Wie Theater mit der Energiekrise umgehen
Wärmflaschen am Arbeitsplatz
8. Juli 2023. Im Energiekrisen-Herbst 2022 werden allerorten die Ärmel hochgekrempelt. Welche Energiesparmaßnahmen setzen Stadt- und Staatstheater der Bundesrepublik um, kurz- wie langfristig? Eine Erkundigung.
Von Dorothea Marcus
18. November 2022. Energiesparen ist an den Theatern im Krisenherbst 2022 eine Pflichtaufgabe. Politisch werden diese Maßnahmen auf vielen Ebenen gefördert, etwa im Programm "Green Culture" des Landes Baden-Württemberg oder im Rahmen des städtischen Programms "Frankfurt spart Strom". Vor wenigen Wochen kündigte Claudia Roth an, dass, sowie ein Haus 20 Prozent Energie einspare, 50 Prozent vom Rest der Energiekosten gegenfinanziert werden sollen – finanziert aus nicht vergebenen Corona-Hilfen.
Am Schauspiel Düsseldorf etwa wird mit Bundesmitteln des "Fonds Zero" 2024 ein „Peer Gynt“ Premiere haben, der komplett klimaneutral ist – was das bedeute, über ein recyclebares Bühnenbild hinaus, werde gerade überlegt, erzählt Cornelia Walter, Referentin von Intendant Wilfried Schulz und künstlerische Projektleiterin: "Wir hatten uns weit vor der jetzigen Energiekrise beworben und sehen es als Chance, dass wir in den Überlegungen einen Vorlauf hatten." Auch im Studio der Berliner Schaubühne werden dank Fonds Zero 2023 mehrere CO2-neutrale Theaterprojekte Premiere haben: "Das ist eine gute Möglichkeit, um modellhaft auszuprobieren, was wir in ein paar Jahren ohnehin tun müssen: klimaneutral zu arbeiten", sagt Direktor Tobias Veit. Außerdem sei es ein guter Anlass gewesen, den Treibstoffgas-Ausstoß grundlegend zu analysieren.
Nur ein einziges der sieben befragten Theater gibt indes zu, dass die Energie- und Kostenkrise nicht nur bereichernde Auswirkungen auf das künstlerische Programm hat: "Die Krise ist da", erzählt Bettina Jahnke, seit 2018 Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters. Durch die Erhöhung der Mindestgage, Material- und Energiekosten sei der Finanzbedarf in kürzester Zeit extrem hochgeschnellt: "Um Kräfte zu bündeln und so präsent wie möglich zu bleiben, konzentrieren wir uns jetzt mehr auf das Kernprogramm des Theaters. Wir ändern das Angebot, um zu verhindern, dass wir an die Struktur gehen müssen." Konkret bedeutet das: Kleine Extra-Veranstaltungen wie etwa den Late-Night-Schauspielerabend oder große Diskursveranstaltungen fallen von nun an erstmal weg.
Die Leute sind des Redens müde
Aber ist es nicht genau das, womit sich Theater in den letzten Jahren Relevanz verschafften? Gerade in den letzten Jahren ist die sogenannte "Fünfte Sparte", auf Zuschauerbindung, Gemeinschaftsgefühl und Demokratieförderung ausgerichtet, enorm gewachsen – und trägt, nebenbei gesagt, ja auch dazu bei, die durch die Pandemie gebeutelten Besucherstatistiken zu verschönern. Was ist eigentlich der Kernbetrieb eines Theaters, wenn es keine Gesprächsstätte mehr ist? "Wir beobachten, dass die Nachfrage nach diesen Programmen nicht mehr so extrem hoch ist – die Menschen holen sich ihren Diskurs woanders, sind des Redens müde. Das Theater muss diese Aufgabe nicht mehr unbedingt übernehmen", sagt Jahnke. Für sie ist das Kernprogramm das Abo, die Abendspielstätten gut zu bespielen, oder, wie sie es ausdrückt, "Geschichten zu erzählen und Emotionen zu wecken".
Der technische Aufwand von kleinen Veranstaltungen sei extrem hoch, im Gegenzug dazu seien sie oft nicht gut besucht: "Da stimmen die Relationen nicht mehr." Sie versucht daher, Diskurs nun eher nach den Vorstellungen zu fördern, wenn das Publikum ohnehin da sei. Ein neues Format am Haus sei, bei etwa einem Drittel der Vorstellungen Expert:innen zum Publikumsgespräch einzuladen, nach einem "Kaufmann von Venedig" etwa den Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus oder bei Thomas Melles Stück „Die Lage" einen Vertreter des Potsdamer Netzwerks "Stadt für alle". "Da können die Diskussionen schon sehr polarisierend werden", sagt sie und hat allen Dramaturg:innen am Haus eine Moderationsschulung ermöglicht.
Es soll am Hans Otto Theater also nicht weniger Diskurse geben, sondern auf die Stücke bezogenere Gespräche, mit mehr Publikum. Im März 2023 beginnen die Proben für die Uraufführung von "Die Mitbürger", ein für das Hans Otto Theater geschriebenes Stück von Annalena und Konstantin Küspert für die Potsdamer Reithalle, in dem das Publikum sogar selbst aktiv mitspielt und den Abend mitgestaltet. Dass sich das Hans Otto Theater bei all diesen inhaltlichen Überlegungen zudem bemüht, konkret Energie einzusparen, versteht sich von selbst, am liebsten 20 Prozent, um die vom Bund in Aussicht gestellten Fördermittel zu erhalten.
Kleine Maßnahmen, die sich summieren
Eins der Theater, die das Thema am grundlegendsten angehen, ist sicher das Theater an der Ruhr. In etwa fünf Jahren soll das Haus klimaneutral sein, erzählt der Kaufmännische Leiter Adem Kösterli. Zur Zeit ermittelt der örtliche Energieversorger den ökologischen Fußabdruck des Theaters, das unter anderem für seine strukturelle Flexibilität und internationale Gastspielreisen legendär geworden ist. Aber wie viele CO2-Emissionen erzeugen die Gastspiele, die LKWs mit dem Bühnenbild, die Flüge der Schauspieler:innen? Wer kommt wie zur Arbeit oder als Publikum zur Vorstellung? Wie viele Tonnen Müll fallen an? Wieviel Papier, Abwasser, Strom werden verbraucht? Die Heizungsüberwachung wurde digitalisiert, jeden Abend gibt es ein Monitoring via Mobilgerät. Die Umstellung der Beleuchtung auf LED geschieht schrittweise, aktuell wird der Einsatz einer Photovoltaikanlage gerechnet und geprüft.
Zudem sollen manche Rahmenveranstaltungen zeitlich so umgelegt werden, dass es draußen noch hell ist, um den Energieverbrauch zu senken. Adem Köstereli, der vor seiner Arbeit am Theater an der Ruhr Europadirektor für Beschaffungsstrategien eines großen Konzerns war, will zudem den Fokus auf lokale Einkäufe legen und Bühnenbilder möglichst wiederverwertbar machen, den Mitarbeiter:innen Jobfahrräder anbieten und vieles mehr – vermeintliche Kleinigkeiten, die sich summieren. Und, nicht zuletzt: Wie in den meisten befragten Theatern, etwa an den Kammerspielen München, dem Staatstheater Stuttgart, dem Hamburger Schauspielhaus oder dem Schauspiel Düsseldorf, wird auch in Mülheim die Außenbeleuchtung abgeschaltet, der Einsatz von Werbeflächen und Beleuchtungskästen am Haus minimal betrieben.
Tee und Pandemie-Zugluft
Konsequent auf 19 Grad abgesenkt werden die Temperaturen an nahezu allen befragten Häusern, in den Foyers die Heizung teilweise komplett abgeschaltet – dass das Publikum dadurch weniger werde, sei bisher noch nicht festzustellen, sagt auch Tobias Veit, Direktor der Berliner Schaubühne. Manch einer beschwere sich jetzt zwar, dass es kalt sei, denn ausgerechnet jene in der Pandemie angeschafften Frischluft-Anlagen erzeugten jetzt Zugluft. Auch in den Büros friere manche:r Mitarbeiter:in. "Wir haben Decken bestellt und überlegen, ob man ihnen Tee oder einen Satz Wärmflaschen anbietet", sagt Veit.
Am Schauspiel Düsseldorf wird ebenfalls rigoros vorgegangen: Eben jenes Haus, das sich im letzten Jahr noch der Öffnung seines Foyers rühmte, wird nun ab Mitternacht komplett geschlossen, der technische Betrieb dann heruntergefahren, Fassaden- und Werbekasten-Beleuchtung nur rund um die Vorstellungen angeschaltet. Ohnehin ist bereits seit Langem fast alles Papier aus dem Foyer verbannt: "Wir suchen nach den größten Stellschrauben, um die Mehr-Energiekosten zu begrenzen", sagt Projektleiterin Cornelia Walter. Lediglich für Premierenfeiern seien Ausnahmen möglich. In den Duschen sei es nun unangenehm kalt und in den Schauspieler-Garderoben gebe es kein heißes Wasser mehr, aber "das nehmen wir in Kauf", so Walter.
Auch dass die Bewerbung für den Fonds Zero das Nachhaltigkeitsprojekt des Hauses schon viel früher anlaufen ließ, findet sie gut. "Durch die Energiedebatte hat das Thema nochmal ungeahnte Dringlichkeit bekommen – aber eigentlich fanden wir es auch vorher schon spannend, an der Nachhaltigkeit zu arbeiten". Sehr geholfen dabei habe auch das in Großbritannien entwickelte Theatre Green Book, gerade von der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft auf Deutsch übersetzt. Es wurde gemeinsam von Künstler:innen und Techniker:innen verfasst. In drei Bänden legt es die Standards für umweltverträgliche Aufführungen, Theatergebäude und betriebliche Abläufe fest und gibt Tipps für die Umsetzung. Und wie bekommt man Publikum eigentlich dazu, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen? Vielleicht mit Prämien und Preisen? Auch darüber denken Theatermitarbeiter:innen, die wie Cornelia Walter mit Energiespar-Projekten betraut sind, derzeit nach.
Vorerst keine Auswirkungen aufs künstlerische Programm
In Berlin, erzählt Tobias Veit, erwäge die Kulturverwaltung zur Zeit, Sondermittel bereitzustellen. Damit wären in der Schaubühne rund 25 Prozent der Energiekosten einzusparen – "jetzt beginnt ein Run auf Firmen, die LED-Bühnenscheinwerfer herstellen". Er rechnet trotzdem damit, dass die Energiepreise im schlimmsten Fall um bis zu 300 Prozent im Vergleich zu 2020 steigen könnten. Gerade hat ihn die Kündigung des Stromlieferanten erreicht. Bei der Beleuchtung anzusetzen, ist auch an den Münchener Kammerspielen die erste kurzfristige Maßnahme: Die Abteilungsleiter haben ein Schreiben herausgegeben mit der Devise, nur noch jede zweite Glühbirne einzusetzen, Kühlschränke zu reduzieren, die Heizungen freizuräumen.
Für längerfristige Maßnahmen sind allerorten Arbeitsgruppen entstanden, werden Energiebeauftragte ernannt – auch wenn die meisten erwähnen, wie wichtig die Kommunikation mit dem ganzen Haus ist: "Damit die Leute nicht beim ersten Impuls die Heizung aufdrehen, müssen sie sich mitgenommen fühlen", so Veit. Ansonsten werden an den befragten Theatern Fassaden energetisch saniert und Probebühnen gedämmt, Fenster ausgetauscht, die Dächer auf PV-Tauglichkeit geprüft – was oftmals empfindlich mit dem Denkmalschutz der oft ja historischen Gebäude kollidiert. Lastenfahrräder werden angeschafft, Bewegungsmelder installiert. Alle befragten Theater arbeiten mit kleinteiligen und längerfristigen Maßnahmen, bis auf Potsdam will keins dafür sein künstlerisches Programm grundlegend verändern.
An eine der naheliegendsten Energiesparmaßnahmen indes denkt man vorsichtig in Nordrhein-Westfalen, alle anderen erwähnen sie vorerst nicht: Warum nicht ein zentrales Lager für Bühnentechnik, Bühnenbild und Kostüm kreieren – oder zumindest die Bestände aus dem Fundus digital erfassen, um sie vielleicht anderen zur Verfügung zu stellen? "Das ist eine Idee, über die in NRW zur Zeit viele Theater nachdenken", sagt Cornelia Walter.
Dafür brauche es Zeit und Geld. Und so sinnvoll diese Idee auch erscheint – ganz ohne Eingriff in künstlerische Freiheiten ist das natürlich nicht umzusetzen. Aber haben Beschränkungen nicht schon immer besonders viel Kreativität hervorgebracht? Dem deutschen Stadttheatersystem würden ein paar beschränkende Strukturänderungen ja vielleicht auch ganz gut zu Gesicht stehen.
Dorothea Marcus arbeitet als freie Kulturjournalistin für Print und Hörfunk in Köln, unter anderem für DLF, WDR, Theater heute und taz, und ist Mitglied mehrerer Theaterjurys.
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