Pioniere und Follower

24. Mai 2022. Maja Göpel ist eine der herausragenden Politökonom:innen Deutschlands und eine der starken Stimmen der Nachhaltigkeitsbewegung. Für das Klimafestival "endlich" in Augsburg hat sie gemeinsam mit Theatermacherin Nicola Bramkamp einen Performance-Abend entwickelt, der die Köpfe öffnen soll.

Ein Interview von Christian Rakow

Maja Göpel bei der Performance "Wir können auch anders" in Augsburg © Helena Glade

24. Mai 2022. Maja Göpel ist eine der renommiertesten Politökonominnen Deutschlands und eine der Protagonistinnen der "Scientists For Future"-Bewegung, die sich aus der Wissenschaft heraus für eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft einsetzt. Für das Augsburger Klimafestival "endlich" am Staatstheater Augsburg hat Göpel gemeinsam mit der Festivalleiterin Nicola Bramkamp aus ihrem im September erscheinenden Buch "Wir können auch anders" heraus eine Performance-Lesung entworfen. Mit Tanz und musikalischer Unterstützung der Liedermacherin Dota Kehr & Band geht es um Strategien, neue Denkmuster und Erzählungen für nachhaltiges Wirtschaften und Leben zu entwerfen. Über den Theaterabend, der an andere Häuser weitertouren wird (u.a. bei Claiming Common Spaces, Zeche Zollverein), sprach Christian Rakow mit Maja Göpel und Nicola Bramkamp.

Die Kombination Maja Göpel spricht und Dota Kehr spielt Songs kennt man eigentlich von "Fridays for Future"-Demos. Jetzt wechseln Sie mit Ihrem Programm "Wir können auch anders" von den öffentlichen Plätzen in den Theatersaal. Was ermöglicht diese Ortsveränderung?

Göpel: Erst einmal ist es eine Einladung an ein Publikum, das vielleicht nicht demonstrieren geht und auch mit einer anderen Erwartungshaltung kommt: Es will sich einen schönen Abend machen und lässt die Dinge länger auf sich wirken. Es ist ein privaterer, fokussierterer Raum, in dem Gedanken anders überspringen.

Nach Ihrem Theorie-Bestseller "Unsere Welt neu denken" geht es in "Wir können auch anders" verstärkt um die Praxis: Wie können wir uns als Gesellschaft so verändern, dass wir die natürlichen Bedingungen des menschlichen Daseins nicht auszehren? Ein zentraler Gedanke lautet: Geschichten regieren unsere Vorstellungen von Zusammenleben, also müssen wir neue, mitreißende Geschichten und Akteur:innen finden.

Göpel: Das neue Buch führt in die Welt komplexer Systeme wie unsere Ökosysteme aber auch Gesellschaften. Sie befinden sich in ständiger Veränderung und die Muster zu verstehen und zu beeinflussen, ist die große Chance der Spezies Mensch. Geschichten sind dabei quasi der gesellschaftliche Klebstoff, mit dem wir Institutionengefüge und Kooperationen organisieren, aber uns auch orientieren und Möglichkeitsräume skizzieren. Gerade in Umbruchphasen wie heute, sollten wir also auch diese Geschichten in Frage stellen, da sie uns im Zweifel den Möglichkeitsraum künstlich klein halten. Für mich war es deshalb immer so spannend, in unterschiedlichen Disziplinen unterwegs zu sein und zu sehen, wie eine gleiche Situation sehr anders interpretiert wird, wenn ich mir eine ökonomische Brille aufsetze oder eine psychologische oder die Brille einer anderen Kultur. Gerade die ökonomische ist sehr dominant geworden und verstellt viele andere Vorstellungen von Zukunft. Um sie wieder zu erweitern, ist die künstlerische Zusammenarbeit und das Imaginieren so wichtig.

Bramkamp: Transformieren und nicht transformiert werden, das ist doch die Herausforderung, eine aktive Rolle in diesem Prozess gewinnen, darum geht es. Durch die Kraft der Narration und utopische Entwürfe können wir das Ziel unsere Reise selbst bestimmen und so neue Wege beschreiten.

Am Anfang Ihres Theater-Vortrags steht eine Szene, die später auch performativ umgesetzt wird und die einen "sozialen Kipppunkt" beschreibt: Ein einzelner Tänzer bewegt sich vor einer Festivalbühne, und bald gesellen sich andere hinzu, bis eine große Tanzbewegung entsteht. Das Beispiel veranschaulicht die Entstehung von neuen Mustern, wie sie etwa für ein Denken und Handeln jenseits von wachstumswirtschaftlichen Routinen nötig sind. Wie nah oder fern ist unsere Gesellschaft einem solchen Kipppunkt?

Göpel: Soziale Kipp-Punkte sind die, in denen unsere Vorstellung von Normalität sich wendet. Wenn eine Person sagt, wir können nicht so weiterwachsen, ist sie erst einmal der Freak; die Reaktion ist eher: "Bist Du irre?" Bewegung kommt erst rein, wenn es Follower gibt, also immer mehr sich trauen, unbequem zu sein. Und strukturelle Krisen sind ein wirklicher Beschleuniger. Aktuell, noch bevor wir an die globalen ökologischen Grenzen stoßen, begegnen wir unmittelbar konfliktbedingten Grenzen, sei es durch die Corona-Pandemie, wo die chinesische Volkswirtschaft zeitweise ziemlich aussetzt, oder weil der Krieg Russlands Lieferketten unterbricht. Das heißt, wir werden von der strukturellen Macht des Faktischen dazu gebracht, Routinen zu unterbrechen und zu reagieren. Und jetzt kommt die sogenannte "Navigationsphase", die es in solchen Umwälzungsprozessen immer gibt: Welche Antworten werden sich durchsetzen? Erneuerbare Energien oder wieder Kohle? Getreide für Menschen statt Tiere nutzen und Fleisch reduzieren oder für Biodiversität geschützte Flächen wieder beackern? Welche Geschichten und Akteur:innen überzeugen als diejenigen, die sagen: Das ist die bessere Option für den Weg in die Zukunft, in eine neue Normalität?

Wie wahren Sie Ihren Optimismus angesichts der unmittelbaren wirtschaftspolitischen Reaktionen auf den Ukraine-Krieg? Man baut LNG-Terminals, es wird kein Tempolimit eingeführt, dafür ein Tankrabatt. Da gibt es starke Beharrungskräfte der fossilen Industrie.

Göpel: Wenn du sehen kannst, dass es anders geht, dann ist es dein Job, das zu sagen. Das ist Verantwortung. Wir dürfen uns aber auch nicht total wuschig machen lassen. Die Beharrungskräfte diskreditieren sich ja mit der stoischen Routine, alte Antworten auf neue Fragen zu geben, zunehmend selbst. In der Bevölkerung kippt die Stimmung längst. Die alten Geschichten wirken borniert und alles andere als liberal angesichts der komplett neuen Realität.

Wenn ich auf das Bild des Tänzers als Pionier zurückkomme, dann denke ich an die herausragende Performerin Greta Thunberg, die uns 2018 an einen Kipppunkt geführt hat. Die von Thunberg initiierte Bewegung Fridays For Future, die auch beim Klimafestival auf dem "Marktplatz der Möglichkeiten" sichtbar ist, wirkte zuletzt durch die Corona-Lockdowns ausgebremst. Was braucht es, um ihr neues Leben einzuhauchen?

202205 augsburg klimafestival endlich 9Nicola Bramkamp (Mitte) und Maja Göpel in Augsburg © Helena GladeBramkamp: Ich glaube, dass sich die Bewegung sehr gut in die sozialen Medien verlagert hat. Natürlich braucht es analoge Begegnungsräume, wo wir zivilgesellschaftliches Engagement von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Politiker:innen zusammenführen, um gemeinsam die neue Zukunft zu gestalten. Dafür kämpfen wir als Theatermacher:innen ja immer. Auf dem Festival haben wir es nicht nur mit Aktivist:innen zu tun, sondern eben auch mit einem eher konservativen Publikum, dem die Argumentationen von Maja Göpel gar nicht so präsent sind und die auch ein bisschen wie bei Mary Poppins Zucker auf die Medizin brauchen. Und da ist das bürgerliche Setting einer großen Theaterbühne, auf der dann eine szenische Lesung mit Musik stattfindet, ein guter Weg, um gemeinsam in eine Bewegung zu kommen.

Göpel: Ich würde gar nicht sagen wollen, was für Fridays der nächste Impuls sein sollte, da sind die viel besser. Der Effekt der Bewegung war ja auch das ganz Pure und Der-Kaiser-ist-nackt-mäßige, mit dem diese Generation ihre legitime Position vorgebracht hat. Erst als es hieß: "Lasst mal die Profis ran und geht wieder zurück in die Schule", haben wir mit den Scientists For Future gesagt: Jetzt reicht's. Das ist der Moment der Verantwortung, wenn wir sehen, dass die Person, die sich als Leader hinstellt, diskreditiert wird oder von der Tanzfläche gezogen werden soll, da müssen wir Follower werden. Selbst wenn die Art, wie wir uns einbringen, eine andere ist: sie steht für die gleiche Forderung, wissenschaftliche Berichte ernst zu nehmen.

Bramkamp: Solidarische Unterstützung – das ist es doch. Scientist for Future, Parents for Future…hier in Augsburg fand das erste Netzwerktreffen von "Performing for Future" statt, dessen Akteur:innen sich anfangs über Messenger im Anschluss an die Diskussion "Theater klimaneutral" verknüpft hatten. Auch wir Künstler:innen müssen Follower sein. Das war wirklich kraftvoll, wie all diese Menschen aus den digitalen Treffen jetzt an einem Ort zusammenkamen um die Theater nachhaltig zu transformieren. Und die Kulturstaatsministerin ist da und unterstützt aus ihrem Feld heraus. Du konntest die elektrifizierte Luft förmlich greifen, weil die Theatermacher:innen sich jetzt natürlich empowern, in ihre Institutionen gehen und für mehr Nachhaltigkeit kämpfen. Und zwar nicht nur für die ökologische, sondern auch die soziale Nachhaltigkeit.

 

Das Staatstheater Augsburg hat vom 19. bis 22. Mai 2022 das Klimafestival "endlich." veranstaltet, kuratiert von Nicola Bramkamp und in Kooperation mit Save the World e.V., dem Performing for Future – Netzwerk für Nachhaltigkeit in den Darstellenden Künsten, dem Bundesverband Freie Darstellende Künste, der Kulturpolitischen Gesellschaft, dem Deutschen Bühnenverein u.a.

staatstheater-augsburg.de/klimafestival

 

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Kommentare  
Interview Göpel & Bramkamp: Sprachlos
Offen gesagt: Ich bin sprachlos. Das Augsburger Staatstheater ist im wahrsten Sinne des Wortes eine einzige Baustelle und wird das noch bis mindestens 2027 (!) bleiben. Die Kosten steigen laufend, vieles ist immer noch völlig unklar, bis hin zu einem etwaigen Baustopp. Aber derzeit hat man Zeit, Geld und Energie für dieses Festival, das eigentliche eine Aufgabe der Politik wäre oder gleich von "Fridays For Future" veranstaltet werden sollte. Und inwieweit ist damit zu rechnen, dass bei diesem Festival das von Bramkamp erwähnte "eher konservative Publikum" anwesend sein wird? Und was meint Göpel, wenn sie sagt: "In der Bevölkerung kippt die Stimmung längst."

Es wäre wirklich wichtig, in der gegenwärtigen Situation die ureigenste Aufgabe des Theaters zu erfüllen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Am Theater will ich Schauspieler sehen, nicht eine Politökonomin.
Interview Göpel & Bramkamp: Transformation
Lieber Luchino Visconti,
die Aufgabe des Theater ist es aber auch, Utopien zu formulieren und darzustellen und die Kraft von Geschichten zu nutzen. Also auch, um die uns bevorstehende Transformation zu begleiten und künstlerisch erfahrbar zu machen. Tatsächlich hat die Lesung von Maja Göpel, begleitet von Dota Kehr und Mitgliedern des Augsburger Symphonieorchesters genau das bewirkt.
An den weiteren Tagen von Konferenz und Festival gab es auch noch weitere Aufführungen, wo Schauspieler:innen zu sehen waren. Und wo auch das konservative Publikum anwesend war.
Die Politik kann und muss viel machen. Kultur kann und muss Prozesse begleiten und reflektieren. Das ist in Augsburg passiert.
Die Kosten sind übrigens ein anderes Etat als das Kulturetat. Das miteinander zu verrechnen würde im Endeffekt dann doch bedeuten, dass das Theater komplett schließen müsste, egal ob Festival oder für Schauspieler:innen auf der Bühne!
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