Wie DER FAUST aufs Auge

von Frank-Patrick Steckel

Berlin, 5. Dezember 2010. Man war gewarnt. Bereits 2006 hatte der Präsident des Deutschen Bundestages das 'Fernsehformat' der ersten FAUST-Verleihung bemängelt – nur massive Verständigungsprobleme könnten uns den neuerlichen Zank zwischen ihm und dem Deutschen Bühnenverein plausibel machen. Das ungebremst enthemmte Buhlen um ein staatstragendes Gepräge der Verleihung seitens der bunt gemischten Veranstalter- und Förderergruppe geriet unvermeidlicher Weise neuerlich mit dem ebenso hemmungslosen Drang der Veranstalter nach TV-wirksamer 'Publicity' übers Kreuz. Norbert Lammert schreibt in seinem diesjährigen Offenen Brief an den Deutschen Bühnenverein entrüstet, man habe ihm versichert, "das Konzept sei weiterentwickelt worden". Diese Entwicklung hat er – zu Recht – nicht erkennen können und die 'Gala' nach ca. anderthalb Stunden in Rage verlassen.

"Unser Hauptanliegen ist, dass die nominierten Künstler ihre Arbeit positiv gewürdigt sehen, und dass die Zuschauer am Verleihungsabend die Breite und die Bedeutung unserer Theaterlandschaft erleben" – so hatte der Deutsche Bühnenverein seine Ambition im Vorhinein umschrieben. "Auf diesen fast selbstverständlichen Anspruch", replizierte der ergrimmte Bundestagspräsident, "passte das Hollywood-Format wie die Faust aufs Auge."

 

In der Tat. Es kommt der Quadratur des Kreises gleich, einen im Kern bedeutungslosen Vorgang wie die Verleihung des Deutschen Theaterpreises zu einem 'Event' aufzublasen. Das Setzen auf die Teilnahme 'hochrangiger Politiker' kann daran ebenso wenig etwas ändern wie die Vergabe der Regie des Abends an routinierte Fernsehfritzen privater TV-Produktionsfirmen, denen "die Breite und Bedeutung unserer Theaterlandschaft" so interessant ist wie die erdabgewandte Seite des Mondes. Die Bodenlosigkeit der auf diesem Wege erwirtschafteten Fehlleistungen beschämt das Theater, erniedrigt die "nominierten Künstler" wie die Zuschauer und stellt einen weiteren Schritt auf der via dolorosa der Bühnenkunst in die Marginalisierung vor. Jeder der eingespielten Filmschnipsel ("Film ab!") dementierte umgehend die Preiswürdigkeit der gezeigten Kunstbemühung – es ist nämlich nicht leicht, gutes Theater so aufzunehmen, dass man nicht vermeint, einen schlechten Film zu sehen.

 

Die signifikante Geste des Abends verdanken wir Wilfried Minks: Er vergaß seinen Lebenswerk-Preis einfach auf dem Rednerpult – und sein Laudator Thomas Oberender ("Wilfried, Dein Preis!" ), der betont hatte, dass es sich um den ersten Preis im Leben des Künstlers handele, musste ihn ein zweites Mal überreichen.

Während mit Minks deutsche Theatergeschichte als ein nicht nur von verstockten, halb dementen Theaterrentnern phantasiertes, sondern als ein tatsächlich stattgehabtes Phänomen ein allerletztes Mal in Sicht kam, lagen die renommierten Pausenclowns des Abends, Samuel Finzi und Wolfram Koch, wie zwei von ihren Zeitgeiststrippen befreite Marionetten im rückwärtigen Teil der öden Opernbühne, welche, der Disposition des viel zu großen Aalto Theaters sei Dank, als Dekor der Zeremonie herhalten musste.

Die Penner, als die Finzi und Koch Oberenders Bemühung um eine Würdigung des Schaffens von Wilfried Minks verpassten, stellen nicht nur eine wüste Entgleisung des satirischen Vermögens ("Nimm ihn in den Mund, den Intendantenpenis!") dieser beiden 'wunderbaren Schauspieler' (Zehelein/Bolwin in ihrer Antwort auf Lammert) dar, nicht nur eine unüberbietbare Respektlosigkeit gegenüber dem Geehrten, nicht nur eine Verirrung der Verantwortlichen, nicht nur eine Herabwürdigung des Ansehens der Kulturstiftung, des Bühnenvereins und der Frankfurter Akademie der Darstellenden Künste: Die erschöpften Entertainer signalisierten unmissverständlich den Stand der Dinge - unser selbstbezogenes Gegenwartstheater verfällt, steht seine Genese, seine Vergangenheit und somit seine Bedingtheit in Rede, vorsorglich in Tiefschlaf, sein Schnarchen lässt sich vernehmen als just der Applaus, der Minks in einer 'Standing Ovation' zuteil wurde.

 

Zuvor hatte Bundestagspräsident Lammert in seiner Eröffnungsansprache eine Kunst postuliert, der der Staat "egal" sein könne. Gemeint war, der Zusammenhang legt es nahe, die Theaterkunst.

Es steht zu vermuten, dass hier mehr als nur Wunschdenken am Werk ist. Der Schöngeist leugnet, im Glauben, uns Künstlern aus der Seele zu sprechen, den verzweiflungsvollen vitalen Konnex des Theaters mit der (es fördernden) Polis. Er proklamiert geradezu die Amnesie der Theaterkantine in Bezug auf die Ursprünge des in ihr beheimateten Kunstgewerbes. Und höre da: ein heftiger Applaus der solcherart von sich selbst Erlösten belohnt ihn.

Damit das nun nicht in den verrammelten Himmel wächst werden gleich darauf die Besucherzahlen der Theater mit denen der öffentlichen Bäder verglichen – letztere sind mehr als fünfmal so hoch. Und um der ausgesuchten Brutalität des Vergleichs die Aura des gehoben Geistvollen zu geben, wird auf den aus dieser Differenz zu gewinnenden "Aufschluss über die hygienischen und die ästhetischen Bedürfnisse der Kulturnation Deutschland" lächelnd verwiesen.

 

Hier spätestens waren Präsident Zehelein, Direktor Bolwin und sämtliche weiteren Vertreter der veranstaltenden theaternahen Institute ihrerseits berechtigt, den Saal zu verlassen.

Man sollte die Hallenbäder noch schneller schließen, als es augenblicklich geschieht - schneller jedenfalls als die Theater. Auf diese Weise wird der Lammertschen Form der 'Kulturkritik' dauerhaft der Boden entzogen.

Überhaupt "die Kultur"! Der vielfach geschundene Begriff führt in der Geisterbahn des nach ihm benannten Betriebs das Dasein des allerkläglichsten, bemitleidenswertesten Hausgespensts. Es wäre vermessen, hier mit dem Schindluder, der landauf, landab mit dem Terminus 'Kultur' getrieben wird, aufräumen zu wollen. Wer vermag 'Gesellschaft' von ‚'Zivilisation' zu unterscheiden, 'Zivilisation' von 'Kultur' und 'Kultur' von 'Kunst'? Ein Theater ist ein Kulturphänomen, aber ein Bordell ist es auch. Ein Museum ist ein Kulturphänomen, aber eine Abwässerkläranlage und ein Gefängnis sind es auch. Ein Symphonieorchester ist ein Kulturphänomen, aber die Müllabfuhr und die Börse und ein Altersheim sind es auch. Die Verteilung von Reichtum und Armut ist in erster Linie eine kulturelle Frage. Die Phrase von der 'Kulturnation" – als einem Etikett einer Nation gehobener Ansprüche – ist, vor allem hierzulande, dumpfer Unfug.

 

Wenn eine Theaterakademie, wenn ein Bühnenverein, wenn eine 'Kulturstiftung' (sic!)
meinen, zum Zwecke der Rettung ihres vom abendländischen Untergang bedrohten Bestands Preise, quasi als 'Kulturschwimmwesten', austeilen zu müssen, ist dies das Eine.

Ein Anderes ist es, die Durchführung der Maßnahme in die Hände von Leuten zu legen, die, fern vom Theater, aus dem sicheren Port ihrer eingebildeten massenmedialen Avanciertheit, mit Geringschätzung, bestenfalls mit Gleichgültigkeit, auf das Desaster blicken.

Wenn man obendrein der Mitinhaberin der beauftragten Produktionsfirma Kobalt TV, einer gewissen Isabel Habsburg-Lothringen-Kyburg, gebürtige Katharina Isabel Gräfin von Hardenberg, eine Laudatio überlässt, dann muss man zwangsläufig darauf gefasst sein, Sätze zu Ohren zu bekommen wie den, dass der – preisgekrönte – Container der Kölner Inszenierung nach dem Film von Ettore Scola der "Beweis dafür (ist), dass Bühnenbild, Kostüm und Spiel die Sprache überflüssig machen können".

Die auf eiskalte Fernsehmaßstäbe geeichte Adelsdame mit der eigentlich doch sehr verdienstvollen Ahnenreihe verkehrt, die Bataillone ihres "TV-Publikums" im Rücken, die intendierte Rettungstat der Veranstalter in einen Nackenschlag für das strauchelnde Medium Theater ("Ich weiß, dass das einige hier nicht gerne hören.")

Armer Novalis.

 

Es ist in der Aufzeichnung der tüchtigen Firma Kobalt leider nicht zu erkennen, wann Norbert Lammert die Biege gemacht hat – die 'Fernsehprofis' haben sich da eindeutig (und absichtsvoll?) etwas entgehen lassen.

Irgendwann war der Sessel neben Frau Ministerpräsidentin Kraft (die sich an diesem Abend übrigens als stolze Erfinderin eines NRW-Kulturrucksacks präsentierte) schlicht geräumt.

Zu erleben ist freilich, wie die gekürten Kölner Ausstattungskünstler, statt reumütig und betreten die Stuhlreihen zu zerkleinern, freudestrahlend einen Preis entgegennehmen, der, mit derartiger Begleitmusik versehen, eine Verhöhnung ihres Berufs darstellt.

Dass Herrn Lammert diese Form der neuerlichen Ent-Täuschung kränken konnte, ist nachvollziehbar, wie er sich so täuschen (lassen) konnte, weniger. Er möge sich nur nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch er uns – erwartungsgemäß – enttäuscht hat.

Er scheint doch wahrhaftig zu glauben, unsereiner wäre getröstet, wenn, wie in seiner Rede geschehen, die "Systemrelevanz" der Theater mit der "von Banken und Parlamenten" – sprich von Wirtschaftsverbrechern und Konzernlobbyisten – gleichgesetzt wird: Scharfer Protest wäre an diesem Punkt, aus national wie weltweit zureichend belegten Gründen, angezeigt – stattdessen klatscht die provinzielle Assemblée des deutschen Theaters un- bzw. desinformiert, wie sie ist oder zu sein scheint oder immer noch sein zu dürfen meint, ihren systemkonformen Enthirntenbeifall. Und selbst wenn – werden die den Banken vergleichbar systemrelevanten Theater vielleicht mit einem vergleichbaren Aufwand herausgepaukt? Mitnichten – sie leben, der Redner spricht es aus, "in Zeiten knapper Kassen".

 

Und die Laudatoren? Mehr oder weniger würdelos nutzten sie, mäßig prominent wie sie für das 'TV-Publikum' nun einmal sind, ihren Auftritt, um sich selbst in Szene zu setzen. Die Aporie, der unauflösliche innere Widerspruch des derzeitigen FAUST-Unternehmens offenbart sich hier besonders krass und besonders peinigend.

 

Genug. Den unverbesserlichen FAUST-Preisverleihern ist zu empfehlen, die fragwürdigen Modalitäten ihrer Betriebsamkeit gründlich zu überdenken. Sie waren gewarnt, sie sind es erneut. Diese zweite Erneuerungschance zu verspielen, hieße, die von ihnen vertretenen Einrichtungen endgültig zu diskreditieren.

Die Mitglieder dieser Einrichtungen sind dringend aufgerufen, ihren Chefs auf die Finger zu sehen.

Den künftigen Preisträgern sei geraten, sich, sollte sich nichts ändern, beizeiten Begründungen dafür zu zurechtzulegen, dass sie es Wilfried Minks nachtun und ihre Preise auf dem Rednerpult vergessen werden.

Sofern sie es nicht vorziehen, dieselben gleich in ihrem schicken Regal verstauben zu lassen.

 

Frank-Patrick Steckel, geboren 1943, ist Regisseur. Er war Oberspielleiter am Schauspiel in Bremen und Intendant des Bochumer Schauspielhauses. Seit 1995 arbeitet er als freier Regisseur, zuletzt inszenierte er im Oktober 2010 am Theaterlabor Bremen Rein theoretisch.

 

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Kommentare  
Steckel zum Faust-Streit: Bravo!
Endlich ist mal einer von den Theatermachern selbst über diesen Unsinn von der "Systemrelevanz" gestolpert. Von welchem System Herr Lammert träumt, dürfte doch wohl klar sein. Bravo Frank-Patrick Steckel.
Steckel zum Faust-Streit: Abendunterhaltung
Tscha, Herr Steckel:

Da wissens mehr als ich;-), der dachte, ´n Theater ist eine öffentliche Einrichtung, die Abenduntrhaltung verkauft ...

Gruß

dr.richard.albrecht
Zur FAUST-Verleihung: Meditationen über Gesllschaftsvertrag
@ 1

Es ist , meiner Einschätzung zufolge, einerseits vollkommen gleich, von welchem System Herr Lammert wohl träumt, wenn er versucht/versuchen sollte, den Begriff der "Systemrelevanz" für seine Zwecke zu operationalisieren/zu besetzen, da es schlichtweg die Möglichkeit gibt, die auch Herr Steckel hier andeutet: ihn beim Wort zu nehmen und zu schauen, wie unterschiedlich gegenüber den Banken und zB. Theatern oder öffentlichen Badeanstalten verfahren wird, was hätten wir gewonnen, wenn es diese Möglichkeit, jemanden hier beim Wort zu nehmen, nicht mehr gäbe ?, andererseits, weil "wir" ahnen, von welchem verengten Systemdenken hier die Rede ist (das geht dann in Richtung "Die Reihen fest ge-
schlossen"), gibt es freilich auch hinreichend Grund aufzumerken (was Herr Steckel hier dann ja auch tut; Sie wissen es selbst, Stefan, auch nicht zum ersten Mal, beinahe klingt Ihr Kommentar danach) und sich zu wundern, wenn so ein "staatstragender Festakt" schon implodiert zwischen denen, die solchem (naiv-esoterischen) symbolträchtigen Firlefanz grundsätzlich eher zugetan sind - die Deutsche Theaterlandschaft spiegelt das so einfach nicht wieder, zu dieser Aussage reichen mir meine eigenen Erfahrungen mittlerweile.
Angenommen, wir diskutierten jetzt das Thema "Staatszielbestimmung": wie würden Sie das Staatsziel denn jetzt fassen ?: "Kultur" ?? Wie Sie, Herr Steckel: wie hieße das bei Ihnen, oder halten Sie diese Stoßrichtung insgesamt für obsolet ??

Und, bisher habe ich grundgesetzliche Fassungen quasi im Sinne eines Verfassungsstatus gelesen: die Grundfigur dafür ist der "Gesellschaftsvertrag": in ihn eingelassen ua. solcherlei Bestimmungen zur "Wirtschaftsverfaßtheit" (der Artikel zur Sozialverpflichtung des Eigentums scheint mir alle nötigen Eigenschaften zu haben, die Diskussion auf Grundlage unserer systemisch verfaßten Ordnung zu führen, ohne sogleich in die Freude an Umsturzszenarien einzustimmen (wie so manche populäre Protestanweisung dieser Tage) , zum "Parlamentarismus" und auch zu "Kulturwerten" - insofern hielt ich bislang auch die Rede von der "Systemrelevanz", so wie ich es im Bonn-Thread darlegte, für eine prinzipiell Systeme transzendierende Bestimmung, die gerade nicht an dieses konkrete System gebunden verstanden werden muß, daß sich teilweise auch immer mehr ad absurdum führt -wohl wahr- ..., in etwa der Redefigur folgend: Egal, wie wir uns ein System der Zukunft einrichten mögen, die Bestandteile x,y,z nennen wir systemrelevant.
Sie nennen das einen "Unsinn", Stefan, ich denke allerdings eher, daß dieser Begriff, ähnlich wie in HH, garnicht kohärent diskutiert wird, teilweise bringt das sogar Kräfte gegeneinander auf, die im Grunde eine sehr verwandte Auffassung haben und darüberhinaus den Antrieb teilen, dies öffentlich zu vertreten (dazu gehört auch die -diesen Effekt unterstützende- Mißlichkeit bei solchen Foren wie in HH, daß das auf eine Fußballspiellänge hin läuft und mit Stechuhr jede gedanklich schwierigere gemeinsame Anstrengung im Ansatz unterbindet) so daß er in vielerlei Richtung sein argumentatorisches Potential entfalten könnte. Theaterleute sollten gewiß nicht sogleich klatschen, wenn ihnen dieser Begriff wie ein Geschenk dargebracht wird
zur Nikolauszeit, zumal in den meisten Fällen, wenn dieser Begriff verwendet wird,
gerade jene Definitionsfragen schlichtweg nicht geklärt sind.
Darf ich mich jetzt wieder als "gedankenlos" und "beamtisch" beschimpfen lassen ?
Wenn es mich weiterbringt: nur zu !.
Streit um FAUST-Verleihung: Theater muss Wirklichkeit des kapitalistischen Systems unmmöglich machen
Ich freue mich ebenso, dass Frank-Patrick Steckel genau das ausspricht, worüber auch ich (und bestimmt noch viele andere) gestolpert bin. Zunächst mal im Hinblick auf Norbert Lammerts These, dass das Theater so systemrelevant sei wie Banken. Nein, das Theater ist nur insofern systemrelevant, als dass es die Wirklichkeit des (kapitalistischen) Systems immer wieder unmöglich machen muss. Dann die Verwechslung des Kulturbegriffs mit dem Kunstbegriff. Und schließlich der unsägliche Verweis auf die ästhetischen und hygienischen Bedürfnisse des Publikums. Es ist fast unheimlich, aber hier spricht mir Steckel aus der Seele. Ebenso wie der stoisch ertragende Blick von Wilfried Minks auf dieses kommerzielle Gewese rund um den Preis für sein Lebenswerk, welches von Thomas Oberender über seine die Vergangenheit des Theaters rückholende Rede auf tatsächlich ganz wunderbare Weise in das Gedächtnis der Gegenwart zurückgerufen wurde.
Streit um FAUST-Verleihung: Warum muss Theater links sein?
Warum muß Theater links, kapitalismuskritisch und nicht systemrelevant sein? Hallo? Oberlehrerhafte Brechtstücke von sich selbst überschätzenden Regisseuren für leere Zuschauerreihen inszeniert? Vielleicht sollten einige in Demut noch einmal Schiller und Lessing in die Hand nehmen, bisweilen dazu auch ein wenig Shakespeare und Moliere lesen und das neu gefundene Wissen mit - sagen wir - Strindberg und Tschechow abrunden. Dann würde manch altlinkem Holzkopf jenseits aller verbiesterten und unerträglich formulierten Systemkritik klar, was das europäische Theater wollte, könnte und sollte!
Streit um FAUST-Zeremonie: mir ist kalt
Es werden hier immer wieder zwei Worte gebraucht, die mich frösteln lassen und nicht nur weil es Winter ist, systemrelevant und staatstragend. All das sollte Kunst nicht sein, Kultur als Staatsziel könnte das sehr wohl. Kultur bedeutet ja so viel mehr, neben der Kunst eben auch Bildung, Wissenschaft, Recht, Religion und auch Wirtschaft, es ist im Großen und Ganzen die „Pflege der geistigen Güter“ einer Gesellschaft und die geht alle an. Der Künstler kann, muss aber nicht politisch relevante Kunst machen und schon gar nicht staatstragende als „Embedded Artist“ sozusagen. Die kritische Sicht des Künstlers von außen auf das System ist wichtig, nicht die Nabelschau im System. Die Geschichte, und das gilt nicht nur für Diktaturen, zeigt immer wieder, das Staatsnähe einem Künstler nicht gut bekommt und er im besten Falle zum Hofnarren der Mächtigen werden kann. Die Gesellschaft braucht aber die Kunst nicht nur als unterhaltendes Element, sondern als Ausdrucksform ihrer Kultur und deshalb ist sie uneingeschränkt förderungswürdig. Die Ausdrucksform unserer Kultur wird aber immer mehr von Kommerz und Quote bestimmt, Ergebnis sind dann solche Veranstaltungen wie „Wetten Dass“ und nun auch noch die „Faustverleihung“, dagegen muss sich das Theater verwahren, um relevant im eigentlichen Sinne zu bleiben.
Streit um FAUST-Zeremonie: Muss Theater einen Zweck haben?
Mir wird auch immer kälter hier, allerdings anhand eines offenbach doch vorherrschenden Kunst- und Theaterbegriffs, der aufgrund seiner Enge kaum mehr Raum zum Atmen lässt. Warum muss Theater überhaupt irgendetwas sein? Warum kann es nicht alles sein, ohne Einschrüänkungen? Staatstragend und -kritisch, konservativ und progessiv, sich an der Gesellschaft abarbeitend oder sich auf Persönliche konzentrierend, elitär und populär, gefällig und schwer verdaulich? Liegt nicht gerade in dieser Vielfalt, der Offenheit aller Möglichkeiten der Reiz? Natürlich kann Theater politisch sein und kritisch, aber ist es allein dadurch schon mehr oder weniger wert als jenes, das sich diesem verweigert? Es ist viel von der gesellschaftlichen Aufgabe des Theater die Rede. Auch das ist mir zu eng gedacht. Das Theater kann viele gesellschaftliche Aufgaben erfüllen. Es kann bilden, zum Denken herausfordern, Positionen hinterfragen, den Horizont erweitern. "Die kritische Sicht des Künstlers von außen auf das System", wie Stefan es ausdrückt, kann und soll es ja leisten, aber das Theater darauf zu beschränken, heißt es zu einem Propagandamedium verkümmern zu lassen und ihm einen Großteil seiner Möglichkeiten zu nehmen.
Streit um FAUST-Zeremonie: Immer schon hat Theater hinterfragt
@ discipulussenecae: Langsam. Bitte nicht gleich in die Luft gehen. Wer sagt denn, dass Schiller, Shakespeare, Lessing, Molière, Strindberg und Tschechow für ihren (und den heutigen!) Kontext nicht ebenso systemsprengend waren und sind wie beispielsweise Brecht? Ich persönlich wollte allein darauf hinaus, dass das Theater sich immer schon mit Fragen der es umgebenden Polis beschäftigt hat. Und dass es Formen schafft, über welche die Polis nicht bloß nachgeahmt bzw. repräsentiert wird, sondern ebenso und zugleich in ihrem Selbstbild kritisch hinterfragt werden kann.
Streit um FAUST-Zeremonie: was ich im Theater lernen will
@ Gretchen: Ganz so verbissen habe ich das nicht gemeint; mir gehen nur die Leute auf die Nerven, die immer noch meinen, Theater müsste vor allem und immer gegen das System arbeiten, das dieses Theatersystem in der BRD aber doch finanziert - und zwar gar nicht so schlecht. Von daher sei mir ein wenig Polemik erlaubt.
Aber warum gehe ich denn in's Theater? Ich will mit einer Komödie intelligent unterhalten werden. Ich will bei einer Tragödie mitleiden. Und ich will aus einem politischen Stück etwas begreifen - und politisch waren bekanntlich schon die großen drei der Griechen.
Ich möchte im Theater lernen, das Leben nicht zu eng zu sehen, wie ich meine nächste Beziehung besser führe oder was im Land falsch läuft. Und das alles als Gesamtauftrag. Das ist doch schon mehr als genug.
Und dafür brauche ich keinen Anspruch von Kapitalismuskritik oder systemrelevanten Fragestellungen!
Streit um FAUST-Verleihung: Nachdenkseiten
Zur Frage des 'Systematischen' im 'System':

http://www.nachdenkseiten.de/?p=2887

Ein Aufsatz des Ministerialbeamten und Verfassungsrechtlers Wieland Hempel.

Die 'Nachdenkseiten' seien allen Kommentatoren dringend empfohlen
Streit um FAUST-Verleihung: freieFormen & Gedanken
@ discipulussenecae: Ja klar, das seh ich genauso. Es ging mir auch mehr um den Begriff der "Autonomie der Kunst". Ungefähr um die Mitte des 19. Jahrhunderts löste sich das bürgerliche Theater aus der Abhängigkeit von Adel und Klerus als seinen direkten Finanziers. In der Wahl der Formen und Inhalte ist es seitdem tatsächlich - und nicht allein gedanklich - frei.
Streit um FAUST-Verleihung: immer Spiegel der Gesellschaft
@discpulussenecae
möchte sie nur höflichst darauf hinweisen, daß wir nicht mehr in der BRD leben..das ist mehr als 21 jahre vorbei...guten morgen...smit kann ich die anderen aussagen ihres postings auch nur als sehr verstaubt, veraltet, und , um mit shakespeare'schen maßstäben zu urteilen : tomaten und eiern auf den (ihren!) augen abtun: ein blindes huhn, das die heutige zeit verschlafen hat..und daß es sehr wohl wieder politscher im lande und somit auch im theater werden wird - und muß
!- , zeigen die jüngsten vorkommnisse bei stuttgart21 und castor-transport...--da theater sich immer als spiegel der gesellschaft präsentiert und duch die jahrhunderte präsentiert hat...ist ihre art der blinden unterhaltung zur unterhaltungs-einstellung über die theater schlichtweg: veraltet...
guten morgen!!
Streit um FAUST-Verleihung: im schönen Plural verfasst
@4. gretchen.
Netter Gedanke, dieser: "Das Theater ist nur insofern systemrelevant, als es die Wirklichkeit des (kapitalistischen) Systems immer wieder unmöglich machen muss.", wäre es nicht unter z.T. abgewandelter Währung selbstverständlich sowohl Träger als auch Beiwerk dessen, sowie bei aller aufgeklärten Dialektik auch Teil der damit verbundenen Selbstvergewisserung einer wie alles und jeder von uns durchkapitalisierten und standesbewussten, traditionell handels- und handwerkstätigen Mittelschicht, und damit letztlich ein Betrieb wie jeder andere, (Was nicht bedeutet, dass jegliches ambitionierte Unterfangen damit obsolet würde.), was mich zu einigen Im-Großen-Und-Ganzen-Fragen des kunstvoll-leitartigen und im schönen Plural verfassten Artikels von Herrn Steckel führt, die mich einen klitzekleinen Moment lang zu einem logischen (Fehl-) Schluss verleiteten:"Ein Theater ist ein Kulturphänomen, aber ein Bordell ist es auch." Das Theater?
Streit um FAUST-Verleihung: Steckels Via-Dolorosa-Bild
@ Fröstelnde

Lieber Prospero, Sie sagen es, was (und noch mehr) Theater sein kann und auch ist, auch aktuell - hier und heute: ist !
Ich habe in einem anderen Thread dazu ja bereits angemerkt, mit einer Analogie, die gewissermaßen Philosophie und Schauspiel in der theoretischen bzw. praktischen Sphäre nebeneinander stehen
läßt, ganz getreu der nicht neuen Auffassung vom Schauspiel als "praktische Reflektion des Menschen seiner selbst" (diese, wohl auf Schlegel zurückgehende Bestimmung, dürfte wohl wenig im Verdacht stehen, das Schauspiel zu eng zu fassen bzw. keine Spielräume darin zu finden, jedwede Art von Bezugnahme spielerisch zu verkörpern - alles, was unsere Selbst-,Welt- und Fremdverhältnisse ausmacht, kommt hier in Frage !), wo ich das Schauspiel verorte und damit etwas (und nicht mehr) von dem Weg angedeutet, der mir gangbar erschiene, bei der Wertschätzung des Schauspiels in einer es immerhin (gewiß nicht grundlos) immernoch üppig ausstattenden Öffentlichkeit zu helfen (eben, wenn, wie Stefan es meineserachtens richtig auffaßt, "Kultur" dann in ihrer "breiteren Anlage" (als Staatsziel) zur Sprache kommt und von ideologischen Kunstvereinnahmungen ebenso abgesehen wird wie von
einer Forderung nach "entpolitisierter" Kunst).
Ich weigere mich schlichtweg, Herrn Steckels "Via-Dolorosa-Bild" unhinterfagt zu folgen: Wenn die Beteiligten dieser leidigen Faust-Verleihung (wohlgemerkt, letztlich einer Vereins Veranstaltung im Zusätzlichbezahlfernsehen) hier gedankenlos die "Erniedrigung ihrer Kunst" betreiben, müßte der einen solchen Text (wie den obigen von Herrn Steckel verfaßten) Lesende doch wohl einwenden, selbst wenn dieser nur diesen Text und den Schnee vielleicht kennen tät, daß es diese Kunst jetzt und heute schon irgendwie geben muß (sonst ist Asche mir "Selbsterniedrigung").
Dann aber ist das mit der "Via-Dolorosa" so eine Sache, die mir nicht mehr so recht aufgehen will im Grunde.
Ich bleibe insofern bei meinem Bild vom "Sturm im Wasserglas"; es hat schlichtweg wieder eine dieser merkwürdigen "Selbstfeiern" stattgefunden, die der Westen vor allem sich schon sehr lange angewöhnt hat und vielleicht jetzt anhebt, ein wenig abzugewöhnen (lese dazu vielleicht, was Konstantin Leontjew, bewußt wähle ich keinen Linken !, zur Dostojewskijrede bei der Enthüllung des Puschkindenkmals schrieb: übergenug solcher Feiern).
Meine beharrliche Frage an Herrn Steckel wäre zudem, ob er nicht seit Wuppertal zur gleichen Zeit im letzten Jahr schon einen kleinen Fortschritt sieht, zum Beispiel hin zu den Podien in Hamburg und Berlin ... .
Streit um FAUST-Verleihung: nicht mit platten Lösungen hausieren gehen
@ Hubert Schipkowski: Wenn Sie meinen Beitrag zu Ende gelesen hätte, wäre Ihnen gelegentlich aufgefallen, daß ich es als eine originäre Aufgabe des Theaters ansehe, auch darauf hinzuweisen, was im Land falsch läuft. Das war immer so und soll auch immer so sein. Eine schlichtweg veraltete "Art der blinden Unterhaltung zur Unterhaltungs-Einstellung über die Theater ..." sehe ich da nicht, ich begreife noch nicht einmal, was das sein soll.
Ein Theater, das nur reflexartig aufnimmt, was aktuell in den Boulevardschlagzeilen - egal welcher Couleur - diskutiert wird, seien es Gorleben, Stuttgart 21 oder Afghanistan, ist doch plakativ, einseitig und mit dem Zeitgeist verheiratet.
Ich sehe nicht, warum das Theater dazu auch nur eine Antwort finden könnte - das ist nämlich gar nicht seine Thema. Schon der frühe Brecht - auch den zitiere ich gern - wußte, daß es vielmehr die entscheidende Arbeit des Theaters ist, eine kritische Haltung gegenüber den Zuständen zu entwerfen und nicht mit platten Lösungen hausieren zu gehen!
Streit um FAUST-Verleihung: Freiheit des Theaters
@ Gretchen: Schön, daß wir uns einig sind!
Und daß die intellektuelle, finanzielle und sonstwie gebotene Freiheit des Theaters unabdingbar ist, haben wir gerade in Deutschland leider viel zu oft indirekt bewiesen bekommen - aus dem Gegenteil dieser Grundbedingung heraus.
Streit um FAUST-Verleihung: lang
@ Frank-Patrick Steckel: Der Artikel ist mir um 22.21 zu lang. Aber ich werde ihn morgen studieren. Versprochen.
Streit um FAUST-Verleihung: die Anfänge des Theaters
@ Hubert Schipkowski: Schöner Scherz. Sie sehen das Theater also als Betrieb an? Es scheint, als hätten Sie die Anfänge des Theaters völlig vergessen, als wüssten Sie nichts davon oder als würden Sie sich dafür im Grunde sowieso nicht interessieren. Lesen Sie dazu mal in einem Theaterlexikon nach, zum Beispiel bei Peter Simhandl:

"Bei den Aufführungen im Dionysos-Theater vertrat der Chor den Standpunkt der Polis-Gemeinschaft, deren Probleme hier öffentlich verhandelt wurden. Für die Bürger von Athen stellten sich in dieser Zeit radikaler politischer und sozialer Umbrüche eine Fülle fundamentaler Fragen, deren Lösungsmöglichkeiten am Modell der überlieferten Mythen durchgespielt wurden. Die Tragödie trug zur Ausbildung der Fähigkeit bei, die Dinge von verschiedenen Seiten zu sehen, die Alternativen gegeneinander abzuwägen und so auf rationalem Weg zu den notwendigen politischen Entscheidungen zu gelangen. Weil sich dieser Prozeß in der Öffentlichkeit des Theaters vollzog, ging davon eine integrative und demokratisierende Wirkung auf die attische Bürgerschaft aus."
Streit um FAUST-Verleihung: sich einmischen wie Brecht
@disci...
nein, es geht nicht um platte spiegelung...und oberflächenkompatible reflektion, wie sie mir da unterstellen...es geht um ein sich einmischen...ein hofnarr mischt sich ein UND unterhält..aber es geht nicht um den hanswurst per se, den SIE heraufbeschwören..
und wenn sie ihren brecht zitieren: hahaha..gerade brecht war in seinr hartnäckigkeit und seinem seltsamen willen, sich in politisch menschliche verhaltensweisen und zustände mit einem hauch unterhaltung, der nur die traurige zeit der kriegserlebnisverarbeitung übertünchen sollte und auch nicht mehr wollte...sooooo sehr ein politisch denkender mensch, daß sie ihn heute wahrscheinlich zutiefst bekämpfen würden...
aber es ist wahrscheinlich angenehm für sie, einen angeblich allseits anerkannten künstler zu zitieren , um ihre eigene, leider in meinen augen sich sehr vereinfachend machenden theater-geisteshaltung zu verteidigen..
Steckel zum Faust-Streit: übertrieben polemisch
Ein paar Worte noch zu Steckels übertrieben polemischen Artikel, der in einem apodiktischen Ton daherkommt, als wolle er seine Gedanken zu denen der deutschen Theaterlandschaft machen.
Herr Steckel stört sich an der konstatierten Systemrelevanz, die laut Lammert für das Theater genauso gilt wie für Banken und Parlamente. Diese These wird aber dadurch negiert, dass der Staat den Künsten egal sein könne. Das bedeutet letztlich, dass das Theater von der Verantwortung in Bezug auf moralische, systembeleuchtende und weltanschauliche Fragen entbunden ist. Aber auch das stört Herrn Steckel: in diesem Zusammenhang entdeckt er plötzlich den Zusammenhang zwischen Theater und Volk, als habe bislang das Theater an seinen Zuschauern kontinuierlich vorbeigespielt.
Im Grunde hat Herr Lammert nur behauptet, dass das diesem Land förderliche Theater sich nicht um die Konsequenzen seiner produzierten Kunst kümmern muss. Dass es ein Stützpfeiler des Systems sein soll, wie etwas eine Bank, hat er nicht behauptet, ebenso wenig, dass das Theater unabhängig vom Zuschauer agiert.
Schrecklich muss er für Herrn Steckel gewesen sein, dieser „systemkonforme Enthirntenbeifall“. Das er vom Gegenwartstheater nicht viel hält, muss er immer wieder betonen, er benutzt hierbei die Vokabeln Tiefschlaf , Desaster und strauchelndes Medium. Und bei der Preisverleihung wurden den Akteuren zur Rettung einer vom Absturz bedrohten Kulturbranche auch noch „Kulturschwimmwesten“ verteilt.
Ich habe von Kulturbranche gesprochen, ein großer Fehler bei einem kritischen Geist wie der Steckelsche, da es sich im Falle von Theater um eine hehre Kunstform handelt und hier auch keine Wirtschaftsbranche am Werk ist. Der Artikelschreiber stößt sich am Ausdruck Kultur, wo es doch um Kunst geht. Das sind seine rein privaten Sprachsorgen, denn im Kulturteil einer Zeitung (Feuilleton) geht es gar nicht um politische Kultur, Schwimmbäder und Bordelle. Kultur im engeren Sinn sind eben die Künste, und nicht großzügig angelegte, komfortreiche Altenheime, die vielleicht noch mit einer Dichter-Büste im Foyer aufwarten.
Was Finzi und Koch geliefert haben, ist sicherlich Geschmacksache, aber so geschmacklos, wie Steckel sie hinstellt, waren sie bestimmt nicht. Was wir da hören, ist unglaublich: der Auftritt der beiden komödiantischen Moderatoren sei „nicht nur eine unüberbietbare Respektlosigkeit gegenüber dem Geehrten, nicht nur eine Verirrung der Verantwortlichen, nicht nur eine Herabwürdigung des Ansehens der Kulturstiftung, des Bühnenvereins und der Frankfurter Akademie der Darstellenden Künste“ gewesen: die „erschöpften Entertainer“ zeigten angeblich, in was für einem erbärmlichen Zustand sich das Gegenwartstheater befindet. Und der Artikel beweist hinlänglich, in was für einem Zustand sich die sogenannte kritische Intelligenz befindet, die Wortballast mit Sprachartistik verwechselt und sich in einer antiquierten Diktion gefällt, als sei die Literatur der letzten 30 Jahre spurlos an ihr vorübergezogen.
Im Übrigen wird einige Male vom TV-Publikum geredet. Die Übertragung der Verleihung fand aber im Theaterkanal statt und die Wiederholung kam letzten Sonntag auf 3Sat. Hier konnten sich keine mäßig prominenten Theaterkräfte vor einem typischen Fernsehpublikum profilieren – das schaut wohl eher in anderen Kanälen zu. Professionelle Theaterakteure und ihr spezielles Publikum: sie waren an dem Abend wohl unter sich.
Steckel zum Faust-Streit: Die rohe Bürgerlichkeit
Noch eine Leseempfehlung: Die Studie "Deutsche Zustände" von Prof. Wilhelm Heitmeyer u.a. beim Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Darin wird festgestellt, dass wir "es mit einer zunehmend rohen Bürgerlichkeit zu tun (haben)", welche die Forscher so definieren: "Die rohe Bürgerlichkeit zeichnet sich durch den Rückzug vom sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft befördernden Solidargemeinschaft aus – befeuert durch politische Entscheidungen. Ihre Entkultivierung offenbart sich im rabiaten Auftreten und Durchsetzen eigener Ziele mit rabiaten Mitteln. Das zeigt sich in der Abwertung schwacher Gruppen. Diese rohe Bürgerlichkeit scheint ihren gepflegten Konservatismus unter dem Druck der Verhältnisse abzustreifen. Zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen in höheren Einkommensgruppen scheinen sich in unzivilisierte, intolerante – verrohte – Einstellungen zu wandeln. Es geht um die Sicherung bzw. Steigerung eigener sozialer Privilegien durch Abwertung und Desintegration volkswirtschaftlich etikettierter Nutzloser sowie um die kulturelle Abwehr durch Abwertung (etwa hinsichtlich der Islamfeindlichkeit). Es mehren sich Hinweise, dass sich die angebliche Liberalität höherer Einkommensgruppen in reaktionäre Einstellungen wandelt...". Und die Studie schliesst mit dem Satz: "Die Perspektive für eine liberale und humane Zukunft dieser Gesellschaft sieht anders aus." Glaubt unter den hier Diskutierenden jemand ernsthaft, das Theater könne eine derartige Entwicklung ignorieren? Sieht das Theater nicht vielmehr selbst bereits in das Gesicht dieser Verrohung?
Steckel zum Faust-Streit: Dank für soziologisch begründeten Blick
vielen dank herr steckel-das ist doch mal ein wirklich interessanter und soziologisch begründeter blick auf gewisse tendenzen derzeitigen theaters.
Steckel zum Faust-Streit: zum Kultur-Begriff
@ Flohbär: Sie schreiben: "Der Artikelschreiber stößt sich am Ausdruck Kultur, wo es doch um Kunst geht. Das sind seine rein privaten Sprachsorgen, denn im Kulturteil einer Zeitung (Feuilleton) geht es gar nicht um politische Kultur, Schwimmbäder und Bordelle. Kultur im engeren Sinn sind eben die Künste, und nicht großzügig angelegte, komfortreiche Altenheime, die vielleicht noch mit einer Dichter-Büste im Foyer aufwarten."

Das sehe ich etwas anders. Im Feuilleton-Teil geht es meines Erachtens nicht nur um die Künste, sondern um die Kultur im Sinne einer Gestaltung bzw. Befragung der Lebensformen unserer Gesellschaft. Neulich habe ich zum Beispiel im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" einen Artikel ("Die versteinerte Hauptstadt") von Laura Weissmüller zur Berliner Baupolitik gelesen, welche zentrale Grundstücke an große internationale Investoren verscherbelt und damit eine zeitgenössische Architektur der Gegenwart (Stichwort: Durchlässigkeit zwischen Innen und Aussen) verhindert.

In ebendiesem Feuilleton-Teil lässt sich weiterhin ein Artikel von Thomas Wagner zu "Der Rechthaber. Peter Sloterdijk und die Verrohung des Bürgertums" finden, in welchem auch die von Steckel erwähnte Heitmeyer-Studie kurz Erwähnung findet. Plötzlich sieht man den "Spiegel"-Essayisten Sloterdijk ("Der verletzte Stolz") in einem anderen Licht. Und auch das gehört zur Kultur, die permanente Neubefragung der Grundlagen unseres Gemeinwesens und der entsprechenden Haltungen von Seiten der Politiker, Künstler, kritischen Intellektuellen und nicht zuletzt der Bürger. Zitat Wagner:
"Alle fortschrittlichen Bestrebungen fußen auf der Erkenntnis, dass soziale Ungleichheit ein von Menschen gemachtes Übel ist, dass in gemeinsamer Anstrengung überwunden gehört, damit alle Bürger die Chance haben, ein Leben in demokratischer Freiheit zu führen. Für den sozialliberalen Flügel der FDP war das in den siebziger Jahren noch eine Binsenweisheit. Sloterdijk setzt dagegen auf eine 'Demokratie von Gnaden der Wohlhabenden' (Dirk Pilz) und hält seinen Kritikern vor, sie wären von der 'überwiegend niederträchtigen Motiviertheit menschlichen Verhaltens' überzeugt. Und das nur, weil sie ihm nicht abkaufen, dass Appelle an die Freigebigkeit der Wohlhabenden hinreichen sollen, um den sozialen Ausgleich zwischen den Klassen zu schaffen. Aus dem einstigen Kritiker einer zynisch gewordenen Vernunft ist selbst ein Herrschaftszyniker geworden."

Schließlich, so sehr ich Finzi und Koch auf der Bühne schätze, in dem Unterhaltungs-Rahmen der FAUST-Preisverleihung wirkten sie auf mich irgendwie deplatziert, selten langweilig bzw. angestrengt lustig. Zudem hatte es den Anschein, als würden sie im Kontext dieser Veranstaltung vielmehr etwas ganz anderes parodieren als moderieren wollen.
Steckel zum Faust-Streit: Salonsozialismus
Mensch Steckel, welche Laus ist Ihnen denn über die altlinke Leber gelaufen. Bei welchem Advents-Fair-Trade-Kaffee trat Ihnen denn das neue "unzivilisierte, intolerante – verrohte" Bürgertum gegenüber und hat Ihnen die Weihnachtsplätzchen vom Teller genommen?! Wo haben Sie denn das letzte mal so einen fiesen "Entkultivierten" getroffen? In der Theaterkantine? Oder bei Karstadt, in der Feinkostabteilung?
Oder ham Sie das alles doch nur aus irgendwelchen Büchern? Sie geben hier wirklich die Parodie des Salonsozailisten. Natürlich bestens gemeint! Dadurch werden Ihre "Thesen" allerdings auch nicht richtiger.
Wissen Sie was? Mir ist der von Ihnen geschmähte "gepflegte Konservativismus" zehnmal lieber, als ranzige Ressentiments vom Salonsofa.
Weg vom Bildschirm, hinaus ins Freie!
Die Cohiba mit Dollarnoten anzündend,
Ihr Heribert!
Steckel zum Faust-Streit: der Wandel vor den Theatertüren
Endlich, hier zitiert Gretchen wirklich mal das richtige, dem ist nichts hinzu zu fügen. Werter Flohbär, juckt Ihnen der Pelz? Ich glaube sie verstehen Steckel völlig falsch. Übrigens scheinen Sie das Feuilleton nur noch flüchtig zu überfliegen. Es gibt zur Zeit jede Menge Artikel, die sich mit der politischen Kultur des Landes beschäftigen. Und über Heribert brauchen wir hier nichts mehr zu sagen. Gehen Sie ruhig weiter auf die richtigen Partys, da lernen Sie dann irgendwann auch den verrohten Neoliberalen kennen. Der geht übrigens nicht ins Theater, viel zu langweilig und viel zu intellektuell. So lange der Theatergänger glaubt, in seiner kleinen Enklave der Kultur sei alles in Ordnung, wird er den Wandel vor den Türen nicht bemerken.
Steckel zum Faust-Streit: Entdeckung der verrohten Neoliberalen
Bester Stefan, keine Angst, mich juckt es nur im Hals. Heute Abend bei Peggy Pickit hatte ich gegen einen Juckreiz anzukämpfen, weil ich das Publikum vor einem Hustenanfall verschonen wollte.
Herr Steckel aber verschont nicht einmal das Theaterpublikum. Seine Faust-Kritik ist ein einziger Rundumschlag gegen alles, was ihm in die Quere kommt: Lammert, die Banken, das Gegenwartstheater, die Moderatoren, die Veranstalter, die TV-Profis und das besagte Publikum. Wahrscheinlich haben Sie den Text trotzdem genossen, weil er das für Sie nötige Quantum Kapitalismuskritik enthält. Das Theater ist jedoch keineswegs ein politisches Agitationsfeld, keine Kampfarena für Abschaffungswünsche und glutvoll verkündete Zukunftsvisionen.
Die Erkenntnisse der Bielefelder Forschungsgruppe über das "verrohte" Bürgertum standen schon vor Tagen in den Zeitungen, die ich entgegen Ihren Vermutungen nicht nur flüchtig überfliege. Herr Steckel hat also jetzt den verrohten Neoliberalen als neuen Feind entdeckt, als erwarte er von dieser Gesellschaftsschicht mehr Anteilnahme und Einsicht als von der Arbeiterschaft. Deshalb auch der Verweis auf den Text von Wieland Hempel, den Sie sich wahrscheinlich auch zu Gemüte geführt haben. Gut, jetzt wissen wir über mögliche Gefahren des Neoliberalismus besser Bescheid. Nur – was hat das mit der Faust-Verleihung zu tun?
Und die Sloterdijk-Debatte, an der sich Bohrer, Menke und Honnef beteiligten – Dr. Pilz steuerte als Außenbetrachter auch noch zwei Artikel (oder mehr) bei – ist mittlerweile schon über ein Jahr alt. Gretchens Zitat, auf das Sie mit unterdrückter Feierlichkeit hinwiesen, gehört nicht gerade zu den Aktualitäten.
Nun, Stefan, dank Ihrer Geistesschärfe haben Sie den Wandel vor den Türen rechtzeitig erkannt. Wahrscheinlich brauchen andere dafür etwas länger. Angenommen, ihre Einblicke in die Veränderungen der Gesellschaft sind richtig – muss das jetzt unbedingt im Theater thematisiert werden? Und wo sind die Stückeschreiber? Vielleicht wäre es eine Aufgabe für Herrn Steckel, diese Entwicklung vor den Türen in scharfen Strichen und klaren Konturen zu dramatisieren.
Steckel zum Faust-Streit: Speckseiten und TV-Format
Zu Nr. 20: "Hier konnten sich keine mäßig prominenten Theaterkräfte vor einem typischen Fernsehpublikum profilieren – das schaut wohl eher in anderen Kanälen zu. Professionelle Theaterakteure und ihr spezielles Publikum: sie waren an dem Abend wohl unter sich." Wohl wahr.
Wozu dann aber, fragen wir uns, das "TV-Format"? So geht es nicht nur in diesem Falle zu: Die Speckseiten, nach denen die Würste geworfen werden, hängen woanders.
Steckel zum Faust-Streit: fähige Theatergänger
@ Stefan: Sie schreiben: "So lange der Theatergänger glaubt, in seiner kleinen Enklave der Kultur sei alles in Ordnung, wird er den Wandel vor den Türen nicht bemerken." Dazu eine kurze Frage, weil ich mich generell ungern instrumentalisieren bzw. vereinnahmen lasse (Sie wissen schon, Rosa und die Freiheit der Andersdenkenden). Ihrer Meinung nach ist "der (bürgerliche) Theatergänger" jetzt also allgemein unfähig zum solidarischen Denken und Handeln? Das stimmt jetzt aber nicht, oder?
Faust-Streit: den Bildern und Ansagen misstrauen
@ Gretchen
Wie sehe denn Ihre Solidarität der Bildungsbürger aus, wenn es die überhaupt noch in ausreichendem Maße gibt? Gnädiges Mitleid und Spendierhosen a la Sloterdijk. Der Niedergang der Mittelschicht geht einher mit dem Niedergang des Bildungsbürgers, nicht das ich das irgendwie bedauern würde, ergibt das doch eine Chance auf etwas Neues. Anstatt aber etwas ganz Neues zu wagen, versucht sich der Bildungsbürger wie zwischen Skylla und Charybdis schlingernd, entweder in den neuen Konservatismus zurückzuziehen oder verzweifelt an das andere Ufer zu retten und da steht der Neoliberalismus a la Westerwelle und Co., der neue Settembrini sozusagen. Darüber täuscht auch ein Kunst sammelnder Guido Westerwelle, der sich mit dem Malerfürsten Neo Rauch (was für ein schönes Wortspiel) in Paris ablichten lässt, nicht hinweg. Wer wäre denn nun sein Gegenpart, der Naphta um bei Thomas Mann zu bleiben, Sloterdijk vielleicht? Das wäre wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Es gibt im Grunde nach da keine Wahl mehr, da diese Lager sich bestens ergänzen. Glauben Sie ruhig weiter an das Gute im Menschen, aber hier bedarf es klarer Angebote und vielleicht hat Steckel die ja zu bieten. Die Frage ist jetzt wie sich die Linke tatsächlich positioniert und wie stehen die Grünen dazu, alles offene Fragen.
Kommen wir zum Theater zurück. Lieber Flohbär, warum sollten sich Veränderungen in der Gesellschaft nicht im Theater wieder spiegeln? Das verstehe ich nicht. Es muss ja nicht im Agitprop enden. Wir können hier im großen Berlin gar nicht einschätzen, außer vom Lesen darüber, was Frank-Patrick Steckel das so in seinem Theaterlabor zusammenmixt. Und wenn er mal ordentlich drauf haut, na und, vielleicht ist das alles nur übertriebenes Lamento, aber er misstraut zumindest den Bildern und Ansagen, die dort in Essen fernsehtauglich produziert wurden und das haben Sie ja immerhin auch anfänglich getan.
Steckel zum Faust-Streit: schweres Geschütz
@ Stefan:
Über die Mix-Künste in den Laboratorien von Herrn Steckel bin ich nicht unterrichtet. Ihren Vermutungen zufolge muss es sich um etwas Großes handeln.
Richtig, auch ich habe den Faust-Abend sehr kritisch betrachtet. Aber man sollte nicht unbedingt mit solch schwerem Geschütz auffahren. Steckel hat, als er sich an den PC setzte, sogleich den Holzhammer ausgepackt. So schlimm war es denn doch nicht. Manche Sequenzen fand ich sogar etwas entzückend.
Steckel zum Faust-Streit: eine neue emanzipatorische Politik
@ Stefan: Ja. Genau. Manchmal muss man eben auch an etwas glauben und nicht nur zerstören wollen, sorry. Ich bin überzeugt davon, dass es die Solidarität von Seiten des von Ihnen offenbar mit einem pauschalen Vorurteil belegten "Bildungsbürgertums" gibt. Man muss es nur wahr-nehmen wollen. Es geht da zum Beispiel um die Vermittlung bzw. Förderung einer selbsttätigen Aneigung von Wissen und Bildung an die jüngere Generation, um sich aus einer bloß von fremden Meinungen bestimmten unmündigen Situation befreien zu können.

Eine neue emanzipatorische Politik kann nicht nur an einen einzelnen sozialen Akteur - das Proletariat - geknüpft sein, sondern muss von einer Mischung verschiedener Akteure getragen werden. Denn es geht uns alle an.

Wo bleibt die symbolische Substanz des Subjekts, welches vollkommen in die virtuelle Realität eingetaucht ist? Ist eine Internetpetition wirklich dasselbe (sowohl für die Beteiligten als auch für die Adressaten) wie eine politische Demonstration auf der Straße (beispielweise der aktuelle Protest in Gorleben)?

Sind wir nicht alle betroffen von der Frage bzw. Schaffung lebenswerter Umweltbedingungen? Der Klimawandel erfordert ein globales politisches Handeln, welches beispielsweise lobbyistische Einzelinteressen der Atomindustrie als solche entlarvt und stattdessen kompromisslos auf erneuerbare Energien setzt.

Haben Sie schon einmal etwas von Steckel gesehen? Ich persönlich kenne "Plutos" (nach Aristophanes), und diese Inszenierung erschien mir alles andere als ideologisch besetzt zu sein. Im Gegenteil, da wurde höchst intelligent auf das Paradox zwischen Armut und Reichtum verwiesen. Auf der einen Seite steht die Meinung, in der Armut läge ein moralischer Vorteil für die Schaffenskraft. Auf der anderen Seite steht, dass erst das Geld die Voraussetzung für Kreativität und Leistung sei. Am Ende zeigt sich: Reichtum allein führt nicht automatisch zu sinnvollem Gebrauch bzw. zu mehr Solidarität zwischen den Menschen. Im Gegenteil, hier beten "die Armen" das Geld (in Gestalt einer jungen Frau) am Ende als Götzen oder auch als Statussymbol an, anstatt grundsätzlich, das heisst anti-konsumistisch, umzudenken.
Steckel zum Faust-Streit: Gehwegbesucher
Naja, Herr Steckel hat für "Plutos" immerhin eine Art nachtkritik de.-FAUST verliehen bekommen, und ich war damals nicht schlecht ver-
blüfft darüber, daß da so viele nach Bremen gepilgert waren bzw. aus Bremen heraus zum Voting schritten (also mobilisiert wurden ??).
Ich staunte, ohne Stöhnen, liebes Gretchen !, das will betont sein:
ungläubig, ja: ungläubig !!
Nun, Bremen ist nicht weit weg, und die Jugendherberge in Worpswede
ist ganz erschwinglich, im Ernst: ich werde im nächsten Jahr gewiß versuchen, mir so "einen Steckel" einmal näher anzusehen:
etwas Nichtalltägliches in der Theaterlandschaft scheint sich dort tatsächlich abzuspielen - aber Näheres weiß ich darüber auch nicht.
Eine Demonstration etwas Anderes als eine Internetpetition, Gretchen, vielen Dank für den sachdienlichen Hinweis: verhält es sich bei den beiden FAUSTS, dem vom Bühnenverein und dem von mir jetzt so genannten auf nachtkritik de. da ähnlich oder nicht doch wieder ganz anders ?. Naja, Mehrfachvoten contra Einzelentscheider, einzeln Auftretende, aber sonst !.
Verrohung der Bürger !, Verrohung allgemein !!, der dritte Weg muß sich ein neues Volk wählen ?, oder gerade Letzteres ist der bürgerliche Trugschluß ??: und das alles anhand einer FAUST-Verleihung: erscheint mir persönlich sowohl überzogen als auch deplaziert, ähnlich deplaziert, Frau März schreibt das in der aktuellen "ZEIT" sehr gut, wie halsbrecherische Mutproben zur familienfreundlichen Primetime im weitaus üppiger bezahlten öffentlich-rechtlichen Fernsehen (auf Falk Schreibers Seite "Bandschublade" empfehle (!) ich den Artikel zu "Vettel" mitsamt dem Song "Mach Deinen Fernseher kaputt" vom 17.11., dem Tag, als ich mir gerade einen geschenkten Fernseher in meine Wohnung gehievt habe, um -wie gestern- Filme wie "Die Architekten" von Peter Kahane sehen zu können, wenn es mit der Karte für das "Kunstseidene Mädchen" (ausverkauft !) nicht klappt), was ich hier erwähne, weil ich schluckte, als ich den Namen des "Fliegers" las:
"Samuel Koch" - also nicht "Wolfram Finzi"..

Und das Theater ?
Der nächste Lösch ist ante portas, und ich hoffe, nachtkritik de. ist nach der Schließung des Ankündigungthreads ausreichend bandagiert dafür: immerhin kann der geneigte Theater-"Freier" da schon mal einen Vorgeschmack im aktuellen "Tip" davon bekommen: eine "Aussteigerin" aus dem Chor schreibt dort ua. von Lösch als im Grunde desinteressiert und auch spärlich informiert am bzw. über seinen Gegenstand, die "Lulu" sei eh nur eine nicht benutzte Vorlage gewesen, die Bezahlung für die Mühen geradezu ein Hohn gegenüber dem Gewerbe, Lösch eigentlich der "schlechteste Freier" ihrer Laufbahn ... .
Wie ich schon schrieb, der Winter scheint das "Urteilen" zu begünstigen wie der Schnee Hell-Dunkel-Kontraste, Schwarz-Weiß grassiert allenthalben: aber, so richtig beunruhigen ?
Gewiß, soetwas wie "Verrohung" ließe sich aus täglichen Erfahrungen
heraus wahrlich diskutieren, und es mag schon seine Gründe haben,
wieso Herr Finzi bei seinem Plädoyer für einen Versicherungs-Werbe-
auftrag auf Waffen zu sprechen kommt, für die er ja nicht werbe:
Sicherheit und Versicherung: das ist doch total in, ob nun unsere Sicherheit gen fernen Osten verteidigt wird, ob dieses ominöse Wir,
das Herr Polt in der "ZEIT" so schön aufs Korn nimmt, 82 Millionen andere Gründe weiß, ziemlich egal, ja, und selbst das leidige Schneefegen wird als Großtat selbstgefeiert, der geneigte Gehwegbesucher schlittert erst nach so einer "Räumung" (die meist einem Eisbahnbau gleichkommt) aus derweil und erweist sich als undankbar ob der sozialen Leistung, diese Aktion gilt gewiß zumeist, genau: der Versicherung ! "Die Nachbarn können bezeugen, ich habe geräumt." Andere Unternehmungen werden bei erstem Schnee eingestellt, weil Angst da ist, die Versicherung könnte sich querstellen, Unternehmungen, für deren Ermöglichung man sich eigentlich versichert hat etcpp.: PROTECT ME !!!

Aber, es stimmt: ich schweife hier wieder ab. Frohe Festtage aller-
seits, Grautöne einstreuen nicht vergessen !!
FAUST-Streit: alles mögliche
@ Arkadij Zarthäuser: Sie schreiben hier offenbar über alles Mögliche, was Ihnen gerade so in den Kopf schießt, aber mir wird leider nicht klar, worum es Ihnen eigentlich geht. Inwiefern beziehen sich Ihre Ausführungen auf die FAUST-Verleihung bzw. Steckels Kommentar dazu?
Linktipp
Der Link zur Aussteigerin:

http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-theater-und-buehne/ich-bin-eine-aussteigerin
FAUST-Streit: inhaltlicher focussieren
@ 33

Liebes Gretchen, ich sagte "Frohe Festtage", weil ich (siehe Sturm im Wasserglas) das Thema an dieser Stelle für ziemlich erschöpft halte (ich habe mich im übrigen weiter oben hinreichend zu dem Eindruck, den das alles auf mich macht, geäußert) und habe in der Tat nicht unterlassen, einige Grautöne selbst hinzutupfen- das scheint mir nie so recht das Beste zu sein: dieses Hintupfen; andererseits schreit es halt in den Wald schwarz-weiß rein, und es schallt dann in Grautönen wieder raus, und in diesem Fall bin ich wohl Wald und auch arttypisch dunkel. Ich werde mich demnächst wieder um focussiertere Beiträge bemühen, halte mich mit Versprechungen freilich zurück.
Andererseits könnten Sie, Gretchen, sich den aktuellen "Tip" gerne einmal zur Hand nehmen, um sich Laudenbachs "Provokateursspiel" ("PL macht sich mal wieder unbeliebt" als Selbstansage) , den
Aussteigerinnenartikel und das Interview mit Koch, Finzi, Zilcher und Gotscheff zur Kaurismäki-Sache anzutun (wahrscheinlich haben Sie das bereits) , um "meiner Spur" ein wenig zu folgen: Alles, was hier andiskutiert wurde, ließe sich hinsichtlich dieser drei Artikel gewiß inhaltlich focussierter diskutieren als an jenem Rundumschlag, den Herr Steckel hier lieferte.
FAUST-Streit: Mär der milden Gaben
@ Gretchen
Es gibt noch eine Reaktion von Elke Brüns auf Sloterdijk heute in der Frankfurter Rundschau, also ein Thema, das doch noch nicht so alt zu sein scheint, wie Flohbär meint. Da Sloterdijk partu recht haben will, erklärt er noch mal sein Prinzip der Gabe, als Erweckung aus der Steuerstarre. Der mündige Bürger, den er entdeckt hat, würde dann sofort "in einer vom Geist der Gabe umgestimmten Gesellschaft" seinen Sinn fürs Gemeinwesen entdecken. Nun, das mag in Zeiten von Wachstum und hoher Kaufkraft zutreffen, aber was ist in Zeiten von Rezession, hoher Arbeitslosigkeit und Hartz 4? Das Finanzministeriums würde dann wie Sloterdijk noch konstatiert, tatsächlich zu einem "Seminar für Geberbildung". Immer wenn's knapp wird erhalten die Reichen dann salbungsvolle Briefe mit gezielten Spendenaufrufen. Helft der notleidenden Allgemeinheit. Der Staat als Bittsteller am Tropf der Großzügigkeit von Besserverdienenden und freiwilligen Bürgerspenden. Das ist so realitätsfern und bräsig, das es weht tut, einen solchen Denker, so einen Unsinn verbreiten zu sehen. Zu Ihrem Solidaritätsgedanken, Gretchen, gibt es dann auch zum Schluss des FR-Artikels noch ein etwas dämpfendes Statement in Form eines Kant-Zitats: "Der Mensch muss sich hüten vor dem moralischen Eigendünkel, dass er sich selbst für moralisch gut hält, und eine vortheilhafte Meinung von sich hat, das ist ein träumerischer Zustand, der sehr unheilbar ist." Nun sollte man trotzdem nicht alle Utopie und Hoffnung fahren lassen, das der Bürger nur seinen Eigennutz im Kopfe hätte, mehr Bürgerbeteiligung an der Willensbildung eines Staates ist dringend geboten. Aber sich dabei allein in die Hand der Mildtätigkeit zu geben, ist schon etwas blauäugig. Wie Sloterdijk sein hehres Ziel erreichen will, diese Antwort bleibt er schuldig, das ist der Vorzug des Philosophen, der nur die schönen Ideen liefert, aber nichts zu deren Umsetzung zu sagen hat, das wäre dann wieder wohl wieder Sache des Staates. Wie das Gemeinwesen funktioniert, hat man im real existierenden Sozialismus erleben können. Karl Marx hatte ja ach nur so eine Idee, das es zur Umsetzung auch den mündigen interessierten Bürger, frei von Zwängen braucht, negiert Sloterdijk zwar mit seiner These nicht, aber das nur ein Wegfallen von staatlicher Bevormundung sofort zum gewünschten Ziel führt, ist unter den derzeitigen Verhältnissen in Deutschland kaum vorstellbar. Dazu braucht es eine allgemeine Reform des aktuellen Staatswesens, nicht nur eine Steuerreform.
Nach so viel ernsten Worten noch ein Link zu einer kleinen Satire in Form einer Kolumne von Grete Götze wieder aus der Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/kultur/wohltaetigkeit/-/1472786/4552406/-/index.html
Für die, die keine Lust auf den Link haben, hier das enthaltene Kästner-Gedicht:

Wohltätigkeit

Ihm war so scheußlich mild zumute.
Er konnte sich fast nicht verstehn.
Er war entschlossen, eine gute
und schöne Handlung zu begehn.

Das mochte an den Bäumen liegen
und an dem Schatten, den er warf.
Er hätte mögen Kinder kriegen,
obwohl ein Mann das gar nicht darf.

Der Abend ging der Nacht entgegen,
und aus den Gärten kam es kühl.
Er litt, und wußte nicht weswegen,
an einer Art von Mitgefühl.

Da sah er Einen, der am Zaune
versteckt und ohne Mantel stand.
Dem drückte er, in Geberlaune,
zehn Pfennig mitten in die Hand.

Er fühlte sich enorm gehoben,
als er darauf von dannen schritt,
und blickte anspruchsvoll nach oben,
als hoffe er, Gott schreibe mit.

Jedoch der Mann, dem er den Groschen
verehrte, wollte nichts in bar
und hat ihn fürchterlich verdroschen!
Warum? Weil er kein Bettler war.
Lösch-Linktipp: schlimmer als erwartet
...sehr einfach formuliert dieser Kommentar einer Aussteigerin, aber konsequent in der Haltung und zugleich eine gute Innenansicht der Probenarbeit,...nicht mal ich hätte es so schlimm erwartet...
FAUST-Streit: Bundesagentur fördert das theaterlabor
Nur zur Information: Das "theaterlabor bremen“ ist eine von der VHS Bremen unterstützte Fortbildungsmassnahme für arbeitslose Bühnenkünstler und bühnennahe Berufe und wird von Maik Romberg und einem kleinen Team von Ausbildungskräften, Technikern und Verwaltungshelfern geleitet. Alle saisonalen Teilnehmer benötigen einen sog. Bildungsgutschein, d.h. sie sind entweder arbeitslos gemeldet und haben Anspruch auf Arbeits-losengeld I bzw. II, oder sie sind "berechtigte Nichtleistungsempfänger". Gefördert wird das Projekt durch die Bundesagentur für Arbeit (berufliche Weiterbildung gefördert nach § 85 SGB III). Maik Romberg hat mich 2009 und 2010 zu einer Zusammenarbeit eingeladen - so sind PLUTOS und REIN THEORETISCH entstanden. Es ist zu befürchten, dass auch die Förderung einer solchen, sehr sinnvollen Einrichtung in absehbarer Zeit eingestellt werden wird.
FAUST-STreit: Quatsch mit Soße
@ Arkadij Zarthäuser: Danke für den Linktipp. Dass es im Sozialismus keine Prostitution gebe, das ist ein Mythos. Wie stellt Lösch sich das eigentlich vor? Etwa so, dass alle Frauen als "Gemeineigentum" der männlichen Genossen bitteschön immer bereit sein und die Beine breit machen sollen? Quatsch mit Soße, knallhart Geld fordern, das ist die Devise, und zwar ohne Verhandlungsbasis.
Dazu, dass die Frau im Kapitalismus zur Ware gemacht wird, kann ich nur sagen: Das ist geschlechterstereotypes Denken. Wir alle werden im Kulturkapitalismus zur Ware gemacht bzw. machen uns selbst dazu. Zitat Robert Misik:

"In jedem Fall ist eine 'konsumistische Mentalität', die im Shopping ihre paradigmatische Aktivität findet, unbestreitbar. Will man diese Mentalität beschreiben, dann stößt man schnell auf oft erwähnte Charakteristika, die da wären: diese schwer definierbare Unersättlichkeit, der Umstand, dass der Erwerb nicht satt macht, sondern nur den Appetit anregt; jene Art des Begehrens, wie sie sich im Anschluss an den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan sagen ließe, die das begehrte Objekt nie in ihren Besitz zu bringen vermag; [...]."

@ Stefan: Gut. Aber ich bleibe dabei, dass zu einem guten Leben auch der Glaube an die Solidarität des Menschen gehört. Zitat aus der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe":
"Bei euren Einkäufen / Vergesst nicht das herrliche / Vor allem bei Scheineinkäufen / Ganz unentbehrliche / Immer sich wandelnde / Gotteswort."
Auf der anderen Seite könnte man den erhellenden Zynismus Heiner Müllers anführen:
"Wenn man ihn fragte, ob er einem Bettler etwas geben würde, blickte er aus dem Café hinaus auf die Straße und antwortete: 'Nein, ich stecke mir eine extra dicke Zigarre an, bestelle mir einen besonders teuren Whisky und führe ihm vor, wie gut es den Reichen geht. Das wird seinen Zorn wecken.' Das war Literatur, ein Brecht-Zitat, wieder eine jener Gesten, mit denen er sich als cool darstellen wollte. Aber es war auch der Versuch eines Beitrags zum Klassenkrieg." (Arno Widmann in der ZEIT)
FAUST-Streit: zu weit weg von der Wirklichkeit
@ Gretchen. "...Knallhart Geld fordern..."! - Sind Sie selber im Gewerbe ? Oder warum stellen Sie sich so konsequent hinter diese Devise ? Ist das nicht ebenso unreflektierter Qwark ? Klingt so nach: Wenn überhaupt, dann muss man die Schweine wenigstens ausnehmen.

Das ist mir alles zuweit weg von der Wirklchkeit.
FAUST-Streit: Alles nur aus Nächstenliebe?
@ 123: Was denn sonst? Meinen Sie etwa, die Prostituierte Shen Te (aus "Der gute Mensch von Sezuan" von Brecht) macht das alles nur aus Nächstenliebe? Mit dem Glauben allein kommt man eben nicht in allen Fragen des Lebens weiter. Und Sie sind dann bestimmt der Typ Mann (oder Frau), der sich in eine Prostituierte verliebt. Was für ein Schmus.
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