, ist bemerkenswert: Frick als pragmatische, unkorrumpierbare und unfassbar souveräne Hausfrau und Mutter Aloisia, Hering als immer ein bisschen verspielter, bubenhafter, aber schon lang nicht mehr junger Mann Rudolf. Die Komik, die sich aus ihren knappen Dialogen ergibt, ist punktgenau und trocken – lang schon nicht mehr so un-forciertes, tatsächlich ungezwungenes Lachen im Theater gehört. Ihre Liebe zeigen sich die beiden durch gegenseitiges Ellbogenrempeln, und wenn Aloisia nach Rudolfs Tod sein Abbild auf dem Hochzeitsfoto anrempelt, dann berührt das mehr sogar als der letzte Kuss von Rose und Jack auf der Titanic – ehrlich.
Kunsteingriff als Fremdkörper
Ein ganz klein wenig wird die Begeisterung getrübt durch das unpräzise Sprechen vor allem von Hering, der sich als Rudolf einfach nicht entscheiden kann, ob er jetzt Kunstdialekt sprechen soll, oder das gewohnte Hochdeutsch. "Griaßdi" und "nich'" – das haut nicht hin, ist aber verschmerzbar. Wesentlich mehr stören da schon die raunenden mit Rauchschwaden umwobenen und von klirrendem Werkzeugschlag begleiteten Einschübe, in denen das Heim der beiden seine schwarze Rückseite präsentiert und "Die Berg" auftritt, um von der Ausbeutung ihrer Schätze, aber auch ihrer Rache zu erzählen. (Am Eiblschrofen kam es 1999 zum Felssturz.) Diese unpassend konzeptuelle und auch arg essentialistische (Mutter Natur!) Ebene hätte der starke Text genauso wenig gebraucht wie der Abend, er wirkt fast wie ein Fremdkörper.
Ende ohne Lösung
Die Geschichte endet schließlich in den Siebzigern: Rudolfs Älteste (Elisa Plüss jetzt keck im Mini) wird unehelich schwanger, heiratet und zieht ausgerechnet unter den schicksalhaften Berg, was ihr Vater kaum verkraftet. Den Fortgang der Zeit erzählen Text wie Inszenierung höchst elegant: Kleider wechseln (Kostüme: Falko Herold) – wenn auch nicht zu sehr, man hat schließlich keinen Geldscheisser –, Kinder werden groß, es gibt ein Radio, dann einen Fernseher, die Nachrichten erzählen vom Verstreichen der Jahre und Jahrzehnte. Die Erzählung läuft ungewohnt ziellos ihrem Ende zu, vieles wird nicht aufgelöst, nicht ausgesprochen. Für das von Netflix und aristotelischer Dramentheorie verdorbene Auge (und Hirn) ist diese Abwesenheit von handelsüblicher Dramaturgie gewöhnungsbedürftig. Umso dankenswerter, dass diesem Abend keine Peripetie, keine Lösung aufgezwungen wird. Es lohnt sich, ihn anzuschauen.
Adern
von Lisa Wentz
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Komposition: Karsten Riedel, Licht: Markus Loran, Dramaturgie: Maike Müller.
Mit: Sarah Viktoria Frick, Markus Hering, Daniel Jesch, Andrea Wenzl, Elisa Plüss.
Uraufführung am 13. März 2022
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause
https://www.burgtheater.at/akademietheater
Kritikenrundschau
"Kein aufregender Stoff, möchte man meinen", schreibt Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.3.2022). Und zeigt sich doch beeindruckt davon, "in welch dunkler Umgebung" David Bösch "dieses große kleine, nur durch wenige Lacher aufgehellte Drama aufführen lässt". Getragen werde der Abend von den Leistungen des Ensembles. Fazit: "das sollte man keinesfalls versäumen".
"Endlich ein Stück, das nicht mit Sentenzen klappert und über seine Figuren zu Gericht sitzt, sondern ihnen, etwa mit Armeslänge Abstand, stumm bei der Arbeit des Lebens zusieht", jubelt Ronald Pohl im Standard (15.3.2022). Bösch inszeniere "Sprödigkeitsgrade", Sarah Viktoria Frick und Markus Hering gehörten als sich einander annäherndes Paar "zu den absolut verzaubernden Theaterepisoden dieser Tage".
Die "eher papiernen" lyrischen Passagen zwischen den "wirklich gekonnt geschriebenen Dialogen" bezeichnet Martin Thomas Pesl in der Welt (15.3.2022) als Schwachstellen eines Stücks, das gerade dort verblüffe, wo die Autorin gegen jede Mode das Unspektakuläre feiere.
Das Zusammenspiel von Frick und Hering sei ein Glücksfall für das Stück und seine heute unübliche Einfachheit, so Christina Böck von der Wiener Zeitung (14.3.2022). "Wagemutiger wäre es gewesen, sich dieser Simplizität eines "neuen Volksstücks" komplett zu ergeben, die negligierte Bergfrau und ihre Naturausbeutungspoesie wirkt mitunter gekünstelt aufgepfropft, die Musik von Karsten Riedel etwas unentschieden. Nicht nur wegen seiner pausenlosen Länge von 90 Minuten hat dieser Theaterabend etwas Filmisches - und einen Nachklang, der einen vielleicht wieder einmal die alten Fotos der Ur- und Großmüttergeneration hervorzukramen."
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