Kunst und Klimaforschung - Ein Interview mit Meeresbiologin Antje Boetius über die Rolle der Kunst in der Vermittlung klimawissenschaftlicher Erkenntnisse
Den Umbruch fühlen
29. November 2019. Die Meeresbiologin und prominente Klimaschutzexpertin Antje Boetius spricht im Interview über die Rolle der Kunst in der Vermittlung klimawissenschaftlicher Erkenntnisse.
Von Elena Philipp und Christian Rakow
Den Umbruch fühlen
Antje Boetius im Interview mit Elena Philipp und Christian Rakow
29. November 2019. Mit der ökologischen Jugendbewegung Fridays for Future ist die Klimaforschung so breitenwirksam geworden wie selten zuvor ein wissenschaftliches Forschungsfeld. "Hört nicht auf mich, hört auf die Wissenschaften", ruft Greta Thunberg, die Gallionsfigur des globalen Klima-Aktivismus, der Politik zu.
Klimaziele 2030: Wege zu einer nachhaltigen Reduktion der CO2-Emissionen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Im Oktober 2019 war Antje Boetius auf der von nachtkritik.de mitveranstalteten Fachtagung "Klima trifft Theater" in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin zu Gast.
Eine der profiliertesten und gefragtesten Wissenschaftlerinnen hierzulande ist die Meeresbiologin Antje Boetius, Professorin an der Universität Bremen, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Bremerhaven (AWI) und Mitverfasserin der StellungnahmeIm Nachgang dieser Tagung haben Elena Philipp und Christian Rakow via Skype-Interview offene Fragen weiterbewegt: Es geht um die Rolle der Kunst in der wissenschaftlichen Erkenntnisbildung und das Zusammenwirken von Kunst und Klimaforschung im gesellschaftlichen Dialog.
Frau Boetius, Institute wie das AWI oder auch das Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst, wo derzeit die Dramatikerin Ulrike Syha Artist in Residence ist, arbeiten regelmäßig mit Künstler*innen zusammen. Welches Interesse hat die Wissenschaft an solchen Kooperationen?
Der Wissenschaft ist der Versuch eigen, Erkenntnisse über Wahrheit, Wirklichkeit, Gesetzmäßigkeiten zu erhalten mit planbaren, reproduzierbaren, abgesicherten Methoden. Das bedeutet: eine neutrale subjekt-unabhängige Beobachtungskompetenz aufzubauen – was natürlich umstritten ist, denn das Beobachten beeinflusst immer das System. Grundsätzlich entleert man sich in der wissenschaftlichen Arbeitsweise dabei der Emotionen und der Empathie. In Bereichen aber, in denen die Wissenschaft sich mit den großen Zukunftsfragen auseinandersetzt, mit der Frage von Risiken oder Chancen für die Gesellschaft, mit der Kommunikation von Themen, die eine emotionale, empathische oder normative Einordnung verlangen, stellt man fest, dass der Perspektivwechsel zu den Methoden der Kunst unglaublich hilft.
Wobei genau hilft der Perspektivwechsel von der Wissenschaft in die Kunst?
In dem Moment, in dem man den Kanal nach Außen öffnet, hin zu anderen Kreativitäts- und Kommunikations-Systemen, kommen interessante neue Fragen auf, die zunächst jenseits der wissenschaftlichen Methode oder Problemstellung liegen, diese aber befruchten, die eigene Kommunikation schärfen können. Ein Beispiel: Bei Fragen wie "Das Klimaziel 2030 ist so nicht zu erreichen. Was sollen wir denn jetzt als nächstes machen? Wie verhindern wir die globale Klimakrise?" ist mehr als nur eine bestimmte wissenschaftliche Erkenntnis gefragt.
Es geht um die interkulturelle Auseinandersetzung mit der großen Transformation des Klimas und der Gesellschaft – da reicht die eine wie die andere Weise, das Thema zu behandeln, nicht aus. Reines Beschreiben der quantitativen Veränderungen des CO2-Gehaltes der Atmosphäre ist da für sich genommen erstmal genauso wenig zukunftsrelevant wie ein Ertanzen von Klima-Angst. Wenn man aber beide Arten der Zukunftsperspektive zusammenführt, wenn man alle Sensoren und Prozesse des Denkens und Fühlens mobilisiert, dann wird die Zukunft fühlbar – dann setzt das Ausprobieren, das Rollenspiel gelebter Umbrüche ein.
Gibt es so etwas wie metaphorische Transfers aus dem künstlerischen Bereich in den wissenschaftlichen – Inspirationen, die es ermöglichen, empirische Daten in neuen Mustern sehen zu können?
Das gibt es auf vielen Ebenen. Im unbekannten Raum – in der Tiefsee oder im All etwa, auf der Ebene von Molekülen – kann die Fähigkeit von Künstlern, auf andere Weise Muster sehen und nachahmen zu können, einen auf die Idee bringen: Was sind denn die Prozesse dahinter, die etwas erzeugen? Ich habe schon tolle Beispiele gesehen. Im Tanz zum Beispiel greifen Choreographen das Schwarmverhalten auf, ein Phänomen, das bei vielen Organismen vorkommt. Wie das gesteuert wird, wie Schwärme zustande kommen und sich verhalten, ist auch eine biologische Frage, und da kann man voneinander lernen.
Wie wirken Kunst und Wissenschaft im gesellschaftlichen Dialog zusammen?
Sowohl die Kunst wie auch die Wissenschaft sind besonders gut darin, Zeit- und Raumreisen zu ermöglichen. Und beide Skalen überbrücken zu können – Raum und Zeit – ist wichtig für den Erkenntnisprozess und den Dialog, zum Beispiel bei Fragen wie "Warum reagiert die Gesellschaft nicht schneller auf eine sich ankündigende Krise?". Ich gebe ein Beispiel aus meinen Lesungen mit dem Schauspieler David Bennent. Wir arbeiten zusammen, um, mittels literarischer und historischer Texte und aktueller wissenschaftlicher Berichterstattung, der Frage der Beziehung zwischen Mensch und Natur auf den Grund zu gehen. Dem Bericht meines eigenen wissenschaftlichen Aufbruchs auf Expeditionen in unbekannte Regionen stellen wir die Jugendtagebücher von Alexander von Humboldt zur Seite, die von David gelesen werden. Als Rezitator kann er auch schwer verständliche, alte Texte in die Gegenwart holen. Zum Beispiel wie Humboldt als junger Mann so ärgerlich über die Zerstörung der Wälder geschrieben hat wie heute die Protestierer gegen die Abholzung des Hambacher Forstes. Das ist die Zeitreise.
Ähnlich geht das auch als Raumreise: Wenn ich aus den Szenarien und Modellrechnungen der Klimaforscher vorhersage, wie der Verlust antarktischer Gletschermasse und der Untergang von Südseeinseln zusammenhängen, dann kann mir Kunst, Theater, Musik helfen, diese unglaubliche, global vernetzte Veränderung von Landschaften und das menschliche Handeln anders erlebbar zu machen, als wenn ich das nur anhand eines Graphen mit Daten zeige. Gerade im Einsatz von Virtual Reality entsteht hier auch ein riesiger Spielraum für beide, Kunst und Wissenschaft. Ich meine also, in der gemeinsamen Erarbeitung von Utopien oder Dystopien in Raum und Zeit gelingt der Transfer zwischen Wissenschaft und Kunst besonders gut.
Wie wichtig ist es für die Klimaforschung, das Verhältnis von Mensch und Natur auch ästhetisch neu zu denken? Wie eng arbeiten Kunst und Wissenschaft daran, neue Visionen des Zusammenlebens zu entwickeln?
Es gibt da ganz verschiedene Linien, über die man nachdenken kann. Eine, die mich gerade sehr beschäftigt ist die: Wie stärkt man eine Gesellschaft in der Transformationsfähigkeit? Für einen friedlichen Umbau der Existenz, des künftigen Zusammenlebens. Wie kann man Wohlstand und Wachstum anders als nur monetär messen und erfahren? Dafür braucht es eine Erzählung: Wieso stimme ich zum Beispiel dafür, dass mir Steuern für den Aufbau des regenerativen Energiesystems auferlegt werden, die alles teurer machen? Damit nicht etwas anderes teuer wird, nämlich die Zukunft meiner Kinder. Da gibt es ein Kommunikationsproblem, weil immer nur gesagt wird, Klimaschutz ist teuer, es wird aber nicht gesagt, kein Klimaschutz ist zehnmal so teuer oder zerstörerisch. Diesen Verhandlungsraum, der aktuell fehlt, kann Kunst im Verbund mit Wissenschaft gemeinsam erlebbar machen. Besonders in analogen Räumen. Das Digitale ist sicherlich gut geeignet zur Vernetzung, aber nicht so sehr, um ein Gefühl der Gemeinsamkeit, des sich gegenseitig Stärkens vorzunehmen.
Die Vernetzung muss mit gelebter Erfahrung gefüllt werden?
Eine Freundin von mir, eine Bildhauerin, hat es einmal so formuliert: Wir müssen fühlen können, wenn uns die Haut der Erde, die Natur mit ihrer Lebensvielfalt verloren geht. Zum Beispiel: Wenn wir über das weltweite Absterben der Korallenriffe sprechen, müsste es doch weh tun, jucken und kratzen auch auf unserer Haut – denn es geht um Wunden auf der Haut der Erde. Das finde ich eine einleuchtende Beschreibung.
Wir können und müssen in unserer Tradition neutraler Wissenschaft auf einer Konferenz unsere Daten kalt als Zahlen zusammenfassen – zum Beispiel jedes Jahrzehnt schmelzen 13% sommerliches Meereis weg. Übersetzt heißt es dann: "Ende dieses Jahrhunderts sind Eisbären gefährdet." Ich habe es dann schon erlebt, dass Zuhörer wütend werden, oder auch weinen, wenn man Physik mit der Zukunft des Lebens verknüpft. Im Verbinden und Vernetzen von Denken und Fühlen aber wird eben erlebbar, was diese Erkenntnis bedeutet. Was es bedeutet, dass durch unser Tun woanders ein Lebensraum zerstört wird. Die Erkenntnis der Vernetzung ist in der Wissenschaft verankert, aber nicht das Fühlen dieser Vernetzung, das doch viel eher dazu führt, dass ich als Mensch mich aufmache, etwas zu ändern.
Sie sprachen vorhin von Utopien oder Dystopien, die Kunst und Wissenschaft gemeinsam erarbeiten können. Wie gewichten Sie das Verhältnis von apokalyptischer Drohung und Mutmachen in ihren öffentlichen Auftritten?
Beides ist wichtig. Denn so funktioniert unser Gehirn biologisch: Angst und Hoffnung sind unsere zwei Leitsysteme. Ich will einfach ehrlich sein, und transportieren, was ich als Meeresforscherin sehe und erlebe. Aber auch, welche Schlussfolgerungen ich aus der breiten Erkenntnis schöpfen kann. Mal ist das Angst, mal Hoffnung.
Wie wird sich das Narrativ für die Transformation schaffen lassen? Weg von den fossilen Energieträgern, das ist der erste zentrale Schritt.
Unbedingt, ein komplexes Problem – denn es geht um 80% unseres globalen Energiesystems. Wir müssen es schaffen, von den 40 Gigatonnen CO2 globaler Emission pro Jahr runterzukommen, denn wir sind schon bei über 410 ppm CO2 und bei 450 ppm sind wir bei 2 Grad Erwärmung. Die Kohlekraftwerke in Bau und Planung können da schon dran kommen – das heißt, es geht bei den Lösungen um große politische und ökonomische Schritte, die international gegangen werden müssen. Da braucht es Kraft und Einigkeit.
Aktuell gibt es aber in der Kommunikation eine fragwürdige Entwicklung hin zur Idee, es muss nur jeder ein bisschen hier und da Konsum einsparen, mal nicht fliegen und das muss reichen. Die Idee einer selbstgestalteten Askese in Einzelbereichen, die aber letztendlich das globale Klimaproblem nicht löst – das hat aus meiner Sicht zunehmend unerwünschte Nebeneffekte. Natürlich ist es wichtig, dass jeder versteht, was sein eigener Konsum verursacht, aber eben quantitativ, nicht einfach nur als moralisches Feigenblatt. So etwas wird leicht Ausdruck einer nicht-faktischen Einstellung. Symbolhandlungen wie öfter auf Fleisch und auf Plastiktüten zu verzichten sind wichtig, sie bringen uns in eine positive Haltung und in Dialog mit anderen, sie lassen uns ausprobieren, was uns wichtig ist und was nicht – aber sie sind nicht die Lösung des Klimawandelproblems. Dabei geht es um den Infrastrukturumbau, um die schnelle Ermöglichung regenerativer Energien, um Energieeffizienz und um bessere Materialkreisläufe. Es geht also um große Zusammenarbeit zwischen Regionen und Nationen, nicht nur um individuellen Selbstverzicht oder den Stopp von Forschung. Leider sind gerade auch im Kunstbereich Leute für solche Ideen empfänglich. Da können wir im wissenschaftlichen Dialog helfen aufzuklären.
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Jetzt zeigt auch dieses Interview, wie gut man höchst wissenschaftliche
Erkenntnisse anschaulich , lebensnah und verständlich in gesellschaftliche Prozesse einordnen kann.
Aus meiner Sicht ist das ein hervorragender Weg, dieses wichtige Thema
noch besser zu publizieren.